Dachböden als Schatzkammern
Alleine in Franken gibt es 40 Orte, an denen "Genisa-Funde" gemacht wurden - Gegenstände, die aus religiösen Gründen nicht weggeworfen werden durften und deshalb in Synagogen aufbewahrt wurden. Ein Projekt erforscht die alten Objekte.
"Wir sind jetzt in einem Lagerraum des Jüdischen Museums von Veitshöchheim. Hier befinden sich etwa 70 Umzugskartons, die alle gefüllt sind mit Material der Genisa Reckendorf. Na gut, da gehen wir jetzt mal zu einem dieser Kartons. Ich greif da jetzt mal einen raus, zum Beispiel den hier, den öffnen wir - und was wir sehen, sind Reste alter Bücher."
Anders aber als diese von Denkmalpflegern aussortierten Relikte aus der Synagoge des fränkischen Ortes Reckendorf sind manche Funde auch hinter Vitrinen im Jüdischen Kulturmuseum von Veitshöchheim zu sehen. Dessen Leiterin Martina Edelmann deutet auf zusammengeknüllte Papierfetzen, angeschmuddelte Blätter und Buchfragmente, an denen sichtlich der Zahn der Zeit genagt hat. Trotz ihres schlechten Erhaltungszustandes werden sie immer wieder auch in Wanderausstellungen gezeigt: als rare Objekte, die aus einer "Schatzkammer" stammen. Zumindest ist dies die Bedeutung des persisch-hebräischen Begriffes "Genisa".
"Eine Genisa ist ein Ort, an dem Dinge abgelegt werden, die man aus bestimmten Gründen nicht vernichten darf. Das sind zum Beispiel religiöse Gründe. Es handelt sich um Texte, die in Hebräisch geschrieben sind, die einen Gottesnamen enthalten oder die vielleicht auch aus irgendwelchen anderen Gründen für den Besitzer von Bedeutung sind. Sodass man diese Dinge nicht wegwirft, nicht verbrennt, sondern an einer ganz bestimmten Stelle ablegt. Diese Ablage ist dann eben diese Genisa. Es finden sich einige Hinweise im Talmud, diesem Rechtswerk für jüdisches Leben, jüdische Kultur, Religion, denen man dann entnehmen kann, dass solche Dinge aufbewahrt werden sollen."
Vor allem auf Dachböden von fränkischen Synagogen wurden viele Genisa-Funde gemacht, die oft durch Mörtelreste, Staub und Mäusedreck verschmutzt waren: verblichene Kabbalaschriften und Psalmen ebenso wie zerfledderte Volksbibeln, Schnipsel von Gebetbüchern oder eine jahrhundertealte Abhandlung "Über die Pflichten der Frauen". Seit Jahren werden diese Gegenstände im Rahmen des sogenannten "Genisa-Projektes" genauer unter die Lupe genommen und erforscht, erläutert Martina Edelmann:
"Dieses Genisa-Projekt gibt es seit 1998 und es wurde gegründet, um alle fränkischen Genisa-Funde zu inventarisieren, zu sichten, in eine Datenbank einzugeben. Der Ausgangspunkt war der Genisa-Fund von Veitshöchheim, der wurde 1986 gemacht, als man hier die Synagoge renoviert hat. Der Veitshöchheimer Fund umfasste zunächst einmal zwei Müllcontainer, die vor der Synagoge standen, in die dann dieses Material geschmissen wurde. Damals allerdings noch in Unkenntnis der Tatsache, dass es sich um eine Genisa gehandelt hat. Wir haben hier in Veitshöchheim für die Museumsausstellung etwa 200 Stücke ausgewählt und inventarisiert im Rahmen des Genisa-Projektes sind zweieinhalbtausend Texte."
Doch was war der Grund dafür, dass gläubige Juden auch jiddische Erzählliteratur, Märchen, Sagen oder Fabeln aufhoben?
"Einmal die hebräischen Buchstaben, das sind ja die Buchstaben der Thora, zum anderen aber auch der Inhalt. Viele Inhalte dieser jiddischen Bücher sind eben religiöse Themen. Ganz bekanntes Beispiel sind die Zenne-Renne-Bücher. Diese Zenne-Renne-Bücher werden oft auch die 'Weiberbibeln' genannt. Es sind biblische Geschichten, Erzählungen, die aber in Jiddisch geschrieben sind, weil man meinte, diese jiddische Sprache kann auch von den Frauen gelesen werden."
Vergilbte Wand- und Taschenkalender wurden auf den Synagogen-Dachböden ebenso entdeckt wie Briefe, jüdische Zeitungen und sogar ein Beleg für eine Pockenschutzimpfung.
