"Da gibt es ganz Unkonventionelles"
Es gibt nach Ansicht der Autorin Sylvia Schopf keinen wirklich neuen Trend bei den religiösen Kinderbüchern, eher welche, die schon länger anhalten: Die Bibelgeschichte immer wieder neu zu erzählen und Religiöses witziger und spielerisch zu gestalten gehören dazu.
Anne Françoise Weber: Hinter "Der Wurm am Turm" verbirgt sich die Geschichte des Turmbaus zu Babel, "Ein Fest für alle Tage" ist ein Messbuch für Kinder, und "Kommt denn da auch Shampoo rein?" ein Erklärbuch zur Taufe – so weit ein paar Titel aus dem Verlagsprogramm dieses Jahres. Auf der Frankfurter Buchmesse werden zurzeit auch wieder Tausende Bücher über Religion vorgestellt, und viele davon richten sich an Kinder. Ich habe vor der Sendung mit Sylvia Schopf gesprochen, die Autorin und Journalistin hat vor einigen Jahren selbst ein Buch über Schöpfungsgeschichten geschrieben und hat sich nun in Frankfurt bei den religiösen Kinderbüchern umgesehen. Zunächst habe ich sie gefragt, ob ihr denn in diesem Jahr ein Trend oder besondere Themen aufgefallen sind.
Sylvia Schopf: Ja, ich glaube, die Trendsuche ist überall immer vorhanden. Ich finde, dass er nicht unbedingt zu finden ist, sondern zum einen ist das, was typischerweise im religiösen Kinderbuch zu finden ist, auch dieses Jahr wieder da – sei es eine Neuauflage von Bibel oder Bibelgeschichten, das Messbuch, das Sie erwähnen –, es gibt natürlich auch immer wieder die Versuche, die Geschichten aus der Bibel neu zu fassen. Und das, wenn Sie wollen, könnten Sie als Trend der letzten Zeit eigentlich betrachten.
Weber: Finden Sie denn diese Aktualisierungen geglückt? Werden Kinder angesprochen, oder wird da mit einer neuen Sprache versehen, was eigentlich Kinder von heute überhaupt nicht mehr interessiert?
Schopf: Also man findet ohne Weiteres die Bücher, die in einer aktualisierten Sprache die Bibelgeschichten erzählen oder nacherzählen, zum Beispiel wenn man Frau Margot Käßmann bittet, die Bibel für Kinder zu erzählen. Auf der anderen Seite gibt es die Geschichten, die ein ganzes Stück weiter gehen, wie im Chrismon Verlag, die tatsächlich ein biblisches Motiv nehmen und daraus dann schon fast manchmal ganz eigene Geschichten machen, wobei der Chrismon Verlag, finde ich, einen ganz anderen und neuen Weg eingeschlagen hat, Bücher für Kinder, religiöse Kinderbücher zu machen, die tatsächlich ein Stück weit auch, wenn Sie wollen ein Trend sein können, zu sagen: Wir erzählen die witzig, spielerisch.
Also wenn Wladimir Kaminer zum Beispiel die Schöpfungsgeschichte erzählt und der Gott langweilt sich und er setzt sich auch mit Adam und Eva auseinander, und es gibt auch mal Streit und so was – also das ist sehr aktualisiert, aber auch sehr witzig und pfiffig erzählt, hat aber trotzdem einen Tiefgang, und das finde ich ganz wunderbar, und das darf es ohne Weiteres auch geben. Es gibt dann allerdings Situationen, wo ich denke, hm, wenn also jetzt die Noah-Geschichte, die Arche-Noah-Geschichte erzählt wird und Noah macht nun All-Inclusive-Urlaub auf Mallorca, dann finde ich wird es für mich zumindest ein bisschen grenzwertig, dass man ein biblisches Motiv, eine biblische Geschichte nimmt und daran einfach was Witziges aufhängt, wo ich mir manchmal ein bisschen mehr Tiefgang wünschen würde.
Weber: Ganz interessant ist bei der Geschichte von der Arche Noah ja immer die Frage: Wie wird eigentlich dargestellt, was mit dem Rest der Welt passiert? Denn die geht nun mal unter, während diese schöne Arche voller Tiere natürlich in jeder Kinderbibel abgebildet ist.
