Richard Szklorz, geboren und aufgewachsen in der Nachkriegs-Tschechoslowakei, studierte an der Universität Tübingen und an der Freien Universität in Berlin, wo er auch heute wohnt.
Lange lebte er in London, Jerusalem und New York, wovon die New Yorker Zeit beinahe seine zweite Auswanderung wurde. Nach der Wende bereiste Szklorz als Redakteur der Wochenzeitung "Freitag" zum ersten Mal wieder sein Geburtsland und andere ostmitteleuropäische Staaten.
Seit Mitte der 1990er Jahre arbeitet Szklorz als freier Journalist für Zeitungen und Rundfunkanstalten. Er ist Autor zahlreicher Glossen über den deutschen Alltag sowie von Kommentaren, Rezensionen und Berichten aus der jüdischen und jüdisch-deutschen Welt.
Neuer Kurzname ohne Gedächtnis
"Czechia" wird künftig die internationale Kurzbezeichnung für die Tschechische Republik sein. Mit Wehmut vermerkt der Autor Richard Szklorz, dass bei der Entscheidung "Böhmen" unterlag. Dies würde an den europäischen Schmelztiegel erinnern, der Tschechien einmal war.
Wie kommt es, dass ein Land in Europas Mitte mit sich selbst hadert, wie es heißen soll? Obschon es die ältesten Grenzen aufzuweisen hat und auf eine tausend Jahre alte Geschichte zurückblickt, hat es ein Namensproblem.
Dies gab es schon 1918 bei der Gründung der Tschechoslowakei. Sie war ethnisch ein Flickenteppich und dennoch von einer panslawischen Idee getragen, die sich eben im Namen widerspiegelte.
Das nächste Mal zeigte sich das Problem 1993 nach dem Zerfall der Tschechoslowakei. Denn mittlerweile galten die Landesteile Böhmen, Mähren und Schlesien als unbestritten tschechisch und homogen. Bereits Jahrzehnte zuvor waren erst das jüdische Leben von nationalsozialistischen Besatzern zerstört und später die alteingesessenen Deutschen vertrieben worden.
Aus der Tschechoslowakei wurde die Tschechische Republik
Es entstand also neben der Slowakei ein Teilstaat mit dem wohlverdienten Namen: Tschechische Republik. Doch dieser ist im internationalen Gebrauch sperrig. Lange fehlte eine praktische Kurzbezeichnung. Und darin liegt das aktuelle Problem. Denn es kann schon ein bisschen Neid aufkommen, wenn Kollegen recht unkompliziert ihre Heimatländer als Slovakia, Italy, Germany, Austria oder Denmark, Spain, Norway bezeichnen.
Zumindest für den Eigenbedarf war immer wieder das muttersprachliche "Česko" vorgeschlagen worden. Es ist bis heute unbeliebt, weil es arg ethnisch gefärbt schien und zudem als sprachliches Ungetüm empfunden wurde. Nun rang sich die Prager Regierung sich zu dem englischen Kurznamen "Czechia" durch.
Dabei hatte das Land an der Moldau über Jahrhunderte einen unangefochten schönen Namen: Böhmen! Oder "Bohemia", wie es der englische Dramatiker William Shakespeare nannte, das er allerdings mangels besserer Kenntnisse als "ödes Königreich an den Gestaden des Meeres" beschrieb.
"Böhmen" wäre die bessere Kurzbezeichnung als "Czechia"
Was insofern schade ist, weil Völkern, die an der Küste leben, Weltoffenheit nachgesagt wird. Lebten die heutigen Böhmen also an der See, hätten sie vielleicht einen Ausblick auf erweiterte Horizonte. Selbst in englischen Publikationen, die in Tschechien erscheinen, wird das früher gebräuchliche "Bohemian Lands" gerne durch die Bezeichnung "Czech Lands" ersetzt, sogar da, wo eine weit zurückliegende Historie behandelt wird.
Das ist eine besondere Form, die frühere, vielgestaltige Vergangenheit rückwirkend ethnisch zu homogenisieren! Dabei wollte auch der alte tschechisch-sprachige Name für Böhmen stets über mehr Auskunft geben als über Ethnizität. Er war Umschreibung für die kulturelle Vielfalt des Landes.
Česko, Czechia, Tschechien? Alle drei sind ein Statement, kein historisches, sondern ein zeitgenössisches. Es besiegelt die ethnische Einengung und Abschottung und verabschiedet das ohnehin kleine Land von einer Epoche, in der es ein europäischer Schmelztiegel war.
"Czexit" verleugnet völlig den europäischen Schmelztiegel
Weshalb es immer noch Zeitgenossen in den Böhmischen Ländern gibt, die sich mit diesen modernen Nationalbezeichnungen unbehaglich fühlen. Sie mögen den Verlust spüren, wenn das Bewusstsein für eine frühere, prägend reichhaltige Kultur verloren zu gehen droht. Gerade in Zeiten, in denen sich nationale Töne mit nationalistischen, manchmal rassistischen mischen.
Das Morgen hat übrigens auch schon sein Namensproblem: Czexit – und kopiert unüberhörbar das britische Brexit. Man sieht, es geht immer noch enger als nur eng.