"Da hat er eben bei bestimmten Sachen recht"
Die Publizistin Necla Kelek unterstützt die Kritik des früheren Berliner Finanzsenators an schlecht integrierten muslimischen Zuwanderern. Das Thema bewege viele Menschen und die Politik müsse verstärkt darauf eingehen.
Susanne Führer: Man glaubt es ja kaum, aber das Buch, über das seit Tagen erregt diskutiert wird, das wurde tatsächlich erst heute der Öffentlichkeit vorgestellt, nämlich Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab". Vorgestellt wurde es von der Sozialwissenschaftlerin und Publizistin Necla Kelek vor drei Stunden hier in Berlin, und gleich im Anschluss daran ist sie zu uns ins Funkhaus gekommen. Guten Tag, Frau Kelek!
Necla Kelek: Guten Tag!
Führer: Wie war es denn so, gab es viel Trubel?
Kelek: Nein. Die Fragen waren sachlich und es lief auch sachlich.
Führer: Ihr Handy klingelt, Frau Kelek! Genau, die Kollegin stellt es aus, das ist nett, dann können Sie ja weiterreden. Sie sagen, es war sachlich?
Kelek: Ja, ich fand es sachlich, informativ, und Herr Sarrazin hat auch wirklich sehr viel Platz und Raum bekommen, um seine Position uns darzustellen.
Führer: Warum haben Sie das gemacht, dieses Buch vorgestellt?
Kelek: Ich bin immer interessiert am Integrationsthema. Ich beschäftige mich selber mittlerweile fast 20 Jahre damit, weil ich selber Muslimin bin, weil ich vieles selber persönlich erlebt, aber auch beobachtet habe, und habe festgestellt, dass Herr Sarrazin, als er das erste Interview in der "Lettre" gegeben hat, bestimmte Dinge gesagt hat, die genau eigentlich meine Gedanken oder das, was ich schon seit Langem beobachte, auch widergespiegelt hat. Und ich habe daraufhin interessiert alles andere, was er so veröffentlicht hat, gelesen, und war auch sehr interessiert, als ich gehört habe, er schreibt ein Buch, wie er das alles so wiedergeben wird.
Führer: Frau Kelek, Sie wurden 1957 in Istanbul geboren und Sie sind mit Ihrer Familie dann 1966 nach Deutschland gekommen – und jetzt mal zwei Sätze von Thilo Sarrazin: "Aus heutiger Sicht war die Gastarbeitereinwanderung in den 60er- und 70er-Jahren ein gigantischer Irrtum." Und ein anderer Satz: "Die einzig sinnvolle Handlungsperspektive kann nur sein, weitere Zuwanderung aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika generell zu unterbinden." Da habe ich mich dann schon gewundert, dass Sie dieses Buch vorstellen, denn wenn man diesen Sätzen folgt, dann ist es eigentlich ein gigantischer Irrtum, dass Sie jetzt hier bei uns im Funkhaus sitzen und heute deutsche Staatsbürgerin und Sozialwissenschaftlerin sind.
Kelek: Jetzt ist es aber auch aus dem Zusammenhang gerissen. Er stellt ja fest, dass am Anfang eine Notwendigkeit war, aber danach eigentlich, weil wir auch am Anfang ja überhaupt nicht über Integration gesprochen haben, aber wie diese ganze Debatte geführt wurde, wenn überhaupt, eher dem Zufall überlassen wurde, und die Politik um die Migranten herum, dass das alles fatal war und …
Führer: Sie sprechen jetzt von Integration, aber dass er sagt, das ist aus heutiger Sicht ein gigantischer Irrtum, da geht es ihm gar nicht um Integration, sondern da geht es ihm darum, dass einfach mit den Gastarbeitern, wie man sie damals genannt hat, eben sterbende Industrien aufgepäppelt worden sind. Und insofern sagt er, das war insgesamt ein gigantischer Irrtum, ob integriert oder nicht.
