Landwirtschaft und Klimaschutz
Dämmt, ist stabil und leicht: Der Rohrkolben kann als Baumterial verwendet werden. © picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck
Dämm- und Baumaterial aus dem Moor
06:34 Minuten
Moore binden CO2 und tragen damit entscheidend zum Klimaschutz bei. Doch wie lassen sich solche Flächen auch landwirtschaftlich nutzen? Forscher und Unternehmen haben einige Ideen: beispielsweise ein Tiny-House aus Moor-Pflanzen.
Eine Wiese am Stadtrand von Greifswald: Im Sommer weiden hier Rinder, der Boden hat eine auffallend dunkelbraune Farbe. Wer es nicht weiß, wird nicht merken, dass sich hier eines der zahlreichen Moore Mecklenburg-Vorpommerns befand. Von den 1,8 Millionen Hektar Moorfläche in Deutschland sind 98 Prozent entwässert. Einen Großteil davon nutzt heute die Landwirtschaft.
„Da wird dann hauptsächlich Fleisch produziert auf diesen Flächen“, sagt Agraringenieur Wendelin Wichtmann. „Das heißt, dass jedes Kilogramm Fleisch mit hohen Treibhausgasemissionen erkauft wird, was sicherlich langfristig nicht mehr begründbar sein kann.“ Wichtmann erforscht am Greifswalder Moor Centrum die Wiedervernässung von Mooren.
Landwirtschaft im Moor
Über ein Drittel der CO2-Emissionen in der Landwirtschaft entweicht entwässerten Moorböden, obwohl diese weniger als zehn Prozent der genutzten Fläche ausmachen. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, ist das Wiedervernässen laut Wichtmann unumgänglich. Doch die Landwirte stelle das vor ein Problem. „Mais im nassen Moor funktioniert nicht.“
Deswegen wird am Greifswalder Moor Centrum daran gearbeitet, den Landwirten eine Alternative zu bieten. „Wenn man Moore wiedervernässt, kann man Moore sich selbst überlassen – oder man kann sie weiterhin in Bewirtschaftung halten.“ Und da setze die Paludikultur an. „Das heißt, man setzt die Wasserstände so an, dass sie eine höchste Reduktion von Treibhausgasen ermöglichen, aber weiterhin trotzdem eine Bewirtschaftung ermöglichen.“ Paludikultur – gemeint ist die landwirtschaftliche Bewirtschaftung vernässter Flächen. Kurz: Landwirtschaft im Moor.
Rohrkolben als Dämmmaterial
Josephine Neubert leitet am Greifswalder Moor Centrum ein Projekt, das den Anbau von Rohrkolben erforscht. Mit großem maschinellem Aufwand vernässte ihr Team im Sommer 2019 eine acht Hektar große Fläche an der Teterower Peene. „Wir haben 2019 die Chance gehabt, von einem Polder von einem Landwirt bei Neukalen ein Stück Fläche uns abtrennen zu dürfen, den durften wir umgestalten, wiedervernässen.“
Neubert zeigt Fotos des Projektes. „Und zwar haben wir einen Graben verfüllt, neue Gräben eingelegt und hier in der entwässerten Landschaft, wie eine Insel, angelegt.“ Mit 80.000 Kubikmetern Wasser. Anschließend wurden Rohrkolbenpflanzen gesetzt. Nach 1,5 Jahren Wachstum stand diesen Winter die erste Ernte an.
Aus Rohrkolben lassen sich Dämmplatten für den Häuserbau pressen. „Die Blätter haben Luftkammern innendrin, die die Wärmedämmung geben. Wir haben eine Pflanze, die sehr stabil ist und ziemlich leicht, aber die starke Luftkammern hat und sich so super als Baumaterial eignet“, erklärt Neubert. Auch gehäckselt können die Rohrkolben zur Isolierung verwendet werden. Ein ökologischer Baustoff, dessen Anbau den Torfkörper des Moores erhält und so das Klima schützt.
