"Zukunftsvisionen werden Stück für Stück wahr"
Menschmaschinen oder Maschinenmenschen sind ein beliebtes Thema der Science-Fiction. Die Realität der "Cyborgs" ist aber ganz human: Es geht darum, sich mit Hilfe von Werkzeugen und Implantaten zu vervollkommnen und seine Sinneswahrnehmung zu erweitern, sagt Enno Park, der Gründer des deutschen Cyborg-Vereins.
Joachim Scholl: Der Begriff des Cyborgs setzt sich aus den englischen Wörtern Cybernetic und Organism zusammen und meint ein technisch verändertes biologisches Wesen. Im Science-Fiction-Film und in der Literatur sind Cyborgs allgegenwärtig, Menschen mit Metallgliedmaßen oder anderen technifizierten Körperteilen. Man mag dabei an den "Robocop" erinnern, diesen Filmhelden aus den 80er-Jahren. Im Studio begrüße ich jetzt aber einen Menschen aus Fleisch und Blut. Enno Park, der sich selbst als einen Cyborg bezeichnet. Guten Tag, Herr Park!
Enno Park: Hallo!
Scholl: Warum sind Sie ein Cyborg?
Park: Warum bin ich ein Cyborg? Ich trage ein Implantat, mit dem ich hören kann. Das ist direkt mit meinem Hörnerv verbunden, das ist ein Stück Elektronik, das fest in meinen Körper eingepflanzt ist. Und rein technologisch gesehen ist das tatsächlich gar nicht so großartig was anderes wie das, was wir aus so „Terminator“-Filmen kennen.
Scholl: Sie tragen das ziemlich offensiv, also Sie haben etwas schütteres Haupthaar, und an beiden Seiten der Ohren sieht man also doch recht opulente – im ersten Moment würde man sagen, Hörgeräte. Aber das ist schon was Besonderes?
Park: Ja, es ist definitiv was Besonderes. Hörgeräte stecken einfach nur im Ohr und verstärken alles. Und wenn Menschen nahezu taub sind, wie ich das seit über 20 Jahren bin, kommt da am Ende nur akustischer Matsch bei raus. In dem Fall sitzt bei mir hinterm Ohr, unter der Kopfhaut, ein Empfänger. Von dort läuft ein Kabel quasi unter Putz verlegt bis zu meinem Hörnerv und stimuliert den auf elektronische Art und Weise, sodass ich ein komplett künstliches Gehör habe, ein kompletter Bypass des Gehörs.
Scholl: Warum ist es Ihnen jetzt aber so wichtig, das als – ja, mit dem Begriff Cyborg so zu betonen? Man könnte ja einfach sagen, andere Menschen haben eine künstliche Hüfte oder eine Beinprothese. Die würden sich wahrscheinlich auch weniger als Cyborg bezeichnen. Warum ist Ihnen das so – liegt Ihnen das so am Herzen?
Park: Als ich vor ungefähr zwei Jahren die beiden Implantate bekam, bin ich natürlich auf diesen Begriff gestoßen und hab halt gemerkt, okay, jetzt ist hier Technik, Elektronik ein untrennbarer Teil meines Körpers geworden, und so rein von außen betrachtet, bin ich dann schon mal einer. Dann habe ich mir darüber Gedanken gemacht, was sind Cyborgs eigentlich, bin auf die Denkschule des Cyborgism gestoßen, auf das "Cyborg Manifesto" von Donna Haraway. Habe also entdeckt, dass es da schon seit Jahrzehnten eine Denkschule gibt, die aber bisher nur philosophisch gearbeitet hat, so aus der Science-Fiction und aus der Raumfahrttechnik kommend. Und merke, dass diese ganzen Zukunftsvisionen gerade so Stück für Stück wahr werden. Und das zieht nun wiederum eine ganze Menge an Problemen nach sich, mit denen ich mich auseinandersetze.
Scholl: Sie haben auch angekündigt, mit Ihrer Apparatur oder mit dem Implantat, das Sie ja nun jetzt haben und das Teil Ihres Körpers ist, dass Sie mit dem auch machen wollen können, was Sie möchten. Zum Beispiel den Chip im Ohr, den auch mal hacken, um dann ihn vielleicht selber zu beeinflussen. Wozu das denn?