Kelek: Ja, aber er hat doch das Recht dazu, sich geschichtlich, historisch genau dieses Phänomen sich anzuschauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Deutschland an einem aufstrebenden Punkt war, dass er sagt, damals hätte man schon anstatt mehr auf Arbeiter aus dem Ausland zu setzen, mehr innovativ, mehr auf Technik und mehr also in diese Richtung investieren sollen. Ich finde das legitim, wenn ein Ökonom, ein Volkswirt, sich solche Gedanken macht, weil er das Resumee, was wir heute haben, mit dieser Einstellung halt vergleicht und sagt…, da hat er eben bei bestimmten Sachen recht. Weil wir haben ja gerade aus dieser Gruppe, die für die einfachen Tätigkeiten nach Deutschland geholt wurden, die größte Arbeitslosigkeit.
Führer: Haben Sie denn eigentlich Einwände gegen einige der Thesen, die Thilo Sarrazin in seinem Buch aufstellt?
Kelek: Natürlich hat man, wenn man ein Buch, was 460 Seiten hat, wo ich dann sage, nein, das hat mit mir jetzt gar nichts zu tun oder mit meinen Gedanken. Und da spielen Sie vielleicht auf ein Kapitel an, wo ich auch gesagt habe, das ist nicht mein Thema.
Führer: Nämlich?
Kelek: Und zwar jetzt zum Beispiel ob Intellekt vererbbar ist oder nicht, also das ist zum Beispiel, wo ich da gesagt habe, ja, das ist auch spannend, ich fühle mich da ja auch nicht persönlich angesprochen, wenn ich ein Buch lese, sondern ich halte da schon eine Distanz zwischen mir und diesem Buch oder überhaupt einem Buch, wenn es von jemand anders geschrieben ist. Und nein, ich bin da ganz gelassen und kann mir das anschauen und mir überlegen, finde ich das relevant für die Debatte, für die Diskussion oder nicht.
Führer: Aber Frau Kelek, ich glaube, das ist ja gerade der entscheidende Punkt, also warum auch so viel Aufregung jetzt um dieses Buch herrscht. Also Sarrazin macht ja vieles in dem Buch, es geht um demografische Entwicklung und so weiter – der Untertitel lautet ja nicht umsonst "Wie Deutschland sich selbst abschafft", eben aufgrund dieser demografischen Entwicklung. Und dann kommt er zu diesem Punkt: Muslime sind seiner Analyse nach – wobei ich auch nie wusste, dass bei Zuwanderern einzeln sozusagen die Religionszugehörigkeit erhoben wird, aber lassen wir das mal dahingestellt – Muslime sind schlechter integriert, schlechtere Schulleistung und so weiter und so weiter, da mag die eine oder andere Zahl anzuzweifeln sein, aber ich glaube, im Großen und Ganzen hat ihn da noch keiner widerlegt. Das ist das eine.
Das Zweite ist, was, glaube ich, dann zu diesem Skandalon führt, ist dieser vollkommen unreflektierte Biologismus, indem er dann sagt, Intelligenz vererbt sich. Und wenn die jetzt hier, diese Dummen, nicht das Muslim-Sein an und für sich dumm ist, aber wir haben nun mal die Dummen in Deutschland abbekommen, so argumentiert er ja, sich vermehren, dann werden wir sozusagen überschwemmt, und damit schafft sich dann Deutschland ab. Und das finde ich doch das Problematische. Wenn Sie jetzt sagen, na ja, Gott, dass dieser Punkt, der passt Ihnen nicht so, dann aber kritisieren Sie doch einen Grundpfeiler seines Buches eigentlich.
