"Da geht uns allen immer das Herz auf"
Im letzten Jahr ist der Musiker Heinz Ratz auf sein Fahrrad gestiegen und hat 80 Flüchtlingsheime besucht. Dort hat er beschlossen, eine Band mit Musikern aus diesen Flüchtlingsheimen zu gründen. Durch dieses Projekt will Ratz auf die Problematik der Asylbewerber aufmerksam machen.
Susanne Burg: Heinz Ratz ist Musiker, Sportler, Schriftsteller. Er ist im letzten Jahr auf sein Fahrrad gestiegen, einmal quer durch Deutschland geradelt und hat 80 Flüchtlingsheime besucht. Dort hat er so viele musikalische Talente getroffen, dass er beschlossen hat, eine Band mit Musikern aus diesen Flüchtlingsheimen zu gründen.
Die nennt sich "The Refugees" und hat zusammen mit Heinz Ratz' Band "Strom und Wasser" nun zum einen eine CD herausgebracht und zum anderen ist sie gerade auf Tournee.
Einen Zwischenstopp hat Heinz Ratz aber jetzt hier bei uns im Studio gemacht. Ich grüße Sie!
Heinz Ratz: Hallo!
Burg: Herr Ratz, eine Radtour durch Deutschland - da denkt man erst mal an eine malerische Strecke entlang des Rheins oder durch brandenburgische Wälder. Warum haben Sie sich als Ziel Flüchtlingsheime ausgesucht?
Ratz: Na ja, diese Tour war der dritte Teil meines sogenannten moralischen Triathlons, und dieser moralische Triathlon war - sagen wir es mal romantisch - der Versuch, hier doch den einen oder anderen revolutionären Funken mal zu setzen, weil ich der Meinung bin, dass es eine sichtbare Verhärtung in unserer Gesellschaft gibt, und dass man, wenn man das Menschliche einigermaßen noch so durch die nächste Generation kriegen möchte, jetzt anfangen muss, dem Ganzen entgegenzutreten.
Burg: Ein Weg, wie Sie das getan haben, war, indem Sie Musiker zusammengesucht haben in den Flüchtlingsheimen. Was war denn Ihr Eindruck? Wie viel musikalisches Talent schlummert in deutschen Flüchtlings- und Asylbewerberheimen?
Ratz: Also es sind unwahrscheinlich tolle Leute da zum einen, und zum anderen ist es natürlich so, wenn man so ein bisschen nachdenkt, dass gerade Künstler in totalitären Regimes oft die kritischen Geister sind, die so als erste verfolgt werden und als erste damit das Land verlassen müssen. Und insofern ist der Prozentsatz der Künstler eigentlich relativ hoch.
Burg: Wir sprechen gleich weiter. Hören wir erst mal in die neue CD rein, die es jetzt gibt - hier der Song "Babylon"
((Musikeinspielung))
Der Song Babylon von der neuen CD der Band "Strom und Wasser featuring the Refugees". Oder man könnte auch sagen Musik aus deutschen Flüchtlingsheimen, denn dort wohnt ein Großteil der Musiker, die eben zu hören waren. Heinz Ratz ist Musiker und er hat die Band zusammengestellt. Herr Ratz, dieser Song stammt von der Elfenbeinküste. Der Sänger heißt Revelino. Was hat er für eine Geschichte?
Ratz: Also Revelino war damals in die Bürgerkriegswirren mit reingezogen worden, musste auch als Soldat eine Weile mitmachen, hat dann durch die Kriegsgräuel, die er gesehen hat und eigentlich auch so aus Protest gegen die Unmenschlichkeit des Systems, auch gegen die Korruption im Land, angefangen, Musik zu machen, hat Reggae gemacht und ist damit natürlich sehr, sehr schnell in eine Situation gekommen, dass er das Land verlassen musste. Als ich ihn kennengelernt habe, war er in Oldenburg.
Er hat mir sein Zimmer gezeigt - wir sind reingekommen, was auch eine Ausnahme war eigentlich, und er musste sich damals dieses eine Zimmer mit noch einem anderen Mann teilen. Es gab nur ein einziges normales Bett da drin, also er hat unter sehr, sehr schwierigen Lebensbedingungen da gelebt. Mittlerweile hat er eine kleine WG, also konnte raus aus diesem Lager, aber es ist eigentlich schlimm, wie er da versuchen muss, irgendwie Musik zu machen.
