"Da ist noch einiges an Handlungsbedarf"

Klaus Hubacek im Gespräch mit Katrin Heise |
Chinas CO2-Emissionen könnten um 20 Prozent höher liegen als bisher angenommen, so eine neue Studie. Daher müssten die Klimamodelle überarbeitet werden, sagt Klaus Hubacek, ökologischer Ökonom an der Universität Maryland. Satellitendaten seien zum Beispiel ein zusätzliches Instrument.
Katrin Heise: Die Warnungen, dass wir, was den Klimawandel angeht, nicht mehr fünf vor zwölf haben, sondern schon später, diese Warnungen sind nicht zu überhören. Internationale Abkommen zum Klimaschutz, voran zur Einsparung des Treibhausgases CO2 sind trotz dieser Warnungen nur sehr schwer zu erreichen, geschweige denn umzusetzen.

Eine Studie, kürzlich im Magazin "Nature Climate Change" veröffentlicht, gibt wieder Anlass zur Sorge. Chinas CO2-Emissionen könnten um 20 Prozent höher liegen als ursprünglich angenommen. China produziert etwa ein Viertel der weltweiten Treibhausgase.

Klaus Hubacek war an der Studie von Anfang an beteiligt. Er ist ökologischer Ökonom am Institut für Geografie der Universität Maryland. Herr Hubacek, ich grüße Sie ganz herzlich!

Klaus Hubacek: Grüß Sie auch!

Heise: Sie haben also herausgefunden, dass Chinas CO2-Emissionen um 20 Prozent höher liegen könnten als ursprünglich angenommen. Wie kamen Sie zu dieser Differenz?

Hubacek: Ja, wir haben uns die offiziellen Datensätze in China angeschaut, und zwar die vom chinesischen statistischen Büro, vom Zentralamt, sowie auch die regionalen Statistiken von den 30 Provinzen. Und man sollte annehmen können, dass, wenn man die Zahlen von den Provinzen einfach zusammenzählt, dann sollte das Gleiche herauskommen wie eben in dem zentralen, nationalen statistischen Büro.

Und dem war aber leider nicht so. Wir haben eben herausgefunden, dass die Provinzstatistik um ungefähr 20 Prozent höhere CO2-Werte ausweist wie die nationalen. Und die Differenz ist zirka so hoch wie die jährlichen Gesamtemissionen Japans oder der Emissionen des gesamten afrikanischen Kontinents. Also keine Kleinigkeit.

Heise: Ja, das heißt also, sehr erheblich. Haben Sie nachfragen können, was diese Differenz zu bedeuten hat, wie es zu so unterschiedlichen Zahlen kommt?

Hubacek: Ja, das weiß leider keiner. Es gibt verschiedene Spekulationen. Und zwar, die Provinzen haben einen Anreiz, politische Vorgaben zu erfüllen, zum Beispiel müssen sie ökonomische Wachstumsraten vorweisen können. Und die Energieraten werden dann so hinkonstruiert oft, um mit den ökonomischen Wachstumsraten Hand in Hand zu gehen.

Und dadurch sind die Provinzdaten oft höher als die Zentraldaten. Aber um wie viel, welches Ausmaß das ausmacht, weiß man da leider nicht. Es ist auch so, dass die energiestatistischen Daten für kleinere Firmen nicht erhoben werden. Zum Beispiel viele Kohlenminen wurden zugesperrt und dann illegalerweise wieder aufgesperrt. Und man weiß nicht, wie viele Kohlenminen jetzt in Betrieb sind und wie viele kleine Firmen da Kohle verbrennen und so weiter, und dadurch weiß man nicht, wie groß der Fehler in Wirklichkeit ist.

Heise: China produziert weltweit etwa ein Viertel der Treibhausgase. Wie stark könnten also die Zahlen, die Sie jetzt da neu erhoben haben oder die ja da eventuell dann stimmen, wie stark könnten diese Zahlen die globalen Zahlen, was Treibhausgasausstoß anbetrifft, verzerren?

