Dada-Deutschlandreise

"Der Ort, das Wort, jetzt sind wir dort"

Von Gerd Brendel |
Mit einem zeitgenössischen Dadaisten, dem in Berlin lebenden Istanbuler Künstler Özgur Erkök, reist unser Reporter Gerd Brendel zu verschiedenen historischen Dada-Orten in Deutschland. Und trifft dabei auf mehr als nur die Geister der Vergangenheit.
Erstes Kapitel: Mit Dada leben in B E R L I N
Berlin, Mitte Januar: Özgür Erkök steht auf der Bühne eines Berliner Clubs. Er springt hinter Keyboards und Synthesizern hin und her, die Augen schwarz geschminkt, in einem Kostüm zwischen Leder-Fetisch, Gorilla-Outfit und Blätterkleid. Elektronische Klanggewitter brausen über das Publikum, Erkök singt Satzfetzen ins Mikrofon. Dada-Lautgedichte treffen auf Punk.
Zum ersten Mal habe ich Özgür auf der Istanbul Biennale vor ein paar Jahren gesehen. Damals trat er mit seiner Istanbuler Performance-Gruppe Hazavuzu in einem Lasten-Aufzug auf, dessen Türen sich im Takt öffneten und schlossen. Seitdem ist das Kollektiv überall in Europa aufgetreten: Whitechapel Gallery in London, Biennale Lyon, Athen, Wien und immer wieder Istanbul. Seit drei Jahren wohnt er in Berlin. Was bedeutet Dada für diesen Künstler, der Dada so perfekt in die Gegenwart übersetzt?
"Ist nicht ein recipe. Ist eine Mentalität, aber nicht nur Theorie, sondern eine Praxis. Ist im Alltag, how you can live. It is a guideline to survive..."
Dada ist eine Überlebenshilfe, wenn Dinge vernünftig erscheinen. Aber überhaupt nicht vernünftig sind.
Mit Dada leben in W E I M A R
Weimar, auch Mitte Januar, Barkeeper Mitch raucht vor Schichtbeginn noch eine Zigarette
"Dada – ein bisschen crazy verrückt, gegen Krieg, sich in en ganzen Tag besaufen, wild rumschreien, wild rumtanzen... und das als Kunst auslegen."
Mitch arbeitet im C-Keller, einem ehemals illegalen Jugendclub in der Weimarer Altstadt. In der Galerie, zwei Stockwerke höher, bittet Michael von Hintzenstern zum dadaistischen Neujahrsempfang:
"In Zürich wurde der Mythos Dada begründet. Geburtsstätte war das Cabaret Voltaire, wo Hugo Ball und Emy Hennings am 5. Februar 1916 mit großem Erfolg den ersten Abend gestalteten."
Der studierte Kirchenmusiker von Hintzenstern ist in Weimar seit Jahren die Autorität in Sachen Dada.
"Erstmal 1980, da hab ich erstmalig die Ursonate aufgeführt, wobei ich im vierten Satz auch das Publikum in Sprechchören eingebunden habe. Da ist das dadaistische Feuer entfacht, das mich nie mehr los gelassen hat."
Die Dada-Künstlerin Hanna Höch kam aus Gotha
Seit fünf Jahren gehört von Hintzenstern zu den Organisatoren der Dada-Dekade, die mit Ausstellugen, Konzerten, Nonsens-Demonstrationen oder auch mit Hupkonzerten gegen Neonazis Dada-Kunst vor Ort betreibt.
(Sprechchor:) "Am Anfang war der Ort, dann kam das Wort, jetzt sind wir dort!"
Auch zum Dada-Neujahrsempfang hat Hintzenstern wieder ein neues Werk für seinen absurden Chor Weimar einstudiert. In ein paar Tagen fahren die Sängerinnen mit ihrem Dirigenten zur Dada-Jubiläums Feier nach Zürich und verfolgen so die historische Dada-Route quasi rückwärts. Denn nach dem Ersten Weltkreig nahm Dada von der Schweiz aus seinen Lauf und erreichte über Umwege auch die beschauliche Bauhaus-Stadt Weimar. Daran erinnert eine Vitrine in der Ausstellung:
"Hier haben wir die Seifenschale von Hanna Höch..."