Burg: Das ist jetzt ein Schicksal, das Sie beschrieben haben. Flüchtlinge sind ja häufig durch einiges durchgegangen und ich könnte mir vorstellen, dass Sie als Deutscher jetzt nicht gerade unbedingt immer mit offenen Armen empfangen wurden, wenn Sie da in die Heime hineingekommen sind. Wie haben Sie denn das Vertrauen der Musiker gewonnen?
Ratz: Also ich bin eigentlich doch mit sehr offenen Armen empfangen worden, weil ich jetzt vielleicht eine andere Annäherung hatte, wir sind da einfach als Gäste gekommen, ich habe das Projekt erklären können, ich habe Gott sei dank durch viel Vorarbeit der Flüchtlingsorganisationen, die da schon mal Kontakt gemacht haben.
Und diese offenen Arme waren eigentlich fast noch ein größeres Problem, weil irgendwann waren natürlich auch Presseleute dabei und Fotografen, und da haben die gedacht, ich bin wirklich ein Mensch, der ihnen helfen kann, und haben dann sehr, sehr viel von ihren Hoffnungen dann an mich gehängt. Ich bekomme bis heute Hilfe-E-Mails, und ich musste letztendlich immer dann gehen und war dann doch oft sehr belastet auch dadurch, dass ich eigentlich nichts tun konnte für sie.
Ich meine, sie sind eigentlich chancenlos, diese Leute haben keine Wahl, sie müssen ja irgendwie auch vertrauen. Natürlich sind sie durch einen Haufen Erlebnisse gegangen, die sie misstrauisch machen, und sie haben überhaupt kein Vertrauen mehr in die Behörden, wenn sie hier eine Weile wohnen, aber sie glauben natürlich mit ihrer Resthoffnung, glauben sie schon immer auch an einzelne Menschen, die vielleicht kommen und ihre Situation erleichtern könnten.
Burg: Wenn man sich jetzt das CD-Booklet anschaut: Die Musiker der "Refugees" wohnen in Flüchtlingsheimen in Berlin Schönefeld, in Oldenburg, in Reutlingen. Wie in alles in der Welt bringt man die in ein Studio, um gemeinsam zu proben? Es gibt ja in Deutschland immerhin die Residenzpflicht, das heißt, die Flüchtlinge dürfen eigentlich nicht ihren Landkreis verlassen.
Ratz: Ja, das ist sehr schwierig, das ist auch unser Hauptproblem, wenn wir jetzt auf Tour gehen, dass wir jedes Mal davon abhängig sind, dass die Behörden sagen, na gut. Und es ist meistens auch nicht mehr als ein na gut. Sie lassen sich schon sehr bitten, und ganz oft muss ich dann noch Briefe schreiben, Erklärungen geben. Wir haben auch einige Musiker ...
Burg: Also es gibt diese Ausnahmegenehmigungen?
Ratz: Gibt es, ja. Das hängt immer von - also ein Sachbearbeiter, der dort sitzt, der hat komplette Gewalt über das Leben von den Flüchtlingen, so ist das. Also mit einer Unterschrift kann der das Leben auslöschen oder eben sehr viel erleichtern. Und er könnte eben auch für ein halbes Jahr jede Reise ermöglichen, wenn er wollte. Das ist wirklich nur so ein Ermessen von einzelnen Beamten.
Das ist schwierig, und es war auch sehr, sehr teuer, weil die Flüchtlinge natürlich nichts haben. Ich habe zum einen selber persönlich sehr viel da rein investiert, weil es mir einfach sehr wichtig war, und zum anderen habe ich dann auch die Unterstützung von manchen Sponsoren bekommen. Aber es ist ein Projekt, das organisatorisch einen durchaus oft an den Rand der Verzweiflung bringt.
Burg: Ja, denn man muss sich auch vorstellen, selbst wenn es dann Ausnahmegenehmigungen gibt, die sind ja zeitlich begrenzt. Was ist, wenn ein Zug Verspätung hat und ...
Ratz: Genau.
Burg: ... solche Dinge, oder es gibt 40,90 Euro Bargeld im Monat für die Flüchtlinge, das sagt eben das Asylbewerberleistungsgesetz. Die Musiker selber dürfen kein Geld verdienen, das steht auch im Gesetz. Wie kann man da proben, durchs Land reisen und Konzerte geben? Da ist man doch fast mehr mit Organisation beschäftigt, stelle ich mir vor.