Hubacek: Ja, das ist schwer zu sagen. Also wir haben uns wirklich nur die Zahlen angeschaut, die jetzt wirklich publiziert werden von den chinesischen Büros und haben eben diese 20 Prozent gefunden. Manche sagen, die sind noch zu gering, dieser Unterschied, da zum Beispiel die Umwandlung. Wir haben uns Energiedaten angeschaut, und es gibt diese Umwandlungskoeffizienten, die Energie in Treibhausgase umrechnen, und die sind auch unterschiedlich von Region zu Region. Und da gibt es auch eine zusätzliche Unsicherheit, die überhaupt nicht berücksichtigt wird, zum Beispiel.

Heise: Was bedeutet denn eigentlich eine solche Unsicherheit, von der Sie da sprechen, für die Berechnung des Klimawandels?

Hubacek: Ja, das Problem ist natürlich, die die Wissenschaftsgemeinde hat, ist, dass sie nicht weiß, was jetzt die wirklichen Daten sind und wie sie die Modelle zu kalibrieren haben. Und das Problem ist auch so, dass es nicht nur in China wahrscheinlich der Fall ist, sondern dass andere schnell wachsende Entwicklungsländer wie eben Brasilien und Indien auch sehr ähnliche Probleme haben könnten. Nur hat sich das da eben noch niemand angeschaut. Also das heißt, die Unsicherheit könnte auch noch in anderen Ländern der Fall sein. Also ziemlich sicher sogar.

Heise: Klaus Hubacek von der Universität in Maryland hat an einer Studie zu Chinas CO2-Ausstoß mitgewirkt. Herr Hubacek, das, was Sie eben sagen, das klingt, als sei China nur die Spitze des Eisberges?

Hubacek: Ja, das könnte durchaus so sein. Also, man müsste sich das jetzt in China noch genauer anschauen. Wir machen das bereits mit chinesischen Kollegen, dass wir eben die Koeffizienten uns anschauen. Die Energiedaten auch probieren zu verifizieren, zum Beispiel Angebot und Nachfrage anzuschauen, also die Nachfrage an Energienachfragestatistiken sind viel höher als die Energieangebotsstatistiken, und da müssen wir schauen, welche eben die genaueren sind oder Satellitendaten verwenden, um zu schauen, wie groß jetzt der Fehler wirklich ist.

Heise: Würden Sie denn so weit gehen, zu sagen, dass durch diese Datenunsicherheiten eigentlich das ganze Klimamodell hinfällig ist?

Hubacek: Nein, ganz sicher nicht. Also es wäre natürlich toll zu wissen, was jetzt die genauen Daten sind, aber ich glaube, die Datenlage wird von Jahr zu Jahr und die Klimamodelle werden natürlich genauer und genauer. Also ich würde nicht sagen, dass das hinfällig ist. Es ist halt nur - die Fehlerrate ist ein bisschen weiter, als sie sein müsste.

Heise: Wenn ich mir das so anhöre, und dass alles eben unsicher ist oder auch fehlerhaft ist, frage ich mich: Diese Zahlen, Treibhausgasausstoß, wird ja auch benutzt, um beispielsweise den Emissionshandel zu berechnen. Durch den soll der CO2-Ausstoß weltweit ja mit einem Preis sozusagen belegt werden und Verschmutzung also real bezahlt werden, dadurch dann reduziert werden. Was bedeuten diese eventuell falschen Zahlen für den Emissionshandel?

Hubacek: Ja, China möchte ja im nächsten Jahr auch sein Zertifikatsystem einführen. Und das in sieben Provinzen ausprobieren. Das Problem ist natürlich, wenn die Basisdaten nicht stimmen, dann weiß man nicht, wie viel Verbesserung jetzt wirklich erreicht worden ist. Also man müsste schauen, dass man die Basisdaten erst einmal richtig hinbekommt. Und dann irgendeine Ausgangssituation nehmen, von der man die Verbesserungen dann wegrechnen kann. Aber ohne einen Basisdatensatz ist das natürlich schwierig. Das soll jetzt natürlich nicht heißen, dass man gar nichts machen soll und einfach warten, aber es ist halt ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor.

Heise: Man fragt sich ja, welche Emissionszahlen die Länder denn überhaupt bei den internationalen Abkommen angeben. In Deutschland gibt es ja dafür die Emissions- und Handelsstelle, die ist zuständig. Das Ganze ist durch ein Gesetz geregelt. Die Industrie ist zur Messung verpflichtet. Das ist in einigen anderen Ländern ebenso. Aber kann theoretisch jedes Land seine eigene Form wählen, welche Zahl es angibt? Ist das überhaupt nicht kontrollierbar?

