Gro Dahle und Svein Nyhus: "Bösemann"
Aus dem Norwegischen von Christel Hildebrandt
NordSüd Verlag, Zürich 2019
42 Seiten, 18 Euro, ab 4 Jahren
Kinderbuch über häusliche Gewalt
06:16 Minuten
Auch Kinderbücher können ein Thema wie häusliche Gewalt behandeln. Das beweisen Gro Dahle und Svein Nyhus mit "Bösemann". Klug und berührend behandelt das Bilderbuch Machtverhältnisse - und zeigt die Verantwortung der Erwachsenen auf.
Kinder fürchten sich mal vor bösen Hexen, der Dunkelheit und Dieben, dann wieder fürchten sie sich vor fremden Menschen oder gemeinen Kindern. Das ist normal, verständlich und auch notwendig, denn solche Ängste machen vorsichtig und beschützen dadurch.
Nicht gut allerdings ist, wenn Kinder Angst haben vor den Menschen, die sie lieben und die sie beschützen sollen: vor den eigenen Eltern. Wenn sie unberechenbar, wütend und gewalttätig werden, dann ist das unerträglich. Und genau darum geht es in "Bösemann".
Papa wird zu "Bösemann"
Zunächst wird eine Familienidylle entworfen: Mama, Papa und Boj feiern Geburtstag. Alles scheint gut. Papa ist "lieb wie die Äpfel auf dem Tisch" und "eine Tüte voller Bonbons". Mama lacht und trägt ihr schönstes Kleid. Boj ist stolz.
Doch dann ändert sich etwas. Neben dem Aquarium liegt ein Hammer und Papa hat rote Hände, einen zu breiten Rücken und wird stumm. Ganz leise, doch mit jedem Härchen auf der Haut spürbar, zieht das Unheil auf: Die Stimmen der Eltern verändern sich, werden grob, spitzer und ängstlich.
Unaufhaltsam und unübersehbar steigt in Papa "Bösemann" empor: Wut, Zorn, Aggression und damit Gefahr. Niemand kann "Bösemann" aufhalten – keine Mama, keine Wand, keine Tür! "Bösemann" brennt lichterloh, "rot und rot und rot und schwarz".
Und Bojs Herz fängt an zu rasen, seine Beine an zu zittern – und Mama fängt an zu weinen. Ein Sturm tobt. Unberechenbar. Bis alles wieder vorbei ist. Und Papa verspricht, besser zu werden. So wie schon tausend Mal zuvor.
Kein klassisches Happy End
Großartig, kreativ und wuchtig erzählen Gro Dahle und Svein Nyhus diese Geschichte über Gewalt und die Angst vor ihr. Über die Schuldgefühle eines kleinen Jungen, der das alles registriert, aber nicht versteht; über das Vertuschen väterlicher Aggression und Depression und über eine mögliche Lösung, die aber kein klassisches Happy End bedeutet.
Sehr konkret wirkt das Geschehen: Bojs Angst ist sinnlich spürbar, einzelne Gegenstände – ein Spielflugzeug, Werkzeug, ein Hund, eine Uhr – haben ihre ganz bestimmte Bedeutung.
Zugleich heben die Künstler die Bedrohung aber auf eine stilisierte, fast märchenhafte Ebene – der Arzt erscheint etwa als König. Denn es geht ihnen nicht um einen Einzelfall, sondern um häusliche Gewalt jeder Art. Und die findet, leider, immer und überall statt.
Knapp, stark und expressiv ist der Text. Gefühle wie Angst und Bedrohung setzen die Autoren in Bilder um, die unter die Haut gehen. Unaufhaltsam steigert sich die (An-)Spannung, angetrieben von Wiederholungen einzelner Wörter und Sätze.
Ein wichtiges und richtiges Buch
Und genau so eindringlich wirken die in Ocker, Braun und Grau gehaltenen Bilder. Indem die Proportionen und Figuren leicht überzeichnet sind – den Vaterklotz mit dem kleinen Kopf, die schwebende Mutter mit den dünnen, hilflosen Armen, das Kind, das sich hinter seinem Spielzeug versteckt –, betonen sie die Machtverhältnisse, ohne sie zu übertreiben.
Für ein vierjähriges Kind ist dieses sehr intensive und berührende Bilderbuch zu aufregend. Aber Sechsjährige werden es verstehen und lernen, wenn Eltern zum "Bösemann" werden, sind nie die Kinder schuld. Erwachsenen sind verantwortlich, sie müssen Sorge tragen und sich liebevoll kümmern. Alles andere ist eine Lüge. Allein darum ist "Bösemann" wichtig und richtig!