Dadaistische Kunst

Literaturwürste und Kotelett-Gedichte

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Nicht in der Ausstellung, aber ein typischer Roth: Das "Karnickelköttelkarnickel" © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Rudolf Schmitz |
Würste aus gehäckselten Buchseiten, Fett und Darm, Rutschen für Rotkohl, absurde Poeme: Eine Ausstellung in Stuttgart stellt das literarische Schaffen des neodadaistischen Künstlers Dieter Roth aus.
Roth: "Sabina fliegt, die Tage vergehen, Hermann springt, ich falle. Praline hat eine Made im Zeh und weint darauf. Ich lalle."
Erst wenn man ihn lesen hört, kapiert man, was die Literatur für Dieter Roth bedeutete: Sie ist das Mantra seines chaotisch pedantischen Lebens, in ihr spiegeln sich die Unfälle und Abfälle seiner Existenz. Die Gedichte, die er ab 1966 verfasst, nennt er "Scheißgedichte", weil er jeder Kritik an ihrem literarischen Wert zuvorkommen will.
"Gesamtausgaben", die am Haken präsentiert werden
Mit ihrem Vortrag, zu sehen auf einem kleinen verschneiten Monitor, beginnt die Stuttgarter Ausstellung. Und blättert dann das literarische Universum dieses Universalkünstlers auf: die Konkrete Poesie der frühen 50er-Jahre, die unendliche Reihe der mit Zeichnungen kommentierten Tagebücher, die "Literaturwürste". Für sie weicht Dieter Roth Zeitschriften oder Bücher ein, zerhäckselt sie, würzt sie, gibt Fett hinzu und stopft sie in Naturdärme. So entstehen "Gesamtausgaben", die am Haken präsentiert werden – wie in der Metzgerei.
Ulrike Groos: "Er hat mit Sprache und mit seiner Kunst viele Bereiche an seine Grenzen geführt und ad absurdum geführt. Allein der Titel unserer Ausstellung 'Balle Balle Knalle' ist ja eine Verballhornung des sehr bekannten Kinderliedes 'Back, backe Kuchen', und wie er sich diesen Dingen nähert, wie er sie verdreht, wie er Motive aufgreift und zu etwas anderem führt, das ist ein ganz wesentlicher Zug seiner Arbeiten."
"Dort hat die Kotelette hingehauen"
500 Bücher hat Dieter Roth im Laufe seines Künstlerlebens produziert. Neben seinen Objektkästen, Zeichnungen, Grafiken, Materialcollagen. Einige ungewöhnliche Vorzugsausgaben werden in der üppig bestückten Ausstellung von Stuttgart präsentiert: 'Poeterei 3-4' zum Beispiel. 38 Seiten Buchdruck auf Stanniolbeutel, gefüllt mit Hammelkoteletts, Sauerkraut, Würstchen und Käse.
Roth:"Und dort das Leben hingehauen, geholfen, die Koteletten zu verdauen. Dort hat die Kotelette hingehauen und mir geholfen, die Kotelette nicht zu verdauen. Und dort hat das Leben hingehauen und mir geholfen, die Kotelette zu verdauen."
In seiner Literatur und Poesie lässt Dieter Roth einfach raus, was ihm tagtäglich durch den Kopf geht, "durch die Rübe rauscht", wie er sagt. Ein ähnliches Verfahren praktiziert er in seinen Materialbildern und Objektkästen: Er gießt flüssige Schokolade über Alltagsobjekte, er baut Rutschen für gehäckselten Rotkohl, er lässt genüsslich Käse- oder Salamischeiben zergehen und deklariert die bräunlich soßigen Ergebnisse als Landschaftsbilder.
Ein Herausforderung für Restauratoren
Groos: "Dieter Roth ist wie viele andere Künstler, die mit Lebensmitteln, mit Abfall gearbeitet haben, ne besondere Herausforderung für Restauratoren Es sind vergängliche Materialien, es sind Materialien, die natürlich auch Ungeziefer anziehen, die Gerüche entwickeln, es gibt mittlerweile Spezialisten unter den Restauratoren, die sich nur mit solchen Arbeiten beschäftigen."
Die Stuttgarter Ausstellung zeigt diese Geburt der Kunst aus dem Geist einer neodadaistischen Literatur. Höhepunkt der Schau ist eine Installation mit dem Titel "Große Tischruine", die das gesamte obere Stockwerk umfasst. Alles beginnt 1978 mit einem vollgerümpelten Ateliertisch. Bei jeder weiteren Ausstellungsstation kommen neue Gegenstände, Regale, Stellagen, Filmprojektoren, Materialbilder hinzu. Eine Installation, die das Wuchern des künstlerischen Kosmos zeigt, die krakenhafte Überforderung, die für den Alkoholfreund Dieter Roth zum Alltag wird. Das Kunstmuseum Stuttgart trägt seinen Teil zur Erweiterung dieser großen Tischruine bei: mit einem gut gefüllten Kühlschrank.
Unentwirrbare Vermengung von Kunst und Leben
Groos: "Wie gesagt: der Kühlschrank ist voll mit Bier Die leeren Bierflaschen werden hinterher Teil der Installation werden, und reisen dann wieder weiter. Dort läuft eine Kaffeemaschine, wo man sich bedienen und Kaffee trinken kann. Es ist jetzt nicht so dieses distanzierte Verhalten zu einem Kunstwerk, sondern man wird Teil dieser Installation als Besucher."
Ein fast schon beklemmendes Zeugnis der unentwirrbaren Vermengung von Kunst und Leben sind die Videoprotokolle, die Dieter Roth wenige Jahre vor seinem Tod im Jahr 1998 in seinen verschiedenen Wohnateliers aufzeichnet. Er lässt einfach eine fest installierte Kamera laufen, die dann seine Aktivitäten und Passivitäten filmt. Oft sitzt er einfach nur rum, trinkt, sinniert, grübelt, geht aus dem Zimmer, kommt wieder rein. Diese Videoinstallation mit mehr als hundert Monitoren bringt Dieter Roths heldenhaft absurden Kampf mit der Frage: "Wer bin ich eigentlich?" auf den Punkt. Und ist ein weiteres Glanzstück dieser überzeugenden Ausstellung.
Roth: "Ich weiß nicht, warum das so ist, ich weiß es nicht. Warum nicht? Ich weiß es nicht. Warum nicht? Ich weiß es nicht. Warum nicht? Ich weiß es nicht!"
Mehr zum Thema