D-Mark für alle

Der Tag, an dem die Finanzmauer fiel

"Kommt die DM bleiben wir kommt sie nicht geh'n wir zu ihr!" ist auf einem Transparent zu lesen, das ein Paar bei einer Montagsdemonstration am 12.2.1990 in Leipzig mit sich führt. Die von den Demonstranten hier geforderte Einführung der D-Mark in der DDR wurde im Rahmen der per Staatsvertrag vereinbarten Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1.7.1990 realisiert. Sie bildete einen entscheidenden Schritt zur Wiedervereinigung der beiden deutsche Staaten am 3.10.1990.
"Kommt die DM bleiben wir kommt sie nicht geh'n wir zu ihr!" ist auf einem Transparent zu lesen, das ein Paar bei einer Montagsdemonstration in Leipzig mit sich führt © picture alliance / dpa / Wolfgang Weihs
Von Lutz Rathenow |
Als die D-Mark in die DDR kam, vereinte das zwar die Deutschen insgesamt. Es spaltete aber die Ostdeutschen, meint der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Lutz Rathenow. Man konnte schnell an Geld kommen - und es genauso schnell verlieren.
Der wirkliche Tag der deutschen Einheit war der 1. Juli 1990. Er kündigte sich schon Wochen zuvor an – als zum Beispiel die Müllabfuhr in Ostberlin streikte. Denn wer sich rechtzeitig noch mehr Ostgeld erkämpfte, das war allen klar, würde künftig auch mehr umgetauschte Westknete zur Verfügung haben. Richtig los ging es aber am D-Day, dem 1. Juli, als die Deutsche Mark im Osten eingeführt wurde. Die DM-Wartegemeinschaften standen in langen Schlangen vor den Banken.
Eine freudige Empörung durcheilte das Land: Alle waren heiß auf das Westgeld und zeigten sich gleichzeitig unsicher, was sie konkret und auf Dauer erwarten würde. Sie fanden es ungerecht, nur 6000 DDR-Mark 1 zu 1 tauschen zu können, auch wenn der reale Schwarz-Tausch-Kurs nicht unter 1 zu 5 zu haben war. Viele neue Konten wurden eingerichtet – für Kleinkinder und bis dahin kontenlose Menschen. Freunde, die zu viel Geld hatten, parkten es auf den Konten jener, die keine 6000 besaßen. Eine Währungsunion kann sehr kommunikationsfördernd sein.
Einige wollten das schnelle Geld machen
Damals kamen auch jene, die das schnelle Geld abkassieren wollten. An jenem 1. Juli stand ein Eierverkäufer vor der Tür. Er verkaufte keine Ost-Eier; seine Eier kämen aus einer ländlichen Enklave Westberlins. Sie waren zwar sehr viel teurer, aber auch sehr viel gesünder, behauptete er: Denn die West-Eier hätten kein Cholesterin, das käme durch die dickeren Schalen nicht hinein.
Die Geldumstellung erschuf ungeahnte Möglichkeiten an Geld zu kommen und es zu verlieren. Ganz dumm, wer in völlig überteuerte DDR-Elektronik investierte, so etwas kostete in West nur noch einen Bruchteil. Nischenprodukte wie Eierlöffel aus Plaste oder schräge DDR-Propaganda verhießen eher Gewinne. Die DDR-Bevölkerung war gezwungen, sich zum ersten Mal mit Geld zu beschäftigen. Eine Bank würde künftig nicht mehr ein Handwerksprodukt zum Sitzen sein, sondern eine lebensbestimmende Finanzierungsanstalt. Go West hieß Go Deutsch-Mark.
Geld ist ein halbwegs faires Übel
Der 1. Juli 1990 als Tag der deutschen Geldeinheit vereinigte die Deutschen und spaltete die Ostdeutschen. Gegen Ende der DDR waren die Sparguthaben viel ungleicher verteilt, als es bis heute von vielen vermutet wird. Wer in der DDR viel Geld auf seinem Konto gehortet hatte, konnte es nun – in der Menge halbiert, aber im Wert vervielfacht – als Westgeld in Empfang nehmen. Und sich rasch noch ein Haus kaufen, oder ein Zweithaus, oder gleich Investor werden. Geld ist zwar durchaus eine Möglichkeit, Ungerechtigkeit in die Welt zu streuen. Es stellt aber ein halbwegs faires Übel dar: Man kann den Grad der Abweichung messen. Für den einen verzehnfachte sich der Schätzwert der eigenen kleinen Immobilie sofort, für den anderen begann die Zeit der permanenten Mieterhöhungen.
Die Einführung der D-Mark zeigte, was Geld bedeuten kann: den wirklichen Systemwechsel. Eine ersehnte Utopie – endlich Westgeld pur – wurde zur einfachen Realität. Die Verwirklichung einer Utopie zu erleben ist nicht vielen Menschen gegeben. Sie bezahlten dafür mit dem Verlust just dieser Utopie: Man kann sich nicht mehr in den Westen wünschen, wenn man dessen Teil geworden ist.
Lutz Rathenow wurde 1952 in Jena geboren, lebte bis zum Mauerfall in Ostberlin, heute in Dresden und Berlin. Lyriker, Kurzprosaschreiber, Kinderbuchautor, Kolumnist, Gelegenheitsdramatiker, Nachrichtenübermittler. Flanierte zwischen politischer und subkultureller Opposition in Berlin. Kurze Zeit wegen des ersten Buches inhaftiert. Seit 2011 Sächsischer Landesbeauftragter für Stasi-Unterlagen. Am erfolgreichsten: "Ostberlin - Leben vor dem Mauerfall"(mit Fotos von Harald Hauswald), Neuausgabe Jaron 2014, demnächst: "Einer lacht immer. Ein Lesebuch", mdv Dezember 2014.
Der Schriftsteller Lutz Rathenow  nach seiner Wahl zum neuen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Sachsen
Der Schriftsteller Lutz Rathenow.© picture alliance / dpa / Matthias Hiekel
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