Luftige Gärten für gesundes Stadtklima
Auf Dächern und Fassaden in Berlin blüht es zurzeit: Denn immer mehr Gebäuden werden begrünt. In der Großstadt, deren Bewohner unter Feinstaub- und Hitzebelastungen leiden, verspricht das frische Grün Linderung.
Im Schritttempo quält sich der Verkehr über die Straßen rund um den Alexanderplatz. Zwischen kahlen Fassaden von Shoppingcentern und Wohnblöcken wabern Abgase. Kaum ein Baum spendet Schatten.
In einer Nebenstraße geht Ines Fischer an einem Bürogebäude entlang. Auf dem Gehweg grünt es aus Betonkübeln.
"Farne, Gräser, dann gibt es hier Gundermann und Storchschnabel."
Ein Botanik-Check im Vorbeigehen, von Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin Fischer.
"So, und jetzt kommen wir rein in das Empfangsgebäude der WBM. Wir sind schon angemeldet."
"Mehr Grün in die Stadt bringen", das ist Fischers Mission. Für den Umweltverband "Grüne Liga" berät sie Mieter, Vermieter und Unternehmen, unter anderem auch WBM, die Wohnungsbaugesellschaft Mitte. Durch die Empfangshalle geht es in den Hinterhof.
"Und jetzt sieht man, wo es hingeht: Hier sind Hochbeete aus Holz mit Gräsern und Lavendel, der jetzt bald blühen wird."
Drum herum ragen steil die Hausfassaden empor, schrumpfen den Himmel zu einem blauen Rechteck, wie eine Discokugel funkelt die Kuppel des Fernsehturms übers Dach.
"Der ganze Hof ist umschlossen von fünfgeschossigen Wohnhäuern und riesig hohen Brandwänden ohne Fenster. Die sind hier nicht grau und nur Beton, sondern die sind schön begrünt mit ganz verschiedenen Pflanzen."
Sorge vor Schäden im Mauerwerk
Clematis und Kletterhortensien wachsen kontrolliert an Seil- und Drahtkonstruktionen nach oben. Dahinter wuchert wild der Wein an der Brandmauer.
"Der sehr schnell wächst und auch so ein bisschen schwer zu handhaben ist, weil er gerne in Dachrinnen klettert und ins Dach hinauf, dann kommt man nicht mehr hinterher mit dem Schneiden."
"Verstopfte Dachrinnen", das ist nur eine Befürchtung, die Fischer immer wieder zu hören bekommt, wenn sie mit Hausbesitzern über Pflanzen für die Fassade spricht.
"Gerade bei der Fassadenbegrünung ist immer die Befürchtung, wir ziehen uns hier die Viecher ins Haus, die Spinnen klettern ins Fenster, die Ratten kommen."
Lächelnd schüttelt sie den Kopf: Eine Spinne kann schon mal hochklettern, eine Ratte wird es kaum schaffen. Eine weitere Befürchtung:
"Dass die Kletterpflanzen den Putz zerstören, Risse vergrößern und direkt in die Wohnung vielleicht sogar reinwachsen. Stimmt auch alles nicht. Eine Pflanze wächst immer zur Sonne und zum Wasser. Und die will gar nicht ins Mauerwerk, wenn da nicht irgendwo ein Wasserschaden ist."
Pflanzenteppich auf Schafwollmatten
Nur bei frisch gedämmten Gebäuden ist die Begrünung im Nachhinein kompliziert, sagt sie. Die Verankerungen der Kletterhilfen im Mauerwerk wirken da als Wärmebrücken, außerdem kann Wasser in die Dämmplatten eindringen.
"Das Dach was wir jetzt angucken, das beinhaltet Schafwolle als Trägermedium."
Auf dem Gelände der Humboldt Uni steigt Susanne Herfort den Biologen aufs Dach.
Herfort arbeitet für das Institut für Agrar- und stadtökologische Projekte - und hat mit ihren Kollegen die Schafwollmatten als Vegetationsträger entwickelt. Pflanzen werden darauf angezogen, die Matten dann nur noch auf dem Dach ausgerollt.
