"Da kann man Pickel bekommen!"

Moderation: Christine Watty |
Die Geheimdienste überwachen sogar verschlüsselte Mails, und was fällt der deutschen Regierung dazu ein? Herzlich wenig, meint padeluun vom Verein Digitalcourage. Er kritisiert Versäumnisse der Politik und ruft zur Demo "Freiheit statt Angst" am Samstag in Berlin auf.
Christine Watty: Wie auf einem Silbertablett serviert wird den Organisatoren der Großdemo "Freiheit statt Angst" morgen ein Grund nach dem nächsten, sich gegen Überwachung zu engagieren. Die neue Folge aus den Geheimarchiven der NSA betrifft das Knacken von verschlüsselter Kommunikation im Internet. Ich begrüße am Telefon padeluun vom Verein Digitalcourage. Schönen guten Tag!

padeluun: Schonen guten Tag, Frau Watty!

Watty: Wie schätzen Sie denn diese neue Nachricht ein? Unsere Korrespondentin hat den Beitrag beschlossen mit den Worten: Keine Privatheit und keine Sicherheit im Internet. Sehen Sie das ebenso?

padeluun: Ja, ich sehe, dass wir hier jetzt ganz verifiziert sozusagen den Boden unter den Füßen weggezogen bekommen haben. Geahnt haben Leute, die sich mit der Technik beschäftigen, das natürlich schon ganz lange, teilweise auch gewusst. Natürlich sind Geheimdienste dabei ganz vorne dabei, und versuchen, Verschlüsselungssoftware zu knacken. Allerdings heißt das nun nicht, dass sämtliche Verschlüsselung jetzt obsolet ist, weil die eigentlichen Algorithmen, die die Verschlüsselung machen – zumindest die, die öffentlich bekannt sind, die immer wieder von Wissenschaftlern versucht werden zu knacken, es gibt nämlich eigentlich die Sicherheit, dass immer wieder Wissenschaftler versuchen, die eigenen Algorithmen oder bekannte Algorithmen zu brechen –, die sind in der Regel nicht beschädigt, sondern funktionieren nach wie vor.

Was wohl schwieriger ist, ist halt, dass die Implementation, also das Programm, was ich dann benutze, um diese Verschlüsselung anzuwenden, da ist wohl in ganz vieler Software irgendein Haken dran. Leider auch so, dass man nicht mehr nur sagen kann, alles, was Sie kaufen und Ihnen als hundertprozentige Sicherheit verkauft wird, ist schlecht.

Watty: Ja.

padeluun: Nun, das war immer das, was wir früher sagten, sondern nehmen Sie Verfahren, die öffentlich und Open Source sind. Wir wissen aber mittlerweile durch Recherchen, dass schon sehr lange Geheimdienste zum Beispiel über die Firma In-Q-Tel, die eine Ausgründung der CIA ist, sich in Firmen einkaufen, die entsprechende Sachen herstellen. Also auch bei Google war einer der ersten Geldgeber die Firma In-Q-Tel, bei Facebook gibt es Connections, das haben wir schon vor mehreren Jahren bei den Big Brother Awards herausgearbeitet. Es ist nicht überraschend, es ist ein großes Problem, und an diesem muss ernsthaft gearbeitet werden.

Watty: Sie sagen, technische Kenner, Insider sind also nicht überrascht, Leute, die sich mit der ganzen Thematik auseinandersetzen, wer allerdings auch nicht überrascht ist, ist die Bundesregierung. Heute fand eine Pressekonferenz statt, und da sagte der Vize-Regierungssprecher Georg Streiter Folgendes:

Georg Streiter: Also mal vorweg gesagt, wenn man hier und da mal eine Computerzeitschrift liest, wird man feststellen, dass dieser Verdacht nicht neu ist. Und Sie können davon ausgehen, dass die Bundesregierung auch diesen Dingen nachgeht, aber zunächst mal ist sie da ja auch nicht gefragt.

