"Da werden althergebrachte Geschäftsmodelle radikal in Frage gestellt"

Elisabeth Ruge im Gespräch mit Katrin Heise |
Nach Ansicht von Elisabeth Ruge, Verlegerin beim Berlin Verlag, wird die zunehmende Nutzung von elektronischen Lesegeräten die Verlagsbranche radikal verändern. Es könne sein, dass Verleger in der Zukunft ihr Geld mit etwas verdienen müssten, das eben nicht mehr der Inhalt sei, sagte Ruge anlässlich des 10. Welttags des geistigen Eigentums.
Katrin Heise: Seit Jahrzehnten wird an der digitalen Alternative zum klassischen Buch ja schon gearbeitet, doch die Revolution, die immer wieder angekündigt wurde, ist bisher noch nicht so richtig eingetreten. Dank verbesserter Lesegeräte soll der Durchbruch aber nun endlich gelingen und wenn man sich an Ostersamstag erinnert, da wurde das iPad - schnöde ausgedrückt, das elektronische Lesegerät von Apple – auf den Markt gegeben und gleich in der ersten Verkaufswoche hunderttausendfach in den USA verkauft. Es gibt auch noch andere E-Books, zum Beispiel den Kindle, bei amazon jubelt man angeblich auch über Gewinne.

Fünf bis zehn Prozent des gesamten Umsatzes der Branche in den USA, haben wir gehört, und in Deutschland tragen E-Books bisher weniger als ein Prozent zum Buchumsatz bei. Das ist also eigentlich noch ein Nischenmarkt, aber das wird ja wahrscheinlich nicht so bleiben. Am Telefon begrüße ich jetzt Elisabeth Ruge, Mitgründerin des Berlin Verlages. Schönen guten Morgen, Frau Ruge!

Elisabeth Ruge: Guten Morgen!

Heise: Mit welcher Entwicklung auf dem Markt der E-Books rechnen Sie?

Ruge: Also ich glaube, dass sich die Entwicklung schon beschleunigen wird. Ich glaube nicht, dass wir sozusagen sintflutartig überrascht werden, und wir beschäftigen uns ja wie alle Verlage, alle deutschsprachigen Verlage, auch schon eine Weile mit E-Books. Aber dass der Konsum von E-Books zunehmen wird, das steht außer Frage.

Heise: Vor wenigen Wochen haben Sie den Berlin Academic oder Berlin Akademik Verlag gegründet, das ist ein Wissenschaftsverlag, mit dem Sie den elektronischen Markt testen. Wie tun Sie das?

Ruge: Ja also ich würde nicht sagen, dass wir den elektronischen Markt testen. Das wäre vielleicht ein wenig frivol und das wäre dann auch ein wenig kostspielig, wenn man gleich einen ganzen Verlag gründet, um ein wenig zu testen.

Aber Sie haben schon recht, dass wir da das ein oder andere versuchen können, was vielleicht auch relevant sein könnte für unseren Publikumsverlag. Das, was uns interessiert an Berlin Acadamic ist a) jetzt rein inhaltlich gesehen, dass wir unser Programm organisch ergänzen können. Wir haben ja eine ganze Reihe von großen Sachbuchautoren wie beispielsweise Richard Sennet, die auch akademisch unterwegs sind, die viele akademische Texte veröffentlichen, die sie bis jetzt nicht bei uns veröffentlichen konnten.
Da erweitern wir unser Programm und geben unseren Autoren einfach andere Möglichkeiten inhaltlich gesehen. Aber was mich persönlich sehr interessiert hat, war die Frage, die einer der berühmtesten Blogger der Zeit aufgeworfen hat, nämlich Cory Doctorow: Wie geht man mit Inhalten elektronisch um, also was erwartet der Konsument?

Und in einem Worst-Case-Szenario könnte man sagen, der Konsument erwartet zunehmend die Inhalte unentgeltlich im Netz. Und wenn wir das mal ganz radikal in die Zukunft projizieren, könnte es ja sein, dass wir plötzlich als Verleger dastehen und unser Geld verdienen müssen mit etwa, was eben nicht der Inhalt ist. Und das ist dann eben doch ein ganz anderes Geschäftsmodell.

Teilweise ist diese Entwicklung ja auch schon sichtbar im akademischen Bereich, wo auch gerade Wissenschaftler, die vor allem eine große Sichtbarkeit wollen im Netz und vor allem eine große Wahrnehmung in der akademischen Gemeinde, gar nicht so sehr interessiert sind, dass die Inhalte bezahlt werden, sondern eben unter Open-Access-Modellen, das heißt also zugänglich für jedermann, unentgeltlich ihre Texte ins Netz stellen wollen und von den Verlagen ja etwas ganz anderes erwarten, als dass sie Inhalte verkaufen.

Heise: Wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, dann sehen Sie diesen Bereich eben, wo der Nutzer kostenlos die Texte zur Verfügung hat, a) als Entwicklung und b) auch nicht unbedingt als Gefahr, sondern als Ergänzung. Das heißt, Sie haben jetzt in diesem neuen Verlag das Modell schon mal ausprobiert.

Ruge: Also wir sind dabei, ein Geschäftsmodell zu bauen. Das ist sehr kompliziert, also das bedeutet für die Verleger eine große Flexibilität, weil sie ja erst mal auf das verzichten, was bisher die Quelle ihres Umsatzes war. Und da muss man sich dann natürlich überlegen, womit verdiene ich eigentlich mein Geld?

Natürlich ist das eine Gefahr einerseits, klar. Also da werden althergebrachte Geschäftsmodelle radikal infrage gestellt – jetzt noch nicht in diesem Moment, aber ich denke, das ist schon eine Herausforderung der Zukunft, in den Medien, in den Printmedien kann man das ja jetzt schon sehr lebhaft erleben.