"Die Journalisten" von Hannah Höch aus dem Jahr 1925.
"Die Journalisten" von Hannah Höch aus dem Jahr 1925.© dpa/picture alliance/Stephanie Pilick
Hanna Höch, die gemeinsam mit Roul Hausmann die Collage erfunden hat...
"...und Hanna Höch kommt ja aus Gotha..."
...und lebte später in Berlin, aber dazu später.
"Das ist die Fußpuder-Streudose von Kurt Schwitters, ist immer gern hierher gekommen, hat auch Aufführungen hier gemacht."
Auch dazu später.
Das Gift des neuen Geistes
"Das hier sind Handschuhe von Nelly von Doesburg, der Frau von Doesburg, einer bekannten Pianistin, sie wird auch genannt Nelly, das unentbehrliche dadaistische Musikinstrument Europas."
Sie und ihr Mann Theo von Doesburg hielten es von allen Dadaisten am längsten in Weimar aus, von 1921 bis 1923.
"Ich habe jeden Abend mit den Schülern gesprochen und das Gift des neuen Geistes verstreut."
In Weimar hielt Doesburg Kurse zur niederländischen "de Stijl"-Bewegung ab, die ähnlich wie das Bauhaus abstrakte Formen und Funktionalität vertrat. Doesburgs Interesse an einer neuen Kunst und gesellschaftlichen Reformen hinderte ihn nicht, Dada-Texte zu verfassen und im September 1922 einen gemeinsamen Kongress von Konstruktivisten und Dadaisten zu organisieren.
"Gegen Goethes Gebeine und die pittoreske Atmosphäre mit den Sirenen und Faunen, die viel zu schwere Füße haben."
Aus Zürich reiste Tristan Tzara an, aus Köln Hans Arp und aus Hannover Kurt Schwitters, tagsüber betrank man sich und am Abend veranstaltete man im "Fürstenhof", dem heutigen Hotel "Russischer Hof", eine Dada-Soiree.
(Özgür:) "Die Position des Tages: Spreizen Sie beide Beine auseinander, heben Sie den linken Arm und fassen Sie sich an der rechten Ohrmuschel, mit dem mittleren Zeh kitzeln Sie sich unter beiden Achselhöhlen, drehen Sie die Oberarme im Uhrzeigensinn und heben Sie das Gesäß rhythmisch in einem leichten Viervierteltakt (Stuhl kippt um)."
Keine gemeinsame Basis von Konstruktivisten und Dadaisten
Ein Jahr später hatten sich Doesburg und Martin Gropius so zerstritten, dass der Niederländer seinen Traum als Bauhauslehrer aufgab und schließlich mit seiner Frau nach Paris zog. Das geregelte Bauhaus-System mit seinen Werkstätten, Werk- und Formmeistern und Dada passten einfach nicht zusammen.
"Der radikalste Impuls ist derjenige einer radikalen Freiheitsbehauptung der Kunst. Die Kunst hat sich an überhaupt gar keine Regeln zu halten, noch nicht einmal an die Regel, Kunst zu machen."
Sagt der Kunsthistoriker Michael Lütthi von der Weimarer Bauhaus-Universität.
"Dada demonstriert, dass alles zum Mittel der Kunst werden kann, zum Werkzeug, zum Baukasten, ob es eine Schaufensterpuppe ist, oder ein Bismarckporträt, das man auf einen Ungetümsleib klebt."
Dass in Weimar 93 Jahre nach der Abreise der Doesburgs und 100 Jahre nach dem ersten Abend im Züricher Club Voltaire heute wieder gefeiert wird, liegt vielleicht auch an dem 40 Jahre währenden politischen System, das von vielen als zunehmend dadaistisch erlebt wurde.
