D-Dur klingt nach einem goldenen Gelb
"Synästhesie" wird die verknüpfte Empfindung von Farben, Klängen, Düften und Geschmack genannt. In John Harrisons Buch "Wenn Töne Farben haben" erfahren wir zum Beispiel, dass dies für Naturwissenschaftler und Künstler ein großes Thema war und ist. So sinnierten etwa die beiden russischen Komponisten Rimski-Korsakow und Skrjabin gemeinsam über die Farben von Tonarten.
"Die Düfte, die Farben, die Klänge der Welt - sie antworten einander", heißt es bei Charles Baudelaire in "Die Blumen des Bösen". Der Neurophysiologe Alfred Vulpian hat für die verknüpfte Empfindung von Farben, Klängen, Düften und Geschmack den Begriff "Synästhesie" geprägt. Charles Baudelaire lässt uns wissen, dass sein synästhetisches Talent nach dem Genuss von Haschisch eine rasante Steigerung erfuhr.
Aber Drogenkonsum ist keine notwendige Bedingung für synästhetische Erfahrungen, versichert uns John Harrison. Er hat an der Universität Cambridge jahrelang neuronale Tests mit derart begabten Personen durchgeführt.
Für Neurowissenschaftler ist Synästhesie ist ein rätselhaftes Phänomen. Seit man dem Hirn mittels Computertomographen beim Arbeiten zuschauen kann, hat sich herausgestellt, dass unsere Sinneseindrücke in streng getrennten Hirnregionen verarbeitet werden.
Das menschliche Hörzentrum befindet sich im Schläfenlappen, das Sehzentrum hingegen ist im Hinterhauptlappen lokalisiert. Bei Neugeborenen sind diese Hirn-Regionen noch miteinander vernetzt. Erst ab etwa dem dritten Lebensmonat beginnt das kindliche Gehirn, sich arbeitsteilig zu organisieren, die neuronale Verbindung zwischen Hör - und Sehzentrum wird gekappt.
John Harrison fragt sich, wie es kommt, dass manche Erwachsene spontan Farben mit Klängen und Düften assoziieren, "während die meisten Menschen die Fähigkeit zu synästhetischer Wahrnehmung irgendwann um den dritten Lebensmonat herum verlieren."
Er vermutet, dass bei synästhetisch veranlagten Menschen jene frühkindlichen Neuronen-Verschaltungen im Hirn erhalten bleiben. Warum das so sein soll, vermag der Autor uns nicht zu erklären. Er geht einfach davon aus, dass einige unter uns auf wundersame Weise privilegiert sind: gottbegnadet oder besser noch "gen-begnadet". Laut Harrison kann man synästhetische Fähigkeiten nicht erlernen. Man hat's eben oder man hat's nicht.
Diese These darf bezweifelt werden. Zumindest beruht sie auf einer falschen Voraussetzung. Harrison glaubt nämlich, "wenn die Entwicklung des Gehirns abgeschlossen ist, wachsen keine weiteren Neuronen nach." Dies war lange ein gängiger Topos der Hirnforschung. Inzwischen aber ist er widerlegt.
Auch ein erwachsenes Hirn kann neue Nervenzellen bilden - vorausgesetzt, es ist mit Lernaufgaben beschäftigt. Für diese Erkenntnis hat Gerd Kempermann vom Berliner Max-Delbrück-Institut vor ein paar Jahren den Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft bekommen.
Vielleicht schlummert also in jedem von uns ein Talent zur synästhetischen Empfindung, das nur darauf wartet, geschult zu werden? Das genau ist die These des georgischen Hirnforschers Bulat Galejew, einem Gegner von Harrisons Theorie. Harrison zitiert ihn hin und wieder nach dem Motto: "Er hat seine Meinung, ich habe meine." Galejews Thesen allerdings konvergieren mit dem neuesten Stand der Hirnforschung, die von John Harrison dagegen nicht.
Wirklich lesenswert ist allein der ideengeschichtliche Teil dieses Buches. Wir erfahren zum Beispiel, dass Synästhesie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sowohl für Naturwissenschaftler als auch für Künstler ein großes Thema gewesen ist, dann in der Versenkung verschwand, um am Ende des 20. Jahrhunderts wieder aufzutauchen.
Rimski-Korsakow zum Beispiel und Skrjabin, die beiden russischen Komponisten, haben gemeinsam über die Farben von Tonarten philosophiert. Man ist nicht überall auf einen Nenner gekommen. Skrjabin hat bei C-Dur immer "rot" gesehen, Rimski-Korsakow assoziierte in diesem Fall ein weißes Licht.
Bei D-Dur war man sich einig: Diese Tonart klingt nach einem goldenen Gelb. Der Dialog zwischen den beiden hat sogleich die Malerei beeinflusst. Wassily Kandinsky, ein Verehrer von Skrjabins Musik, nahm sich vor, Bilder zu schaffen, die dem Betrachter Klänge suggerieren.
Die synästhetische Begeisterung lebt bis heute. Der Brite David Hockney präsentierte uns "Ravel in Bunt". Mit dessen Musik auf den Ohren hat Hockney Kulissen für die Metropolitan Oper in New York gemalt. In schillernden Pop-Art-Farben.
