"Dallas gewinnt!"

Wolf Lepenies im Gespräch mit Ulrike Timm |
"Best of seven" heißt es dieser Tage in den USA, wenn im Finale der besten Basketball-Liga der Welt die Dallas Mavericks und Miami Heat aufeinandertreffen. Wolf Lepenies, Soziologe und bekennender Basketball-Fan, betrachtet den US-Nationalsport aber nicht allein unter sportlichen Bezügen.
Ulrike Timm: Libyen und die Wirtschaftskrise sind sehr wichtig, aber niemals könnten sie den US-Amerikanern so wichtig sein wie Basketball. Eine ganze Nation ist von diesem Spiel fasziniert, besonders im Frühjahr, wenn die Universitätsmannschaften unter sich die beste ermitteln, oder die NBA, die beste Basketballliga der Welt, ihren Champion krönt. Ein Deutscher könnte womöglich mitgewinnen: Dirk Nowitzki gehört zu den Dallas Mavericks und will heute Nacht die wichtigen Körbe werfen gegen Miami Heat. Ob ihm das gelingt? Er hat einen verletzten Finger, ob ihm das also gelingt, das wissen wir erst morgen früh.

Was an diesem Spiel so faszinierend für Amerikaner ist und wie sich eine ganze Nation im Basketballfieber mitunter auch eint und ihre Werte gespiegelt sieht, das erfahren wir jetzt vom Soziologen Wolf Lepenies. Er leitete viele Jahre das Wissenschaftskolleg in Berlin, ist Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, vor allem aber Basketballfan aus Leidenschaft und jetzt unser Fachmann. Herr Lepenies, ich freue mich riesig, dass Sie hier sind, schönen guten Tag!

Wolf Lepenies: Freut mich auch, guten Tag!

Timm: Wie ist denn das: Sitzen Sie heute Nacht um drei vor dem Fernseher, am Internet und verfolgen das live, oder bestreiken Sie so eine Übertragung, weil das auf dem Sofa einfach nicht richtig Spaß macht?

Lepenies: Also ob ich es um drei schaffe, weiß ich nicht, ich denke eher, es wird so sein wie heute Nacht: Ich wache relativ früh auf, und heute Nacht war das um viertel vor fünf, also ich habe das letzte Viertel noch völlig mitbekommen.

Timm: Und was ging da ab für einen richtigen Fan?

Lepenies: Ja, es war ein bisschen enttäuschend, weil ich natürlich wie so viele gehofft hatte, dass Dallas gewinnt, die haben in der regulären Spielzeit ja schon zwei Mal in Miami gewonnen, aber das war nicht der Fall. Sie haben 92:84 verloren, und Dirk Nowitzki hat sich auch verletzt. Aber das ist ja nur die linke Hand, der ist aber Rechtshänder. Das wird nicht spielentscheidend sein.

Timm: Ich merke schon, es wäre kein Problem für den Soziologen Wolf Lepenies, dieses Spiel fachgerecht live zu moderieren.

Lepenies: Na, fachgerecht will ich mir gar nicht anmaßen, aber mit Leidenschaft schon.

Timm: Aber Sie haben immer wieder in den USA gelehrt und geforscht, Herr Lepenies, und da muss dieser Virus dann so richtig bei Ihnen gewachsen sein, dieses Basketballfan-Gen. Haben Sie über dieses Spiel verstanden, wie die USA als Nation ticken?

Lepenies: Das würde mir jetzt ein bisschen zu weit gehen: Wenn man die USA verstehen will und das auf Sport bezieht, dann muss man schon Football und Baseball und auch Eishockey mit einbeziehen. Es sind diese vier Sportarten – die sich ja in gewissem Sinne auch auf die vier Jahreszeiten verteilen –, die einem einiges über Amerika klar machen. Dazu gehört die Aufstiegsmentalität, die Überzeugung, dass jeder es schaffen kann, wenn er sich anstrengt. Das war natürlich besonders wichtig für die schwarze Bevölkerung Amerikas, die ja im Sport immer ein wichtiges Aufstiegsmedium gesehen hat. Es ist unter anderem so etwas wie die Besessenheit von Statistik, von der wir uns gar keine Ausmaße vorstellen können, wie das in Amerika weit geht, und es ist auch die Idee von Fair Play und von Respekt, die da eine große Rolle spielt. Im Basketball ist das genauso gut wie in allen anderen Sportarten: Man müsste die schon alle vier zusammennehmen, wenn man etwas über die amerikanische Mentalität sagen will.

Timm: Die Besessenheit von Statistik wundert mich jetzt im Kapitel Sport, heißt das, die tippen alle und es gibt ganze Gemeinschaften und es ist viel größer als in der Bundesliga, wenn gesetzt wird, wer gewinnt, oder was meinen Sie da mit Statistik?