Staats-Dada aus der DaDaR
"Die DDR führte gegen alle ihr auffälligen Personen ein geheimes Verfahren und nannte es einen operativen Vorgang."
Zum Beispiel von Gabriele Stötzer.
(von Hintzenstern:) "Sie ist Künstlerin, vielleicht auch bekannt, weil sie zu den fünf Frauen gehörte, die im Dezember 1989 die Staatssicherheit in Erfurt besetzt haben, da steckt in dieser Person eine Menge Protest-Potenzial, was ja im Rahmen des Dadaismus ganz wichtig ist."
Beim Neujahrsempfang trägt Stötzer, grauer Kurzhaarschnitt, Blumenkostüm ihre Stasi-Akte als Dada-Gedicht vor.
"In den 80er Jahren wurde das erweitert um Maßnahmen der Zerrrrrsetzung und Diszipliniiiiiierung..."
Weil sie gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestierte, wurde Stötzer 1977 zu einem Jahr Gefängnis wegen "Staatsverleumdung" verurteilt. Später wurde ihre unabhängige "Galerie im Flur" von der Stasi verboten.
"Das hat sich ja selbst ad absurdum geführt, das ist schon Dada von Anfang an. Dass man sich selber als Objekt sieht von Anfang an und sieht, das ist eine Figur. der das alles passiert."
Subversiver Bürgersinn
Auf den real-existierenden unfreiwilligen Staats-Dada reagierten Stötzer, von Hintzenstern und andere mit subversivem Dada-Unsinn und Bürgersinn. Als Stötzer mit den "Frauen für Veränderung" im Dezember 1989 in Erfurt die erste Stasi-Zentrale besetzte, war die Macht der Agenten gebrochen.
"Ich habe gelebt, ich kann mich nicht an Sie erinnern, Sie werden vergessen in die Geschichte eingehen und ich heute Abend ausgehen... (Applaus)"
(Erkök, Brendel:) "Die Droge des Tages: Hallo, hallo.. ich bräuchte mal was... was kann ich denn mal nehmen.. ja, okay, warte mal, ich muss checken, was da ist... einen Moment. Ah ja: Jetzt ganz tief einatmen... jetzt ausatmen... Soundeffekt."
Zweites Kapiel: Von Dada lernen in H A N N O V E R
Kurt-Schwitters-Gymnasium Hannover-Misburg, dritte Stunde. Die Kunstlehrerin Manuela Röthe hat zum Gespräch ihre besten Schüler und Schülerinnen versammelt. Diesmal ist auch Özgür Erkök auf der Suche nach dem Geist seines berühmten Kollegen von Berlin angereist. Im Treppenhaus wird die Biographie des Namenspatrons erzählt: Kurt Schwittters, geboren 1887 in Hannover, Maler, Dichter Werbegrafiker, vor den Nazis erst nach Norwegen, dann nach Großbritannien geflohen, wo Schwitters 1948 starb.
"Er hat auch den Merzbau gemacht und die Ursonate, er hat gemalt und geschrieben. So ein vielseitiger Mensch sollte für uns ein Vorbild sein.
Er hat für eine Collage einen Schnipsel ausgeschnitten von Commerzbank",
weiß Erik, 16, demnächst macht er Abitur,
"... und dieser Schnipsel war zufällig 'merz'. Und das hat ihn dazu gebracht seine Kunst "merz" zu benennen."
Quatsch gegen Quatsch
Warum den Merz-Künstler und seine Dada-Kollegen feiern?
"Ich glaube, weil die bei den Dada-Treffen ganz viel Quatsch gemacht haben",
meldet sich die 11-jährige Clara,
"um damit zu zeigen, was fürn Quatsch war der erste Weltkrieg."
Was gibt's heute für Quatsch?
"Viel Krieg, der nicht sein muss."
