Im Entengang durch den Nahostkonflikt
Mit moderner 360°-Technik erzählt der Regisseur Dani Levy in einer Kurzfilmreihe Geschichten aus Jerusalem. Im Jüdischen Museum in Berlin hat er das Projekt jetzt vorgestellt und dabei von den erschwerten Dreharbeiten berichtet.
Der Schweizer Kameramann Filip Zumbrunn hat schon viele Filme gedreht in den vergangenen gut 20 Jahren: Dokumentationen, Spielfilme, Kinofilme. Doch was Regisseur Dani Levy vorhatte, war Neuland für alle Beteiligten. Bei einem Podiumsgespräch im Jüdischen Museum klären die beiden auf.
"Es ist tatsächlich viel Pionierarbeit in diesem Projekt gewesen", erklärt Filip Zumbrunn. "Dani wollte unbedingt eine sogenannte Handkamera. Aber Handkamera ist ja fast nicht möglich, weil man ja den Operator in jeder Richtung sehen würde."
Filip Zumbrunn kann so ziemlich alles, was ein Kameramann können muss. Unsichtbarwerden stand bislang nicht an. Dani Levy wollte VR 360-Grad-Filme machen, das VR steht für Virtual Reality und 360 für die Rundumsicht, die ein Zuschauer mit der Videobrille dadurch erlangt, dass er sich einfach umschaut.
Dreharbeiten im Entengang
"Die Aufgabe war klar, dass wir die Kamera auf den Kopf machen", sagt Filip Zumbrunn. "Dann habe ich mir diese Konstruktion gebaut. Und wichtig, was wir beim Testen herausgefunden haben, ist, dass der Level von der Kamera immer gleich bleibt. Also, wenn der Horizont wackelt, dann wird es einem schlecht in der Brille."
Das Ergebnis liegt irgendwo zwischen dem Gestänge eines Gleitschirms, dem Helm eines Dressurreiters und darauf festgeschnallt die Kamera, die in jede Richtung filmt. Damit sich die Kamera beim Gehen nicht auf und ab bewegt, musste Zumbrunn die Dreharbeiten im Entengang absolvieren. Er führt es auf der Bühne vor.
Das Ergebnis für den Zuschauer ist indessen beeindruckend. So steigt man etwa direkt mit der Kamera vor der Mauer Ost-Jerusalems aus einem Bus, man sieht sich um, wenn man möchte, schaut nach links, nach rechts, nach hinten. Dieselbe Szene, aber immer neue Blickwinkel, den ganzen Film hindurch.
Eine Art von Zweipositionenhaftigkeit
"Glaube, Liebe, Hoffnung, Angst sind die Kurzgeschichten betitelt, zwischen fünf und acht Minuten kurz, und sie wurden mit jüdischen wie palästinensischen Schauspielern gedreht. Dani Levy war vor allem eines wichtig:
"Wenn wir vier Geschichten in Jerusalem drehen, dass zwei Geschichten aus der palästinensischen und zwei Geschichten aus der israelischen Perspektive erzählt werden. Dass wir quasi, obwohl wir Juden sind, das eben nicht nur aus einer jüdisch-israelischen Perspektive heraus erzählen, sondern tatsächlich eben auch haben."
"Zweipositionenhaftigkeit" – das klingt wie die kleine Schwester von "Zweistaatenlösung". Die ohnehin schon extrem vertrackte und brandgefährliche Situation zwischen Israel und Palästina wird noch dadurch erschwert, dass von palästinensischer Seite schon der Anschein von Normalität unerwünscht ist.
"Es gibt in der palästinensischen Community, in der palästinensischen Filmbehörde, aber auch Autonomiebehörde, das sogenannte Anti-Normalisierungsgebot", sagt Dani Levy. "Es verbietet vielen Palästinensern, an einem solchen Projekt teilzunehmen. Die Grundidee ist absolut einleuchtend, indem die Palästinenser sagen, für uns ist es kein Normalzustand, sondern wir werden von Israel besetzt. Wir sind kein gleichberechtigtes Volk, und deswegen wollen wir auch keine Normalität spiegeln. Weil die Welt da draußen dann das Gefühl hat, es gibt eine Art Normalität, aber wir verweigern diese Normalität."
