Radikal, vergessen, wiederentdeckt - die Künstlerinnen des Dada
Die Künstlerinnen des Dadaismus haben die Avantgarde des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt, viele wurden aber vergessen. Eine Ausstellung zeigt jetzt ihre Kunstwerke und beweist, dass sie oftmals radikaler als die Männer waren.
Kaum jemand kennt ihre Namen, dabei haben Künstlerinnen den Dadaismus, eine der subversivsten Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts, entscheidend geprägt. Während man die Namen von Sophie Taeuber-Arp, Hannah Höch und Emmy Ball-Hennings vielleicht schon einmal gehört hat, lässt sich das von Suzanne Duchamp, Marta Hegemann, Elsa von Freytag-Loringhoven oder Agnes Arntz kaum behaupten. Dabei waren auch sie in den Zentren der Bewegung wie Zürich, Berlin oder New York aktiv; experimentierten mit Bild, Schrift, Ton und Tanz.
Die Ausstellung "der die DADA" liegt im Trend: Museen stellen zunehmend den männlich dominierten Kunstkanon infrage und beginnen, den vergessenen, weiblichen Teil der Kunstgeschichte aufzuarbeiten.
Nach Ausstellungen unter anderem in Berlin, Hamburg und Dresden, die sich Künstlerinnen des 16. bis 19. Jahrhunderts widmeten, zeigt die Schau im Arp-Museum in Rolandseck nun Künstlerinnen der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wer also waren die Dada-Künstlerinnen, und was haben sie uns heute zu sagen?
Was ist Dadaismus?
„Dada ist wie eine Art Urknall in der Kunst“, sagt Julia Wallner, Kuratorin der Ausstellung und Direktorin des Arp-Museums. Die Kunstbewegung des Dadaismus, kurz Dada, reagiert mit Subversion und Anarchie auf die Schrecken des Ersten Weltkriegs, als sich die alten politischen Ordnungen auflösten. Er wird aber auch als Reaktion auf die Idee des Fortschritts mit seiner Rationalisierung des Lebens und der Arbeitsprozesse am Beginn des 20. Jahrhunderts gesehen.
Nach der Gründung 1916 im Züricher Avantgarde-Treffpunkt Cabaret Voltaire durch Hugo Ball, Emmy Hennings, Tristan Tzara, Marcel Janco und Hans Arp breiteten sich die Dada-Ideen nach Paris, Berlin, Köln und New York aus.
Von den klassischen Genres der Bildenden Kunst, Malerei und Skulptur, wollten die Dadaisten nichts wissen. Sie experimentierten lieber mit neuen Medien und Ausdrucksformen: Tanz, absurde Performances, Fotografie und Collagen, Objekte aus Müll und gefundenen Dingen.
Dada wurde damit zum Vorläufer des modernen Kunstbegriffs, nach dem Leben und Kunst eng miteinander verbunden sind, aber auch von Strömungen wie dem Surrealismus.
Welchen Anteil hatten die Dada-Frauen?
Zahlreiche Frauen waren an dieser progressivsten aller Kunstströmungen beteiligt, sagt Museumsdirektorin Julia Wallner. „Das wissen wir heute sehr genau.“ Emmy Hennings war Gründungsmitglied von Dada Zürich, genauso wie Hannah Höch in Berlin. Die Ausstellung im Arp-Museum zeigt aber auch die Werke von bisher wenig bis gar nicht bekannten Dada-Vertreterinnen.
Für Frauen war der Zugang zum Kunstbetrieb zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch stark eingeschränkt - erst ab 1919 durften sie ein reguläres Kunststudium an einer Kunst-Akademie aufnehmen. Dada mit seiner Absage an traditionelles Kunstschaffen und seinem subversiven anarchistischen Gestus gab ihnen die Möglichkeit, sich trotzdem einzubringen, öffnete Räume, sagt die Ausstellungskuratorin Julia Wallner.
Während es im traditionellen Kunstschaffen um die Idee der Meisterschaft ging, war hier das Dilettantische, das Experimentelle ausdrücklich erlaubt. Dabei gingen Künstlerinnen oft andere, experimentellere Wege als ihre Kollegen.
Moderner Kunstbegriff: Doch nicht von Duchamp?
Als krassestes Beispiel nennt Wallner die New Yorker Dadaistin Elsa von Freytag-Loringhoven, auch „Baroness“ genannt. Mit kahlrasiertem und rot lackiertem Schädel, bekleidet mit Büstenhaltern aus Tomatendosen, die gescheppert haben und einem Licht am Hintern, sodass sie flackerte wie eine Reklame, soll sie durch New York spaziert sein.