"Das sind alles Sedumpflanzen. Im Moment sehen wir hier eine gelbe Blüte. Wenn Sie in zwei Wochen kommen, dann blüht Sedum Album, also: Es ist ein buntes Dach zu jeder Jahreszeit."
Ein dichter grüner Teppich bedeckt das große Flachdach. Herfort nickt zufrieden.
zehn Millionen Quadratmeter Dachfläche werden hierzulande pro Jahr begrünt, Tendenz steigend. Die positiven Auswirkungen auf das städtische Mikroklima hat ihr Institut erst kürzlich wieder dokumentiert. Die Pflanzen reduzieren bei Regenfällen die Abwasserlast, gleichzeitig neutralisieren sie Kohlendioxid. Und nicht nur das:
"Genauso Feinstaubbindung: Ein Dach kann bis zu 200 Gramm pro Quadratmeter Staub binden. Also das ist schon enorm."
Mittlerweile sehen immer mehr Bebauungspläne Dachbegrünungen vor, sagt Herfort: als Ausgleichsmaßnahmen für Flächenversiegelungen. Grüne Welle für die Dach-Pflanzen-Freunde. Allerdings:
"Da sollte schon vorher der Architekt mit einbezogen werden in die Dachbegrünung. Und wenn dann eine Intensiv-Dachbegrünung geplant ist und auf dem Dach fehlen die Wasseranschlüsse, dann ist das fatal. Alle müssen an einen Tisch und müssen überlegen, was soll dabei rauskommen."
Pflanzenschutzmittel in Bitumenbahnen
Damit es am Ende keine bösen Überraschungen gibt, die für ökologische Probleme sorgen. Ein solcher Fall beschäftigt derzeit Umwelt- Bau-, und Wasserbehörden. Rüdiger Wolter kümmert sich seit fast 30 Jahren beim Umweltbundesamt um den Schutz des Grund- und Oberflächenwassers.
"Das hatte ich dann auch gehört, bei Fassadenbegrünung. Man sammelt das Regewasser, damit man das verwenden kann. Und dann wächst da nichts mehr."
Regenwasser vom Dach als Wachstumsbremse. Die Fachleute staunten. Bis sie das Wasser analysierten und dort einen alten Bekannten entdeckten. Den Unkrautvernichter Mecoprop, der eigentlich in der Landwirtschaft eingesetzt wird.
"Aber wie er auf einmal im Dachablaufwasser auftreten konnte, war mir zunächst nicht klar."
Denn das Mittel war Bestandteil eines Baustoffs. Es kam aus Bitumenbahnen, die auf vielen Dächern eingesetzt werden.
"Und es gibt Bitumenbahnen, da wird geworben mit dem Zitat ‚durchwurzelungsfest‘. Und mir war auch nicht bekannt, dass da Mecoprop drin ist, als Substanz, die verhindert, dass das durchwurzelt wird. Und das diese Stoffe aber auch ausgewaschen werden, kontinuierlich."
Ein Pflanzenkiller im Dachwasser. Die Verwendung von Mecoprop in Dachbahnen sei weder gekennzeichnet, noch die Auswaschbarkeit deklariert, klagte dann auch im Februar die "Kommission nachhaltiges Bauen" beim Umweltbundesamt. Die Schädigung von Fassadenbegrünungen und Gartenpflanzen sei daher für Bauherren häufig eine Überraschung.
Kiwi am Bürogebäude
Im Hinterhof, um die Ecke vom Alexanderplatz, fachsimpelt Ines Fischer mit einer WBM-Angestellten, die gerade Zigarettenpause macht. Eine Gartengruppe kümmert sich in der Freizeit um die Pflanzen. Denn ohne Pflege geht es nicht - weder auf dem Dach noch auf dem Hof. Fischer mustert die neueste Kletterpflanze, die an einer Drahtkonstruktion nach oben rankt.
"Eine Kiwi. Es gibt verschiedene Sorten. Es gibt große Sorten und dann die bayerische Kiwi. Die ist tatsächlich in Bayern gezüchtet worden. Und die hat so stachelbeergroße Früchte."
Bayerische Kiwi an Berliner Fassaden - für ein besseres Klima.