Dagmar Leupold: „Dagegen die Elefanten!“
© Jung und Jung
Ein Garderobier mit Revolver
06:18 Minuten
Dagmar Leupold
Dagegen die Elefanten!Jung & Jung, Salzburg 2022266 Seiten
23,00 Euro
Herr Harald wohnt allein. Zu anderen Menschen hält er Abstand. Sein Leben verläuft wohlgeordnet. Als aber eine Frau und ein Revolver auftauchen, regen sich ungeahnt intensive Gefühle im stillen Sonderling.
Vielleicht waren es die Corona-Lockdowns, die
Dagmar Leupold den Einpersonenroman „Dagegen die Elefanten!“
haben schreiben lassen. Ihr Protagonist Herr Harald lebt allein und zurückgezogen. Er arbeitet als Garderobier im „Schönsten Theater der Stadt“, besucht zuweilen Konzerte und wahrt zu jedermann Abstand. Kommen ihm die Menschen doch einmal zu nahe, beginnt seine von Schuppenflechte entzündete Haut sofort zu schwitzen, zu jucken und sich zu röten.
Der nicht mehr junge Herr Harald trägt Handschuhe, um niemanden zu irritieren, und hält sich auch ansonsten in jeder Hinsicht bedeckt. Nur eine Frau ist ihm nah: Die Hl. Notburga, deren Bildnis im Windfang seiner Wohnung hängt. Ohne Mühe lassen sich aufregendere Romankonstellationen denken.
Putzen und waschen – Leben eines Eigenbrötlers
Es wäre ein Leichtes für Dagmar Leupold gewesen, Herrn Harald dem Spott preiszugeben und ihn als zumindest sanft schrulligen Zeitgenossen zu zeigen. Die bisherigen Romane der 1955 geborenen, sprachbewussten Schriftstellerin kreisen meist um wenige Protagonisten in entscheidenden, ja dramatischen Situationen. Hier rückt der Erzähler Herrn Harald ganz nah und wählt zudem das Präsens.
Kochen, putzen, ordnen, waschen, bügeln, einkaufen, abends die Stunden in der Theatergarderobe, sonst Tierfilme im Fernsehen, seltener der Besuch von Konzerten – so sehen Herrn Haralds Tage aus. Ungewöhnlich ist der zweimalige Besuch in einer Kneipe, um ein Glas Coca Cola zu trinken. Prompt purzeln aus Herrn Haralds Mund Worte, die er lange mit sich herumtrug und von den anderen Gästen nicht verstanden werden können.
„Wort des Monats“ wird notiert
Dagmar Leupold rhythmisiert diese Kaumereignisse unmerklich und setzt verhaltene Spitzlichter: Der schweigsame Herr Harald registriert aufmerksam den Sprachgebrauch seiner Umgebung und notiert Auffälliges in einem Notizbuch. Dort trägt er auch das „Wort des Monats“ ein: Mal lautet es „Schiefer“, mal „Zärtlichkeit“.
Herr Harald erkennt an der Kleidung des Publikums, um was es in der Inszenierung geht. Mit einem Italienisch-Lehrbuch, das ein Theaterbesucher vergaß, lernt Herr Harald in den freien Minuten während der Aufführungen eine Sprache, an der sich, wie er meint, die Zunge nicht reiben kann. Zufrieden zu sein, bedarf es wenig für Herrn Harald.
Eine Frau bringt alles durcheinander
In die geordnete Unaufgeregtheit hinein platzen eine Frau und ein Revolver. Die Frau blättert für einen Pianisten die Noten um, und Herr Harald sieht ihr voller Zuneigung zu. Sie ist ein Spiegelbild seiner Existenz: notwendig, doch übersehen. Als der Garderobier dann in einem nicht abgeholten Mantel eine Pistole findet, will er die Umblätterin mit den „fohlenbraunen Haar“ rächen. Der Revolver wandert allerdings erst einmal in den Römertopf – Dagmar Leupolds Ironie ist so verschwiegen wie ihr Protagonist.
Leider bleibt die Schilderung der dank des Revolvers in Herrn Harald aufsteigenden aggressiven Fantasien, dieser anderen Seite des habituellen Wegduckens, zu zurückhaltend. „Dagegen die Elefanten!“ ist ein kleiner, sympathischer Roman über einen Übersehenen, ein Terrarium in Prosa für eine inmitten der Alltagsroutine blühende Welt aus Einfühlung und Fantasie. Seine Ereignisstille dürfte für die meisten Leser allerdings eine Prüfung sein.