Ratz: Also es ist so, die Proben sind ganz gering gehalten. Wir haben jetzt vor dem ersten, allerersten Auftritt, den wir hatten in Osnabrück, zwei Tage geprobt. Ansonsten ist es aber so, dass die Musiker, mit denen wir arbeiten, einfach auch sehr erfahren und sehr gut sind, und meine eigenen Leute von "Strom und Wasser" sind auch sehr erfahrene Musiker, insofern haben wir dort einen gewissen Improvisationsrahmen, der es uns gestattet, die Texte jetzt nicht aufs letzte Komma genau spielen zu müssen, sondern eben auch erweitern zu können. Da kommt durchaus ein jazziges Element rein, will ich mal sagen, was natürlich die Liveperformance auch noch mal bereichert.
Burg: Sie sagen, die Musiker sind alle Profis, aber sie kommen aus komplett unterschiedlichen musikalischen Bereichen, Ländern, also Kenia, Afghanistan, Russland - Roma sind dabei. Wie haben Sie die im Studio alle musikalisch unter einen Hut gebracht?
Ratz: Ja, das war spannend. Oder sagen wir, es ist jetzt vor allem spannend, wo sie sich kennenlernen, wir hatten ja nicht alle zusammen da, sondern wir hatten Einzelne da, die was gemacht haben, das haben wir aufgenommen, da mussten die am nächsten Tag aufgrund ihrer Residenzpflicht wieder zurück, dann kamen die anderen, die haben das gehört und meinten, tolle Idee, jetzt spiele ich hier mal das zu und jenes, und dann haben wir selbst uns noch eingebracht, also es war wirklich so richtig eine gelebte multikulturelle Musik.
Und jetzt lernen sie sich alle kennen, und da ist natürlich auch sofort ein Respekt da, weil sie hören, was jetzt der andere dazu gespielt hat. Und gerade bei so Konfliktparteien manchmal wie Afghanistan und Schwarzafrika, was in den Flüchtlingslagern oft sehr schwierig ist, wo es viele Streitereien und so was gibt, gerade da haben wir tolle Mischungen auch hinbekommen und viel Respekt. Und es ist schön, wenn man sieht, dass sie zusammen einfach so sehr harmonieren. Man muss das sehen, wie diese Menschen, die da zehn Jahre oder 15 in diesen Lagern da hinvegetieren, wenn die jetzt plötzlich auf einer Bühne sind, wie die sich entfalten, das ist die pure Freude, das ist wunderschön zu sehen, da geht uns allen immer das Herz auf. Und aus so einer Freude am Spielen heraus, aus so einer Freude, endlich mal wieder zeigen zu können, was man kann, oder überhaupt Musik machen zu können, das überlagert im Moment alles.
Burg: Sehen kann man das jetzt hier im Radio nicht, aber hören. Wir hören noch mal einen Song von der neuen CD: MC Yakzy Yakz mit Olga, der Song "Heart to Main Tain".
((Musikeinspielung))
Im Deutschlandradio Kultur die Band "Strom und Wasser featuring the Refugees". MC Yakzy Yakz war das mit Olga zusammen mit den Titel "Heart to Main Tain". Im Studio ist der Kopf hinter diesem Projekt, mit Flüchtlingen aus deutschen Heimen Musik zu machen, Heinz Ratz. Eine CD erscheint jetzt, und eine Tour hat gerade begonnen. Herr Ratz, dieser Rapper aus Somalia, Yakzy Yakz, kam über Polen nach Deutschland, soll abgeschoben werden, im Augenblick läuft eine Bundestagspetition. In einer für die Flüchtlinge essentiellen Situation wie dieser, haben die da nicht eigentlich andere Dinge im Kopf als Musik?
Ratz: Doch, die haben oft andere Dinge im Kopf als Musik, aber die Musik ist natürlich auch etwas, was sie ein Stück weit seelisch am Leben hält. Also die Selbstmordrate unter den Flüchtlingen ist enorm hoch, es haben sich sieben Flüchtlinge mittlerweile umgebracht, die ich kennengelernt habe - also keine Musiker, aber die ich in diesen Lagern kennengelernt habe.
