Daniel Cohn-Bendit

"Die Sparpolitik der EU ist unerträglich"

Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit
Daniel Cohn-Bendit: Griechenland ist auf der Suche nach einem möglichst günstigen Kompromiss © dpa / picture alliance / Marijan Murat
Moderation: Nana Brink |
Vor Alexis Tsipras Berlinbesuch stellt sich Daniel Cohn-Bendit auf dessen Seite. Die griechische Syriza-Regierung verhalte sich im EU-Schuldenstreit "völlig normal", so das grüne Urgestein: Die Rückzahlung der Kredite sollte ausgesetzt werden.
Der grüne Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit findet das Verhalten der griechischen Regierung in der Schuldenkrise normal und nachvollziehbar. Im Deutschlandradio Kultur sagte Cohn-Bendit, die Regierung in Griechenland habe momentan ein Problem: Sie wisse um die schwierige Finanzlage, sei aber gleichzeitig gewählt worden, um einiges zu verändern. Es sei "völlig normal", dass die Regierung nun versuche, Druck aufzubauen, um am Ende einen für das Land günstigen Kompromiss zu erzielen. Für das Treffen von Bundeskanzlerin Merkel mit dem griechischen Regierungschef Tsipras sagte Cohn-Bendit einen positiven Ausgang voraus: Beide wüssten, worum es gehe: Tsipras kenne die Kassenlage, Merkel wisse, dass es fatal für die EU wäre, keine Lösung zu finden. Politisch stellte sich Cohn-Bendit auf die Seite der Syriza-Regierung: Die in der EU postulierte Sparpolitik der letzten Jahre sei für einige Länder "unerträglich".