Die politische Realität beim Dreh
Das Gebot achten oder ignorieren – zwei vertretbare Positionen, die auch unter Palästinensern hart diskutiert werden. Das Problem ist: Sie schließen einander aus. Dieser Graben ragt auch weit ins Künstlerische hinein.
Dani Levy weiter dazu: "Normalerweise, wenn man mit Schauspielern arbeitet, dann lassen die ein Stück weit ihr Privatleben zuhause und auch die politische Situation, und spielen das, was sozusagen das Drehbuch vorschreibt. In diesem Fall war es wirklich so, dass die politische Realität, in der wir da gedreht haben, wesentlich wichtiger war. Und die Schauspielerin hat gesagt, ist mir scheißegal, was in dem Drehbuch steht, ich bin hier, da ist die Mauer, das sind die Israelis, ich lächle den nicht an, ich mach das so und so nicht, ich mach das nur so und so. Und das war schon, auch für mich, Neuland."
Skepsis seitens der palästinensischen Behörden...
Der Wille war aber offensichtlich vorhanden. Daneben waren viel Fingerspitzengefühl und beste Kontakte seitens der Produzenten gefragt. Denn mit den Behörden klarzukommen, war nochmal eine Sache für sich:
"Es gibt ein Gebäude in der Westbank, das wurde Ende der 90er-Jahre als neues Parlamentsgebäude für den palästinensischen Staat gebaut. Ein riesiges Gebäude, das da als Bauruine in Abu Dis steht. Wir wollten unbedingt in diesem Gebäude drehen und haben wirklich bis zum Drehtag gehofft, dass wir diese Drehgenehmigung kriegen. Und am Schluss haben wir das Gebäude nicht bekommen."
Eine Geschichte, die stellvertretend steht für die Schwierigkeiten der gesamten Dreharbeiten. Den palästinensischen Behörden war es wohl suspekt, dass ein in Berlin lebender Jude mit Schweizer Pass ausgerechnet den Geist Arafats zu Wort kommen lassen wollte. Man hört ihn mit diesen Zeilen:
"We were almost successful, almost. But Israel was scared. The fear of success, the fear of solution, the fear of freedom."
... aber auch seitens der israelischen Militärpolizei
Ähnlich kompliziert wurde es an einem vom Filmteam nachgebauten Grenzkontrollposten. Diesmal machte Israel Probleme, erklärt Dani Levy:
"Wir hatten zwar eine Genehmigung der Stadt, aber wir hatten keine Genehmigung der Militärpolizei. Die haben erstmal alles abgeblasen. Wir hatten die Schauspieler und irgendwie alle hingekarrt und saßen erstmal da mit langen Gesichtern. Und dann wurde halt verhandelt. Dann, nach zwei Stunden, hieß es: 'Okay, ihr müsst eine andere Straße benutzen.' Und dann konnten wir dann doch drehen."
Irrungen und Wirrungen
Dani Levy spielt gekonnt mit diesen Irrungen und Wirrungen. In einem Kurzfilm provoziert ein als Comedian getarnter Schauspieler mitten in der Jerusalemer Altstadt Passanten.
Die Stimmung wird aggressiver, der Comedian wird vom Publikum weggezerrt und man bleibt als hilfloser Betrachter zurück. Dazu Dani Levy:
"Dieses Gefühl, dass man dort ist und dass man mit den Leuten eine Situation erlebt, auch wenn es Film ist, es ist eben nicht interaktiv und man kann auch nicht drin rumlaufen. Aber trotzdem ist es so eine neue Art des Erlebnisses, von dem ich glaube, dass es viele noch gar nicht gesehen oder gehabt haben bislang."
Faszination und Schrecken liegen nahe beieinander in Levys vier kurzen Filmen. Sie bieten nur einen sehr kleinen Einblick in den konfliktreichen Alltag von Israelis und Palästinensern. Einen Ausblick ersparen sie sich.