Quatsch gegen Quatsch. Überzeugender kann selbst der Kunsthistoriker Dada nicht erklären. Wie alle Schülerinnen und Schüler hat auch Clara in der 5. Klasse von der Schulleitung ein Mal- und Leseheft mit Schwitters' Texten bekommen.
Alltags-Dada in der Schule
"Ihr könnt euch vielleicht erinnern an einige Gedichte, findet ihr die albern? Findet ihr die interessant?"
... sekundiert Röthe, als ich wissen will, was Abiturienten heute mit dem Kunst-Unsinn anfangen können. Aber vielleicht ist das die falsche Frage für Menschen, die mitten in der Pubertät stecken und zum ersten Mal mit ernsten Fragen nach Beziehung, Sex, Zukunft, eigener Rolle und den Zumutungen der Erwachsenen-Welt beschäftigt sind. Ella fällt trotzdem etwas ein.
"Mir passiert das ziemlich oft, dass bei Aufgaben oder Notenbesprechungen von den Lehrern oft Sachen gesagt werden, die ich nicht verstehe. Wirres Zeug. Das sind dann auch so Momente."
An die sich die 17-jährige Ella vielleicht erinnert, wenn sie demnächst ihr Abiturszeugnis überreicht bekommt. In einer Mappe, auf der vorne eine Collage von Kurt Schwitters gedruckt ist und hinten Schwitters berühmtestes Gedicht:
"Anna Blume"
Wenn es schon schwer fällt von Dada zu lernen: Ein Dada-Merz-Lautgedicht kann am Kurt-Schwitters- Gymnasium fast jeder auswendig:
"Das i Gedicht von Kurt Schwitters: Lies rauf... runter rauf Pünktchen drauf"
"Machen Sie damit, was Sie wollen"
(Özgür:) "Das Rezept des Tages
Ein Löffel Marshmallows, 12 Gramm Bratwurst, 288 Gramm Gewürzgurken-Saft, eine Flasche Zucker, eine Schale Currypulver. Dann machen Sie damit, was Sie wollen."
Der Veranstaltungsraum im Erweiterungsbau des Sprengel Museums in Hannover
Der Veranstaltungsraum im Erweiterungsbau des Sprengel Museums in Hannover© dpa / pa / Hollemann
(Schulz:) "Was für mich Dada bedeutet, ist ja keine abgeschlossene kunstgeschichtliche Epoche, sondern es ist eine Geisteshaltung, eine Haltung zur Welt, die erst mal alles in Frage stellt und auch die Sprache untersucht und auch im Alltag experimentell unterwegs ist und immer neue Formen des Ausdrucks und und des Blicks auf die Welt sucht."
Isabel Schulz, Leiterin des Kurt-Schwitters-Archiv im Sprengel-Museum. Wir sind mit der Straßenbahn, die in Hannover Stadtbahn heißt, vom Vorort Misburg in die Innenstadt zum Museum am Kurt- Schwitters-Platz gefahren. Jetzt stehen wir im Nachbau eines der berühmtesten Installationen der Kunstgeschichte:
"Wir sind jetzt in der rekonstruierten Version des Merz-Baus, der ursprünglich in seinem Elternhaus stand, in der Waldhausenstraße 5 in Hannover. Das war damals der Stadtrand. Das war was völlig Einmaliges in der Kunstgeschichte: eine begehbare Skulptur, die gewachsen ist über Jahre, bis zu seiner Emigration 1937."
Das Merz-Prinzip: aus Prinzip unvollendet
Eine weiß gestrichene Konstruktion, ein bisschen wie eine Kulisse aus dem "Kabinett des Dr. Caligari" - und ein bisschen wie Erköks winzige Atelier-Wohnung in Istanbul.