Hubacek: Oh ja, das wird, schauen Sie, die UN hat spezifische Vorgaben für alle Länder. Und die Länder liefern auch Energiedaten jährlich ab. Also im Falle Chinas keine CO2-Daten, aber Energiedaten. Und es werden auch die Umrechnungsfaktoren vorgegeben. Aber die Daten sind oft, wie im Fall Chinas, nicht spezifisch genug.

Also, es wird nur Gesamtkohle angegeben, aber nicht, wie viel jetzt Braunkohle ist oder Schwarzkohle und welche Qualitäten und all diese Faktoren, die natürlich sehr, sehr wichtig wären, um das wirklich ausrechnen zu können. Also ich glaube, die Vorgaben, die da zentral vorgegeben werden, müssten besser sein, um das wirklich einwandfrei zu berechnen.

Heise: Gäbe es denn eine Möglichkeit, wie man Daten genauer erheben kann?

Hubacek: Ja, ja, natürlich. Ich glaube, dass einfach die Vorgaben da überarbeitet werden müssen und ein bisschen genauer sein, und auch in China ist einiges zu machen. Also es ist nicht nur so, die Vorgaben jetzt international, sondern innerhalb Chinas ist es ja so, dass das zentralstatistische Büro Vorgaben an die Regionen weitergibt. Und die müssten dann natürlich besser verfolgt werden und auch das Personal bereitgestellt werden und so weiter. Also es ist eine Ressourcenfrage natürlich auch.

Heise: Also einerseits könnte ich mir vorstellen, dass die Daten genauer erhoben werden können, indem man sie vielleicht einfach besser kontrolliert. Oder Sie sagen, dass man genauere Vorgaben gibt, welche Daten überhaupt erhoben werden müssen. Kann man solche Daten aber auch genauer erheben, indem man beispielsweise von außen guckt. Also über Satelliten beobachtet, welche Energie überhaupt verbraucht wird.

Hubacek: Ja, also Satellitendaten sind sicher ein zusätzliches Instrument. Was man nicht so genau sagen kann, ist, wie viel CO2 jetzt in der Luft ist. Aber man kann die jährliche Veränderung recht gut feststellen. Und das wurde ja schon in der Vergangenheit verwendet, und so ist man auch darauf gekommen, dass zum Beispiel vor fünf Jahren, wie die chinesische Regierung so auf die ineffizienten Kohle- und anderen Kraftwerke eingewirkt hat und viele zugesperrt hat, also wirklich Hunderte, wenn nicht Tausende sogar zugesperrt hatte - konnte man eben feststellen, dass viele davon wieder illegalerweise weiter geführt wurden. Und das wurde eben über Satellitendaten herausgefunden.

Heise: Warum werden dann nicht die Satellitendaten eingeführt?

Hubacek: Ja, ich glaube, das sollte zusätzlich passieren. Also ich, mir sind also ganz wenige Studien nur bekannt, wo das wirklich gemacht worden ist. Ich glaube, da ist noch einiges an Handlungsbedarf.

Heise: Wird das zum Beispiel ein Thema sein auf der Klimakonferenz diese Woche in Rio? Also einfach die Daten genauer zu machen, zum Beispiel per Satellitendaten?

Hubacek: Könnte sein. Also mir ist nicht aufgefallen, dass das jetzt im Programm steht, aber es wird sicher auch immer ein bisschen mitdiskutiert.

Heise: Wie groß ist die Diskussion da denn. Der Handlungsbedarf scheint mir ja doch ein großer zu sein.

Hubacek: Ja. Wie viel jetzt da tatsächlich diskutiert wird, weiß ich nicht. Im Hinblick auf Daten und die Qualität. Ich merke auch bei meinen chinesischen Kollegen, es ist eine sehr brisante Frage, und da ist einiges an Vorsicht. Man traut sich nicht wirklich zu sagen, wie groß der Fehler jetzt ist. Und ich glaube, da ist einiges an Handlungsbedarf.

Heise: Klaus Hubacek, ökologischer Ökonom an der Universität Maryland und an einer Studie beteiligt, die die chinesischen CO2-Emissionszahlen in Zweifel zieht. Dankeschön, Herr Hubacek!

Hubacek: Bitte, gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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