"Da haben wir eigentlich einen ganz großen Bestand an solchen Funden, solchen Texten. Es sind auch Einkaufszettel gefunden worden oder Quittungen. Warum das so ist? Das wissen wir nicht. Möglicherweise lagen diese Texte zwischen den Büchern, sodass man das vorher gar nicht mehr groß durchgesehen hat, ist da jetzt noch was drin. Vielleicht war man aber doch irgendwie der Meinung, es ist was Besonderes. Man hatte vielleicht Angst, da irgendwelche religiösen Vorschriften zu verletzen und hat dann auch diese Sachen abgelegt."
Weshalb unter den Genisa-Funden auch eine Strafarbeit aufgetaucht ist? Ausstellungsleiterin Martina Edelmann mit Erklärungsversuchen:
"Die ist in Deutsch geschrieben, aber da ist Gott genannt und das ist dann vielleicht schon wieder ein Grund, das nicht wegzuwerfen. Ich denke aber, dass es bei dieser Strafarbeit doch eher ein Sammelsurium eines Lehrers gewesen ist, der seine alten Bücher in die Genisa gebracht hat und diese Texte dann dabei gewesen sind."
In die Jahre gekommene Teffelin-Gebetsriemen, Reste von Thora-Wimpeln oder verdorrte Palmenwedel vom Laubhüttenfest sind weitere Schaustücke, die hinter Glas gezeigt werden. Alles Gegenstände, die man bei strenger Auslegung der religiösen Vorschriften eigentlich hätte bestatten müssen.
"Es hat sich sehr viel Material angesammelt. Die Friedhöfe hier sind in der Regel sehr weit außerhalb gewesen. Es war schon ein großer Aufwand, zu einem Friedhof zu kommen, sodass man dann die Synagogen-Dachböden als adäquaten Ort angesehen hat, um diese Texte dann dort für immer zu lagern, weil es unpraktikabel gewesen wäre, dieses viele Papier, diesen Wust an Material, dann auf dem Friedhof noch mal zu bestatten."
Eine gängige Praxis, stattdessen die Synagogen-Dachböden zu verwenden, wodurch die in Genisoth aufbewahrten Dinge die Zeiten überdauert haben. Auch heute, sagt Martina Edelmann, ist es in manchen jüdischen Gemeinden durchaus noch üblich, ausrangierte religiöse Literatur zu beerdigen:
"Wenn Sie jetzt in die Würzburger Kultusgemeinde zum Beispiel gehen, da gibt es einen Metallbehälter, in dem werden diese alten Gebetbücher abgelegt, die dann bestattet werden sollen. Und es gibt auf dem Israelitischen Friedhof in Würzburg einen Grabstein, auf dem eben 'Genisa' zu stehen ist, das heißt, der wird immer wieder geöffnet, um dieses Material dann da reinzutun."
Anders aber als diese von Denkmalpflegern aussortierten Relikte aus der Synagoge des fränkischen Ortes Reckendorf sind manche Funde auch hinter Vitrinen im Jüdischen Kulturmuseum von Veitshöchheim zu sehen. Dessen Leiterin Martina Edelmann deutet auf zusammengeknüllte Papierfetzen, angeschmuddelte Blätter und Buchfragmente, an denen sichtlich der Zahn der Zeit genagt hat. Trotz ihres schlechten Erhaltungszustandes werden sie immer wieder auch in Wanderausstellungen gezeigt: als rare Objekte, die aus einer "Schatzkammer" stammen. Zumindest ist dies die Bedeutung des persisch-hebräischen Begriffes "Genisa".
"Eine Genisa ist ein Ort, an dem Dinge abgelegt werden, die man aus bestimmten Gründen nicht vernichten darf. Das sind zum Beispiel religiöse Gründe. Es handelt sich um Texte, die in Hebräisch geschrieben sind, die einen Gottesnamen enthalten oder die vielleicht auch aus irgendwelchen anderen Gründen für den Besitzer von Bedeutung sind. Sodass man diese Dinge nicht wegwirft, nicht verbrennt, sondern an einer ganz bestimmten Stelle ablegt. Diese Ablage ist dann eben diese Genisa. Es finden sich einige Hinweise im Talmud, diesem Rechtswerk für jüdisches Leben, jüdische Kultur, Religion, denen man dann entnehmen kann, dass solche Dinge aufbewahrt werden sollen."