Und die Depressionen, die Ängste, das ist so gewaltig eigentlich, denn man muss sich vorstellen, solange sie kein Asylverfahren bejahend abgeschlossen haben, kann es sein, dass die Polizei einfach kommt - und die kommen meistens um halb fünf Uhr morgens und stecken dann die Leute ins Flugzeug, und das kriegen sie dann mit, weil sie in Containern leben, wo man einfach jedes Geräusch mithört, und da ist natürlich die Musik was wirklich Tolles.
Deswegen sammel ich übrigens auch auf den Konzerten immer Instrumente für die Flüchtlingslager, denn wenn dort irgendwie Musik gemacht wird, dann ist das irgendwie ein Trost. Das ist, glaube ich, ein Phänomen, das schon immer den Menschen begleitet hat.
Burg: Sie haben ja die CD aufgenommen, es sind nun inzwischen ein paar Monate vergangen, bis jetzt die Tour stattfindet. Ist denn die Besetzung der Band für die Tournee in Anbetracht dieser Unwägbarkeiten, mit denen man ja zu tun hat, als Asylbewerber in Deutschland, noch die gleiche? Wie schafft man eine gewisse Kontinuität in Anbetracht dieser Umstände?
Ratz: Ja, das ist ziemlich schwierig. Wir haben die Zusagen für viele auch tolle Festivals und alles, aber wir wissen es noch gar nicht genau, wer da letztlich mitreisen kann. Wir hoffen immer, und wir hoffen auch, dass sich die Behörden, wenn dann zum Beispiel Veranstalter anrufen, wenn vielleicht interessierte Journalisten anrufen, wenn die plötzlich merken, das ist ein Mann von Interesse, da kümmern sich Deutsche drum, und dass die Behörden dann uns ein bisschen entgegenkommen und vielleicht nicht drauf bestehen.
Denn es gibt ja gar keine Nachteile, die jetzt die Bundesrepublik dadurch hat, dass ein paar Flüchtlinge irgendwo auf ein Festival fahren und Musik machen dürfen, und wir hoffen, dass wir diese Schranke möglichst oft durchbrochen bekommen.
Burg: Wir haben eben in dem Stück Olga gehört, wie ist die denn zu der Gruppe hinzugestoßen?
Ratz: Ja, das war toll. Die Olga ist eine junge Griechin, die ist 16 Jahre alt - Yakzy ist übrigens 18 jetzt gerade geworden, also da sind auch sehr, sehr junge Musiker dabei -, und die hatte von dem Projekt gehört, als wir in Hamburg aufgenommen habe, sie lebt in Hamburg und hat eigentlich aus Wut über die Asylpolitik, wie sie in Deutschland, aber eben auch in Griechenland betrieben wird, sich bei uns gemeldet und meinte, sie würde gerne irgendetwas beitragen.
Und da haben wir nicht Nein gesagt. Wir fanden das toll, dass so eine Reaktion kam, und so hat sie dann praktisch mit Yakzy Yakz zusammen gesungen. Und ich finde das auch einen sehr, sehr gelungenen Titel.
Burg: Und was wünschen Sie sich beizutragen zu der Problematik der Asylbewerber?
Ratz: Ich wünsche mir beizutragen, dass ich vielleicht diesen unglaublichen Berg an Vorurteilen und falschen Informationen, dass ich den irgendwie abbauen kann. Denn die meisten Menschen in Deutschland gehen davon aus, die kommen her, gut, sollen froh sein, dass sie aus dem Krieg raus sind, und die werden untergebracht, haben was zu essen, aber die meisten Leute wissen gar nicht, dass das einfach in Heimen passiert, wo es eine Toilette für 30 Personen gibt, eine Waschmaschine für 60 und immer nur ein Essen, dass sie gar nicht deutsch lernen dürfen, dass sie mit so wenig Geld auskommen müssen, und dass zum Beispiel diese ganze Ausländerkriminalität, dass da wahnsinnig viel einfach nur Verstöße gegen das Asylreisegesetz ist, weil jemand seinen kranken Bruder in einem anderen Landkreis besuchen möchte.
Und diese Unmenschlichkeit, die so hinter der Fassade einer goldenen Demokratie hier passiert, darauf möchte ich aufmerksam machen. Und ich glaube, dass jeder anständige Mensch da empört wäre, wenn er das wirklich wüsste.
