Dag Olav Hessen: "C – Die vielen Leben des Kohlenstoffs"
Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob und Karoline Hippe
Kommode Verlag, Zürich 2019
304 Seiten, 26 Euro
Mehr Moral im Kampf gegen den Klimawandel
06:04 Minuten
Um die Erderwärmung zu stoppen, fordert Dag Olav Hessen ein Ende des Wachstumsdenkens. Der eigene ökologische Fußabdruck sei auch eine Frage der Moral. Wie viel können wir selbst tatsächlich gegen den Klimawandel tun?
Es ist eine Geschichte, die Stoff für großes Theater bietet. Eine Geschichte von Gewinnen und Verlieren, von Leben und Tod. Und eine Geschichte, die nur einen Buchstaben braucht: C. Das chemische Symbol des Kohlenstoffs steht für das zentrale Element des Lebens, dem sich der norwegische Biologe Dag Olav Hessen widmet. Der Verlag verspricht eine Reise von Atom zu Planet "in fesselnder Prosa". Und der Forscher stellt gleich zu Beginn fest: "Die Zukunft des Planeten hängt von unserem Umgang mit Kohlenstoff ab."
Eine verhängnisvolle Affäre
Tatsächlich gelingt es Hessen, die vielen Leben des Elements abzubilden. Mengenmäßig betrachtet ist es ein Exot, denn nicht einmal fünf Promille der Masse im gesamten Universum sind Kohlenstoff. Trotzdem ist er der Stoff allen Lebens als zentraler Baustein von DNA, Fetten, Zuckern und Eiweißen. Doch Kohlenstoff neigt zu einer verhängnisvollen Affäre mit Sauerstoff und bildet Kohlendioxid.
Dessen Molekül ist eines der zentralen Treibhausgase, und Hessen geht ausführlich der Frage nach, wie und in welchen Mengen es entsteht. Akribisch hat er vorhandene Daten ausgewertet und zeigt, dass die Konzentration aus verschiedenen Gründen zugenommen hat. Aufgrund des höheren Energiehungers nach Kohle, Erdgas und Erdöl einerseits – andererseits auch, weil die Erderwärmung und schon ein leichter Temperaturanstieg in den Meeren dazu führen, dass im Wasser gelöstes Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangt. Ein Teufelskreislauf fürs Klima entsteht.
Chemisches Grundwissen wird vorausgesetzt
Auch der Lebenszyklus des Kohlenstoffs ist ein Kreislauf aus Photosynthese und Zellatmung. Eine ewige Geschichte aus Energieaufbau und Verbrennung, die der Biologe seinen Lesern nahebringt. Spätestens hier sollten die Leser keine Angst vor chemischen Formeln haben, denn Hessen geizt nicht mit exakter, wissenschaftlicher Beschreibung. Wer seit der Schule mit Biologie nichts zu tun hatte und mit Chemie auf Kriegsfuß stand, dürfte an einigen Stellen ein bisschen ratlos zurückbleiben – "fesselnde Prosa" sieht jedenfalls anders aus. Dass der Verlag auf ein Glossar und Stichwortverzeichnis des anspruchsvollen Sachbuchs verzichtet hat, macht die Lektüre zudem bisweilen unnötig kompliziert.
Trotzdem: Die Mühe lohnt sich. Denn Hessens Sprache ist klar und verständlich. Er zeigt nicht nur auf, dass der Kohlenstoff ein zentrales Element beim Klimawandel ist, sondern weist faktenreich nach, wie vielschichtig die Zusammenhänge in der Natur sind. Der Biologe müht sich dabei redlich, seine zahlreichen Fakten mit Anekdoten aus der eigener Forscherkarriere und mit Bonmots aus der Wissenschaftsgeschichte aufzulockern.
Nicht bloß reine Zustandsbeschreibung
Die eigentliche Stärke des Buchs liegt darin, dass es der Norweger nicht bei einer reinen Zustandsbeschreibung belässt. Hessen zeigt überraschend stringent, dass der eigene ökologische Fußabdruck eine Frage der Moral ist. Ohne den Zeigefinger zu heben, wirft er eine zentrale Frage auf: Wenn wir schon alle wissen, dass wir im Kampf gegen den Klimawandel unser Verhalten ändern müssen – warum tun wir es nicht?
Seine Antwort mag banal klingen, verdient aber einen Nachhall: Langfristige Konsequenzen könnten wir Menschen schon weit vorher erkennen und seien trotzdem nicht in der Lage, langfristen Entscheidungen den Vorzug zu geben. "Das Problem des Menschen ist", so schreibt der Autor, "dass er zu klug, aber vielleicht nicht klug genug ist". Ein Satz, über den sich das Nachdenken lohnt.