Schopf: Ja, das ist ohne Weiteres der Fall, aber grausame Geschichten gibt es überall auf der Welt und in vielen, vielen Mythen. Märchen sind unendlich grausam: Wie leidet eigentlich die Hexe im Märchen, wenn man sie ins Feuer wirft? Darüber wird komischerweise dann auch nicht geredet. Also ich denke, das ist die alte Frage: Wie sehr darf ich so was ansprechen? Wird es tatsächlich verschwiegen oder ist es einfach gar nicht der Fokus, um den es in dem Fall geht?
Also ich denke, gerade die biblischen Geschichten – und das ist jetzt was Inhaltliches, das hat nichts mit den Trends zu tun – sind eigentlich schon auf einer eher Metaebene angesiedelt, das heißt, sie sind nicht 1:1-Abbildungen von Historie. Sie haben einfach eine andere Bedeutungsebene noch, und deswegen ist die Frage: Müssen wir davon hören, was mit den anderen Menschen passiert ist, während Noah und die Tiere gerettet worden sind?
Weber: Es gibt ja durchaus Pädagogen und Psychotherapeuten, die sagen, Kinder brauchen Märchen. Sind Sie der Meinung, Kinder brauchen auch biblische Geschichten? Geht es da auch um ganz Existenzielles, was sonst vielleicht in ihrem Leben und in anderen Kinderbüchern nicht vorkommen würde?
Schopf: Das geht es auf alle Fälle. Es sind Geschichten, die zum Teil wirklich jenseits der Aktualität – wie das Shampoo, von dem Sie gerade sprachen, im Wasser – eigentlich das Menschsein betreffen, und das ist das, was Religion ja auch will: Religion ist, für mich zumindest, der Versuch, Welt zu verstehen, Leben, Menschsein zu verstehen, zu erklären, Anhaltspunkte, Anregungen zu geben, was heißt das denn eigentlich? Und von daher finde ich, dass in den biblischen Geschichten – wenn ich sie nicht als Historie und nicht als Abbildung eins zu eins einer Welt, und sei es einer vergangenen Welt, betrachte – eine ganze Menge an Anregung, an Hilfestellung, an Impuls für Menschsein enthalten ist.
Weber: Haben sie denn den Eindruck, dass es auch immer noch Kinderbücher gibt, die genau versuchen, die Bibel als eins zu eins übertragbar zu sehen? Also zumindest in den USA sind ja die Kreationisten vertreten, die also die Schöpfungsgeschichte wirklich als die Geschichte der Entstehung der Welt ansehen. Ist Ihnen so ein Kinderbuch jetzt in Frankfurt untergekommen?
Schopf: Also ganz explizit nicht. Es gibt natürlich die eher konventionellen religiösen Kinderbuchverlage, die eher in diese Richtung gehen, oder auch, was ich entdeckt habe: Man versucht natürlich, das immer auf die allgemeine Ebene zu heben, also das heißt, wir haben das, was im Kinderbuch sehr beliebt ist, Abenteuerromane, das hat man dann auch, und dann wird aber ganz explizit auch eine christliche Haltung da hineingenommen. Und ich habe nachgefragt, was heißt das denn, weil christliche Haltungen finden Sie in vielen Büchern. Die christlichen Werte sind etwas, was wir im Kinderbuch, in einem guten Kinder- und Jugendbuch auf alle Fälle immer unter der ganzen Handlungsdecke haben. Und dann ist es aber so, dass dann ganz explizit auch mal gebetet wird oder Stellen aus der Bibel zitiert werden, und das Ganze aber eingepackt in einen Abenteuerroman, und das ist eine Mehrbuchserie. Also da wird schon, wenn Sie wollen, na ja, auf eine verdeckte Weise oder unverdeckte Weise Missionierung vielleicht betrieben.
Weber: Wie sieht es denn eigentlich mit religiösen Büchern für nicht christliche Kinder aus, für jüdische und muslimische Kinder? Haben Sie da etwas gefunden?