Watty: Georg Streiter also klingt so ein bisschen schulterzuckend, wenn man eine Computerzeitschrift schon mal gelesen hat, dann hätte man das eigentlich auch schon alles wissen können. padeluun vom Verein Digitalcourage, wie sehen Sie das? Muss man da nicht jetzt an dieser Stelle tatsächlich auch eingreifen, selbst wenn man schon gewusst hat, dass es technisch zumindest möglich ist?

padeluun: Wenn man dem stellvertretenden Regierungssprecher zuhört, dann kann man schon ein bisschen Pickel bekommen. Gerade nachdem die Bundesregierung gesagt hat, ist doch alles kein Problem, und meine E-Mails werden ja nicht abgehört, sagt Frau Merkel – was eben nicht stimmt, und ich frage mich auch, wer denn für Frau Merkel die Presse auswertet, wenn sie bis dato immer gesagt hat, da gibt es kein Problem, oder Herr Pofalla gesagt hat, da gibt es kein Problem.

Das ist sicherlich ein großes Problem, dass sich Abgeordnete und auch die Regierung nicht wirklich mit den Themen, die sie immer so als Netzthemen abtun, beschäftigen, selbst in drei Jahren Enquete-Kommission ist es den Politikern, die sich mit Netz und digitaler Ausbreitung, also der von Netzen, beschäftigt haben, nicht gelungen, ihre eigenen Parteikollegen von der Wichtigkeit und der ressortübergreifenden Dringlichkeit dieser Sache zu überzeugen.

Da wird weiterhin einfach nur Kleinklein gemacht. Es gibt ein paar Netzpolitiker, die so was gesehen haben – ich muss mich auch selber tadeln, dass ich in der Enquete-Kommission, weil mich immer alle so komisch angeguckt haben, wenn ich das Wort Geheimdienste in den Mund genommen habe, ich nicht hart genug war, um das immer wieder auf den Tisch zu legen, das Thema. Da ist sehr, sehr, sehr viel versäumt worden, und ich glaube, jetzt ist wirklich der Zeitpunkt, zu sagen, okay, wir haben da, weil wir dran geglaubt haben, dass wir da mal Informationen kriegen, die wichtig sein könnten, haben wir da halt mitgemacht, haben die Verträge, die es ja seit Adenauer gibt, immer weiter ausgebaut, zum Teil in Gesetze gegossen, wir haben so was wie die Vorratsdatenspeicherung durchgezogen – was ja auch nichts anderes ist als geheimdienstliche Mittel auf die gesamte Bevölkerung anzusetzen. Und ich glaube, hier ist jetzt wirklich der Punkt, wo man sagt, weg mit der Vorratsdatenspeicherung, Auflösung dieser Verträge und Abkommen, internationale, dass eben nicht mehr mit geheimdienstlichen Mitteln gearbeitet wird.

Watty: Jetzt haben Sie so schön gesagt, sie können sich selber tadeln. Und wir können natürlich auch die Politik gemeinsam schimpfen. Was ist aber eigentlich mit den Bürgern los? Für morgen ruft ein Bündnis zur Demo auf, Freiheit statt Angst, diese Demonstration findet schon seit 2006 statt, hat eben in diesem Jahr eigentlich – dürfte keine Schwierigkeiten haben, Leute dazu zu bekommen, mit zu demonstrieren, bisher waren aber diese Proteste so übersichtlich, dass man im Moment noch gar nicht davon ausgehen kann, dass morgen Berlin aus allen Nähten platzt. Glauben Sie, dass es morgen anders wird, dass doch noch Leute auf die Straße zu locken sind, um sich gegen all diese Enthüllungen, gegen die Überwachung zu wehren?

padeluun: In Berlin laufen gleichzeitig viele große Veranstaltungen. Ich hoffe, dass es auf jeden Fall 10.000 plus Leute werden, die zusammenkommen, aber eigentlich ist wirklich jetzt angesagt, dass jede Bürgerin und jeder Bürger morgen um 13 Uhr zum Alexanderplatz kommt, auf die Alexanderstraße sich stellt, dass die geflutet wird. Es gibt sehr viele Leute, die sagen, man kann doch nichts tun, und Demonstrationen bringen nichts. Doch, ich kann ganz klar sagen, wenn jetzt eine kritische Masse zusammenkommt, dann werden wir etwas bewirken, dann werden wir nämlich genau den Politikern, die das auch alles unmöglich finden, was da gerade läuft, den Rücken stärken, dass sie mit an den Kanzlerinnentisch kommen und befragt werden, und dass dann eine Strategie ausgearbeitet wird, eventuell erst in der nächsten Legislaturperiode, wie wir das alles zurückbauen, wie wir uns schützen, wie wir unser Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnik so ausstatten, dass es auch in offenen Strukturen Hacker einlädt, Codes sich anzuschauen, die aus der Open Source kommen, und dass dann endlich Implementationen erarbeitet werden, die hinreichend sicher sind und von allen Menschen verwendet werden können.