Kelek: Ja, das kann schon so sein, und das hätte ich also so nicht diskutiert, ich diskutiere aber genauso kritisch die ganze Einwanderungspolitik. Und ich sehe mir genau wie Herr Sarrazin die muslimische Bevölkerung hier in Deutschland an und sehe, wie wenig Verantwortung sie persönlich mittlerweile tragen, wie sie sich seit Jahrzehnten selbstverständlich in Deutschland eingerichtet haben und sagen, wir wollen aber nichts von Deutschland, wir wollen aber nichts mit den Deutschen, wir wollen hier, wir haben Rechte – also es wird immer hysterisch nach Rechten gerufen, dass sie sagen, wir haben ein Recht, unsere Tradition, unsere Sitten, unsere Bräuche, verpackt natürlich mit Religion, Religionsfreiheit, dass sie sagen, sie haben ein Recht hier zu sein, hier zu leben.
Und wir merken, je mehr nach diesen Rechten, nach diesen uralten archaischen Traditionen und Sitten und Bräuchen gerufen wird und danach auch gelebt wird, weil das darf man ja alles nicht kritisieren, weil das ist ja deren Recht und dieses Land ist ja nun mal ein humanistisches Land und hat sich auch nicht einzu…
Führer: Aber Frau Kelek, Sie sitzen doch hier und dürfen kritisieren …
Kelek: Aber ich bitte Sie! Wie viele Sprecher aus dieser Gruppe tun das? Die meisten, die halt die Kritik um die Muslime sich stark machen, sind die, die genau diese Traditionen fast konservieren wollen und entschuldigen und immer die Schuld an der Gesellschaft suchen, zum Beispiel, dass Deutschland nicht genug getan hätte, damit die Muslime ankommen. Die anderen, die haben ja nicht diese großen Probleme aufgewiesen, es sind ja immer die Muslime. Und wenn man genau das kritisiert, sagen die Muslime, Deutschland hat für uns nichts getan.
Ich kenne Muslime, die mir sagen, seit 30 Jahren hat man mir kein Deutsch beigebracht. Also da ist er doch ganz realistisch, dass er sagt, wenn jemand sich auf den Weg macht in ein fremdes Land, dann trage ich auch persönlich ein Stück Verantwortung dafür, dass ich da zurechtkomme, dass ich die Sprache lerne, dass ich mich umsehe und sage, wie ist die Tradition dieses Landes, wie kann ich daran teilnehmen, um auch erfolgreich zu sein.
Und in der vierten Generation muss ich wirklich auch die Entscheidung treffen, will ich in so einem Land, was die meisten als unmoralisch, kein Stolz, keine Ehre, will ich da leben, ein Teil sein, und was sehr, sehr viel wichtiger ist: Will ich Verantwortung auch tragen für dieses Land?
Führer: Frau Kelek, ich glaube, was Sie jetzt gerade genannt haben, ist doch inzwischen in der ganzen Debatte um Zuwanderung, Einwanderung, Integration, wie auch immer wir es nennen wollen, ist eigentlich inzwischen Common Sense. Also wir reden von Fordern und Fördern, wir sprechen, also die Zuwanderungsregeln haben sich auch bedeutend verschärft, es müssen Sprachkenntnisse nachgewiesen werden und so weiter, auch die Kanzlerin hat gerade noch mal in ihrem Sommerinterview gesagt, natürlich müssen die Menschen Deutsch lernen, die Kultur respektieren, arbeiten wollen, das ist alles unstrittig.
Wenn wir jetzt aber doch einen konstruktiven Dialog haben wollen über Integration und Zuwanderung, und auch Herr Sarrazin sagt ja, die Menschen, die sind hier und die sind nun mal hier und nun bleiben sie auch hier, dann ist doch die Frage, ob seine Art zu argumentieren sozusagen dazu beiträgt, dass das zu einem gedeihlichen Miteinander wird, oder ob er nicht eher die Diskussion darüber noch erschwert.
Kelek: Das wissen wir nicht, die Diskussion hat ja gerade angefangen. Und wenn wir aber sehen, wie heftig die Reaktion ist und überhaupt, wie viele Menschen sich daran beteiligen, was sagt dieser Mann, wie sagt dieser Mann, über wen sagt was dieser Mann, dann ist es ja anscheinend doch ein Thema, was viele Menschen hier bewegt. Und was mir immer so auffällt, ist, dass gerade die Politik oder die Vertreter der politischen Parteien nicht wirklich darauf eingehen, dass die Bürger das eigentlich ganz anders schon seit Langem sich dieses Themas angenommen haben und Schwierigkeiten haben.