Keine Kampfmaschinen à la Hollywood
Park: Ja, ganz genau, also – wozu? Die technische Möglichkeit ist da, und deswegen einfach die Gegenfrage: Warum denn nicht? Ich habe also die Möglichkeit, zumindest theoretisch, Ultraschall hören zu können. Es stand erst vor Kurzem in der Zeitung, dass gerade ganze Schwärme von Fledermäusen unterwegs sind nach Berlin, um hier zu überwintern. Und wenn ich so nachts auf dem Balkon sitze und mir den Sternenhimmel ansehe, höre ich keine Vögel mehr, die zwitschern, aber ich könnte mir diese Fledermäuse anhören. Es geht im Endeffekt tatsächlich um die Erweiterung meiner Sinne, die Erweiterung der Realität, die ich wahrnehmen kann. Und ich finde es unglaublich spannend, welche Möglichkeiten sich da auftun. Auch, wenn jetzt etwas wie Ultraschall hören zu können, einfach erst mal eine Spielerei ist. Aber anhand solcher Spielereien kann man ausloten, was denn nun eigentlich geht.
Scholl: Die Maschine Mensch, der Mensch und die Maschine. Über Cyborgs sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Enno Park. Nun hat, Herr Park, der Cyborg ja bislang keine allzu gute Presse. Im Film sind es meist willenlose Kampfmaschinen oder es geht dabei um die Vision des perfekten, technisch optimierten Menschen. Auch eher so ein Schreckensbild – was setzen Sie denn da hier positiv dagegen als Cyborg?
Park: Ich setze zum Beispiel mein eigenes Beispiel dagegen. Ich war über 20 Jahre lang gehörlos und kann nun wieder hören. Und das ist überhaupt nichts Schreckliches. Die meisten technologischen Entwicklungen, die dort benutzt werden, dienen einfach dazu, dem Menschen zu helfen. Sie dienen eben nicht dazu, irgendwelche Kampfmaschinen à la Hollywood zu bauen. So was wäre technologisch durchaus irgendwann denkbar. Es ist heute natürlich Science-Fiction, aber ein Stück weniger als bisher. Aber darum geht es bei der ganzen Sache eigentlich nicht.
Es geht im Grunde um das, was der Mensch schon immer tut in seiner ganzen Kulturgeschichte, Werkzeuge zu nutzen und sich selbst zu vervollkommnen. Egal, ob das um die Entwicklung des Ackerbaus geht, um die Schaffung von Werkzeugen, um die Schaffung der Autogesellschaft, sag ich jetzt mal, um Bildung. Immer wieder haben wir auf verschiedenste Art und Weise unsere Umwelt und uns selber manipuliert, um voranzukommen. Und der Cyborgism ist da einfach nur der nächste logische Schritt. Deswegen ist er auch schon so lange vorausgedacht worden.
Leute, die sich selber als Cyborgs betrachten
Scholl: Aber auch der Fortschritt wurde immer mit einer Fortschrittskritik begleitet, und gerade, wenn es um die technische Optimierbarkeit der menschlichen Biologie geht, haben wir ja schon so eine moralische Debatte auch. Also dann natürlich, dass, wenn es darum geht, menschliche Beschädigungen, Behinderungen technisch zu kompensieren, dass das dann ja auch einen gesellschaftlichen Druck erzeugt, auf jeden Fall dieses Optimum anzustreben. Besteht da nicht die Gefahr, dass man so eine neue verpflichtende Norm für den Menschen aufstellt, perfekt zu sein in diesem Sinne?