Vor allem auf Dachböden von fränkischen Synagogen wurden viele Genisa-Funde gemacht, die oft durch Mörtelreste, Staub und Mäusedreck verschmutzt waren: verblichene Kabbalaschriften und Psalmen ebenso wie zerfledderte Volksbibeln, Schnipsel von Gebetbüchern oder eine jahrhundertealte Abhandlung "Über die Pflichten der Frauen". Seit Jahren werden diese Gegenstände im Rahmen des sogenannten "Genisa-Projektes" genauer unter die Lupe genommen und erforscht, erläutert Martina Edelmann:
"Dieses Genisa-Projekt gibt es seit 1998 und es wurde gegründet, um alle fränkischen Genisa-Funde zu inventarisieren, zu sichten, in eine Datenbank einzugeben. Der Ausgangspunkt war der Genisa-Fund von Veitshöchheim, der wurde 1986 gemacht, als man hier die Synagoge renoviert hat. Der Veitshöchheimer Fund umfasste zunächst einmal zwei Müllcontainer, die vor der Synagoge standen, in die dann dieses Material geschmissen wurde. Damals allerdings noch in Unkenntnis der Tatsache, dass es sich um eine Genisa gehandelt hat. Wir haben hier in Veitshöchheim für die Museumsausstellung etwa 200 Stücke ausgewählt und inventarisiert im Rahmen des Genisa-Projektes sind zweieinhalbtausend Texte."
Doch was war der Grund dafür, dass gläubige Juden auch jiddische Erzählliteratur, Märchen, Sagen oder Fabeln aufhoben?
"Einmal die hebräischen Buchstaben, das sind ja die Buchstaben der Thora, zum anderen aber auch der Inhalt. Viele Inhalte dieser jiddischen Bücher sind eben religiöse Themen. Ganz bekanntes Beispiel sind die Zenne-Renne-Bücher. Diese Zenne-Renne-Bücher werden oft auch die 'Weiberbibeln' genannt. Es sind biblische Geschichten, Erzählungen, die aber in Jiddisch geschrieben sind, weil man meinte, diese jiddische Sprache kann auch von den Frauen gelesen werden."
Vergilbte Wand- und Taschenkalender wurden auf den Synagogen-Dachböden ebenso entdeckt wie Briefe, jüdische Zeitungen und sogar ein Beleg für eine Pockenschutzimpfung.
"Da haben wir eigentlich einen ganz großen Bestand an solchen Funden, solchen Texten. Es sind auch Einkaufszettel gefunden worden oder Quittungen. Warum das so ist? Das wissen wir nicht. Möglicherweise lagen diese Texte zwischen den Büchern, sodass man das vorher gar nicht mehr groß durchgesehen hat, ist da jetzt noch was drin. Vielleicht war man aber doch irgendwie der Meinung, es ist was Besonderes. Man hatte vielleicht Angst, da irgendwelche religiösen Vorschriften zu verletzen und hat dann auch diese Sachen abgelegt."
Weshalb unter den Genisa-Funden auch eine Strafarbeit aufgetaucht ist? Ausstellungsleiterin Martina Edelmann mit Erklärungsversuchen:
"Die ist in Deutsch geschrieben, aber da ist Gott genannt und das ist dann vielleicht schon wieder ein Grund, das nicht wegzuwerfen. Ich denke aber, dass es bei dieser Strafarbeit doch eher ein Sammelsurium eines Lehrers gewesen ist, der seine alten Bücher in die Genisa gebracht hat und diese Texte dann dabei gewesen sind."
In die Jahre gekommene Teffelin-Gebetsriemen, Reste von Thora-Wimpeln oder verdorrte Palmenwedel vom Laubhüttenfest sind weitere Schaustücke, die hinter Glas gezeigt werden. Alles Gegenstände, die man bei strenger Auslegung der religiösen Vorschriften eigentlich hätte bestatten müssen.
"Es hat sich sehr viel Material angesammelt. Die Friedhöfe hier sind in der Regel sehr weit außerhalb gewesen. Es war schon ein großer Aufwand, zu einem Friedhof zu kommen, sodass man dann die Synagogen-Dachböden als adäquaten Ort angesehen hat, um diese Texte dann dort für immer zu lagern, weil es unpraktikabel gewesen wäre, dieses viele Papier, diesen Wust an Material, dann auf dem Friedhof noch mal zu bestatten."
Eine gängige Praxis, stattdessen die Synagogen-Dachböden zu verwenden, wodurch die in Genisoth aufbewahrten Dinge die Zeiten überdauert haben. Auch heute, sagt Martina Edelmann, ist es in manchen jüdischen Gemeinden durchaus noch üblich, ausrangierte religiöse Literatur zu beerdigen:
"Wenn Sie jetzt in die Würzburger Kultusgemeinde zum Beispiel gehen, da gibt es einen Metallbehälter, in dem werden diese alten Gebetbücher abgelegt, die dann bestattet werden sollen. Und es gibt auf dem Israelitischen Friedhof in Würzburg einen Grabstein, auf dem eben 'Genisa' zu stehen ist, das heißt, der wird immer wieder geöffnet, um dieses Material dann da reinzutun."