Damals größte deutsche Kolonie

Von Michael Frantzen |
Das Jubiläum ging spurlos an Brandenburg vorüber. Am 1. Januar 1683 - vor 325 Jahren - hissten brandenburgische Seefahrer den Roten Adler im heutigen Ghana. Rund 40 Jahre wurde in "Groß Friedrichsburg" mit Sklaven gehandelt, mit Gold und Elfenbein.
"Kein Ruhmesblatt für Brandenburg," befindet Jens Klocksin. Der Brandenburger Landtagsabgeordnete möchte die Kolonialgeschichte erforschen lassen. Und Geld für die Entwicklungshilfe bereitstellen. Doch bislang mauern die Spitzen der Große Koalition. Aber Klocksin und seine Mitstreiter lassen nicht locker. "Der Bundespräsident redet ständig von unserer Verantwortung Afrika gegenüber," regt sich der Rebell auf, "die Bundeskanzlerin sagt, wir müssen Afrika ernst nehmen - und Brandenburg hat keine 250.000 Euro übrig, um sich seiner Verantwortung zu stellen?"

Eigentlich soll er ja einen ganz guten Draht haben zum Platzeck: Jens Klocksin, SPD-Abgeordneter aus Teltow. Heißt es im Potsdamer Landtag. Eigentlich.

Gibt ja auch ein paar Gemeinsamkeiten: Beide sind in derselben Partei, haben ungefähr dasselbe Alter und einen ähnlichen Politikstil: Unaufgeregt und sachorientiert – wie beide immer gerne betonen.

Und jetzt das! Ausgerechnet bei einem seiner Lieblingsthemen hat der Ministerpräsident Klocksin die kalte Schulter gezeigt.

Klocksin: "Dass am ersten Januar 1683 die preußische Landnahme, genauer gesagt: das Hissen der preußisch-brandenburgischen Fahne auf einer Felsklippe in West-Afrika von statten ging."

"Kaum hatten wir die herrliche Gegend und Situation erblicket, da gefiel sie uns so wohl, dass ich bey denen Häuptlingen angehalten, ob sie zulassen wollten, daselbst ein Brandenburgisches Fort zu bauen; Welches sie mir mit Freuden gestattet."

Schreibt in seinem Reisebericht Otto Friedrich von der Groeben, Generalleutnant und Leiter der Brandenburgischen Kolonialexpedition.

325 Jahre ist das ganze jetzt her.
Klocksin: "Daran muss man mal erinnern! Denn dieses Thema ist dem kollektiven Gedächtnis völlig entfallen."

Dachte sich Jens Klocksin und trommelte ein paar Mitstreiter zusammen, mit denen er im Februar anläßlich des Jahrestages ein Symposium veranstaltete – zu "Großfriedrichsburg", dem "ersten Kolonialabenteuer eines deutschen Staates überhaupt", wie Uwe Prüfer betont, der Leiter des Entwicklungspolitischen Netzwerkes in Brandenburg, VENROB.

Prüfer: "Was mit dieser Brandenburger Landnahme vor 325 Jahren begann: Einstieg in den transatlantischen Sklavenhandel - das sind ja letzten Endes auch Frühformen, was wir heute als Globalisierung bezeichnen."

"Sechshundert Neger tauschte ich ein
Spottwohlfeil am Senegalflusse.
Das Fleisch ist hart, die Sehnen sind stramm,
Wie Eisen vom besten Gusse."

Sklavenhändler-Lyrik der damaligen Zeit.

"Ich hab zum Tausche Branntewein,
Glasperlen und Stahlzeug gegeben;
Gewinne daran achthundert Prozent,
Bleibt mir die Hälfte am Leben."

Historiker schätzen, dass circa 30.000 Menschen als Sklaven aus dem Gebiet Groß-Friedrichsburg über die Insel Arguin nach Amerika verkauft worden sind.

Prüfer: "Auf die Zuckerrohrplantagen insbesondere. Und dann eben in diesen berüchtigten Dreieckshandel, also von dort Waren mit einem sehr hohen Profit dann nach Europa wieder eingebracht worden sind. Und das ist letztendlich globalisierter Handel."

