Daniel Cil Brecher: Fremd in Zion

Vorgestellt von Margarete Limberg |
Israels Legitimität in Frage zu stellen und seine Gründung als eine Art Sündenfall darzustellen - damit machen die so genannten "Neuen Historiker" Israels seit einigen Jahren Furore, und sie können des Beifalls der Gegner Israels aller Couleur sicher sein, die sich bessere Kronzeugen kaum wünschen können.
Auch der Autor dieses Buches, Daniel Cil Brecher, betrachtet den Nahost-Konflikt in erster Linie als Ergebnis israelischen Unrechts an den Palästinensern. Sein Buch "Fremd in Zion. Aufzeichnungen eines Unzuverlässigen" bietet jedoch mehr als eine höchst einseitige Geschichtsinterpretation.
Es ist zugleich der persönliche Erfahrungsbericht eines deutschen Juden, der weder in Deutschland noch in Israel heimisch werden kann.

"Beging ich Verrat an den Opfern des Holocaust, wenn ich völlig in der deutschen Gesellschaft aufging? Diese Frage beantwortete ich mit nein. Ich war zwar bereit, jüdisches Leben in der Diaspora jederzeit gegen Bedrohungen zu verteidigen, aber der Erhalt der Gruppe war für mich kein Ziel an sich … Sollte das Judentum auf Grund allgemeiner sozialer und kultureller Prozesse eines Tages ganz verschwinden, so würde das zwar die kulturelle Vielfalt in der Welt reduzieren, aber nicht mehr."

So klar dieses Brechers Distanz erkennen lässt - das auch in der Linken verbreitete Schwadronieren über die angebliche Macht der Juden treibt den Autor 1976 zur Auswanderung nach Israel. Aber dort entdeckt er eine "militante Staatsideologie", die das Prinzip der ethnisch- reinen Gesellschaft verfolge und ihn abstößt.

Brecher arbeitet sich polemisch ab an dem, was er den Geburtsfehler Israels nennt: daran, dass das Land auf das der Zionismus Anspruch erhebt, von anderen bewohnt war. Er nennt das Kolonisierung eines fernen Territoriums:

"Die moderne Ansiedlung von Juden, die Schaffung des Staates und seine Ausweitung waren ein Akt des Kolonialismus, der zur Verdrängung der arabischen Ursprungsbevölkerung, zu einem blutigen Konflikt mit den Nachbarländern und zur Zerstörung der arabischen Gesellschaft Palästinas geführt hat."

Im Ernst wird niemand bestreiten, dass vielen Palästinensern Unrecht geschehen ist, aber daran waren auch viele andere, Briten ebenso wie Araber, beteiligt. Will man im Ernst angesichts des Holocaust das Recht der Juden auf einen Staat bestreiten? Kann man das Recht auf Selbstverteidigung in einem feindlichen, ja hasserfüllten Umfeld in diesem Zusammenhang wirklich beiseite lassen?

Das sind die Fragen, die diese Lektüre unablässig provoziert. In einem hingegen muss man dem Autor Recht geben.
Die Entmenschlichung des Gegners auf beiden Seiten ist eines der Erzübel dieses Konflikts:

"Nur durch die Anerkennung der eigenen Verantwortung und Schuld am Leiden der anderen kann jener Prozess im Nahen Osten im Nahen Osten zu Ende gebracht werden, der über die Wiederentdeckung der Menschlichkeit des Gegners zu Annäherung, Verständigung und Frieden führt."

Dass die Erziehung zum Israeli im Fall Brecher nicht gelingen konnte, ahnt der Leser bald. Er, der Irreligiöse bleibt der Außenseiter. Das Pflichtgefühl gegenüber dem jüdischen Staat, das seine israelischen Altersgenossen den Militärdienst als Selbstverständlichkeit betrachten lässt, ist ihm, dem vom Pazifismus der 68er in Deutschland Geprägten, fremd.

Bewegend ist die Schilderung des Aufwachsens in Deutschland, nachdem seine Eltern, beide Holocaust-Überlebende, Israel schon Anfang der 50ger Jahre wieder den Rücken gekehrt haben, um ins Land der Täter zurückzukehren. Sie müssen erfahren: auch nach dem Holocaust weisen nichtjüdische Vermieter Wohnungssuchende ab wenn sich herausstellt, dass sie jüdisch sind. Über den Holocaust wird zu Hause nicht gesprochen. Die Eltern fühlen sich zum Schweigen gedrängt, nur durch Broschüren, die die Mutter wortlos in sein Bücherregal legt, erfährt Brecher, was geschah:

"Das 'Hinter-Sich-Lassen', das zumindest zeitweise Ignorieren der Vergangenheit, war eine weit verbreitete Bewältigungsstrategie. Nur ganz wenige sprachen offen und mit deutlichen Gefühlen über ihr Schicksal… In Deutschland war die Erinnerung an die Hitler-Zeit den jüdischen Einwanderern und Rückkehrern zudem noch bei der Eingliederung im Weg, ja schien eine erfolgreiche Eingliederung überhaupt in Frage zu stellen."

Brecher träumt von einem föderalistischen binationalen Staat Israel. Aber wo ist der verlässliche Partner für so ein Projekt? Ein solcher Staat würde überdies die Juden zu einer Minderheit machen und wird deshalb von der Mehrheit der Israelis abgelehnt.

Dieses Buch hinterlässt einen sehr zwiespältigen Eindruck. Sehr lesenswert ist der persönliche Lebensbericht Brechers, der, wo er auch ist, unangepasst ist und bleiben will, der sich sein höchst persönliches Urteil von niemandem nehmen lässt und dafür allerlei Schwierigkeiten in Kauf nimmt. Fragwürdig und manchmal ärgerlich ist seine Analyse des Nahost-Konflikts und eine gelegentlich an Beflissenheit reichende pro-palästinensische Schlagseite. Das Buch kann anregend für diejenigen sein, die sich einigermaßen in der Geschichte des Konflikts auskennen, könnte andere jedoch zu irrigen Schlussfolgerungen verführen.

Daniel Cil Brecher: Fremd in Zion -
Aufzeichnungen eines Unzuverlässigen
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005