Arbeitsamt, Sozialamt, Jugendamt, Schulen, Krankenhäuser – in allen Bereichen, wo wir Migranten muslimischem Hintergrund haben, gibt es irgendwelche Probleme, aber das wird nicht wirklich, es wird zwar gesagt, ja, wir wollen jetzt aber das zum Thema machen, aber was sind denn da für neue Konzepte? Das sind alles veraltete, ja, wir müssen noch mehr Geld geben, es wird versucht, über finanzielle Mittel diese Probleme zu lösen. Und Sarrazin sagt genau an der Stelle, das nützt gar nichts, sondern die innere Einstellung ist es, was den Menschen verändert, und nicht irgendwelche finanziellen Mittel.
Führer: Aber noch mal zu der Frage: Haben Sie sich da wirklich den richtigen Bundesgenossen ausgesucht? Also ich meine, jemand, der in Deutschland sagt, alle Juden teilen dasselbe Gen, der darf sich doch nicht wundern, wenn ein Sturm der Entrüstung losbricht.
Kelek: Das finde ich auch diesem Land nicht gerecht, wenn ein Mensch ein Buch von 400 Seiten schreibt und sich wirklich auseinandersetzt mit Bildungspolitik, Sozialpolitik und Integrationspolitik, dass wenn er in einem Interview – sagen Sie jetzt, was meinen Sie damit genau – und er versucht sich da irgendwie sich einen Kopf über Gene zu machen, dass man ihn jetzt darauf reduziert. Ich finde, was mir jedenfalls auffällt, ist, was in Deutschland sich festgesetzt hat, dass der Deutsche an sich ein Mensch, also idealtypisch so sein soll, hat zu verstehen, besonders die Migranten zu verstehen und zu helfen.
Und wenn jemand aufsteht und sagt, das geht nicht mehr, weder möchte ich verstehen, noch möchte ich helfen, weil diese Hilfe und das Verständnis kommt gar nicht an, ich werde immer mehr verachtet. Weil wenn Sie sich nämlich mal die muslimische Migration oder muslimische Community sich angucken, ich rede wirklich nur von denen, die ganz klar sagen, ich setze auf Identität als Abgrenzung, wir grenzen uns von diesem Land ab, das steht uns zu – über diese Gruppe redet er, und diese Gruppe ist nicht klein, die ist sehr groß.
Wir haben Schulen bis zu 90 Prozent Migranten, die dort die Scharia leben, die ihre islamische Kultur sehr traditionell, fast reaktionär hier leben wollen, und niemand soll sich einmischen. Und da dürfen wir das jetzt nicht mit diesem einen Satz – gibt es so was wie Vererbung, gibt es so was wie, dass man Intellekt vererbt oder nicht –, das darf man nicht alles miteinander vermischen.
Führer: Nein, aber Herr Sarrazin vermischt es miteinander. Es gibt ja zum Beispiel den Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, der nun auch das, was Sie kritisiert, auch kritisiert, und trotzdem wird er ja nicht so angegangen wir Herr Sarrazin.
Kelek: Ja, weil das ist ein absolutes Tabuthema. In Deutschland …
Führer: Das glaube ich nicht…
Kelek: … über Gene zu sprechen, ob …
Führer: Ach so, ja, das ist ein Tabuthema, in der Tat.
Kelek: … ob man … Und was ich aber erfahren habe, ist, dass die Wissenschaft schon lange sich da beharkt. Ich glaube auch nicht daran, dass man Intellektualität oder überhaupt Intellekt vererben kann, aber auf der anderen Seite heißt es ja nicht, dass wir alle gleich sind. Irgendetwas habe ich von meiner Mutter oder Vater ja auch, im Volksmund redet man ja ganz oft, dieses musikalische Talent habe ich von meinem Großvater. Also so was gibt es, und die Wissenschaftler sollen sich darüber den Kopf halt sich verzerren oder was weiß ich, aber es ist auch nicht mein Thema.