Burg: Der Musiker Heinz Ratz - er hat eine Band zusammengestellt, "The Refugees". Die Mitglieder stammen aus deutschen Flüchtlingsheimen, und von ihnen gibt es jetzt eine erste CD, "Strom und Wasser featuring the Refugees", und sie touren derzeit durch Deutschland, das nächste Konzert findet am 5. Mai in Schwäbisch Hall statt. Die Information zur Tournee gibt es auch im Internet unter 1000bruecken.de, Tausend als Zahl. Vielen Dank, Herr Ratz, für diesen Besuch!
Ratz: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Zur Homepage Tour der 1.000 Brücken 2012: The Refugees
Die nennt sich "The Refugees" und hat zusammen mit Heinz Ratz' Band "Strom und Wasser" nun zum einen eine CD herausgebracht und zum anderen ist sie gerade auf Tournee.
Einen Zwischenstopp hat Heinz Ratz aber jetzt hier bei uns im Studio gemacht. Ich grüße Sie!
Heinz Ratz: Hallo!
Burg: Herr Ratz, eine Radtour durch Deutschland - da denkt man erst mal an eine malerische Strecke entlang des Rheins oder durch brandenburgische Wälder. Warum haben Sie sich als Ziel Flüchtlingsheime ausgesucht?
Ratz: Na ja, diese Tour war der dritte Teil meines sogenannten moralischen Triathlons, und dieser moralische Triathlon war - sagen wir es mal romantisch - der Versuch, hier doch den einen oder anderen revolutionären Funken mal zu setzen, weil ich der Meinung bin, dass es eine sichtbare Verhärtung in unserer Gesellschaft gibt, und dass man, wenn man das Menschliche einigermaßen noch so durch die nächste Generation kriegen möchte, jetzt anfangen muss, dem Ganzen entgegenzutreten.
Burg: Ein Weg, wie Sie das getan haben, war, indem Sie Musiker zusammengesucht haben in den Flüchtlingsheimen. Was war denn Ihr Eindruck? Wie viel musikalisches Talent schlummert in deutschen Flüchtlings- und Asylbewerberheimen?
Ratz: Also es sind unwahrscheinlich tolle Leute da zum einen, und zum anderen ist es natürlich so, wenn man so ein bisschen nachdenkt, dass gerade Künstler in totalitären Regimes oft die kritischen Geister sind, die so als erste verfolgt werden und als erste damit das Land verlassen müssen. Und insofern ist der Prozentsatz der Künstler eigentlich relativ hoch.
Burg: Wir sprechen gleich weiter. Hören wir erst mal in die neue CD rein, die es jetzt gibt - hier der Song "Babylon"
((Musikeinspielung))
Der Song Babylon von der neuen CD der Band "Strom und Wasser featuring the Refugees". Oder man könnte auch sagen Musik aus deutschen Flüchtlingsheimen, denn dort wohnt ein Großteil der Musiker, die eben zu hören waren. Heinz Ratz ist Musiker und er hat die Band zusammengestellt. Herr Ratz, dieser Song stammt von der Elfenbeinküste. Der Sänger heißt Revelino. Was hat er für eine Geschichte?
Ratz: Also Revelino war damals in die Bürgerkriegswirren mit reingezogen worden, musste auch als Soldat eine Weile mitmachen, hat dann durch die Kriegsgräuel, die er gesehen hat und eigentlich auch so aus Protest gegen die Unmenschlichkeit des Systems, auch gegen die Korruption im Land, angefangen, Musik zu machen, hat Reggae gemacht und ist damit natürlich sehr, sehr schnell in eine Situation gekommen, dass er das Land verlassen musste. Als ich ihn kennengelernt habe, war er in Oldenburg.
Er hat mir sein Zimmer gezeigt - wir sind reingekommen, was auch eine Ausnahme war eigentlich, und er musste sich damals dieses eine Zimmer mit noch einem anderen Mann teilen. Es gab nur ein einziges normales Bett da drin, also er hat unter sehr, sehr schwierigen Lebensbedingungen da gelebt. Mittlerweile hat er eine kleine WG, also konnte raus aus diesem Lager, aber es ist eigentlich schlimm, wie er da versuchen muss, irgendwie Musik zu machen.
Burg: Das ist jetzt ein Schicksal, das Sie beschrieben haben. Flüchtlinge sind ja häufig durch einiges durchgegangen und ich könnte mir vorstellen, dass Sie als Deutscher jetzt nicht gerade unbedingt immer mit offenen Armen empfangen wurden, wenn Sie da in die Heime hineingekommen sind. Wie haben Sie denn das Vertrauen der Musiker gewonnen?
