DADA = gaga

Von Tobi Müller |
Der schön ätzende Liedermacher Rainald Grebe will sich der Dada-Bewegung widmen. Er bietet aber nur getanzte Wikipedia-Artikel und Stammtisch-Witze über die Avantgarde oder die neue Bürgerlichkeit in Prenzlauer Berg.
Rainald Grebe, deutscher Liedermacher, macht nach einer Wahlkampfshow vor einem Jahr wieder einen Theaterabend, als Fernsehshow konzipiert. Man merkt aber rasch, dass Grebe gar keinen Fernseher mehr hat, wie er gesteht. Es geht um DADA. Zumindest immer wieder. Es gibt einen zappeligen russischen Lautpoeten aus Berlin-Weißensee, es gibt an der Premiere Thomas Quasthoff, der das berühmte Stück aus Stille von John Cage aufführt ("4:33"), es gibt einige szenisch aufbereitete Wikipedia-Artikel zur historischen Dada-Bewegung, ein bisschen Videoclips und einen Showstuhl in der Form des berühmten Urinals, mit dem Marcel Duchamp berühmt wurde. Und es gibt die Golden Gorkis, die Seniorentruppe des Theaters, die mit viel Engagement das Publikum durchsetzen, dazwischenrufen und auch einmal eine Lautsonate aufführen. Und ja, es gibt auch Rainald Grebe, der sich als Regisseur und Performer über ganz vieles aufregt, was schon Millionen vor ihm aufgeregt hat. Man weiß dann besser, wo man lachen muss. Souverän am Abend ist einzig, dass Grebe seinen Gästen und vor allem den Schauspielern eine lange Leine lässt für allerlei Parodien. Aber was das mit DADA zu tun hat?

Der Narr war mal eine Figur, die alles auf den Kopf stellen durfte, selbst das Gefüge der Macht. Karneval als Verkehrung der Welt, als gespielte Triebabfuhr der Unteren gegen die Oberen. So hatte es Michail Bachtin einst anhand des Mittelalters auch für spätere Zeiten herausgearbeitet. Jetzt darf man mal sagen, was man schon immer mal wollte, ha! Allerdings ändert diese Umkehrung auf Zeit nichts an der Hierarchie, sie bestätigt sie vielmehr. Die intellektuellen Künstler, im Exil Gestrandete, die 1916 in Zürich DADA ausgerufen hatten, sie alle wussten das. Sie wollten keine bloßen Narren sein, die der Macht mit lustigen Parodien eine lange Nase drehten. Vielmehr griffen die Dadaisten das Kunstsystem selbst an: Lautpoesie, futuristische Kostüme aus Pappe, jenseits einzelner Genres und oft bar jeden simpel kritisierbaren Sinns lief DADA Amok, auch gegen den Kulturbetrieb. Mit Folgen für sämtliche Avantgarden im Verlauf des 20. Jahrhunderts.

Man muss selbst in einer Kurzkritik über Rainald Grebes Dada-Abend im Berliner Maxim Gorki grundsätzlich werden, weil Grebe, der erfolgreiche und scheinbar furchtlose Lästerschwätzer und tolle deutsche Chansonnier, weil Grebe leider nicht zeigen kann, warum er einen Abend mit dem Titel "DADA Berlin" macht. Grebe zeigt sich vielmehr als Populist auf gehobenem Niveau, weil DADA an diesem Abend bald gleichbedeutend für alles steht, was ihm auf den Zeiger geht. DADA ist dann nur noch GAGA, dient ein bisschen zur Triebabfuhr mit so wichtigen Themen wie junge jammerige Singer/Songwriter wie Tim Bendzko, das Magazin "LandLust" oder, oha, Neo-Bürgerlichkeit im Prenzlauer Berg. Letzteres ist neben Sex und Flughafen in Berlin ein todsicherer Bringer in den Online-Kommentarspalten, das geht wirklich immer. Die Gegenwartskritik, die Grebe gar nicht erst aus DADA herleitet, außer dass alles irgendwie stulle ist und der Rest einen Dachschaden hat, diese Gegenwartskritik könnte man sich an jedem beliebigen Tresen anhören, vorzugsweise in selbigem Prenzlauer Berg, wo ein Gutteil der Berliner Grebe-Fans vermutlich wohnt.

Wohin das Antikunst-Verständnis von DADA geführt hat, oder wie das mit zeitgenössischen Diskursen über die Funktion der Kunst zusammenhängt? Egal. Oder vielleicht so: Grebe macht eine Stummfilm-Pantomime, wie er sich Kunstkenner an einer Vernissage vorstellt, hinten wird "Auguststraße" eingeblendet, die Berliner Galeriemeile. Das musste jetzt mal gesagt werden, puh, der Grebe, der darf das, der traut sich was. Wer ständig auf so genannte Spießer zeigt, das ist die Dialektik des Populismus, läuft Gefahr, selber einer zu werden.

Informationen des Maxim Gorki Theaters zu "DADA Berlin"
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