Führer: Das war die Sozialwissenschaftlerin und Publizistin Necla Kelek zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Danke Ihnen schön, Frau Kelek!
Kelek: Ich danke Ihnen!
Necla Kelek: Guten Tag!
Führer: Wie war es denn so, gab es viel Trubel?
Kelek: Nein. Die Fragen waren sachlich und es lief auch sachlich.
Führer: Ihr Handy klingelt, Frau Kelek! Genau, die Kollegin stellt es aus, das ist nett, dann können Sie ja weiterreden. Sie sagen, es war sachlich?
Kelek: Ja, ich fand es sachlich, informativ, und Herr Sarrazin hat auch wirklich sehr viel Platz und Raum bekommen, um seine Position uns darzustellen.
Führer: Warum haben Sie das gemacht, dieses Buch vorgestellt?
Kelek: Ich bin immer interessiert am Integrationsthema. Ich beschäftige mich selber mittlerweile fast 20 Jahre damit, weil ich selber Muslimin bin, weil ich vieles selber persönlich erlebt, aber auch beobachtet habe, und habe festgestellt, dass Herr Sarrazin, als er das erste Interview in der "Lettre" gegeben hat, bestimmte Dinge gesagt hat, die genau eigentlich meine Gedanken oder das, was ich schon seit Langem beobachte, auch widergespiegelt hat. Und ich habe daraufhin interessiert alles andere, was er so veröffentlicht hat, gelesen, und war auch sehr interessiert, als ich gehört habe, er schreibt ein Buch, wie er das alles so wiedergeben wird.
Führer: Frau Kelek, Sie wurden 1957 in Istanbul geboren und Sie sind mit Ihrer Familie dann 1966 nach Deutschland gekommen – und jetzt mal zwei Sätze von Thilo Sarrazin: "Aus heutiger Sicht war die Gastarbeitereinwanderung in den 60er- und 70er-Jahren ein gigantischer Irrtum." Und ein anderer Satz: "Die einzig sinnvolle Handlungsperspektive kann nur sein, weitere Zuwanderung aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika generell zu unterbinden." Da habe ich mich dann schon gewundert, dass Sie dieses Buch vorstellen, denn wenn man diesen Sätzen folgt, dann ist es eigentlich ein gigantischer Irrtum, dass Sie jetzt hier bei uns im Funkhaus sitzen und heute deutsche Staatsbürgerin und Sozialwissenschaftlerin sind.
Kelek: Jetzt ist es aber auch aus dem Zusammenhang gerissen. Er stellt ja fest, dass am Anfang eine Notwendigkeit war, aber danach eigentlich, weil wir auch am Anfang ja überhaupt nicht über Integration gesprochen haben, aber wie diese ganze Debatte geführt wurde, wenn überhaupt, eher dem Zufall überlassen wurde, und die Politik um die Migranten herum, dass das alles fatal war und …
Führer: Sie sprechen jetzt von Integration, aber dass er sagt, das ist aus heutiger Sicht ein gigantischer Irrtum, da geht es ihm gar nicht um Integration, sondern da geht es ihm darum, dass einfach mit den Gastarbeitern, wie man sie damals genannt hat, eben sterbende Industrien aufgepäppelt worden sind. Und insofern sagt er, das war insgesamt ein gigantischer Irrtum, ob integriert oder nicht.
Kelek: Ja, aber er hat doch das Recht dazu, sich geschichtlich, historisch genau dieses Phänomen sich anzuschauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Deutschland an einem aufstrebenden Punkt war, dass er sagt, damals hätte man schon anstatt mehr auf Arbeiter aus dem Ausland zu setzen, mehr innovativ, mehr auf Technik und mehr also in diese Richtung investieren sollen. Ich finde das legitim, wenn ein Ökonom, ein Volkswirt, sich solche Gedanken macht, weil er das Resumee, was wir heute haben, mit dieser Einstellung halt vergleicht und sagt…, da hat er eben bei bestimmten Sachen recht. Weil wir haben ja gerade aus dieser Gruppe, die für die einfachen Tätigkeiten nach Deutschland geholt wurden, die größte Arbeitslosigkeit.