Von dem sich der Brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm eine Scheibe abschneiden wollte. Konnte er auch ganz gut gebrauchen. Sein Reich lag nach dem Dreißigjährigen Krieg immer noch in weiten Teilen in Schutt und Asche.

Dann also Sklavenhandel! Hatten sich ja auch schon andere eine goldene Nase daran verdient: Niederländer, Dänen, Portugiesen. Nur zu "Preußens Glanz und Gloria" will dieses Kapitel preußischer Geschichte nicht so recht passen – vermutet jedenfalls Jens Klocksin.

Klocksin. "Ich kann mir auch vorstellen, dass diese fast schwindelerregende Preußen-Renaissance der Nachwendezeit die Beschäftigung mit den Schattenseiten aussparen lässt. Also wenn ich sehe, wer hier alles groß war und wir Schlösser und Gärten sehen, dann ist das alles ausgesprochen beeindruckend. Aber dass dieses Preußen doch wenig als Vorbild taugt, ist an solchen Beispielen, die noch mal bestimmter Ausdruck der autoritären Gesinnung der militärisch-staatlichen Strukturen, nachvollziehbar."

"Zum schwarzen Häuptling sprach’s am Strand,
die Flagge hoch erhoben,
von Friedrichsburg der Kommandant,
"Willst du mir das geloben?"
Dies Land bleibt treu dem deutschen Herrn,
der wird uns wohl beschützen.
Die Flagge geb‘ ich nimmermehr,
sie ist des Preußen Hort und Ehr!"

"Preußens Hort und Ehr" in Afrika – damit kennt sich Ulrich van der Heyden, einer der Mitstreiter von Jens Klocksin, gut aus. Sehr gut sogar. Der Afrikanist der Freien Universität Berlin hat DAS Standardwerk über die frühe Kolonialgeschichte Brandenburgs verfasst. In den 90ern hat er in Potsdam mit finanziellen Unterstützung der damaligen Brandenburger Landesregierung einen Entwicklungshilfe-Verein gegründet, um den Menschen in "Groß-Friedrichburg", dem heutigen Princesstown, zu helfen.

Das war einmal. Van der Heydens Verein gibt es nicht mehr, es soll Streit gegeben haben unter den Mitgliedern, aber darüber will der Mann mit dem grauen Rauschebart nicht so gerne reden.

War ja auch nicht der Hauptgrund, warum sie das Handtuch werfen mussten. Meint er. Richtig den Bach runter mit ihrem Verein ging es, als das Land kein Geld mehr überwies. 2002 war das, bis dahin hatte es im Brandenburger Landeshaushalt noch einen Titel für Entwicklungshilfe gegeben: 250.000 Euro im Jahr. Nicht viel, aber immerhin.

Ein, zwei Jahre hätten sie danach noch durchgehalten, sagt van der Heyden, dann war Schluss.

Van der Heyden: "Es gab mal größeres Interesse von Brandenburgischen Regierung an dieser Problematik. Das war unter der Regierung von Manfred Stolpe. Die jetzige Regierung hat an dieser Thematik, wie ja auch die Antwort auf die kleine Anfrage gezeigt hat, absolut kein Interesse an dieser Problematik. Das Interesse ist generell bei den entsprechenden Regierungsstellen beziehungsweise Mitarbeitern der Landesregierung nicht mehr vorhanden."

Schon gar nicht bei Wissenschaftsministerin Johanna Wanka. Der CDU-Vizechefin des Landes flattere letztes Jahr eine kleine Anfrage von Jens Klocksin ins Haus, in der er von der Ministerin wissen wollte, Punkt Eins:

Zitat aus Anfrage Klocksin: "Welchen Stellenwert die brandenburgische Kolonialgeschichte in der heutigen brandenburgischen Erinnerungskultur hat?"

Ob sie Punkt Zwei:

Zitat aus Anfrage Klocksin: "an den Hochschulen des Landes erforscht wird?"

