"Ich mochte schon immer diese politischen Clowns"
Dani Levy inszeniert am Züricher Schauspielhaus sein eigenes Stück "Schweizer Schönheit". Darin geht es um einen mittelalten Mann, der seinen Burn-out damit bekämpft, dass er nackt im Garten tanzt. Indem er anfängt, die Leute zu provozieren, findet er sein Glück.
Susanne Burkhardt: Wenn heute Abend in Berlin die Berlinale-Bären vergeben werden, dann ist diesmal einer der erfolgreichsten Filmemacher des deutschsprachigen Kinos nicht unter den vielen Gästen und Zuschauern: der Schweizer Filmemacher Dani Levy. Der Regisseur von "Alles auf Zucker" und "Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler", Mitbegründer von X Filme, hat sich nämlich gerade dem Theater verschrieben: Er probt in Zürich, und dort gibt es am kommenden Freitag die Uraufführung seiner fundamentalistischen Komödie "Schweizer Schönheit", inszeniert hat er selbst. Herr Levy, ich grüße Sie in Zürich!
Dani Levy: Ja, ich grüße Sie auch, hallo!
Burkhardt: Die Berlinale läuft ohne Sie. Stört Sie das?
Levy: Ja. Sie hätte abgesagt werden müssen, jetzt, wo ich keine Zeit hatte. Ich bin da immer, wie soll ich sagen ... Ich habe da so ein zerrissenes Herz: Auf der einen Seite liebe ich die Berlinale über alles und gehe da gerne hin und habe da tolle Filme gesehen, und gleichzeitig bin ich immer glücklich, wenn ich was anderes zu tun habe und auch wirklich was arbeite und da nicht arbeitslos auf der Berlinale rumturne, weil das kann einen auch manchmal ganz schön deprimieren.
Burkhardt: Die Wenigsten wissen ja vielleicht, dass Sie ursprünglich vom Theater kommen, nämlich schon ganz früh als Clown und Akrobat im Baseler Zirkus aufgetreten sind, später als Schauspieler auch am Theater Basel. Dann haben Sie sich aber dem Film verschrieben, sind dann noch einmal, glaube ich, 2004 kurz zum Theater zurück mit "Freie Sicht aufs Mittelmeer", das war auch das Jahr mit dem Erfolg von "Alles auf Zucker". Was hat Sie jetzt fürs Theater schreiben lassen?
Levy: Also eigentlich eine ...
Burkhardt: Also man könnte gemein fragen: Wollte keiner Ihre Drehbücher?
Levy: So gemein ist das gar nicht, das ist wahrscheinlich schon richtig. Das Züricher Schauspielhaus hat mich angefragt, ob ich Lust hätte, was in Zürich zu machen, und haben mir die Bühne gezeigt. Und ich war erst mal ein bisschen unsicher und auch ein bisschen ambivalent darüber, ob ich überhaupt mir zutrauen würde, so einen klassischen Bühnenraum mit so einer klassischen Guckkastenbühne in einem großen, althergebrachten Theater zu füllen mit Levy-Theater, was ich gar nicht richtig definieren könnte. Und dann haben die aber auch gesagt, na ja, wir geben dir eine freie Karte, also eigentlich eine Carte Blanche, und du kannst irgendwie machen, was du machen möchtest – und dann habe ich mir das nicht zwei Mal sagen lassen und habe gedacht, okay, die Chance ergreife ich und schreibe was Böses über die Schweiz in der Schweiz.
Gesellschaftskritik als "fundamentalistische Komödie"
Burkhardt: Herausgekommen ist eine fundamentalistische Komödie. Worum geht es denn darin und was ist das überhaupt, eine fundamentalistische Komödie?
Levy: Tja, das ist eine gute Frage. Ich schreibe manchmal schneller hin, als mein Kopf denkt oder umgekehrt, ich denke irgendwas und schreibe es hin, und dann habe ich danach irgendwie Jahre zu tun, weil ich gar nicht weiß, was ich genau hingeschrieben habe.
Also für mich war die Komödie deswegen fundamentalistisch oder ich versuche, eine fundamentalistische Komödie zu machen, weil das eine Geschichte oder eine Komödie sein soll, die um alles geht und nicht nur um irgendein komisches Phänomen, also sprich, wo so bestimmte Lebensmodelle und auch mitunter das Schweizer Lebensmodell oder das Lebensmodell eines zufriedenen, erfolgreichen Mittelstandes mit auf der Waage stehen.
