Dana Grigorcea: "Die nicht sterben"
Penguin Verlag, München 2021
272 S., 22 €
Der Auszug aus dem Roman wurde von Nina Weniger gelesen
Dracula und andere Vampire
29:51 Minuten
Der Ort B. in der Walachei, südlich von Transsylvanien. Hier besucht eine junge Malerin ihre Großtante. Und hier soll nach einem grausigen Fund in der Familiengruft ein Draculapark die Wirtschaft ankurbeln. Was hat es mit dem Draculakult auf sich?
Von Vampiren geht in Filmen und in der Literatur eine große Faszination aus. Das Genre boomt in der sogenannten Unterhaltungsliteratur. Der neue Roman der schweizerisch-rumänischen Autorin Dana Grigorcea ist auch ein Vampirroman. Es ist ihr dritter Roman nach zuletzt ihrer Novelle "Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen".
Mehr als ein Vampirroman
Doch "Die nicht sterben" ist mehr als ein Vampirroman. Es ist das Porträt einer postkommunistischen Gesellschaft, erzählt als Schauergeschichte und als poetische Farce.
War es trotzdem an der Zeit für die Autorin, die in Rumänien aufgewachsen ist, auch über Vampire zu schreiben? Der Mythos um den berühmtesten Vampir, Dracula, stammt schließlich von dort. Man hätte ihr immer mal wieder vorgeschlagen, den ultimativen Dracula-Roman zu schreiben, erzählt sie.
Die Gründungsgeschichte von Amazon als Inspiration
Vor hatte sie das nicht, doch die Idee dazu kam ihr ausgerechnet auf einer Lesereise durch die USA. Inspiriert dazu hat sie die Gründungsgeschichte des Megakonzerns Amazon, der in einer Buchhandlung in Seattle seinen ganz harmlosen Anfang nahm und später zur Schließung vieler kleiner Buchhandlungen führte.
"Es ist ein Gesellschaftsroman," erzählt die Autorin. "Das Buch handelt eigentlich vom revanchistischen Ton in unserer Gesellschaft, mit dem wir Begebenheiten aus der Vergangenheit bekämpfen und verurteilen, sie mit diesem Ton aber in die Gegenwart hinüberretten."
Diesen bitteren Ton, das Verurteilen, das Schauen, womit kann ich Profit machen, habe sie nicht nur in Rumänien, sondern auch beispielsweise in den USA gefunden. "Auch in Europa macht sich dieses Verkrampfte in der Kommunikation breit", sagt sie.
Der Mythos von Dracula
"Man hat immer diese Déjà-vus, wenn es um Nationalismus geht, um Korruption, um diese Sehnsucht nach der starken Hand, um diese Anbetung der Diktatoren. Wir sehen es auch in der jetzigen Zeit. Es halten sich düstere Diktatoren an der Macht und wir unternehmen nichts dagegen."
Der Mythos von Dracula geht auf einen rumänischen Fürsten aus dem Mittelalter mit dem Namen Vlad der Pfähler zurück, weil er seine Feinde und alle, die er eines Vergehens bezichtigte, auf bestialische Weise pfählen ließ.
Ob sich der britische Autor Bram Stoker, von dem Grigorcea ein Zitat an den Anfang ihres Buches gestellt hat, tatsächlich diesen Fürsten als Vorbild für seinen Dracula genommen hat, ist in der Literaturwissenschaft umstritten. Auf jeden Fall machte er ihn damit unsterblich. Den Beinamen Dracula hatte Vlad, weil er den Drachenorden seines Vaters geerbt hatte.
Geister aus der Vergangenheit
Trotz seiner Grausamkeit war Vlad der Pfähler beliebt, weil er auf diese Weise die Korruption wirksam bekämpfen konnte. Er sei der Einzige, der die Geschichte Rumäniens markiert habe, punktiert, eben gepfählt habe – mit ganzer Entschlossenheit, sagt Grigorcea und zitiert damit den rumänischen Philosophen Emil Cioran. Und so sei es ja mit Diktatoren, ergänzt sie, dass man immer hoffe, nicht selbst Opfer ihrer Grausamkeit zu werden.
Vampire können zwar Wände hochlaufen und fliegen, aber im Spiegel sehen können sie sich nicht – ein Bild auch für die Unfähigkeit zur Selbsterkenntnis.
Gegen die Gleichsetzung von Vlad dem Pfähler, der auch in kommunistischen Zeiten und heute als Nationalheld verehrt wurde und wird, mit Dracula habe man sich in Rumänien lange Zeit gewehrt, erzählt Grigorcea. "Aber nach und nach hat man begonnen, dieses Spiel mitzuspielen für die Tourismusbranche."
Und so gab es tatsächlich Pläne für einen Draculapark, wie er im Buch in dem kleinen Ort B. errichtet werden soll. Der Grund dafür: In der Familiengruft der Icherzählerin und ihrer Großtante glaubt man, den Grabstein von Vlad dem Pfähler gefunden zu haben, und auf ihm eine wüst zugerichtete Leiche, die ganz nach dem Werk eines Vampirs aussieht.
"Es war der erste große Sieg der aufkeimenden Zivilgesellschaft, dass diese Pläne nicht verwirklicht wurden", erzählt die Autorin.
Der allgegenwärtige Vampirismus
Warum es auch im Buch nicht dazu kommt, ist eine andere Geschichte. "Was ich aber in dem Buch schreibe, ist, dass Dracula längst nicht mehr in Transsylvanien ist, also hinter dem Wald, sondern längst hier unter uns angekommen ist."
Vampirismus sei ein Kennzeichen nicht nur der rumänischen Gesellschaft: "Es gibt viele Vampire", sagt sie. "Die Nomenklatura in Rumänien, all diese Altkommunisten, die nach der Wende Sozialdemokraten und wieder am Regieren waren." Wie der Bürgermeister der kleinen Stadt B. im Roman, der buchstäblich über Leichen geht.
Kann uns die Kunst retten?
Macht uns die Kunst zu empathischeren Wesen? Ist sie ein Mittel gegen den allgegenwärtigen Vampirismus? Diese Frage ist ein Leitthema im Werk von Dana Grigorcea, weshalb sie die Geschichte aus der Ich-Perspektive einer Künstlerin erzählt hat, die teilweise selbst Gefahr läuft, vampirhafte Züge anzunehmen.
"Es ist tatsächlich meine feste Überzeugung, dass uns die Kunst sensibilisiert, dass wir durch die Kunst immer wieder die unterschiedlichen Möglichkeiten der Welt sehen", sagt Grigorcea.