Lepenies: Also um Ihnen ein Beispiel zu geben, das wäre so, wenn bei Bayern München sagen wir mal Gomez einen Elfmeter schießt gegen Neuer, und dann würden Sie eingeblendet sehen: Gomez schießt in 75 Prozent der Fälle nach links unten und Neuer hält von Bällen, die nach links unten gehen, 80 Prozent.

Timm: Und darüber wird dann gefachsimpelt?

Lepenies: Darüber wird gefachsimpelt. Das ist jetzt allerdings sehr stark im Baseball, im Basketball ist das ein bisschen geringer, aber es geht in diese Richtung.

Timm: Sie haben uns beschrieben, dass der Amerikaner zu jeder Jahreszeit seinen Sport hat. Bleiben wir mal beim Basketball und Ihre Liebe auch zum Basketball und wie die Amerikaner das spielen. Nun sind Sie Soziologe. Haben Sie das Spiel in Amerika auch immer erlebt als Quell Ihrer soziologischen Studien?

Lepenies: Nein, überhaupt nicht. Wenn ich zum Basketball gehe, bin ich passiver Basketballer und manchmal dann auch aktiver, aber das ist ja größenwahnsinnig, in dem Zusammenhang zu sagen, man würde es auch spielen. Nein, wenn ich Basketball sehe, dann sehe ich Basketball.

Timm: Dann sind Sie Privatmann.

Lepenies: Dann vergesse ich … Ja.

Timm: Trotzdem widerspricht das ja dem, was Sie vorhin so ein bisschen sagten, nämlich Aufstiegsmentalität, der Basketball als Mittel für die Etablierung schwarzen Selbstbewusstseins – also irgendwie ist es doch viel mehr als ein Sport, da kann ich mir nicht vorstellen, dass der Soziologe sich nicht bewegt in Ihnen, wenn Sie so was erleben.

Lepenies: Ja, also ich weise jetzt die Bemerkung zurück, es sei viel mehr als Sport. Sport ist genug, finde ich, das braucht dann nicht mehr viel mehr anderes sein. Aber natürlich kann man diese ganzen anderen Aspekte nicht vergessen, aber ich will nur sagen: Wenn ich beim Spiel bin, dann denke ich nicht als Soziologe über Aufstiegsmentalitäten und Ähnliches, dann hoffe ich, dass Nowitzki die Dreier gelingen und dass LeBron James morgen vielleicht nicht so gut verteidigt wie heute. Das sind dann wirkliche Fachaspekte, und da spielt die Soziologie keine Rolle.

Timm: Dann bleiben wir mal ein bisschen bei der Geschichte dieses Spiels. Ich bin absoluter Laie und habe also mit Staunen gehört, dass zu einer Zeit, als die Rassentrennung in Amerika großes Thema war, es mal eine Begegnung gegeben hat: eine komplett schwarze Mannschaft gegen eine komplett weiße Mannschaft. Das muss ein Politikum gewesen sein.

Lepenies: Das war auch ein Politikum. Es gibt übrigens einen sehr schönen Film darüber, in dem das deutlich nachgezeichnet wird. Das war ein ungeheures Politikum, das passierte genau zu der Zeit, als Präsident Johnson das Wahlgesetz unterschrieben hat, nachdem die schwarzen Amerikaner sich nun richtig registrieren konnten und dementsprechend auch wählen konnten. Das war Mitte der 60er-Jahre und war ein ganz großer Fortschritt. Und heute sieht es ja so aus, dass ein großer Teil der Mannschaften fast nur aus schwarzen Spielern besteht. Im Übrigen gibt es noch eine andere Änderung: Es spielen jetzt sehr viel mehr Europäer in der NBA als noch zu der Zeit, wo ich zum ersten Mal in Amerika war. Damals gab es noch kaum Europäer, heute gibt es relativ viele in der NBA.

Timm: Präsident Obama ist nicht nur First Man in den Vereinigten Staaten, sondern auch First Fan. Er tippt immer begeistert und sehr öffentlich, und alle werfen ihm vor, dass er die Underdogs zu wenig berücksichtigt .Was bedeutet seine Begeisterung für seine Karriere und für sein Image?

Lepenies: Also es gibt ein berühmtes Beispiel: Er ist in den Irak gefahren, um dort die Truppen zu besuchen, und die hatten dort auch eine Halle und spielten Basketball, und er kam in diese Halle und stand außerhalb des Drei-Punkte-Kreises, also relativ weit weg vom Korb. Und die Soldaten riefen: "Shoot, shoot, shoot" – und er nahm einen Ball und traf. Und dann riefen sie, er solle noch mal schießen, und dann schoss er noch mal und traf wieder. Und das zeigt einfach, dass der Präsident ein ziemlich kaltblütiger Mensch ist und Ruhe bewahrt, und das hat die Soldaten ungeheuer beeindruckt. Und es gibt viele Geschichten über Obama und Basketball in den USA, und diese Leidenschaft hat ihm bestimmt nicht geschadet bei dem, was seine Beliebtheit bei den Amerikanern angeht.