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Wenn Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras heute am späten Nachmittag vor dem Kanzleramt aussteigt – wir vermuten mal, ohne Krawatte, aber vielleicht macht er ja mal eine Ausnahme –, also, wenn er dann auf die Bundeskanzlerin trifft, dann wird jede noch so kleine Regung der beiden registriert werden. Und es geht ja auch ums Ganze. Laut Berechnungen der EU-Kommission soll Griechenland nur noch bis zum 8. April über genügend Liquidität verfügen.
Show-Down also in Berlin. Bringt der selbst ernannte Rebell vom Mittelmeer eine Reformliste mit und wird die kühl agierende Kanzlerin ihm signalisieren, dass sein Land die noch ausstehenden 7,4 Milliarden aus der letzten Kredit-Tranche bekommt?
Wir würden ja alle gerne Mäuschen spielen, wenn die beiden sich treffen, um zu retten, was noch zu retten ist, nicht nur von Griechenland, sondern überhaupt von der europäischen Idee! Daniel Cohn-Bendit war 20 Jahre lang für die Grünen im Europaparlament, ich grüße Sie, Herr Cohn-Bendit!
Daniel Cohn-Bendit: Guten Tag, guten Morgen!
Brink: Würden Sie auch gerne mal lauschen?
Cohn-Bendit: Ja ... Was heißt lauschen, ich kann mir das schon vorstellen, wie sich das abspielt. Also, die Kanzlerin wird mütterlich-sachte Tsipras empfangen, wie das ihre Art ist. Und Tsipras weiß, dass er den Ton finden muss, damit die Sache irgendwie einigermaßen so läuft, dass in der nächsten Woche dann die ersten anderthalb bis zwei Milliarden nach Griechenland überwiesen werden können, so. Das ist die Ausgangssituation. Und da beide wissen, worum es geht, muss man davon ausgehen, dass es positiv sein wird.
Brink: Also, nach den ganzen verbalen Echauffiertheiten: Mit welchem Fingerzeig sollten die beiden dann aufeinander zugehen?
Tsipras kennt die Sach- und Kassenlage
Cohn-Bendit: Mit dem Fingerzeig des ... Also, Tsipras ist Regierungschef in Athen und er kennt die Sachlage und die Kassenlage. Und Frau Merkel weiß, dass für die Europäische Union es fatal wäre, wenn man keine Lösung mit Griechenland finden würde. Deswegen glaube ich, dass man da gelassener dies erwarten kann. Sonst würde es bedeuten, dass diese beiden Politiker, sowohl die Kanzlerin als auch Tsipras, einfach ihren Job nicht verstehen.
Brink: Nun haben Sie gesagt, der griechische Regierungschef weiß Bescheid um die Lage. Sind Sie sich da sicher? Viele zweifeln ja daran.
Cohn-Bendit: Ja, das ist nicht wahr. Die griechische Regierung hat ein Problem, sie weiß, dass die Finanzlage sehr schwierig ist, und gleichzeitig ist sie gewählt worden, um einiges zu verändern. Das ist nun mal so, es ist eine Riesenerwartung in der Wählerschaft. Deswegen versuchen die so lange wie möglich zu zeigen, wir versuchen alles, um dann irgendwie das hinzukriegen. Das ist doch völlig normal!
Brink: Was heißt, was hinkriegen? Sie meinen, sie schieben das alles auf die lange Bank, um möglichst hoch zu pokern?
Cohn-Bendit: Nein, das ist doch wieder so eine ein bisschen überhebliche Formulierung. Nein, die versuchen erst mal, so den Druck aufzubauen, dass dann ein Kompromiss, der sein muss oder den man am Ende irgendwie hinkriegen muss, dass dieser Kompromiss so gut wie möglich für Griechenland sein wird.
Brink: Nun kann man ja nicht sagen, dass der Druck im Kessel nicht hoch war. Er war ja schon so hoch, dass der Deckel fast schon weggeflogen wäre. Die Frage bleibt ja: Wer muss liefern? Die deutsche Regierungsmeinung – und nicht nur die deutsche, muss man ja auch sagen – ist, die griechische Regierung muss endlich Reformen angehen. Ist das falsch, das zu fordern?
Ein Zeichen gegen die Armut in Griechenland ist richtig und wichtig
Cohn-Bendit: Nein, es ist nicht falsch, aber es ist die Frage einfach des Tempos und der Zeit. Die Situation in Griechenland ist, dass es eine Riesenarmut gibt, dass diese Regierung sagt, erst mal müssen wir Zeichen setzen gegen die Armut, ist verständlich und wichtig! Und ich finde manchmal, wenn man Reformen fordert, die Reformen, die notwendig sind, sind Reformen zum Beispiel in der Steuerfrage, dass die Steuerhinterziehung in den Griff gekriegt wird. Wie lange hat Deutschland gebraucht – und sie haben es immer noch nicht geschafft! – hier die Steuerhinterziehung in den Griff zu kriegen, was man so liest. Deswegen finde ich, dass die Reformen, die in Griechenland so notwendig sind, sind gewaltig und schwer durchzusetzen.
Brink: Die Frage ist ja, die ganzen Gelder, die jetzt auch kommen, die Milliarden, Sie haben sie angesprochen, die werden ja nicht wirklich den armen Griechen zugute kommen, sondern die werden in die Tilgung von Krediten zurückgehen, also rechte Tasche, linke Tasche. Was kommt denn dann bei den Griechen eigentlich an? Oder andersherum gefragt, wer muss denn das bezahlen?
Rückzahlung von Krediten sollte um zwei bis drei Jahre verschoben werden
Cohn-Bendit: Es gibt zwei Summen. Es gibt die Summe, die die Europäische Kommission mobilisiert, das geht unmittelbar in die griechische Wirtschaft ein. Die zweite Summe, da haben Sie recht, das ist aber die Crux an der ganzen Geschichte, dass die Kredite, die der Weltwährungsfonds zum Beispiel gibt, die müssen zurückgezahlt werden. Und notwendig wäre, dass Währungsfonds und EZB sagen, okay, wir verschieben die Rückzahlung der Gelder, die wir jetzt kriegen müssen, um, sagen wir, zwei, drei Jahre, damit die unmittelbaren Gelder, die mobilisiert werden können, sofort in die Wirtschaft investiert werden können. Das ist das Problem.
Die haben fast eine Milliarde an Kredit zurückgezahlt in den letzten Wochen. Das ist natürlich, wenn man will, unerträglich für die Griechen, denn die brauchen Geld, um bestimmte Investitionen zu leisten, damit das Geld bei den Griechen ankommt. Das heißt, es stimmt, dass die langfristigen Kredite, die werden jetzt nicht zurückgezahlt, aber die kurzfristigen Kredite werden zurückgezahlt, und das ist die Crux an der ganzen Geschichte.
Brink: Nun wächst ja der Widerstand der Südländer gegen diese Austeritätspolitik. Man sieht das ja nicht nur in Griechenland, auch in Spanien zum Beispiel an der Podemos-Bewegung oder in Frankreich jetzt bei den Kommunalwahlen, beim Front National diesmal von der rechten Ecke, die ganz klar Front machen gegen die Sparpolitik, gegen Europa. Wohin wird das führen?
Cohn-Bendit: Das wird führen, dass auch natürlich zum Teil die europäische Politik falsch ist. Und ich glaube, das ist das Problem, dass natürlich die Kanzlerin das nicht sofort einsehen kann. Aber die Art und Weise, wie man die Sparpolitik im Grunde genommen in den letzten Jahren geführt hat, ist natürlich für bestimmte Länder unerträglich. Und ich finde, unerträglich ist dann die deutsche Öffentlichkeit, die immer sagt, ihr müsst eure Sparmaßnahmen einhalten, ohne dass man, na ja, nachvollzieht, was es für die Bevölkerung bedeutet!
Brink: Na, Sparmaßnahmen vielleicht nicht einhalten, aber doch Verträge einhalten oder zumindest sagen, Reformen voranbringen. Das ist doch die Gegenleistung, die man erwarten kann?
Cohn-Bendit: Ja, aber zum Teil waren die Verträge falsch. Man muss auch mal nachdenken, ob die Verträge, die man geschlossen hat, richtig waren. Und das ist meiner Meinung nach irgendwie das Problem im Moment. Also, wenn die Löhne in Griechenland um 30 bis 40 Prozent zurückgegangen sind, dann kann man nicht mehr sparen in dieser Richtung. Das muss man doch nachvollziehen. In Deutschland flippen doch alle aus, wenn die Löhne nicht steigen!
Brink: Daniel Cohn-Bendit, schönen Dank für das Gespräch!
Cohn-Bendit: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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