Schopf: Also ganz explizit nicht. Es gibt aber dann zum Beispiel Kinderbuchverlage, die sich nicht als christliche Kinderbuch- oder religiöse Kinderbuchverlage verstehen, bei denen man dann aber trotzdem zum Beispiel die Bibel findet und wo im Gespräch mit einer Dame am Stand sie auch sagte, nein, nein, wir wollen ganz bewusst Kinder und vor allen Dingen natürlich auch Eltern ansprechen, die diese Geschichten lesen möchten, aber nicht mit einem christlichen Hintergrund.
Das wäre natürlich jetzt ein ganz spannender Punkt, mal wirklich zu vergleichen: Sind diese Bibelgeschichten tatsächlich so viel neutraler? Kann man überhaupt es so neutral gestalten, oder ist in einem christlichen Kinderbuchverlag jetzt wie bei Herder oder bei Patmos, ist es da tatsächlich so, dass wir Missionierungsideen da drin haben? Das ist ein Detail, das bestimmt mal ganz spannend wäre, dem nachzugehen.
Weber: Sie selbst standen ja wohl auch in dieser Situation, denn Sie haben Schöpfungsgeschichten für Kinder aufgeschrieben, die aus verschiedenen Religionen stammen. Wie sind Sie denn damit umgegangen, dass das auch in einem christlichen Verlag, dem Patmos Verlag, erschienen ist? Gab es dann doch eine Schöpfungsgeschichte, die die richtige war?
Schopf: Nein, das war eigentlich die Offenheit und das war für mich auch ganz wichtig, weil ich der Meinung bin, dass wir diese Offenheit brauchen, dass wir den Blick über den Tellerrand, wie das immer so schön heißt, brauchen, dass wir auch in diesen anderen Kulturen Anregungen für uns finden können. Und ich finde, diese Schöpfungsgeschichten aus den verschiedenen Kulturen, das war mir ein Anliegen, die eigentlich hier Kindern, Menschen nahezubringen mit einem anderen Blick auf Welt, denn das ist es, was wir immer wieder auch brauchen.
Wir haben ja so viele verschiedene Kulturen um uns herum, und da einen anderen Blick auf Welt zu bekommen, finde ich was ganz Wichtiges. Und da war seitens des Patmos Verlages diese Offenheit da. Das Einzige, wo ich nicht so ganz ... ich durfte die beiden Genesis-Geschichten durfte ich nicht so ineinander verweben, das sollte ich doch bitte schön klar trennen, dass das Genesis eins und die andere Version ist. Also das war die einzige Bedingung gewesen, die dann damals ... wo wir so ein bisschen aneinandergeraten sind.
Weber: Was natürlich auch schon die Pluralität der christlichen oder alttestamentlichen Schöpfungserzählung zeigt: Es gibt eben diesen einen Bericht mit den Tagen und den anderen mit dem Garten Eden, das ist schon beides vorhanden.
Schopf: Genau, und das ist ja auch eine ganz unterschiedliche Herangehensweise, wo Eva herkommt. Ist sie aus der Rippe Adams gemacht worden, oder hat Gott zwei Menschen geschaffen?
Weber: Interreligiöser Dialog ist ja ein großes Thema, ist auch bei theologischen Veröffentlichungen für Erwachsene immer wieder da. Gibt es denn interreligiöse Bücher für Kinder?
Schopf: Also es gibt natürlich Sachbücher, die versuchen, die verschiedenen Religionen – das sind in der Hauptsache die fünf großen Religionen, mit denen wir uns hier umgeben –, die Kindern nahezubringen. Das ist jetzt nicht der Renner, aber das ist ein Segment, das Sie in den verschiedenen Verlagen, nicht nur in den religiösen Kinderbuchverlagen, sondern auch in ganz normalen Kinderbuchverlagen immer wieder finden.
Weber: Jedes Jahr erscheinen ja wirklich neue Kinderbibeln, Sie haben schon die von Margot Käßmann erwähnt. Macht das eigentlich Sinn? Also es gibt Kinderbibelklassiker wie der von Anne de Vries. Ist das nicht heute noch genauso ansprechend? Warum muss man das jedes Jahr neu versuchen?
Schopf: Ja, das könnte man ganz generell eigentlich in vielen Segmenten des – zumindest, wo ich mich auskenne – Kinderbuchbereiches fragen: Wieso braucht es fast jedes Jahr wieder ein Buch über "Ich bekomme ein Geschwister", "Ich gehe in den Kindergarten", "Ich gehe in die Schule"? Aber ich denke, das ist einfach eine Strategie der Verlage, was Neues wieder zu bringen, einen neuen Autor ins Geschehen hineinzuwerfen, einen neuen Illustrator.