Und zum Zweiten habe ich es fundamentalistisch genannt, weil ich natürlich auch die Lebensweise der Schweiz selber als fundamentalistisch empfinde, wie übrigens natürlich die meisten Lebensweisen, weil ich das Gefühl habe, dass, wenn diese Ordnung und diese Harmonie oder diese soziale Frieden gefährdet ist oder bedroht wird, dann reagiert diese Gesellschaft ungehalten, wenn nicht sogar wütend. Und das waren so die beiden Gedanken, die mich dazu geführt haben, das Wort Fundamentalismus, obwohl es in einem völlig anderen Zusammenhang ist, dafür zu benutzen, und weil ich auch dachte, dass Verwirrung immer gut ist.
Burkhardt: Und in Ihrer Komödie wird jetzt diese Ordnung gefährdet durch einen Mann, der bislang unauffällig war und jetzt aus ganz verschiedenen Gründen – das können Sie ja vielleicht kurz zusammenfassen – jetzt irgendwie aus der Bahn geworfen wird.
Levy: Genau. Also das Stück fängt an am 50. Geburtstag selber von Balz Häfeli, so heißt er jetzt im Moment im Stück, und an diesem schrecklichen 50. Geburtstag, den er in seinem Garten feiert mit Eltern und Freunden und Familie und Bürgermeister und was weiß ich, spürt er oder realisiert er plötzlich, dass sein ganzes Leben eigentlich eine große Lüge ist und dass er in dem, wie er sich da eingemeindet und eingenistet hat in dieser erfundenen, beschaulichen, schönen Schweizer Stadt Wohlstadt, dass das alles nicht mehr so ist, wie er dachte, dass es ist. Und er erleidet in der Nacht eine Art, na ja, heute würde man sagen, Nervenzusammenbruch, so eine Art Burnout. Und anstatt dann in eine Opfergeschichte reinzugehen oder in einen Opferfall, habe ich gedacht, gehe ich in einen Menschen rein oder in eine Situation rein, in der Balz Häferli zu einem aktiven Aussteiger wird, zu jemandem wird, der tatsächlich mit seiner neuen Realität oder mit einer neuen Freiheit, die er sich selber erkämpft hat, anfängt, zu spielen.
Was er faktisch macht: Er zieht sich in seinen Geräteschuppen im Garten zurück und fängt dort ein eigenes, neues Leben an. Der holt dann seinen Computer und ein paar Sachen aus dem Haus, wo seine Familie immer noch ist, und vegetiert dann sozusagen in dem Schuppen so daher und wird immer eigenartiger und merkt, dass seine Mitmenschen und sein Umfeld eigenartig und vor allem auch zunehmend irritiert und auch wütend auf ihn reagieren. Und das entwickelt in ihm so einen fast kindlichen Spieltrieb, und er fängt an, mit der Situation zu spielen und wird immer provokativer und auch immer erfinderischer – und dadurch auch immer glücklicher. Ich habe immer so ein bisschen an Fritz Teufel gedacht oder so. Ich mochte schon immer diese politischen Clowns, will ich jetzt gar nicht sagen, aber so Leute, die so eine Art Anarchie ausrufen, auch eine Anarchie der Gedanken und der Freiheit der Fantasie.
"In einem Alter, in dem man sich selbst nicht mehr belügen kann"
Burkhardt: In der Szene, die ich vorab lesen konnte, da heißt es, er übt Muezzin-Gesänge, tanzt nur mit einer Schweizer Fahne bekleidet durch den Garten. Die Leute finden das ja alle erst mal ein bisschen merkwürdig. Aber seine Frau und sein Sohn, seine Frau, die ihn notorisch betrügt, die findet das aber irgendwie toll. Ist Ihr Stück so ein Plädoyer für das Aufbegehren, so einen Widerstand gegen die Leistungsgesellschaft und gegen diese Wiederholung des Alltags?
Levy: Also erst mal habe ich grundsätzlich ... versuche ich zumindest, bei Filmen wie auch bei Stücken keine Mission zu vertreten oder zu fahren. Ich habe in dem Sinne auch keine Message. Mich hat erst mal ein Mensch interessiert, weil ich selber natürlich ungefähr in diesem Alter bin, der in einer Not ist, er kann sich selber nicht mehr belügen. Er ist zusammengebrochen, sein Lebensmodell hat sich irgendwie als nicht wirklich befriedigend und glücklich machend herausgestellt und er ist plötzlich nackt auf eine bestimmte Art. Und Menschen in Not sind für mich immer der Anfang einer guten Freundschaft, sage ich jetzt mal, oder einer schönen Komödie.
Burkhardt: Man kennt Sie, Dani Levy, als Drehbuchschreiber. Wie anders ist es, fürs Theater zu schreiben? Sie haben ja gerade schon eingangs gesagt, Sie hatten so ein bisschen die Überlegung – für so eine Guckkastenbühne schreiben, das ist ja dann wahrscheinlich ganz anders als ein Drehbuch?