Führer: Haben Sie denn eigentlich Einwände gegen einige der Thesen, die Thilo Sarrazin in seinem Buch aufstellt?
Kelek: Natürlich hat man, wenn man ein Buch, was 460 Seiten hat, wo ich dann sage, nein, das hat mit mir jetzt gar nichts zu tun oder mit meinen Gedanken. Und da spielen Sie vielleicht auf ein Kapitel an, wo ich auch gesagt habe, das ist nicht mein Thema.
Führer: Nämlich?
Kelek: Und zwar jetzt zum Beispiel ob Intellekt vererbbar ist oder nicht, also das ist zum Beispiel, wo ich da gesagt habe, ja, das ist auch spannend, ich fühle mich da ja auch nicht persönlich angesprochen, wenn ich ein Buch lese, sondern ich halte da schon eine Distanz zwischen mir und diesem Buch oder überhaupt einem Buch, wenn es von jemand anders geschrieben ist. Und nein, ich bin da ganz gelassen und kann mir das anschauen und mir überlegen, finde ich das relevant für die Debatte, für die Diskussion oder nicht.
Führer: Aber Frau Kelek, ich glaube, das ist ja gerade der entscheidende Punkt, also warum auch so viel Aufregung jetzt um dieses Buch herrscht. Also Sarrazin macht ja vieles in dem Buch, es geht um demografische Entwicklung und so weiter – der Untertitel lautet ja nicht umsonst "Wie Deutschland sich selbst abschafft", eben aufgrund dieser demografischen Entwicklung. Und dann kommt er zu diesem Punkt: Muslime sind seiner Analyse nach – wobei ich auch nie wusste, dass bei Zuwanderern einzeln sozusagen die Religionszugehörigkeit erhoben wird, aber lassen wir das mal dahingestellt – Muslime sind schlechter integriert, schlechtere Schulleistung und so weiter und so weiter, da mag die eine oder andere Zahl anzuzweifeln sein, aber ich glaube, im Großen und Ganzen hat ihn da noch keiner widerlegt. Das ist das eine.
Das Zweite ist, was, glaube ich, dann zu diesem Skandalon führt, ist dieser vollkommen unreflektierte Biologismus, indem er dann sagt, Intelligenz vererbt sich. Und wenn die jetzt hier, diese Dummen, nicht das Muslim-Sein an und für sich dumm ist, aber wir haben nun mal die Dummen in Deutschland abbekommen, so argumentiert er ja, sich vermehren, dann werden wir sozusagen überschwemmt, und damit schafft sich dann Deutschland ab. Und das finde ich doch das Problematische. Wenn Sie jetzt sagen, na ja, Gott, dass dieser Punkt, der passt Ihnen nicht so, dann aber kritisieren Sie doch einen Grundpfeiler seines Buches eigentlich.
Kelek: Ja, das kann schon so sein, und das hätte ich also so nicht diskutiert, ich diskutiere aber genauso kritisch die ganze Einwanderungspolitik. Und ich sehe mir genau wie Herr Sarrazin die muslimische Bevölkerung hier in Deutschland an und sehe, wie wenig Verantwortung sie persönlich mittlerweile tragen, wie sie sich seit Jahrzehnten selbstverständlich in Deutschland eingerichtet haben und sagen, wir wollen aber nichts von Deutschland, wir wollen aber nichts mit den Deutschen, wir wollen hier, wir haben Rechte – also es wird immer hysterisch nach Rechten gerufen, dass sie sagen, wir haben ein Recht, unsere Tradition, unsere Sitten, unsere Bräuche, verpackt natürlich mit Religion, Religionsfreiheit, dass sie sagen, sie haben ein Recht hier zu sein, hier zu leben.