Aber ich denke, wenn die Welt sich verändert, dann hat es keinen Sinn, die Augen zuzumachen und sich davonspülen zu lassen, sondern man sollte sich überlegen, wie kann ich damit umgehen. Und ich glaube eben, dass Verlage in der Zukunft eine wirklich große Rolle spielen, also im akademischen Bereich, in diesem Open-Access-Bereich, ist es zum Beispiel so, dass eine strenge Qualitätskontrolle, das was man im akademischen Bereich Peer-Review nennt, immer noch eine Sache ist, die von den Verlagen organisiert wird.

Und letztlich werden die Verlage im Netz überleben, die nach außen hin das garantieren können, die also nicht einfach alles veröffentlichen, was ihnen da vor die Tür gespült wird, sondern wirklich sagen, wir investieren in ein Peer-Review, wir sichern die Qualität und verdienen unser Geld vielleicht mit Dienstleistungen, die wir dem Leser und auch dem Autor zukommen lassen.

Heise: Heute ist der Welttag des geistigen Eigentums, ich spreche mit der Verlegerin Elisabeth Ruge über den Umgang mit elektronischen Lesemöglichkeiten. Frau Ruge, kommen wir auch mal zu den demjenigen, der den Inhalt geschaffen hat, nämlich dem Autor; größere Öffentlichkeit, mehr elektronische Leser bedeutet ja nicht unbedingt mehr Geld für den Autor – was steht jetzt eigentlich in Ihren Verträgen mit den Autoren drin betreffs der elektronischen Nutzung dieses geistigen Eigentums?

Ruge: Also im Moment steht da nicht radikal Anderes drin als bisher in den Autorenverträgen. Sie sind einfach ergänzt um einen E-Book-Paragrafen sozusagen, aber das ist jetzt momentan gar nicht so anders als das, was wir seinerzeit eingetragen haben, als Hörbücher erfunden wurden.

Ich glaube aber, dass uns da schon eine größere Strecke des Überlegens bevorsteht; die Autoren wollen ja oftmals ins Netz - also wiederum würde ich sagen, dass das im akademischen Bereich intensiver spürbar ist - die wollen diese Möglichkeiten ausnutzen, einfach auf einfacherem, direkterem Wege ein größeres Publikum zu erreichen.

Heise: Das heißt im Moment sind%e angegeben, in denen also ...

Ruge: Ja, sind%e angegeben. Ich glaube, das Wichtigere jetzt auch in diesem Zusammenhang ist, wie man das geistige Eigentum im Netz schützt, und da hat es ja eine Bewegung gegeben, eine Art ja angepassteres Copyright zu schaffen, nämlich unter der Bezeichnung creative commons: Wie kann ich einen Text ins Netz stellen und ihn zitierbar machen?

Akademische Autoren wollen auch zitiert werden, also die wollen, dass also nicht nur kleine Sätze, sondern wirklich auch größere Teile ihres Werkes zitiert werden und ihren Eingang finden in andere akademische Werke – das geht ja gar nicht unter dem jetzigen Copyright, da würde man sich sozusagen strafbar machen.

Und da hat es eine Reihe von Lizenzen gegeben, die erfunden worden sind unter dem Begriff creative commons, die eine kommerzielle und nichtkommerzielle andersartige Nutzung im Netz möglich machen. Das sind die Fragen der Zukunft. Es geht auch um den Entgelt natürlich, aber es geht auch um weitaus diffizilere Sachen noch.

Heise: Und Sie sprechen jetzt von kommerziell und nichtkommerziell - man kann ja auch von legal und illegal sprechen, wir haben die Raubkopien in unserem Beitrag ja schon angesprochen: Dan Browns letztes Werk hat es bewiesen, da waren die Raubkopien vor dem offiziellen E-Book auf dem Markt. Davor, wie sollen Sie sich davor schützen?

Ruge: Also ich halte nicht so furchtbar viel von rigiden Kopierschutzmaßnahmen, weil es sich immer gezeigt hat, dass jede noch so komplizierte Maßnahme da von irgendjemandem geknackt werden kann. Also ich glaube, das kann nicht die Lösung sein, und ich habe eigentlich auch keine Lust, als Verlag sozusagen so, ja wie im Grunde genommen so eine Art gehobenen Wachdienst zu leisten.

Ich glaube, man müsste vielleicht versuchen, intelligent und reizvoll dieses elektronische Medium zu nutzen um zum Beispiel den Inhalten, die man elektronisch verkauft in Form eines E-Books in den verschiedenen Formaten, zu ergänzen um Dinge, die eben nur im elektronischen Bereich angeboten werden können, zusätzliche Materialien; das kann also auch immer reicher werden, was man da anbieten kann, von Video-Audio-Geschichten bis hin zu Interviews, zu Möglichkeiten, mit dem Autor zu chatten und so weiter.

Und das Teil des Paketes zu machen, das man für Geld anbietet, und diese Dinge sind dann eben tatsächlich nur innerhalb dieses Paketes für den Leser nutzbar und konsumierbar, und dann werden vielleicht doch einige sagen, ach dafür zahle ich dann auch gerne. Ich glaube, das ist eher der Weg.

Heise: Ich bedanke mich recht herzlich bei Elisabeth Ruge, Mitgründerin des Berlin Verlages, ihre Versuche und Einstellungen dem E-Book gegenüber, dem elektronischen Markt gegenüber. Frau Ruge, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Ruge: Ja, wünsche ich Ihnen auch, danke!