Levy: Also erst mal: Das Schreiben habe ich lustigerweise auf meinem ganz normalen Drehbuchprogramm geschrieben, und ich habe es ein bisschen umformatiert, so ganz hilflos, so, dass es ein bisschen eher wie ein Theaterstück aussieht und nicht zu sehr wie ein Drehbuch. Aber letztendlich ist es genau das gleiche Programm.
Und ich bin erst mal an die Geschichte rangegangen wie an ein filmisches Drehbuch, weil ich eigentlich auch ein relativ realistisches Stück vor Augen gehabt habe und kein abstraktes oder symbolisches oder kunstgewerbliches Stück machen wollte. Somit bin ich erst mal vom Schreiben her relativ ähnlich rangegangen wie an einen Film, habe aber dann relativ schnell gemerkt, dass Theater und Film doch fundamental unterschiedlich sind. Das eine ist die ganze Arbeit mit den Schauspielern: Beim Film geht es darum, dass ich einen Schauspieler innerhalb relativ kurzer Zeit, in wenigen Stunden mit einer bestimmten Szene an einen Punkt bringe oder alle Schauspieler, dass ich eine Wahrheit und eine Authentizität bekomme und dass ich die Szene glaubwürdig und packend und emotional in den Kasten kriege. Wenn das einmal da ist oder auch nur ein halbes Mal und irgendwie aus verschiedenen Takes kann ich bestimmte Momente nehmen, dann kann ich mir daraus eine Performance gestalten und schneiden, die für mich dann als Komposition wunderbar funktioniert.
Im Theater ist das ein ganz anderer Prozess: Ich muss mit den Schauspielern so arbeiten, dass eine emotionale Dichte und eine bestimmte Spielweise nachhaltig immer wieder wiederholbar ist. Und das fühlt sich, ehrlich gesagt, manchmal ein bisschen an wie Sisyphos, weil man rollt so den Stein hoch und die Schauspieler sind dann in einer Probe ganz toll, man denkt, wow, das ist gut gewesen, und irgendwie eine Woche später, wenn man die Szene wieder hochholt, ist alles wieder weg und das ist wie nicht passiert. Und dann sagt man: Du, aber das hatten wir doch letztes Mal ganz toll! Und dann ist der Schauspieler selber auch verunsichert und sagt: Wie habe ich das denn da gemacht letzte Woche? Kann ich mich gar nicht mehr richtig erinnern. Also das sind so ... Es ist noch mal ein anderer Prozess.
Burkhardt: Mir ist aufgefallen, Herr Levy, dass es momentan im Kino relativ viele Filme gibt, die auf Theatererfolge aufbauen, "Gott des Gemetzels" gab es von Yasmina Reza, Sönke Wortmann hat erst im GRIPS-Theater "Frau Müller muss weg" inszeniert, jetzt fürs Kino bearbeitet, "August in Osage County" ist ein totaler Bühnenrenner, "Eine Familie" von Tracy Letts, dann haben wir "Birdman" jetzt, das spielt am Broadway, also Filme, die sich mit Theater beschäftigen, "Wolken von Sils Maria", auch hier geht es um die Inszenierung eines Theaterstücks. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich das Kino so sehr am Theater begeistert?
"Das Theater ist tatsächlich eine eigene Welt"
Levy: Nein. Jetzt, wo Sie das sagen, haben Sie völlig Recht, mir ist das gar nicht so deutlich aufgefallen. Die Tatsache ist natürlich, dass das Theater – ob man jetzt vom Film kommt oder nicht, ist eigentlich völlig egal – ein wirklich eigenes, fast in sich geschlossenes Universum ist. Und hier wird Leben und Tod, laut und leise, alle Formen von Kunst und von Darstellbarkeit geprobt und aufgeführt. Und dadurch ist das Theater, gerade weil es eben erst mal gar nicht nach außen atmet, sondern fast eine Art Laborsituation ist, und erst nach der Premiere wird das Stück in einer möglichst fertigen Situation dem Publikum zugetragen und letztlich auch anvertraut, aber bis dahin ist das Theater natürlich ein fast schon inzestuöser Betrieb irgendwo, weil man kommt gar nicht richtig raus so ...
Und Film wandert von Set zu Set. Also klar, es gibt natürlich auch Studiofilme, aber da ist man immer mit der Realität irgendwo in Berührung, da fahren Autos draußen vorbei und Passanten bleiben stehen und was weiß ich, es ist irgendwie immer noch in der wirklichen Welt. Aber das Theater ist tatsächlich eine eigene Welt und hat dadurch auch eine unglaublich starke Emotionalität. Und das ist, glaube ich, für viele – könnte ich mir vorstellen – Filmemacher auch faszinierend.
Burkhardt: Vielen Dank, Dani Levy! Ich wünsche für die Premiere toi, toi, toi!
Levy: Ja, danke, das können wir brauchen!
Levy: Ja, danke, das können wir brauchen!
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