Für Leser, die an Hirnforschung interessiert sind, ist John Harrisons Buch sicher nicht der Weisheit letzter Schluss - in Sachen Kunstgeschichte dagegen hochinteressant.
Rezensiert von Susanne Mack
John Harrison: Wenn Töne Farben haben. Synästhesie in Wissenschaften und Kunst
Übersetzt von Anja Masselli
Spektrum Akademischer Verlag, Berlin 2007, 242 Seiten, 29,95 Euro
Aber Drogenkonsum ist keine notwendige Bedingung für synästhetische Erfahrungen, versichert uns John Harrison. Er hat an der Universität Cambridge jahrelang neuronale Tests mit derart begabten Personen durchgeführt.
Für Neurowissenschaftler ist Synästhesie ist ein rätselhaftes Phänomen. Seit man dem Hirn mittels Computertomographen beim Arbeiten zuschauen kann, hat sich herausgestellt, dass unsere Sinneseindrücke in streng getrennten Hirnregionen verarbeitet werden.
Das menschliche Hörzentrum befindet sich im Schläfenlappen, das Sehzentrum hingegen ist im Hinterhauptlappen lokalisiert. Bei Neugeborenen sind diese Hirn-Regionen noch miteinander vernetzt. Erst ab etwa dem dritten Lebensmonat beginnt das kindliche Gehirn, sich arbeitsteilig zu organisieren, die neuronale Verbindung zwischen Hör - und Sehzentrum wird gekappt.
John Harrison fragt sich, wie es kommt, dass manche Erwachsene spontan Farben mit Klängen und Düften assoziieren, "während die meisten Menschen die Fähigkeit zu synästhetischer Wahrnehmung irgendwann um den dritten Lebensmonat herum verlieren."
Er vermutet, dass bei synästhetisch veranlagten Menschen jene frühkindlichen Neuronen-Verschaltungen im Hirn erhalten bleiben. Warum das so sein soll, vermag der Autor uns nicht zu erklären. Er geht einfach davon aus, dass einige unter uns auf wundersame Weise privilegiert sind: gottbegnadet oder besser noch "gen-begnadet". Laut Harrison kann man synästhetische Fähigkeiten nicht erlernen. Man hat's eben oder man hat's nicht.
Diese These darf bezweifelt werden. Zumindest beruht sie auf einer falschen Voraussetzung. Harrison glaubt nämlich, "wenn die Entwicklung des Gehirns abgeschlossen ist, wachsen keine weiteren Neuronen nach." Dies war lange ein gängiger Topos der Hirnforschung. Inzwischen aber ist er widerlegt.
Auch ein erwachsenes Hirn kann neue Nervenzellen bilden - vorausgesetzt, es ist mit Lernaufgaben beschäftigt. Für diese Erkenntnis hat Gerd Kempermann vom Berliner Max-Delbrück-Institut vor ein paar Jahren den Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft bekommen.
Vielleicht schlummert also in jedem von uns ein Talent zur synästhetischen Empfindung, das nur darauf wartet, geschult zu werden? Das genau ist die These des georgischen Hirnforschers Bulat Galejew, einem Gegner von Harrisons Theorie. Harrison zitiert ihn hin und wieder nach dem Motto: "Er hat seine Meinung, ich habe meine." Galejews Thesen allerdings konvergieren mit dem neuesten Stand der Hirnforschung, die von John Harrison dagegen nicht.
Wirklich lesenswert ist allein der ideengeschichtliche Teil dieses Buches. Wir erfahren zum Beispiel, dass Synästhesie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sowohl für Naturwissenschaftler als auch für Künstler ein großes Thema gewesen ist, dann in der Versenkung verschwand, um am Ende des 20. Jahrhunderts wieder aufzutauchen.
Rimski-Korsakow zum Beispiel und Skrjabin, die beiden russischen Komponisten, haben gemeinsam über die Farben von Tonarten philosophiert. Man ist nicht überall auf einen Nenner gekommen. Skrjabin hat bei C-Dur immer "rot" gesehen, Rimski-Korsakow assoziierte in diesem Fall ein weißes Licht.
Bei D-Dur war man sich einig: Diese Tonart klingt nach einem goldenen Gelb. Der Dialog zwischen den beiden hat sogleich die Malerei beeinflusst. Wassily Kandinsky, ein Verehrer von Skrjabins Musik, nahm sich vor, Bilder zu schaffen, die dem Betrachter Klänge suggerieren.
Die synästhetische Begeisterung lebt bis heute. Der Brite David Hockney präsentierte uns "Ravel in Bunt". Mit dessen Musik auf den Ohren hat Hockney Kulissen für die Metropolitan Oper in New York gemalt. In schillernden Pop-Art-Farben.
Für Leser, die an Hirnforschung interessiert sind, ist John Harrisons Buch sicher nicht der Weisheit letzter Schluss - in Sachen Kunstgeschichte dagegen hochinteressant.
Rezensiert von Susanne Mack
John Harrison: Wenn Töne Farben haben. Synästhesie in Wissenschaften und Kunst
Übersetzt von Anja Masselli
Spektrum Akademischer Verlag, Berlin 2007, 242 Seiten, 29,95 Euro