Und wir merken, je mehr nach diesen Rechten, nach diesen uralten archaischen Traditionen und Sitten und Bräuchen gerufen wird und danach auch gelebt wird, weil das darf man ja alles nicht kritisieren, weil das ist ja deren Recht und dieses Land ist ja nun mal ein humanistisches Land und hat sich auch nicht einzu…
Führer: Aber Frau Kelek, Sie sitzen doch hier und dürfen kritisieren …
Kelek: Aber ich bitte Sie! Wie viele Sprecher aus dieser Gruppe tun das? Die meisten, die halt die Kritik um die Muslime sich stark machen, sind die, die genau diese Traditionen fast konservieren wollen und entschuldigen und immer die Schuld an der Gesellschaft suchen, zum Beispiel, dass Deutschland nicht genug getan hätte, damit die Muslime ankommen. Die anderen, die haben ja nicht diese großen Probleme aufgewiesen, es sind ja immer die Muslime. Und wenn man genau das kritisiert, sagen die Muslime, Deutschland hat für uns nichts getan.
Ich kenne Muslime, die mir sagen, seit 30 Jahren hat man mir kein Deutsch beigebracht. Also da ist er doch ganz realistisch, dass er sagt, wenn jemand sich auf den Weg macht in ein fremdes Land, dann trage ich auch persönlich ein Stück Verantwortung dafür, dass ich da zurechtkomme, dass ich die Sprache lerne, dass ich mich umsehe und sage, wie ist die Tradition dieses Landes, wie kann ich daran teilnehmen, um auch erfolgreich zu sein.
Und in der vierten Generation muss ich wirklich auch die Entscheidung treffen, will ich in so einem Land, was die meisten als unmoralisch, kein Stolz, keine Ehre, will ich da leben, ein Teil sein, und was sehr, sehr viel wichtiger ist: Will ich Verantwortung auch tragen für dieses Land?
Führer: Frau Kelek, ich glaube, was Sie jetzt gerade genannt haben, ist doch inzwischen in der ganzen Debatte um Zuwanderung, Einwanderung, Integration, wie auch immer wir es nennen wollen, ist eigentlich inzwischen Common Sense. Also wir reden von Fordern und Fördern, wir sprechen, also die Zuwanderungsregeln haben sich auch bedeutend verschärft, es müssen Sprachkenntnisse nachgewiesen werden und so weiter, auch die Kanzlerin hat gerade noch mal in ihrem Sommerinterview gesagt, natürlich müssen die Menschen Deutsch lernen, die Kultur respektieren, arbeiten wollen, das ist alles unstrittig.
Wenn wir jetzt aber doch einen konstruktiven Dialog haben wollen über Integration und Zuwanderung, und auch Herr Sarrazin sagt ja, die Menschen, die sind hier und die sind nun mal hier und nun bleiben sie auch hier, dann ist doch die Frage, ob seine Art zu argumentieren sozusagen dazu beiträgt, dass das zu einem gedeihlichen Miteinander wird, oder ob er nicht eher die Diskussion darüber noch erschwert.
Kelek: Das wissen wir nicht, die Diskussion hat ja gerade angefangen. Und wenn wir aber sehen, wie heftig die Reaktion ist und überhaupt, wie viele Menschen sich daran beteiligen, was sagt dieser Mann, wie sagt dieser Mann, über wen sagt was dieser Mann, dann ist es ja anscheinend doch ein Thema, was viele Menschen hier bewegt. Und was mir immer so auffällt, ist, dass gerade die Politik oder die Vertreter der politischen Parteien nicht wirklich darauf eingehen, dass die Bürger das eigentlich ganz anders schon seit Langem sich dieses Themas angenommen haben und Schwierigkeiten haben.