Der Wasserstand ist entscheidend
Sein Anbau ist jedoch noch in der Erprobungsphase. „Die Probleme, die wir momentan haben, mit anderen Pflanzen, die wir eigentlich gar nicht haben wollen, kommen daher, dass wir im ersten Jahr Probleme hatten, den Wasserstand richtig einzustellen.“ Statt Dünger und Pestiziden ist im Moor die Regelung des Wasserstandes zentral. Hier Erfahrungen zu sammeln, ist eines der Ziele des Projektes.
Neben Rohrkolben lassen sich im Moor Schilf und Feuchtwiesengräser anbauen, beides kann als Dämmmaterial genutzt werden oder in Heizwerken energetisch verbrannt werden. In Hochmooren wächst Torfmoos, das den herkömmlichen Torf im Gartenbau ersetzen könnte. Auch Wasserbüffel und Schwarzerlen bieten eine Möglichkeit, einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Moor zu ziehen.
Ein Haus aus Moor-Materialien
Doch all diese Produkte stehen aktuell vor demselben Problem, sagt Agraringenieur Wichtmann: „Wir haben da ein bisschen das Henne-Ei-Problem. Produzieren wir erst ganz viel Biomasse in nassen Mooren und schauen dann, wie die Biomasse verwertet werden kann. Das funktioniert nicht. Die Abnahmeseite muss sich gleichzeitig entwickeln mit der Produktionsseite.“
Mit der Paludikultur muss sich in Deutschland ein neuer Wirtschaftszweig entwickeln. Einer, der hieran arbeitet, ist Torsten Galke. In einer luftigen Halle am Stadtrand von Greifswald, tüftelt er mit seiner Firma „Moor and more“ an Lösungen.
In Zusammenarbeit mit dem Greifswalder Moor Centrum hat er ein Tiny-House mit möglichst vielen Materialien aus dem Moor gebaut. „Wir haben hier ganz grob mit Schilf, Rohrkolben, Erle und Nasswiesengräser gearbeitet“, erzählt er. „Hier haben wir eine Dämmmatte. Sieht aus wie eine gewöhnliche Dämmmatte, wie man sie auch aus Steinwolle kennt. Kein reines Nasswiesenprodukt, aber geht auch.“
Schilf wird nach Deutschland importiert
Galke führt durch das transportierbare Haus in der Größe eines Baucontainers. Er zeigt auf die Schränke, zusammengebaut aus rötlichen und schwarzen Platten. Der Diamant des Hauses, wie er es nennt. „Die Platten, die werden nur aus Gras hergestellt, Nasswiesengras in dem Fall mit Schilf. Da ist kein Bindemittel drin, die binden nur aufgrund der Auffaserung, die damit gemacht wird.“ Er hofft, diese Methode bald marktreif machen zu können.
Zurzeit würden die Platten noch von Hand hergestellt, ein sehr aufwendiges Verfahren. „Da schafft man ein bis zwei solcher Platten, die ungefähr ein Quadratmeter groß sind, am Tag. Wir sind dabei, das zu automatisieren, und hoffen, dass wir nächstes Jahr so weit sind, dass wir unsere erste Pilotanlage hier in der Nähe von Greifswald aufbauen.“
Produkte aus dem Moor dürfen keine Nischenware sein. Wenn der Preis stimme, werde das Interesse da sein, ist sich Galke sicher. In der Tat: Bisher importiert Deutschland rund drei Viertel des hier verarbeiteten Schilfes aus China, der Ukraine und Rumänien.
EU-Agrarsubventionen für Rohrkolben und Schilf
Politisch scheint sich inzwischen etwas zu bewegen. Bisher erhielten Landwirte für Rohrkolben und Schilf keine direkten Agrarsubventionen der EU. Das könnte sich bald ändern. Bundesländer wie Brandenburg haben inzwischen Programme aufgelegt, die die Vernässung von großen Flächen finanziell fördern.
Vernässung im großen Maßstab – für Pioniere wie Torsten Galke ist das dringend nötig. „Darüber reden tun wir schon lange“, meint er. Jetzt fehle nur noch der letzte Schritt. „Der muss einfach gemacht werden. Damit wir die Moore nass kriegen, um die Klimaschutzziele von Paris einzuhalten. Damit wir endlich stoppen, dass da so viel CO2 aus diesen Flächen herauskommt.“