Timm: Und so verschafft man sich Respekt auch, nicht nur, …

Lepenies: Ja, ich glaube, er hat sich auch durch andere Dinge Respekt verschafft, aber …

Timm: Aber es ist so eine ganz unmittelbare Übersetzung von "Ich habe ein Ziel und das erfülle ich und das zeige ich auch".

Lepenies: Ja, ich glaube, das war nichts, was ihm geschadet hat, wie gesagt, auch die Tatsache, dass er im Weißen Haus im Garten einen Basketballkorb aufgebaut hat, haben, glaube ich, die Amerikaner geschätzt.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem Soziologen und bekennenden Basketballfan Wolf Lepenies über die Bedeutung dieses Sports in den USA. Nun ist die NBA die beste Basketballliga der Welt, es gab aber lange Zeit einen ganz anderen Humus, das waren die vielen, vielen Universitätsmannschaften in den Vereinigten Staaten, woraus sich die großen Spieler dann auch rekrutierten. Ist das immer noch so?

Lepenies: Das ist immer noch so, aber es gibt einen großen Unterschied zu der Zeit vor, ich schätze mal, zehn Jahren, aber da will ich mich jetzt nicht festlegen: Zu der Zeit musste man noch eine College-Ausbildung abgeschlossen haben, um Profi werden zu können. Das ist heute nicht mehr so. Man kann nach der High School mit einer gewissen Karenzzeit Profi werden und zum Beispiel LeBron James bei den Miami Heat, der große Gegenspieler von Nowitzki, ist direkt von der Schule in das Profigeschäft gewechselt.

Timm: Ist der Basketball dadurch dümmer geworden? Ich meine, früher war das ein doppelter Ritterschlag: ein gutes Examen an der Uni, Harvard, Princeton, und ein guter Spieler sein – dann war man ein gemachter Mensch.

Lepenies: Ja, Sie sagen Harvard, Princeton, aber es gibt natürlich noch andere Colleges in den USA, und es gab da auch eine Reihe von Skandalen, also zum Beispiel in Nevada gab es mal eine Überprüfung dessen, was die Basketballer eigentlich in ihrem College gemacht hatten, dann stellte sich heraus: Sie hatten im Wesentlichen zwei Kurse belegt, Basketball eins bis zwei und Töpfern eins bis zwei, und da gab es Tricks, um dem zu entgehen. Also nicht jeder Absolvent des College kam aus Princeton und Harvard. Im Übrigen: Die meisten Profis kommen nicht von Princeton und Harvard, die kommen von anderen Universitäten, etwa North Carolina.

Timm: North Carolina ist eine große Basketballhochburg.

Lepenies: Ja, vielleicht die größte in den USA. Das würden die Leute in UCLA, in Los Angeles vielleicht bestreiten, aber ich glaube, North Carolina ist eigentlich das Zentrum.

Timm: Und wenn Sie in Ihrer Zeit in Amerika während eines wichtigen Basketballspiels, sagen wir, eine Vorlesung angesetzt hätten, dann wären Sie da ziemlich alleine gewesen, oder?

Lepenies: Ja, aber auf diese verrückte Idee wäre ich nie gekommen, und ich wäre zu meiner eigenen Vorlesung nicht gegangen, sondern zum Spiel natürlich.

Timm: Herr Lepenies, gibt es in Ihrem Garten wie bei Obama einen Korb?

Lepenies: Nein, in meinem Garten nicht, aber im Garten meiner Enkel, denn die spielen auch bereits Basketball, und von Zeit zu Zeit spielen wir immer noch zusammen. Aber die sind schon zu gut für mich.

Timm: Wir brauchen noch Ihren Tipp: Wer wird Champion im NBA-Finale – das ja mehrere Spiele noch dauern kann, wie ich eben im Vorgespräch gelernt habe?

Lepenies: Ja, das kann noch sechs Spiele geben, wenn es bis zum Ende geht, bis zum siebten, es kann auch nur noch drei geben, nach vieren könnte Schluss sein. Ich wünsche sehr, dass Dallas gewinnt und dass Dirk Nowitzki gewinnt, aber nach dem gestrigen Spiel habe ich leise Zweifel. Trotzdem, man kann es ja auch beschwören: Dallas gewinnt!

Timm: Ich danke Ihnen sehr für diesen Besuch im Studio, ich habe allerhand gelernt über ein Spiel, das ich wirklich nur als Laiin kenne. Danke an den Soziologen Wolf Lepenies, wir sprachen über Basketball. Heute Nacht steigt das zweite Finale der NBA-Championchips, so ähnlich muss es heißen. Ich danke Ihnen, Herr Lepenies!

Lepenies: Danke Ihnen!