Und ob es Punkt Drei:

Zitat aus Anfrage Klocksin: "eine entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Staaten gibt, in denen sich brandenburgische Kolonien befanden?"

Also neben Ghana, wo sich "Groß-Friedrichsburg" befindet, noch Mauretanien. Zu dem westafrikanischen Land gehört die Insel Arguin, die ebenfalls für kurze Zeit in Besitz Preußens war.

Die Antwort der Frau Ministerin ließ nicht lange auf sich warten.

Zitat aus Antwort Wanka: "Die brandenburgische Landnahme in Afrika sind historische Tatsachen, denen heute in der Erinnerungskultur kein besonderer Stellenwert beigemessen wird."

Punkt Eins.

Punkt Zwei:

Zitat aus Antwort Wanka: "Die Thematik spielt in der Arbeit der Hochschulen des Landes keine besondere Rolle. Soweit an den Hochschulen des Landes auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaften geforscht wird, entzieht sich kleinteiliger Beobachtung durch die Landesregierung."

Heißt es genauso lapidar wie holprig im Antwortschreiben der Wissenschaftsministerin. Schon nicht mehr nur lapidar Punkt Drei:

Zitat aus Antwort Wanka: "Wie die Landesregierung bereits ... ausgeführt hat, gehört das entwicklungspolitische Engagement nicht zu ihren Prioritäten. Die genannten Beschlüsse der Ministerpräsidenten enthalten keinerlei Vorgaben zur Herleitung heutiger Entwicklungszusammenarbeit aus der kolonialen Geschichte."

Nicht viel besser erging es Jens Klocksin mit seiner Bitte an seinen Parteifreund, Finanzminister Rainer Speer, doch dafür zu sorgen, wieder Geld für die Entwicklungsarbeit zur Verfügung zu stellen. 100.000, 200.000 Euro. Müsste doch machbar sein.

War es aber nicht. "Nicht zuständig" – schallte es aus dem Hause Speer. Man sei schließlich nicht der Bund.

"Typisch – die Reaktion" – meint Uwe Prüfer, der für VENROB seit mehr als zehn Jahren die Belange der gut dreißig Entwicklungshilfe-Projekte in Brandenburg vertritt.

Prüfer: "Entwicklungspolitik ist nicht ein zentrales Politikfeld. Insofern kämpft man da jetzt nicht unbedingt an Fronten, die da als entscheidend betrachtet werden. Wir hätten das natürlich sehr gut gefunden, wenn vor allen Dingen dieses ehrenamtliche Engagement vieler Brandenburgerinnen und Brandenburger auf dem Gebiet weiter professionell hätte unterstützt werden könnte. Und das fehlt uns. Beziehungsweise ist zu oft begrenzt auf nette, wohlfeile Worte, die das Ehrenamt loben, aber dann so nachfolgende Finanzierungswünsche außer Acht lassen."

Bleibt nur Privatengagement.

Wie das funktionieren kann, macht seit Jahren der Schlagzeuger der Rockband "City" vor.

Sechs Jahre ist es jetzt her, da stellte Klaus Selmke nach einer Ghana-Reise das Projekt "ABC-Brücke" auf die Beine.

Zusammen mit gut 40 Freiwilligen hat der Oranienburger eine Art Bildungsbrücke von Deutschland nach Ghana gebaut, die es 230 bedürftigen Kindern in Princesstown ermöglicht, die Schule zu besuchen.

Mehr als 80.000 Euro sind in den letzten fünf Jahren an Spenden nach Ghana geflossen. Geld, das dort dringend benötigt wird. Zwar kostet der Schulbesuch nichts, doch viele Eltern können sich zusätzliche Kosten wie zum Beispiel für Unterrichtsmaterialien nicht leisten.

Das letzte mal vor Ort war Klaus Selmke im März.