Ein neuer Zugang ist es nicht unbedingt, weil die Situation bleibt mehr oder weniger die Gleiche. Und die Situation ist auch bei den Kinderbibeln so. Natürlich gibt es da immer wieder Abwandlungen, wir haben neue Zeichnungen, einen neuen Zeichenstil, einen moderneren Zeichenstil, aber ich habe den Eindruck, es sind vor allen Dingen Verkaufsideen, die dahinterstehen, dass man jetzt wieder mal eine neue Bibel bringt und versucht, einen neuen Ansatzpunkt zu finden.
Weber: Sagen Sie uns abschließend noch was zu den Illustrationen in den religiösen Kinderbüchern und Kinderbibeln: Sind die alle so ein bisschen süßlicher als sonst im Kinderbuch? Ist Jesus immer der mit dem Bart und den langen Haaren, oder gibt es da auch ganz Unkonventionelles?
Schopf: Da gibt es ganz Unkonventionelles. Sie finden wirklich alles: Sie finden die eher Liebliche, wie Sie sie im normalen Kinderbuch ganz genauso finden. Es werden die verschiedensten Geschmäcker tatsächlich bedient, und wenn ein Klaus Ensikat zum Beispiel die Bibel illustriert, ist das ganz klar: Da ist bestimmt nichts Liebliches dabei. Und auch die im Chrismon Verlag erschienenen Bücher, die haben nichts Liebliches, sondern da kann man wirklich sagen, da ist eine sehr - radikal möchte ich sie nicht nennen - eine Herangehensweise mit einer sehr plakativen modernen expressionistischen Künstlerin, der Kitty Kahane, die das Ganze illustriert hat.
Und ich denke, da versucht man tatsächlich, verschiedene Geschmäcker abzudecken, die es ja gibt. Und ich finde es gut, dass man das auch mal wagt, weil gerade im Illustrationsbereich – und das betrifft jetzt nicht nur religiöse Kinderbücher, sondern das betrifft Kinderbücher oder Bilderbücher im Deutschen sowieso –, die sind eigentlich häufig konventionell, und das hat jetzt nicht unbedingt damit zu tun, dass die Verlage nicht gerne anders würden, aber das Publikum ist ein sehr konventionelles.
Weber: Vielen Dank, Sylvia Schopf, für diese Eindrücke von der Frankfurter Buchmesse. Ihr eigenes Buch "Sieben Schöpfungsgeschichten aus aller Welt" ist 2005 im Patmos Verlag erschienen, leider aber momentan nicht mehr erhältlich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema auf dradio.de:
Sendungen zur Frankfurter Buchmesse 2011 - Programm von Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk auf einen Blick
Sylvia Schopf: Ja, ich glaube, die Trendsuche ist überall immer vorhanden. Ich finde, dass er nicht unbedingt zu finden ist, sondern zum einen ist das, was typischerweise im religiösen Kinderbuch zu finden ist, auch dieses Jahr wieder da – sei es eine Neuauflage von Bibel oder Bibelgeschichten, das Messbuch, das Sie erwähnen –, es gibt natürlich auch immer wieder die Versuche, die Geschichten aus der Bibel neu zu fassen. Und das, wenn Sie wollen, könnten Sie als Trend der letzten Zeit eigentlich betrachten.
Weber: Finden Sie denn diese Aktualisierungen geglückt? Werden Kinder angesprochen, oder wird da mit einer neuen Sprache versehen, was eigentlich Kinder von heute überhaupt nicht mehr interessiert?
Schopf: Also man findet ohne Weiteres die Bücher, die in einer aktualisierten Sprache die Bibelgeschichten erzählen oder nacherzählen, zum Beispiel wenn man Frau Margot Käßmann bittet, die Bibel für Kinder zu erzählen. Auf der anderen Seite gibt es die Geschichten, die ein ganzes Stück weiter gehen, wie im Chrismon Verlag, die tatsächlich ein biblisches Motiv nehmen und daraus dann schon fast manchmal ganz eigene Geschichten machen, wobei der Chrismon Verlag, finde ich, einen ganz anderen und neuen Weg eingeschlagen hat, Bücher für Kinder, religiöse Kinderbücher zu machen, die tatsächlich ein Stück weit auch, wenn Sie wollen ein Trend sein können, zu sagen: Wir erzählen die witzig, spielerisch.