Watty: Aber ist nicht vielleicht auch das Problem an dieser Protestmüdigkeit, dass keiner so genau weiß, wo denn die Bewegung ist, der man sich so wirklich anschließen kann? Morgen rufen 80 Institutionen zu dieser Demonstration auf, ganz, ganz gemischte Leute: Pink Stinks, Stoppt die E-Card, die katholische Junge Gemeinde, natürlich Digitalcourage, die Digitale Gesellschaft – ich will niemandem absprechen, dass er nicht gegen diese Überwachung ist, allerdings kennt man es auch aus anderen Netzdemos, dass es dann immer ein sehr bunter Haufen ist, und es wird für sehr vieles Demonstriert in diesem Zusammenhang. Fehlt nicht vielleicht auch die große Bewegung, der man sich wirklich anschließen kann, und hätte da nicht mehr passieren müssen in den letzten Jahren?

padeluun: Ein Vorteil der Netze ist, dass man sich nicht irgendwo fest anschließen muss, sondern dass man dann Standup aufruft. Dazu gehört natürlich, dass man das auch klug macht, es reicht nicht, einfach nur eine Twitter-Nachricht abzusetzen, kommt morgen da hin, das klappt in Deutschland nicht. Wir sind ja in Deutschland auch noch relativ, fühlen uns ja relativ sicher durch unseren Rechtsstaat. Wir haben ja nicht so große Befürchtungen wie in lateinamerikanischen Ländern oder vielleicht in russischen Ländern oder auch in einigen EU-Ländern, wo man wirklich Angst haben muss, mit einer Kugel im Kopf irgendwo aufzuwachen, wenn man was Falsches geschrieben hat, aber diese Angst kommt tatsächlich näher.

Ich merke, wie den Leuten wirklich der Boden unter den Füßen weggleitet, wie sie Angst haben, wie sie Paranoia entwickeln, und wir adressieren auch nicht an die Netzbewegung. Wir adressieren an die ganz normalen Bürgerinnen und Bürger, an die Mitte der Gesellschaft, weil die sind betroffen. Was mich wundert, ist, dass die Industrie, die Wirtschaft noch nicht laut aufjault, weil das sind die eigentlichen Angriffspartner. Es geht um Industriespionage, es geht um Geld. Es geht nicht um die Nachricht, die Tante Martha versendet, außer Tante Martha ist vielleicht ganz gut, um jemanden anderen in der Industrie zu erpressen. Also das muss man sich einfach klar machen, wir sind alle in Gefahr, auch nur dadurch, dass wir andere Leute vielleicht in Gefahr bringen könnten, und ich denke, wir sollten noch mal wirklich deutlich überlegen, ob wir wirklich Medien wie Facebook und ähnliche verwenden wollen, in denen der Geheimdienst so tief drinsitzt, dass man ihnen sämtliche Informationen über Verbindungen von Menschen quasi frei Haus liefert.

Watty: Danke schön an padeluun vom Verein Digitalcourage, der die Demonstration morgen "Freiheit statt Angst" ab 13 Uhr auf dem Alexanderplatz mitorganisiert. Und da gleich noch ein Programmhinweis von unserer Seite zum Thema: Morgen hier im "Radiofeuilleton" ab 9 Uhr gibt es zwei Stunden gerne mit Ihrer Beteiligung noch mal zu diesem Thema: "Wie können wir das Netz als Lebensraum verteidigen?" lautet unsere Überschrift morgen mit Johnny Haeusler, dem Journalisten und Blogger, und Professor Doktor Thomas Hören, Professor für Informations- und Medienrecht an der Uni Münster. Das also morgen hier im Deutschlandradio Kultur. Und ich bedanke mich noch mal bei padeluun für dieses Gespräch!

padeluun: Vielen Dank, Ihnen auch! Tschüss!

Watty: Tschüss!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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