Arbeitsamt, Sozialamt, Jugendamt, Schulen, Krankenhäuser – in allen Bereichen, wo wir Migranten muslimischem Hintergrund haben, gibt es irgendwelche Probleme, aber das wird nicht wirklich, es wird zwar gesagt, ja, wir wollen jetzt aber das zum Thema machen, aber was sind denn da für neue Konzepte? Das sind alles veraltete, ja, wir müssen noch mehr Geld geben, es wird versucht, über finanzielle Mittel diese Probleme zu lösen. Und Sarrazin sagt genau an der Stelle, das nützt gar nichts, sondern die innere Einstellung ist es, was den Menschen verändert, und nicht irgendwelche finanziellen Mittel.
Führer: Aber noch mal zu der Frage: Haben Sie sich da wirklich den richtigen Bundesgenossen ausgesucht? Also ich meine, jemand, der in Deutschland sagt, alle Juden teilen dasselbe Gen, der darf sich doch nicht wundern, wenn ein Sturm der Entrüstung losbricht.
Kelek: Das finde ich auch diesem Land nicht gerecht, wenn ein Mensch ein Buch von 400 Seiten schreibt und sich wirklich auseinandersetzt mit Bildungspolitik, Sozialpolitik und Integrationspolitik, dass wenn er in einem Interview – sagen Sie jetzt, was meinen Sie damit genau – und er versucht sich da irgendwie sich einen Kopf über Gene zu machen, dass man ihn jetzt darauf reduziert. Ich finde, was mir jedenfalls auffällt, ist, was in Deutschland sich festgesetzt hat, dass der Deutsche an sich ein Mensch, also idealtypisch so sein soll, hat zu verstehen, besonders die Migranten zu verstehen und zu helfen.
Und wenn jemand aufsteht und sagt, das geht nicht mehr, weder möchte ich verstehen, noch möchte ich helfen, weil diese Hilfe und das Verständnis kommt gar nicht an, ich werde immer mehr verachtet. Weil wenn Sie sich nämlich mal die muslimische Migration oder muslimische Community sich angucken, ich rede wirklich nur von denen, die ganz klar sagen, ich setze auf Identität als Abgrenzung, wir grenzen uns von diesem Land ab, das steht uns zu – über diese Gruppe redet er, und diese Gruppe ist nicht klein, die ist sehr groß.
Wir haben Schulen bis zu 90 Prozent Migranten, die dort die Scharia leben, die ihre islamische Kultur sehr traditionell, fast reaktionär hier leben wollen, und niemand soll sich einmischen. Und da dürfen wir das jetzt nicht mit diesem einen Satz – gibt es so was wie Vererbung, gibt es so was wie, dass man Intellekt vererbt oder nicht –, das darf man nicht alles miteinander vermischen.
Führer: Nein, aber Herr Sarrazin vermischt es miteinander. Es gibt ja zum Beispiel den Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, der nun auch das, was Sie kritisiert, auch kritisiert, und trotzdem wird er ja nicht so angegangen wir Herr Sarrazin.
Kelek: Ja, weil das ist ein absolutes Tabuthema. In Deutschland …
Führer: Das glaube ich nicht…
Kelek: … über Gene zu sprechen, ob …
Führer: Ach so, ja, das ist ein Tabuthema, in der Tat.
Kelek: … ob man … Und was ich aber erfahren habe, ist, dass die Wissenschaft schon lange sich da beharkt. Ich glaube auch nicht daran, dass man Intellektualität oder überhaupt Intellekt vererben kann, aber auf der anderen Seite heißt es ja nicht, dass wir alle gleich sind. Irgendetwas habe ich von meiner Mutter oder Vater ja auch, im Volksmund redet man ja ganz oft, dieses musikalische Talent habe ich von meinem Großvater. Also so was gibt es, und die Wissenschaftler sollen sich darüber den Kopf halt sich verzerren oder was weiß ich, aber es ist auch nicht mein Thema.
Führer: Das war die Sozialwissenschaftlerin und Publizistin Necla Kelek zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Danke Ihnen schön, Frau Kelek!
Kelek: Ich danke Ihnen!