Also wenn Wladimir Kaminer zum Beispiel die Schöpfungsgeschichte erzählt und der Gott langweilt sich und er setzt sich auch mit Adam und Eva auseinander, und es gibt auch mal Streit und so was – also das ist sehr aktualisiert, aber auch sehr witzig und pfiffig erzählt, hat aber trotzdem einen Tiefgang, und das finde ich ganz wunderbar, und das darf es ohne Weiteres auch geben. Es gibt dann allerdings Situationen, wo ich denke, hm, wenn also jetzt die Noah-Geschichte, die Arche-Noah-Geschichte erzählt wird und Noah macht nun All-Inclusive-Urlaub auf Mallorca, dann finde ich wird es für mich zumindest ein bisschen grenzwertig, dass man ein biblisches Motiv, eine biblische Geschichte nimmt und daran einfach was Witziges aufhängt, wo ich mir manchmal ein bisschen mehr Tiefgang wünschen würde.
Weber: Ganz interessant ist bei der Geschichte von der Arche Noah ja immer die Frage: Wie wird eigentlich dargestellt, was mit dem Rest der Welt passiert? Denn die geht nun mal unter, während diese schöne Arche voller Tiere natürlich in jeder Kinderbibel abgebildet ist.
Schopf: Ja, das ist ohne Weiteres der Fall, aber grausame Geschichten gibt es überall auf der Welt und in vielen, vielen Mythen. Märchen sind unendlich grausam: Wie leidet eigentlich die Hexe im Märchen, wenn man sie ins Feuer wirft? Darüber wird komischerweise dann auch nicht geredet. Also ich denke, das ist die alte Frage: Wie sehr darf ich so was ansprechen? Wird es tatsächlich verschwiegen oder ist es einfach gar nicht der Fokus, um den es in dem Fall geht?
Also ich denke, gerade die biblischen Geschichten – und das ist jetzt was Inhaltliches, das hat nichts mit den Trends zu tun – sind eigentlich schon auf einer eher Metaebene angesiedelt, das heißt, sie sind nicht 1:1-Abbildungen von Historie. Sie haben einfach eine andere Bedeutungsebene noch, und deswegen ist die Frage: Müssen wir davon hören, was mit den anderen Menschen passiert ist, während Noah und die Tiere gerettet worden sind?
Weber: Es gibt ja durchaus Pädagogen und Psychotherapeuten, die sagen, Kinder brauchen Märchen. Sind Sie der Meinung, Kinder brauchen auch biblische Geschichten? Geht es da auch um ganz Existenzielles, was sonst vielleicht in ihrem Leben und in anderen Kinderbüchern nicht vorkommen würde?
Schopf: Das geht es auf alle Fälle. Es sind Geschichten, die zum Teil wirklich jenseits der Aktualität – wie das Shampoo, von dem Sie gerade sprachen, im Wasser – eigentlich das Menschsein betreffen, und das ist das, was Religion ja auch will: Religion ist, für mich zumindest, der Versuch, Welt zu verstehen, Leben, Menschsein zu verstehen, zu erklären, Anhaltspunkte, Anregungen zu geben, was heißt das denn eigentlich? Und von daher finde ich, dass in den biblischen Geschichten – wenn ich sie nicht als Historie und nicht als Abbildung eins zu eins einer Welt, und sei es einer vergangenen Welt, betrachte – eine ganze Menge an Anregung, an Hilfestellung, an Impuls für Menschsein enthalten ist.
Weber: Haben sie denn den Eindruck, dass es auch immer noch Kinderbücher gibt, die genau versuchen, die Bibel als eins zu eins übertragbar zu sehen? Also zumindest in den USA sind ja die Kreationisten vertreten, die also die Schöpfungsgeschichte wirklich als die Geschichte der Entstehung der Welt ansehen. Ist Ihnen so ein Kinderbuch jetzt in Frankfurt untergekommen?