Umstritten ist die These, dass Freytag-Loringhoven sogar die eigentliche Schöpferin von Marcel Duchamps Werk „Fountain“ sein könnte, das als Schlüsselwerk der modernen Kunst und als erstes Readymade gilt, also als ein zum Kunstwerk umdefiniertes Alltagsobjekt. Duchamp, ebenfalls Dadaist, löste 1917 damit eine Debatte über den Kunstbegriff aus, als er ein industriell gefertigtes Urinal als Kunstwerk ausstellte.
Ein Dokumentarfilm über die „Baroness“ von der niederländischen Künstlerin Barbara Visser, der auch in der Ausstellung gezeigt wird, stützt die These, dass es Freytag-Loringhoven war, die das „Readymade“ erfunden hat.
Warum wurden die Dada-Frauen vergessen?
Wer hat was zuerst gedacht, getan und aufgeschrieben? Sobald es um die „Definitionsmacht der Geschichte“ geht, die erst im Rückblick entsteht, geraten Künstlerinnen ins Hintertreffen, sagt Kuratorin Julia Wallner.
Hannah Höch gehört zu den Gründerinnen der Berliner Dada-Bewegung. Ihre Collage „Der Schnitt mit dem Küchenmesser. Dada durch die letzte Weimarer Bierbach Kulturepoche“ gilt als zentrales Hauptwerk der Dada-Geschichte. Doch ihr damaliger Lebensgefährte Raoul Hausmann behauptete später, dass sie nicht Mitglied des Clubs gewesen sei, sagt Museumsdirektorin Julia Wallner. Damit habe er sie für viele Jahre aus der Kunstgeschichte ausgeschlossen.
Es liegt aber auch an den Kunstformen und Materialien, die im Dadaismus verwendet werden. Darstellungsformen wie etwa Performance, Gesang oder Tanz sind vergänglich, sofern sie nicht sorgfältig dokumentiert werden. Vieles im Dadaismus war improvisiert oder aus Materialien hergestellt, die nicht dafür gemacht sind, erhalten zu bleiben.
Kuratorin: Noch mehr Forschung nötig
Nicht zuletzt fehlen Werkkataloge, oder es sind ganze Werkgruppen verschollen, wie im Fall der Dada-Künstlerin Marta Hegemann aus Köln. Sie zählt zu den Wiederentdeckungen der Rolandsecker Ausstellung. Die Aquarelle der Grafikerin und Malerin haben eine sehr eigene Pastell-Ästhetik und verweisen mit ihren traumartigen Kompositionen schon auf den Surrealismus.
Ihr Werk habe lange unerkannt auf einem Dachboden gelegen, berichtet die Kuratorin. Sie hofft nun, dass die derzeitige Aufmerksamkeit für Frauen in der Kunstgeschichte nachhaltige Wirkung zeigt: „Es ist noch viel Forschungsarbeit notwendig.“
Das Spiel mit Geschlechterrollen
Die Dadaisten wollten nicht nur die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, sondern sogar die Auflösung der Geschlechterrollen.
Sowohl Frauen als auch Männer spielten mit Rollenzuschreibungen, etwa wenn Man Ray Elsa von Freytag-Loringhoven in maskuliner Kleidung fotografierte, oder wenn sich Marcel Duchamp von ihm mit Perücke und Collier als „Rrose Sélavy“ ablichten ließ. Die Ausstellung widmet dem Themenfeld Geschlecht, Rollenbilder und Sexualität einen Schwerpunkt.
Welchen Einfluss hatte Dada auf die Popkultur?
Zahlreiche deutsche Musiker sind Dada-begeistert, wie der Musiker Rocko Schamoni, der in einem Podcast davon erzählte, Campino von den Toten Hosen oder Farin Urlaub von den Ärzten, weiß Museumsdirektorin Julia Wallner. Dilettantismus, ein wichtiger Aspekt im Dada, gilt auch im Punk als zentral.
Die US-Musikerin Lady Gaga greift das Spiel mit Aneignungen auf, das im Dadaismus seinen Anfang nahm, wenn sie mit dem berühmten Urinal von Duchamp (oder doch Freytag-Loringhoven?) posiert. Eine Geste der Selbstermächtigung, sagt Julia Wallner.
Auch Jonathan Meese, Bildhauer und Bühnenbildner, sei geprägt von Punk, Anarchie und Dada. In der Ausstellung im Arp-Museum sind auch zeitgenössische Künstlerinnen vertreten, die den Dadaismus aufgreifen, wie Tocotronic-Frontmann Dirk von Lowtzow, der die zahlreichen Dada-Manifeste intoniert.
tha