Selmke: "Das ist erst Mal ne malerisch tolle Gegend. Man hat den Atlantik links und rechts von Princesstown. 500 Meter mindestens, wo kein Mensch ist. Breiter Sandstrand. Weiß! Palmen! Dann hat man so ... ja: Camping im Paradies war das für uns. Für die Leute ist das natürlich nicht paradiesisch. Es ist kein Tourismus dort, sie leben ausschließlich von den Plantagen, von den Früchten, die angebaut werden, Gemüse. Also die Masse der Männer hängt rum. Und die Frauen sind nach wie vor wie überall die Fleißigen, die am Markt sitzen und versuchen, ihre Tomaten und Yammwurzeln zu verkaufen."

In Europa wird Ghana gerne als afrikanisches Vorzeigeland präsentiert. Ist ja auch eine Demokratie. Auf dem Papier. Die Realität sieht anders aus: Die Regierung ist autokratisch und korrupt. Immer wieder kommt es zu Unruhen – auch in Princesstown. Mindestens fünf Bewohner starben Ende letzten Jahres, als zwei rivalisierende Clans aufeinander los gingen.

Kaum hatte sich die Lage beruhigt, sorgten Öl-Funde für neue Spannungen. Ein internationales Öl-Konsortium bohrt seit kurzem vor der Küste von Princesstown. Es fließt nicht nur Öl, sondern auch Geld. Viel Geld.

Ein bisschen erinnere ihn die Situation heute in Princesstown an die Kolonialzeit, sinniert Jens Klocksin. Genau wie damals würden Fremde ins Land einfallen, die vor allem eines wollten: Profit machen. Ein Grund mehr, findet der Landtagsabgeordnete, um im Rahmen der Erinnerungsarbeit an die Kolonialgeschichte zu erinnern.

Klocksin: "Unser Ansatz war dabei natürlich immer dabei im Auge zu behalten die Lebensbedingungen in Afrika heute. Und wir sind uns in der globalen Sicht völlig darüber im Klaren, dass der Reichtum Europas und die hervorragenden Ausgangspositionen fürs 21. Jahrhundert, welches Europa und die damaligen Kolonialstaaten sich haben schaffen können, ganz wesentlich auf der Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt zurückgeht. Das heißt, die Ausbeutung des Kontinents zu Gunsten des Lebensstandards in der sogenannten westlichen Welt hat sich nicht verändert."

Noch etwas ist gleich geblieben: Der Rassismus. Er existiert immer noch. Auch in Brandenburg. Da werden Schwarze angepöbelt, versucht ein rechtsextremer Mob "national befreite Zonen" zu schaffen.

Umso wichtiger, dagegen zu halten, findet Uwe Prüfer von VENROB. Und sich der Kolonialgeschichte Brandenburgs zu stellen.

Prüfer: "Dass die Denkwurzel, die Denkmuster von vielen Vorurteilen, Rassismen, die heutzutage immer noch gerade gegenüber dunkelhäutigen Menschen anzutreffen sind, genau in jener Zeit sozusagen liegen. Dass sich eben unsere weißen Brandenburger Vorfahren überlegen dünkten gegenüber den Menschen, die sie dort angetroffen haben. Da gibt es also ganz klare Denk-Kontinuitäten. Das findet man so häufig in Gesprächen mit Brandenburgern, die also immer noch der Meinung sind: Wir müssten Afrikanern sehr viel beibringen."

Ebenfalls Vorurteile aus dem Weg räumen will Klaus Selmke. Deshalb sein Engagement für das Erinnerungsprojekt von Jens Klocksin.

Selmke: "Dieses Thema sollte ja auch an Schulen kommuniziert werden, also das Thema Vergangenheitsbewältigung. Wo denn die Ministerin gesagt hat: Datt is uninteressant, machen se doch was sie wollen, Herr Klocksin."

Van der Heyden: "Dieses Brandenburger Kolonialabenteuer hätte sich wunderbar geeignet. Wir haben alle Konzeptionen dafür schon ausgearbeitet, wie man das in Form einer Ausstellung, mit Lehrerweiterbildung, mit Schülerbildung, mit Partnerschaften, mit NGO-Aktivitäten, mit Konferenzen, mit internationaler Beteiligung, aber eben auch zum Erfahrungsaustausch – wie man das alles hätte nutzen können. Ich habe da Stunden und Tage für investiert – zum Nulltarif."