Schopf: Also ganz explizit nicht. Es gibt natürlich die eher konventionellen religiösen Kinderbuchverlage, die eher in diese Richtung gehen, oder auch, was ich entdeckt habe: Man versucht natürlich, das immer auf die allgemeine Ebene zu heben, also das heißt, wir haben das, was im Kinderbuch sehr beliebt ist, Abenteuerromane, das hat man dann auch, und dann wird aber ganz explizit auch eine christliche Haltung da hineingenommen. Und ich habe nachgefragt, was heißt das denn, weil christliche Haltungen finden Sie in vielen Büchern. Die christlichen Werte sind etwas, was wir im Kinderbuch, in einem guten Kinder- und Jugendbuch auf alle Fälle immer unter der ganzen Handlungsdecke haben. Und dann ist es aber so, dass dann ganz explizit auch mal gebetet wird oder Stellen aus der Bibel zitiert werden, und das Ganze aber eingepackt in einen Abenteuerroman, und das ist eine Mehrbuchserie. Also da wird schon, wenn Sie wollen, na ja, auf eine verdeckte Weise oder unverdeckte Weise Missionierung vielleicht betrieben.
Weber: Wie sieht es denn eigentlich mit religiösen Büchern für nicht christliche Kinder aus, für jüdische und muslimische Kinder? Haben Sie da etwas gefunden?
Schopf: Also ganz explizit nicht. Es gibt aber dann zum Beispiel Kinderbuchverlage, die sich nicht als christliche Kinderbuch- oder religiöse Kinderbuchverlage verstehen, bei denen man dann aber trotzdem zum Beispiel die Bibel findet und wo im Gespräch mit einer Dame am Stand sie auch sagte, nein, nein, wir wollen ganz bewusst Kinder und vor allen Dingen natürlich auch Eltern ansprechen, die diese Geschichten lesen möchten, aber nicht mit einem christlichen Hintergrund.
Das wäre natürlich jetzt ein ganz spannender Punkt, mal wirklich zu vergleichen: Sind diese Bibelgeschichten tatsächlich so viel neutraler? Kann man überhaupt es so neutral gestalten, oder ist in einem christlichen Kinderbuchverlag jetzt wie bei Herder oder bei Patmos, ist es da tatsächlich so, dass wir Missionierungsideen da drin haben? Das ist ein Detail, das bestimmt mal ganz spannend wäre, dem nachzugehen.
Weber: Sie selbst standen ja wohl auch in dieser Situation, denn Sie haben Schöpfungsgeschichten für Kinder aufgeschrieben, die aus verschiedenen Religionen stammen. Wie sind Sie denn damit umgegangen, dass das auch in einem christlichen Verlag, dem Patmos Verlag, erschienen ist? Gab es dann doch eine Schöpfungsgeschichte, die die richtige war?
Schopf: Nein, das war eigentlich die Offenheit und das war für mich auch ganz wichtig, weil ich der Meinung bin, dass wir diese Offenheit brauchen, dass wir den Blick über den Tellerrand, wie das immer so schön heißt, brauchen, dass wir auch in diesen anderen Kulturen Anregungen für uns finden können. Und ich finde, diese Schöpfungsgeschichten aus den verschiedenen Kulturen, das war mir ein Anliegen, die eigentlich hier Kindern, Menschen nahezubringen mit einem anderen Blick auf Welt, denn das ist es, was wir immer wieder auch brauchen.
Wir haben ja so viele verschiedene Kulturen um uns herum, und da einen anderen Blick auf Welt zu bekommen, finde ich was ganz Wichtiges. Und da war seitens des Patmos Verlages diese Offenheit da. Das Einzige, wo ich nicht so ganz ... ich durfte die beiden Genesis-Geschichten durfte ich nicht so ineinander verweben, das sollte ich doch bitte schön klar trennen, dass das Genesis eins und die andere Version ist. Also das war die einzige Bedingung gewesen, die dann damals ... wo wir so ein bisschen aneinandergeraten sind.
Weber: Was natürlich auch schon die Pluralität der christlichen oder alttestamentlichen Schöpfungserzählung zeigt: Es gibt eben diesen einen Bericht mit den Tagen und den anderen mit dem Garten Eden, das ist schon beides vorhanden.