"Es ist vor allem ne Holzkonstruktion, die Gips zusammenfügt, abgeschliffen, auch farbig angemalt hat. Dann gibt es so genannte Grotten. Hier sind es nur Fotografien, die das nur erahnen lassen. Aber die waren voller Dinge: die Lustmord Grotte, oder eine Goethe-Grotte oder eine Barbarossa-Grotte. Es kamen alle wichtigen deutschen historischen Persönlichkeiten vor. - "You did not have an Atatürk-Grotto?"
Nein, eine Atatürk-Grotte hatte Erkök nicht in seinem Istanbuler Atelier.
"Aus Prinzip unvollendet, und das ist ja das Prinzip Merz. Alles wird Teil einer großen Gesamtkunstwerkform. Das ist, das Künstler bis heute fasziniert."
"Anna Blume" auf türkisch
Özgür Erkök nickt und hat eine Idee.
"Vielleicht können wir zusammen ein Dada-Merz-Moment erleben. Wollen Sie? Diese Anna Blume, vielleicht können wir das zusammen lesen."
"Das soll dann ein Merz-Moment werden? Für mich nicht. Ich bin Kunsthistorikerin und keine Künstlerin oder Rezitatorin."
"Aber im Dada muss man keine Künstlerin sein! Es ist Dada: niemand ist Künstler, alle sind Künstler!"
"Da hab ich auch zuviel Respekt. Ich hab ja die Original-Aufnahme im Ohr."
(Schwitters:) "Anna Blume"
"Lesen Sie es mir auf türkisch!"
- (Özgür) türk..
Dada ernst in Hannover
Der ursprüngliche Merzbau wurde im Krieg zerstört. Und abgesehen vom Straßenschild vor dem Museum und einem Bodenrelief mit einem weiteren Gedicht Schwitters' über seine Heimatstadt Hannover in der Fußgängerzone taucht der Merz-Künstler im öffentlichen Straßenbild nicht auf. In dem Text liest Schwitters Hannover rückwärts: "re – abgekürzt rückwärts von nah" und macht daraus: Vorwärts nach weit".
Das heißt also: Hannover strebt vorwärts, und zwar ins Unermessliche.
An diesem Nachmittag in der Fußgängerzone streben allerdings nur die bunten Nana-Plastiken von Niki de Saint Phalle auf ihren Stummelbeinchen Richtung Hauptbahnhof. Was hat Erkök in Hannover über Dada gelernt?
"Eine Dinge ist: Straßenbahn in Hannover heißt Stadtbahn und die andere Dinge ist: Dada heißt in Hannover Merz. Es ist kein Humor, kein Quatsch.. man muss Respekt haben. So es ist nicht so einfach, Dada zu erleben in Hannover. In the School and the Museum you only see the ghost of the past... Geister der Vergangenheit."
(Özgür:) Noch mehr Rezept des Tages: RAUCHEN
Kapitel Drei: Von Dada LEBEN in B E R L I N
Genauer gesagt: Berlin-Heiligensee, weit weg vom Lützowufer im Zentrum, wo in den 20er-Jahren in einer Zwei-Zimmer-Galerie die erste Dada-Messe stattfand, weit weg von der Berlinischen Galerie mit ihrer Dada-Sammlung. Zwei der dort ausgestellten Arbeiten sind allerdings hier entstanden, am Stadtrand in einem efeuüberwucherten Gartenhaus, der letzten Adresse einer der wenigen Dadaistinnen: Hannah Höch.
"Wir waren Studenten 1974. Da hatten wir Vorlesungen über Dadaismus und Surrealismus. Da sind wir vor die Gartentür gegangen, meine Kommilitonin damals und da wars: Du klingelst. Nein, Du! und da haben wir uns nicht getraut zu klingeln. Da hatten wir zuviel Respekt. Da waren wir saublöd."
Ärgert sich Johannes Bauersachs bis heute. Seit 30 Jahren wohnt der Maler mit Frau und Tochter in Höchs ehemaligem Atelierhaus. So wie er damals als Student, stehen im Sommer immer wieder Interessierte vor seinem Gartentor um Höchs Atelier und ihre Pflanzen zu besichten.