Ratz: Also ich bin eigentlich doch mit sehr offenen Armen empfangen worden, weil ich jetzt vielleicht eine andere Annäherung hatte, wir sind da einfach als Gäste gekommen, ich habe das Projekt erklären können, ich habe Gott sei dank durch viel Vorarbeit der Flüchtlingsorganisationen, die da schon mal Kontakt gemacht haben.
Und diese offenen Arme waren eigentlich fast noch ein größeres Problem, weil irgendwann waren natürlich auch Presseleute dabei und Fotografen, und da haben die gedacht, ich bin wirklich ein Mensch, der ihnen helfen kann, und haben dann sehr, sehr viel von ihren Hoffnungen dann an mich gehängt. Ich bekomme bis heute Hilfe-E-Mails, und ich musste letztendlich immer dann gehen und war dann doch oft sehr belastet auch dadurch, dass ich eigentlich nichts tun konnte für sie.
Ich meine, sie sind eigentlich chancenlos, diese Leute haben keine Wahl, sie müssen ja irgendwie auch vertrauen. Natürlich sind sie durch einen Haufen Erlebnisse gegangen, die sie misstrauisch machen, und sie haben überhaupt kein Vertrauen mehr in die Behörden, wenn sie hier eine Weile wohnen, aber sie glauben natürlich mit ihrer Resthoffnung, glauben sie schon immer auch an einzelne Menschen, die vielleicht kommen und ihre Situation erleichtern könnten.
Burg: Wenn man sich jetzt das CD-Booklet anschaut: Die Musiker der "Refugees" wohnen in Flüchtlingsheimen in Berlin Schönefeld, in Oldenburg, in Reutlingen. Wie in alles in der Welt bringt man die in ein Studio, um gemeinsam zu proben? Es gibt ja in Deutschland immerhin die Residenzpflicht, das heißt, die Flüchtlinge dürfen eigentlich nicht ihren Landkreis verlassen.
Ratz: Ja, das ist sehr schwierig, das ist auch unser Hauptproblem, wenn wir jetzt auf Tour gehen, dass wir jedes Mal davon abhängig sind, dass die Behörden sagen, na gut. Und es ist meistens auch nicht mehr als ein na gut. Sie lassen sich schon sehr bitten, und ganz oft muss ich dann noch Briefe schreiben, Erklärungen geben. Wir haben auch einige Musiker ...
Burg: Also es gibt diese Ausnahmegenehmigungen?
Ratz: Gibt es, ja. Das hängt immer von - also ein Sachbearbeiter, der dort sitzt, der hat komplette Gewalt über das Leben von den Flüchtlingen, so ist das. Also mit einer Unterschrift kann der das Leben auslöschen oder eben sehr viel erleichtern. Und er könnte eben auch für ein halbes Jahr jede Reise ermöglichen, wenn er wollte. Das ist wirklich nur so ein Ermessen von einzelnen Beamten.
Das ist schwierig, und es war auch sehr, sehr teuer, weil die Flüchtlinge natürlich nichts haben. Ich habe zum einen selber persönlich sehr viel da rein investiert, weil es mir einfach sehr wichtig war, und zum anderen habe ich dann auch die Unterstützung von manchen Sponsoren bekommen. Aber es ist ein Projekt, das organisatorisch einen durchaus oft an den Rand der Verzweiflung bringt.
Burg: Ja, denn man muss sich auch vorstellen, selbst wenn es dann Ausnahmegenehmigungen gibt, die sind ja zeitlich begrenzt. Was ist, wenn ein Zug Verspätung hat und ...
Ratz: Genau.
Burg: ... solche Dinge, oder es gibt 40,90 Euro Bargeld im Monat für die Flüchtlinge, das sagt eben das Asylbewerberleistungsgesetz. Die Musiker selber dürfen kein Geld verdienen, das steht auch im Gesetz. Wie kann man da proben, durchs Land reisen und Konzerte geben? Da ist man doch fast mehr mit Organisation beschäftigt, stelle ich mir vor.