Schopf: Genau, und das ist ja auch eine ganz unterschiedliche Herangehensweise, wo Eva herkommt. Ist sie aus der Rippe Adams gemacht worden, oder hat Gott zwei Menschen geschaffen?
Weber: Interreligiöser Dialog ist ja ein großes Thema, ist auch bei theologischen Veröffentlichungen für Erwachsene immer wieder da. Gibt es denn interreligiöse Bücher für Kinder?
Schopf: Also es gibt natürlich Sachbücher, die versuchen, die verschiedenen Religionen – das sind in der Hauptsache die fünf großen Religionen, mit denen wir uns hier umgeben –, die Kindern nahezubringen. Das ist jetzt nicht der Renner, aber das ist ein Segment, das Sie in den verschiedenen Verlagen, nicht nur in den religiösen Kinderbuchverlagen, sondern auch in ganz normalen Kinderbuchverlagen immer wieder finden.
Weber: Jedes Jahr erscheinen ja wirklich neue Kinderbibeln, Sie haben schon die von Margot Käßmann erwähnt. Macht das eigentlich Sinn? Also es gibt Kinderbibelklassiker wie der von Anne de Vries. Ist das nicht heute noch genauso ansprechend? Warum muss man das jedes Jahr neu versuchen?
Schopf: Ja, das könnte man ganz generell eigentlich in vielen Segmenten des – zumindest, wo ich mich auskenne – Kinderbuchbereiches fragen: Wieso braucht es fast jedes Jahr wieder ein Buch über "Ich bekomme ein Geschwister", "Ich gehe in den Kindergarten", "Ich gehe in die Schule"? Aber ich denke, das ist einfach eine Strategie der Verlage, was Neues wieder zu bringen, einen neuen Autor ins Geschehen hineinzuwerfen, einen neuen Illustrator.
Ein neuer Zugang ist es nicht unbedingt, weil die Situation bleibt mehr oder weniger die Gleiche. Und die Situation ist auch bei den Kinderbibeln so. Natürlich gibt es da immer wieder Abwandlungen, wir haben neue Zeichnungen, einen neuen Zeichenstil, einen moderneren Zeichenstil, aber ich habe den Eindruck, es sind vor allen Dingen Verkaufsideen, die dahinterstehen, dass man jetzt wieder mal eine neue Bibel bringt und versucht, einen neuen Ansatzpunkt zu finden.
Weber: Sagen Sie uns abschließend noch was zu den Illustrationen in den religiösen Kinderbüchern und Kinderbibeln: Sind die alle so ein bisschen süßlicher als sonst im Kinderbuch? Ist Jesus immer der mit dem Bart und den langen Haaren, oder gibt es da auch ganz Unkonventionelles?
Schopf: Da gibt es ganz Unkonventionelles. Sie finden wirklich alles: Sie finden die eher Liebliche, wie Sie sie im normalen Kinderbuch ganz genauso finden. Es werden die verschiedensten Geschmäcker tatsächlich bedient, und wenn ein Klaus Ensikat zum Beispiel die Bibel illustriert, ist das ganz klar: Da ist bestimmt nichts Liebliches dabei. Und auch die im Chrismon Verlag erschienenen Bücher, die haben nichts Liebliches, sondern da kann man wirklich sagen, da ist eine sehr - radikal möchte ich sie nicht nennen - eine Herangehensweise mit einer sehr plakativen modernen expressionistischen Künstlerin, der Kitty Kahane, die das Ganze illustriert hat.
Und ich denke, da versucht man tatsächlich, verschiedene Geschmäcker abzudecken, die es ja gibt. Und ich finde es gut, dass man das auch mal wagt, weil gerade im Illustrationsbereich – und das betrifft jetzt nicht nur religiöse Kinderbücher, sondern das betrifft Kinderbücher oder Bilderbücher im Deutschen sowieso –, die sind eigentlich häufig konventionell, und das hat jetzt nicht unbedingt damit zu tun, dass die Verlage nicht gerne anders würden, aber das Publikum ist ein sehr konventionelles.
Weber: Vielen Dank, Sylvia Schopf, für diese Eindrücke von der Frankfurter Buchmesse. Ihr eigenes Buch "Sieben Schöpfungsgeschichten aus aller Welt" ist 2005 im Patmos Verlag erschienen, leider aber momentan nicht mehr erhältlich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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