Höch erhielt von den Nazis Malverbot
Die Künstlerin hatte sich in den 30er-Jahren hierher zurückgezogen, nachdem sie von den Nazis mit Arbeits- und Malverbot belegt worden war.
"Wir haben fünf Äpfelbäume, Pflaumen, Pfirsichbäume. Der Garten ist so ne Mischung aus Nutzgarten und Collage. Auch der Dada-Mensch muss von was leben!"
Selbst im Winter wirkt der Garten wie verzaubert: Bizarr gewachsene Buchsbäume, Hortensienalleen, Rosenspaliere zwischen Gemüse- und Kräuterbeeten. Hannah Höch gilt gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensgefährten Raoul Hausmann als Erfinderin der Fotocollage. Von ihrer Kunst leben konnte Hannah Höch allerdings erst sehr viel später, als ihr Werk Ende der 60er-Jahre wiederentdeckt wurde.
"Sie hat ihren Ruhm noch miterlebt. Das ist wichtig zu sagen. Sie wurde 1976 Professorin. Das war für sie ein Ritterschlag..."
... und sie...
"... hat als erste Frau überhaupt im Metropolitan Museum ausgestellt".
2000 Euro Gesamtbudget für Hazavuzuu
Das bedeutendste Museum, in das Özgür Erkok bis jetzt eingeladen wurde, war, im Herbst letzten Jahres, das Maxxi in Rom, das Nationalmuseum für die Kunst des 21. Jahrhunderts. Gemeinsam mit seinem Istanbuler Performance-Kollektiv Hazavuzuu eröffnete er eine Schau mit zeitgenössischer Kunst vom Bosporus .
Bis eine Woche vor Abflug stand das Budget immer noch nicht fest.
"Der Punkt ist, wenn du über das Geld nicht spricht, bezahlt niemand."
Am Ende zahlte das Museum zusätzlich zu den Flügen und dem Hotel:
"2000 Euro als Gesamtbudget für die ganze Gruppe, das war dann 300 Euro für jeden von uns."
Auch heute leben Dada-Künstler finanziell nicht unbedingt besser als ihre Vorgänger und Vorgängerinnen.
Dada als Leitfaden zum Überleben
Eine Woche nach dem Ausflug nach Hannover zieht auch Özgür in ein neues Atelier: Statt Nutzgarten Kreuzberger Bürgersteig und Hinterhof, aber dafür zum ersten Mal seit drei Jahren eine funktionierende Heizung und eine kleine Küche.
"Was ist Dada für mich? Ist nicht so einfach. Ist nicht ein Recipe. Ist im Alltag, how you can live. It is a guideline to survive."
Wenn man die Dinge nicht ernst nimmt, kann man eine Situation anders begreifen. An welchen Dada-Moment kann sich Özgür Erkök erinnern? Das war vor drei Jahren auf der Ausländerbehörde:
"Als ich diese Fiktionsbescheinung bekommen habe. 'Fiktionsbescheinigung'? Der Titel ist total außergewöhnlich, was ist dieses Wort Fiktion in diese Aufenthaltsdokumente, das passt nicht, mein Kopf nimmt das nicht."
Schöner scheitern mit Dada
Mittlerweile hat Özgür gelernt, trotz dadaistischer Bürokratie zu überleben, so wie er und Künstlerkollegen von Hazavuzu gelernt haben, auf dem Kunstmarkt zu bestehen mit seinen surrealen Mechanismen.
"Als wir herausgefunden haben, dass es gar nicht möglich ist, wirklich perfekt zu werden, haben wir uns an Dada erinnert und unsere Richtung komplett geändert.
How can we make better mistakes? Wie kann ich besser Fehler machen, wie kann ich besser scheitern?
Die Geschichte des Tages: Es waren einmal zwei Personen. Sagt der eine: Ich verstehe Dich! Hahaahaha!"
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