Ratz: Also es ist so, die Proben sind ganz gering gehalten. Wir haben jetzt vor dem ersten, allerersten Auftritt, den wir hatten in Osnabrück, zwei Tage geprobt. Ansonsten ist es aber so, dass die Musiker, mit denen wir arbeiten, einfach auch sehr erfahren und sehr gut sind, und meine eigenen Leute von "Strom und Wasser" sind auch sehr erfahrene Musiker, insofern haben wir dort einen gewissen Improvisationsrahmen, der es uns gestattet, die Texte jetzt nicht aufs letzte Komma genau spielen zu müssen, sondern eben auch erweitern zu können. Da kommt durchaus ein jazziges Element rein, will ich mal sagen, was natürlich die Liveperformance auch noch mal bereichert.
Burg: Sie sagen, die Musiker sind alle Profis, aber sie kommen aus komplett unterschiedlichen musikalischen Bereichen, Ländern, also Kenia, Afghanistan, Russland - Roma sind dabei. Wie haben Sie die im Studio alle musikalisch unter einen Hut gebracht?
Ratz: Ja, das war spannend. Oder sagen wir, es ist jetzt vor allem spannend, wo sie sich kennenlernen, wir hatten ja nicht alle zusammen da, sondern wir hatten Einzelne da, die was gemacht haben, das haben wir aufgenommen, da mussten die am nächsten Tag aufgrund ihrer Residenzpflicht wieder zurück, dann kamen die anderen, die haben das gehört und meinten, tolle Idee, jetzt spiele ich hier mal das zu und jenes, und dann haben wir selbst uns noch eingebracht, also es war wirklich so richtig eine gelebte multikulturelle Musik.
Und jetzt lernen sie sich alle kennen, und da ist natürlich auch sofort ein Respekt da, weil sie hören, was jetzt der andere dazu gespielt hat. Und gerade bei so Konfliktparteien manchmal wie Afghanistan und Schwarzafrika, was in den Flüchtlingslagern oft sehr schwierig ist, wo es viele Streitereien und so was gibt, gerade da haben wir tolle Mischungen auch hinbekommen und viel Respekt. Und es ist schön, wenn man sieht, dass sie zusammen einfach so sehr harmonieren. Man muss das sehen, wie diese Menschen, die da zehn Jahre oder 15 in diesen Lagern da hinvegetieren, wenn die jetzt plötzlich auf einer Bühne sind, wie die sich entfalten, das ist die pure Freude, das ist wunderschön zu sehen, da geht uns allen immer das Herz auf. Und aus so einer Freude am Spielen heraus, aus so einer Freude, endlich mal wieder zeigen zu können, was man kann, oder überhaupt Musik machen zu können, das überlagert im Moment alles.
Burg: Sehen kann man das jetzt hier im Radio nicht, aber hören. Wir hören noch mal einen Song von der neuen CD: MC Yakzy Yakz mit Olga, der Song "Heart to Main Tain".
((Musikeinspielung))
Im Deutschlandradio Kultur die Band "Strom und Wasser featuring the Refugees". MC Yakzy Yakz war das mit Olga zusammen mit den Titel "Heart to Main Tain". Im Studio ist der Kopf hinter diesem Projekt, mit Flüchtlingen aus deutschen Heimen Musik zu machen, Heinz Ratz. Eine CD erscheint jetzt, und eine Tour hat gerade begonnen. Herr Ratz, dieser Rapper aus Somalia, Yakzy Yakz, kam über Polen nach Deutschland, soll abgeschoben werden, im Augenblick läuft eine Bundestagspetition. In einer für die Flüchtlinge essentiellen Situation wie dieser, haben die da nicht eigentlich andere Dinge im Kopf als Musik?
Ratz: Doch, die haben oft andere Dinge im Kopf als Musik, aber die Musik ist natürlich auch etwas, was sie ein Stück weit seelisch am Leben hält. Also die Selbstmordrate unter den Flüchtlingen ist enorm hoch, es haben sich sieben Flüchtlinge mittlerweile umgebracht, die ich kennengelernt habe - also keine Musiker, aber die ich in diesen Lagern kennengelernt habe.
Und die Depressionen, die Ängste, das ist so gewaltig eigentlich, denn man muss sich vorstellen, solange sie kein Asylverfahren bejahend abgeschlossen haben, kann es sein, dass die Polizei einfach kommt - und die kommen meistens um halb fünf Uhr morgens und stecken dann die Leute ins Flugzeug, und das kriegen sie dann mit, weil sie in Containern leben, wo man einfach jedes Geräusch mithört, und da ist natürlich die Musik was wirklich Tolles.
