Dagmara Kraus: liedvoll, deutschyzno
Gedichte
kookbooks, Berlin 2020
79 Seiten, 19,90 Euro
Dagmara Kraus: "liedvoll, deutschyzno"
Dagmara Kraus verwendet in "liedvoll, deutschyzno" eine ganz eigene mehrstimmige Kunstsprache. © kookbooks / Deutschlandradio
Vielsprachig gegen nationalistische Ideen
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Schon im Titel "liedvoll, deutschyzno" deutet es sich an: Die polnische Lyrikerin Dagmara Kraus mischt verschiedenste Sprachen. Dabei entstehen Gedichte, die volkstümelnde Ideen von Heimat und Sprachreinheit ad absurdum führen.
Als Adson von Melk, der junge Benediktiner-Novize aus Umberto Ecos "Der Name der Rose", zum ersten Mal den buckligen Gehilfen Salvatore reden hört, bleibt ihm fast die Sprache weg.
Die Mischung aus Provençalisch, Katalanisch, Latein und anderen Sprachen erscheint ihm mal als "zusammengeflickt", mal glaubt er, der andere spreche "alle Sprachen und keine". Doch irgendwann begreift er, dass der Gehilfe sich eine eigene Sprache erfunden hat, ein Idiom, so Adson, das "aus Fragmenten und Fetzen der vielen Sprachen bestand, mit denen er in Berührung gekommen war".
Rede der vielen Zungen
Eine solche Salvatore-Sprache oder genauer eine Vielzahl solcher Sprachen benutzt auch die Dichterin Dagmara Kraus. In ihren Gedichten lassen sich polnische, deutsche, französische und englische Einsprengsel genauso entdecken wie Wortfunde aus dem Barock, grammatische Formen aus der Kindersprache oder Begriffe aus fachsprachlichen Lexika.
Während allerdings die Redeweise von Umberto Ecos Figur im Kontext des Romans als fehlerhaft und dämonisch gesehen wird, treibt Kraus mit ihren sprachalchemistischen Prozeduren eine hochproduktive Rede der vielen Zungen hervor, die zugleich zu einer ganz eigenen mehrstimmigen Kunstsprache wird, die alle rigiden Ideen von Eindeutigkeit oder gar Sprachreinheit geschickt untergräbt.
Kritische Reflexion von Einheitlichkeit
Schon der Titel ihres neuen Bandes "liedvoll, deutschyzno" ist eine Mischung aus verwandelten deutschen Wörtern und dem polnischen Wort für Vaterland, "Ojczyzna". "deutschyzno moja", wie das entsprechende Kapitel überschrieben ist ("moja" heißt auf Polnisch "mein"), zeigt noch deutlicher, dass es sich auch um eine lautgeleitete Anspielung auf Adam Mickiewicz’ "Pan Tadeusz" handelt, das gerne als polnisches Nationalepos betrachtet wird und so beginnt: "Litwo! Ojczyzno moja!".
So führt die Formulierung allein durch ihre sprachliche Gestalt alle volkstümelnden Ideen von Heimat oder Heimatsprache ad absurdum.
"millionen flüchtige wörter stehen an / der grenze zu diesem gedicht", setzt der dazugehörige Zyklus ein. Darin reflektiert Dagmara Kraus kritisch alle identitären, nationalistischen Vorstellungen von Einheitlichkeit, seziert Ressentiments, die "heraldisch rechts" sind, und durchleuchtet in Wörtern wie "adlerschuss, "völkerball" oder "fliegenalarm" gleichzeitig den geschichtlichen Hintergrund.
Große Lust auf zeichnerische Momente
Doch es lassen sich auch Wörter finden, bei deren Lektüre man im ersten Moment denkt: erfunden. Nur ist vieles hier eben gefunden, in Wörterbüchern, Comics oder Zeichentrickserien aufgestöbert oder durch bewusstes Suchen entdeckt worden.
Begriffe wie "bauderfaust" oder "juckfasel" unterzieht Kraus diversen semantischen Verschiebungen, schreibt sie verdrehten Redewendungen ein oder verbindet sie nach klanglichen Ähnlichkeiten: "los eines kolosses // auf der karkasse des atlaskollos / saß todbleich ein buckliger dornenapollo / und spielte vereinsamt dan moi".
Besonders intensiv wirken die Gedichte nach, wenn Dagmara Kraus Verfahren der Konkreten Poesie reaktiviert und neu auflädt. Hier zeigt sich gleichsam die Spiegelseite ihres Schreibens: eine große Lust auf zeichnerische Momente, auf das Spiel mit Wörtern und auf Sprache in ihrer Materialität, auf Textschnipsel oder Bilder aus Buchstaben. Wer in diesen Gedichten wandert, dem wird vermutlich kein Satz fremder bleiben als jener, den einmal ein Bach vor sich hinmurmelt: "ich habe genug".