Moniert Ulrich van der Heyden.

Schade eigentlich. Erfahren sie halt nichts vom Kolonialabenteuer ihrer Vorfahren - die Brandenburger Schüler. War ja auch ein ziemlicher Flop.

Friedrich Wilhelm der Erste, der Enkel des Großen Kurfürsten, musste "Groß-Friedrichsburg" wegen der Übermacht der europäischen Konkurrenz 1717 für "12 Mohren" und 7.200 Gulden an die Niederländer verkaufen.

Klocksin: "Es geht hier nicht um eine zwanghafte Auseinandersetzung, sondern es geht immer um das umfassende Bild. Es gibt kein Schwarz-Weiß im richtigen Leben, sondern es gibt ganz viele Facetten. Und zu diesen Facetten der Brandenburgisch-preußischen Geschichte gehört auch die Kolonialgeschichte."

Der Ministerpräsident sieht das anscheinend anders. Kein Thema! So gut scheint Jens Klocksins Draht zum MP dann doch nicht zu sein.

HINWEIS Alle historischen Zitate aus: Ulrich van der Heyden: Roter Adler an Afrikas Küsten (Berlin, 2001)

Damals größte Kolonie, heute keine Entwicklungshilfe. Michael Frantzen berichtete aus Brandenburg, das offenbar einen anderen Kurs als Rheinland-Pfalz fährt. Entwicklungshilfe ist in Mainz kein Fremdwort, die Landesregierung muss das Thema nicht erst noch für sich entdecken. Christoph Gehring sagt uns, warum?


Rheinland-Pfalz hilft
Von Christoph Gehring

Vermutlich ahnten sie nicht, was aus ihrer Idee werden würde, als sie damals, 1982, in der Mainzer Staatskanzlei entschieden, den bis dahin recht überschaubaren Anteil des kleinen Rheinland-Pfalz an der Entwicklungshilfe für die große Dritte Welt nicht mehr mit der Gießkanne zu verteilen. Denn durch die Gießkanne bekam jeder Fleck in Afrika irgendwie nur einen Tropfen ab, der auf heißem, afrikanischem Stein sofort verdampfte. Stattdessen also: Ein Entwicklungsland, eine Partnerschaft. Die Wahl fiel auf Ruanda, einen Staat mitten in Afrika, dessen wechselnde Regenten sich im Wesentlichen durch Gier und Grausamkeit auszeichneten. Denen die rheinland-pfälzische Entwicklungshilfe in bar auszuzahlen kam nicht in Frage. Und so entschied sich die Regierung in Mainz, etwas Neues auszuprobieren: Entwicklungshilfe von unten. Nicht die Regierungen in Mainz und Kigali sollten entscheiden, wo Hilfe gebraucht wird, sondern die Menschen, die Hilfe benötigen. Einer der Gründerväter der rheinland-pfälzischen Ruanda-Partnerschaft, Peter Molt, erinnert sich:

Molt: "Schon am Anfang der Partnerschaft kamen natürlich alle Minister an und sagten, in der Gemeinde, wo sie herkamen, müsste jetzt hauptsächlich was gemacht werden. Und ich hab ihnen erklärt, dass das nicht der Sinn sein kann, sondern dass wir darauf schauen werden, dass wir möglichst gleichmäßig übers ganze Land hin was tun wollen."

Was sie in Ruanda tun, nennt das rheinland-pfälzische Innenministerium "dezentralisierte, bürgernahe und grundbedürfnisorientierte Entwicklungszusammenarbeit", eben Hilfe für die Menschen in Ruanda von den Menschen in Rheinland-Pfalz. Eine Graswurzelpartnerschaft. Zwischen Koblenz und Kandel gibt es um die 250 lokale Unterstützergruppen, die Geld für Ruanda einwerben und ihre kleinen, aber wirksamen Hilfsprojekte vor Ort betreuen. Zum Beispiel Gerlinde Rahm aus Landau, die seit über zehn Jahren ein Flohmarkt-Kaufhaus betreibt, dessen Erlöse nach Ruanda gehen.