Deswegen sammel ich übrigens auch auf den Konzerten immer Instrumente für die Flüchtlingslager, denn wenn dort irgendwie Musik gemacht wird, dann ist das irgendwie ein Trost. Das ist, glaube ich, ein Phänomen, das schon immer den Menschen begleitet hat.
Burg: Sie haben ja die CD aufgenommen, es sind nun inzwischen ein paar Monate vergangen, bis jetzt die Tour stattfindet. Ist denn die Besetzung der Band für die Tournee in Anbetracht dieser Unwägbarkeiten, mit denen man ja zu tun hat, als Asylbewerber in Deutschland, noch die gleiche? Wie schafft man eine gewisse Kontinuität in Anbetracht dieser Umstände?
Ratz: Ja, das ist ziemlich schwierig. Wir haben die Zusagen für viele auch tolle Festivals und alles, aber wir wissen es noch gar nicht genau, wer da letztlich mitreisen kann. Wir hoffen immer, und wir hoffen auch, dass sich die Behörden, wenn dann zum Beispiel Veranstalter anrufen, wenn vielleicht interessierte Journalisten anrufen, wenn die plötzlich merken, das ist ein Mann von Interesse, da kümmern sich Deutsche drum, und dass die Behörden dann uns ein bisschen entgegenkommen und vielleicht nicht drauf bestehen.
Denn es gibt ja gar keine Nachteile, die jetzt die Bundesrepublik dadurch hat, dass ein paar Flüchtlinge irgendwo auf ein Festival fahren und Musik machen dürfen, und wir hoffen, dass wir diese Schranke möglichst oft durchbrochen bekommen.
Burg: Wir haben eben in dem Stück Olga gehört, wie ist die denn zu der Gruppe hinzugestoßen?
Ratz: Ja, das war toll. Die Olga ist eine junge Griechin, die ist 16 Jahre alt - Yakzy ist übrigens 18 jetzt gerade geworden, also da sind auch sehr, sehr junge Musiker dabei -, und die hatte von dem Projekt gehört, als wir in Hamburg aufgenommen habe, sie lebt in Hamburg und hat eigentlich aus Wut über die Asylpolitik, wie sie in Deutschland, aber eben auch in Griechenland betrieben wird, sich bei uns gemeldet und meinte, sie würde gerne irgendetwas beitragen.
Und da haben wir nicht Nein gesagt. Wir fanden das toll, dass so eine Reaktion kam, und so hat sie dann praktisch mit Yakzy Yakz zusammen gesungen. Und ich finde das auch einen sehr, sehr gelungenen Titel.
Burg: Und was wünschen Sie sich beizutragen zu der Problematik der Asylbewerber?
Ratz: Ich wünsche mir beizutragen, dass ich vielleicht diesen unglaublichen Berg an Vorurteilen und falschen Informationen, dass ich den irgendwie abbauen kann. Denn die meisten Menschen in Deutschland gehen davon aus, die kommen her, gut, sollen froh sein, dass sie aus dem Krieg raus sind, und die werden untergebracht, haben was zu essen, aber die meisten Leute wissen gar nicht, dass das einfach in Heimen passiert, wo es eine Toilette für 30 Personen gibt, eine Waschmaschine für 60 und immer nur ein Essen, dass sie gar nicht deutsch lernen dürfen, dass sie mit so wenig Geld auskommen müssen, und dass zum Beispiel diese ganze Ausländerkriminalität, dass da wahnsinnig viel einfach nur Verstöße gegen das Asylreisegesetz ist, weil jemand seinen kranken Bruder in einem anderen Landkreis besuchen möchte.
Und diese Unmenschlichkeit, die so hinter der Fassade einer goldenen Demokratie hier passiert, darauf möchte ich aufmerksam machen. Und ich glaube, dass jeder anständige Mensch da empört wäre, wenn er das wirklich wüsste.
Burg: Der Musiker Heinz Ratz - er hat eine Band zusammengestellt, "The Refugees". Die Mitglieder stammen aus deutschen Flüchtlingsheimen, und von ihnen gibt es jetzt eine erste CD, "Strom und Wasser featuring the Refugees", und sie touren derzeit durch Deutschland, das nächste Konzert findet am 5. Mai in Schwäbisch Hall statt. Die Information zur Tournee gibt es auch im Internet unter 1000bruecken.de, Tausend als Zahl. Vielen Dank, Herr Ratz, für diesen Besuch!
Ratz: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Zur Homepage Tour der 1.000 Brücken 2012: The Refugees