Park: Ja. Diese Gefahr ist tatsächlich sehr groß, und es ist mit ein Grund für mich, diese Gesellschaft gegründet zu haben, um auch mit dieser Gefahr umzugehen und ihr etwas entgegenzusetzen. Weil - meiner Meinung nach - darf es eben nicht dazu kommen, dass dieser Druck erzeugt wird, eine Normierung des Menschen herzustellen, sondern es geht darum, dass der Mensch vielfältiger wird als sowieso schon. Und diese ganzen technischen Entwicklungen passieren sowieso. Es muss also Menschen geben, die einerseits diese ganzen neuen Möglichkeiten toll finden, bejahen, damit spielen wollen, andererseits aber auch wirklich sagen: Es kann nicht darum gehen, die Inklusion abzuschaffen. Es kann nicht darum gehen, jetzt den Supermann zu züchten. Es kann nicht um solche faschistoiden Dinge gehen, sondern darum, dem Menschen mehr Freiheitsgrade zu ermöglichen, und das hochindividuell und das auch mit dem Gedanken der Inklusion.
Scholl: Das wäre dann also die humane Cyborg-Ethik. Zu diesem Verein, Herr Park, er ist jetzt gerade in der Gründungsphase – wer meldet sich denn da? Wie ist denn die Resonanz auf auch den Aufruf, hier einen Verein zu gründen – "Cyborgs aller Länder, vereinigt euch" – wer kommt da?
Park: Ganz verschiedene Menschen. Leute, die sich selber als Cyborgs betrachten, auf unterschiedlichste Art und Weise. Zum Beispiel haben wir jemanden, der ein künstliches Bein trägt, und das hat eine Servo-Elektronik, die ständig per Bluetooth programmierbar ist. Und der interessiert sich dafür, was man sonst noch machen kann. Es sind einfach Hacker dabei, die zunächst mal nichts mit diesem Thema zu tun haben, sie aber brennend interessiert, wie man mit solcher Technik spielen kann, wie man sie hacken kann. Es sind Leute aus dem künstlerischen und geisteswissenschaftlichen Bereich dabei, die sich schon länger mit diesem Thema befassen, also eine bunte Mischung.
Scholl: Im nächsten Monat soll die Gründung vollzogen werden. Was ist denn so Ihre Vision, Ihr Ziel? Was möchten Sie für diesen Verein anstreben?
"Ich umgrenze den Begriff des Cyborgism nicht"
Park: Ziele habe ich mehrere. Zum einen geht es tatsächlich darum, ein Dach zu schaffen für Menschen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen wollen, in Gruppen zu arbeiten, konkret wirklich Hacks zu machen, an denen wir zum Teil auch schon arbeiten. Neue Dinge zu finden, Sicherheitslücken aufzudecken, aber eben auch das zu tun, was ich gerade schon skizziert hatte, dieses Bild in der Öffentlichkeit ein wenig zu korrigieren beziehungsweise zu sagen, es geht auch anders. Ich glaube, dass diese Entwicklung eine sehr breite Debatte noch auslösen wird, wenn auch recht langfristig. Und ich möchte in dieser Debatte gerne mitreden, und zwar aus Sicht der Betroffenen.
Scholl: Wenn demnächst viele Menschen mit so einer Google-Brille rumlaufen, das ist ja auch so die nächste technische Vision, dass man dann also auf die eigene Netzhaut irgendwelche Bilder, Informationen projiziert bekommt, würde das schon reichen, bei Ihrem Verein mitzumachen? Oder wird es da scharfe Aufnahmeregularien geben?
Park: Nein, ganz und gar nicht. Es kann absolut jeder Mensch mitmachen, der sich in irgendeiner Form für das Thema interessiert, und auch ich umgrenze den Begriff des Cyborgism nicht so ganz. Philosophisch hat er ja eigentlich wenig damit zu tun, ob jetzt konkret technisch etwas implantiert ist, sondern welche Symbiose wir Menschen eigentlich mit der uns umgebenden Kultur eingehen. Es gewinnt nur gerade eine neue Qualität, wenn wir damit anfangen, immer mehr Dinge auch wirklich in unseren Körper zu implantieren. Und willkommen ist dort jeder, der sich mit diesem Thema auseinandersetzen möchte, egal, auf welche Weise.
Scholl: Ich bin ein Cyborg, sagt Enno Park. Und wer sich über den jetzt gerade in der Gründung befindenden Verein Cyborg Deutschland kundig machen will: Im Netz steht schon eine Homepage. Danke Ihnen, Herr Park, für Ihren Besuch.
Park: Ja, ich danke.
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