Rahm: "Damit haben wir eigentlich sehr viel Geld schon verdient. Es ist zwar sehr viel Arbeit, aber ich habe viele, viele liebe Helfer, auf die ich mich verlassen kann."

Rund 50.000 Euro im Jahr kommen dank Gerlinde Rahm und ihrer vielen, lieben Helfer zusammen. Das Geld geht an den Partnerschaftsverein Ruhango-Kigoma in der Stadt Gitarama. Und der hat davon bisher 13 Schulen, zwei Gesundheitszentren und eine Wasserleitung gebaut. Es ist nicht allein Gerlinde Rahms Erfolg, aber: Vor 15 Jahren besuchten in Ruanda nur zehn Prozent aller Kinder eine Schule, heute sind es 70 Prozent. Und viele von ihnen gehen in Schulen, die mit Spenden aus Rheinland-Pfalz gebaut wurden. Kleine Schulen, manchmal auch noch gar nicht fertig, aber begehrt, wie Helmut Weimar berichtet, der sich diesen Sommer angesehen hat, wie aus seinen Spenden eine Schule wird.

Weimar: "Da saßen also diese Kinder in einer Baustelle, würde ich so mal sagen, auf dem Fußboden und natürlich kein Dach da drüber und haben unter freiem Himmel den Unterricht genossen."

Denn Bildung ist der Schlüssel zu allem, glaubt Gerlinde Rahm, die aber auch glaubt, dass Ruanda noch einen weiten Weg vor sich hat:

Rahm: "Weil wir gesagt haben: Im Mittelalter wurde das ja dann auch in Europa besser, wie dann mehr Schulbildung war. Wir haben auch schon Krankenhäuser unterstützt. Wir haben aber noch sehr viel zu tun."

Vor allem, weil die Partner in Ruanda und Rheinland-Pfalz 1994 wieder bei Null anfangen mussten. Der Bürgerkrieg und der Völkermord, bei dem vor 14 Jahren innerhalb von 100 Tagen eine Million Menschen aus der Volksgruppe der Tutsi abgeschlachtet wurden, hinterließen ein verwüstetes, zerrissenes Land. Doch die Graswurzelpartnerschaft hat die Gewaltexzesse überstanden und sie hat zum Wiederaufbau Ruandas einen wesentlichen Beitrag geleistet. Heute herrscht wieder ein reger Austausch zwischen dem Land der 1.000 Hügel in Afrika und dem Land der Reben und Rüben in Deutschland. Zu Hunderten kommen Ruander nach Rheinland-Pfalz, Kirchengemeinden, Chöre, Fußballmannschaften. Und zu Hunderten reisen Rheinländer und Pfälzer in ihr Partnerland, um zu sehen, wie die lokalen Hilfsprojekte greifen. Gerlinde Rahm:

Rahm: "Ich würde sehr viel öfter runterfliegen, was auch sehr nötig wäre, um unsere Projekte zu kontrollieren. Aber da wir das Geld alles selber zahlen müssen… Und ich hab noch keinen Sponsor gefunden, der mir den Flug bezahlen wird."

Die Partnerschaft mit Ruanda sei zu einem festen Bestandteil der politischen Kultur und des Alltags in Rheinland-Pfalz geworden, hat Landesinnenminister Karl Peter Bruch einmal gesagt, in dessen Ministerium das Referat "Entwicklungshilfe" schon vor Jahren in "Ruanda-Referat" umbenannt wurde. Und am Ende wird der Einsatz der ganz normalen Rheinland-Pfälzer für das kleine Land in Afrika auch belohnt:

Weimar: "Wenn Sie da von mehreren Tausend Menschen, in einem Fall waren es sogar 5.000 Menschen, empfangen werden und mit Tanz und Gesang begrüßt werden – das motiviert Sie. Das erleben Sie hier in Deutschland nicht mehr."