Dana Ranga: "Hauthaus"

Die Organe als poetische Persönlichkeiten

Anatomiemodelle aus der Anatomischen Sammlung der Ludwig-Maximilians-Universität in München
Modelle aus der Anatomischen Sammlung: Die Autorin Dana Ranga bringt die Organe zum Sprechen. © imago / Reinhard Kurzendörfer
Von Carsten Hueck |
Ein literarischer Rückzug auf das Innerste: In "Hauthaus" macht die Berliner Autorin Dana Ranga die Organe des Menschen zu Persönlichkeiten – und verleiht ihnen ihre Stimme. Die Textsammlung offenbart ihre enge Verbindung mit dem eigenen Körper.
Dana Ranga ist vielseitig und originell - sie dreht Filme, schreibt Hörspiele, Prosa und Gedichte. Geboren 1964 in Bukarest, seit über 20 Jahren wohnhaft in Berlin, debütierte sie als Autorin in Deutschland erst 2011, mit ihrem Lyrikband "Wasserbuch".
Damit führte sie uns in jenes fremde, ferne Universum, aus dem wir vor mehreren hundert Millionen Jahren an Land gekrochen sind. Sie stellte in einer poetischen Begegnung Lebewesen vor, deren Arten-und Formenvielfalt, aber auch Ähnlichkeit mit dem Menschen überraschte. Immer wieder erkundet Dana Ranga in ihren Arbeiten Extreme. Das Leben im All, das Leben in der Tiefsee, hat sie untersucht. Und nun geht sie mit ihrem neuen Buch unter die Haut: Sie hält Zwiesprache mit den Funktionsträgern des menschlichen Körpers, bringt die Organe zum Sprechen, seziert Sehnsuchtsmomente und Kindheitserinnerungen, erzählt von Verletzungen und Angst.

Poetischer Rückzug auf das Innerste

"Hauthaus" heißt diese Sammlung von Texten, die formal zwischen Gedicht und poetischer Prosa oszillieren. Fünfzehn Organe und Körperteile, darunter Leber, Schilddrüse, Hirn und Auge, erweisen sich als Persönlichkeiten, sprechen durch die Autorin, die wiederum durch sie spricht. Enger kann eine Verbindung mit sich selbst nicht sein. Und radikaler nicht der Rückzug auf das Innerste.
Dana Ranga findet für jedes Organ den ihm gemäßen Ausdruck. Schlägt das Herz gleichmäßig, übersetzt sie das genauso in Form und Sprachfluss ihres Textes wie das Aus-dem-Takt-Kommen. Die Interpunktion folgt dem Rhythmus. Die meisten Texte wirken wie eine anhaltende Bewegung, nicht abreißendes (Bewusstseins)strömen; das Funktionieren, selbst wenn spürbar ist, wie mühsam es mitunter es von statten geht, steht nicht in infrage. Andere Passagen wiederum vermitteln Sprunghaftigkeit, kurze Momente des Stillstands oder der Raserei, Zeilensprünge entsprechen den Denksprüngen, erfordern oder ermöglichen erneutes Ansetzen. So ringen die Texte beständig um Ausdruck, die Möglichkeit des Weiter-Sprechens.

Anatomen als Hacker und Diebe

"Anatomie" ist der einleitende Text überschrieben, in dem die Autorin kontrapunktisch zu ihrem eigenen Vorgehen dasjenige von Anatomen beschreibt. Diese sind für Dana Ranga "Hacker der Lust", "Diebe der Intimität", die "das Leben mit dem Skalpell" suchen und gerade deswegen nichts wissen vom Körper, nichts über Schönheit und Liebe. Die Autorin hingegen verwandelt sich dem jeweiligen Organ an. Aus dieser radikalen Innenperspektive wirft sie ihren Blick auf die Welt: Verführung und Unschuld, "Instant-Liebe" und Meteoritenregen, Christus und das "Minenfeld im Alltag" , die "Melodie der Existenz" werden beschrieben und beschworen.
Die Autorin, Tochter eines angesehenen Mediziners in Bukarest, wurde vom Vater einst gezwungen, selbst Medizin zu studieren. Als Künstlerin konnte sich Dana Ranga erst entfalten, nachdem sie in den Westen geflohen war und den Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen hatte. "Hauthaus" liest sich wie eine Abrechnung mit dumpfer Autorität und dem begrenzten Blick auf den Menschen. Das erzeugt Energie -Dana Rangas Sprache ist kraftvoll und bilderreich. Aufmerksam wie ein Seismograph reagiert sie auf kleinste Erschütterung.
Hier spricht - mit wissenschaftlichem Verstand und dem unbedingten Willen sich zu artikulieren - ein wütender Mensch in seiner ganzen Zartheit und Verletzlichkeit –grenzenlos verbunden mit jeder Zelle seines Körpers.

Dana Ranga: Hauthaus
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
63 Seiten, 19,95 Euro

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