Daniel Immerwahr: "Das heimliche Imperium"

Vom Guano bis Guantanamo

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Buchcover: Daniel Immerwahr: Das heimliche Imperium
Das Buch sei "ein unverzichtbarer Schlüssel, um die US-Außen- und Sicherheitspolitik von heute zu verstehen", schreibt unser Rezensent. © S.Fischer/Deutschlandradio
Jörg Himmelreich |
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Die Macht der USA gründet bis heute auf einem globalen Flickenteppich aus Wirtschafts- und Militärstützpunkten, argumentiert der Historiker Daniel Immerwahr. Mit diesem Inselreich bildeten die USA ein "heimliches Imperium".
Die eigene Unabhängigkeit gegen das Imperium des britischen Kolonialreichs durchgesetzt zu haben, prägt das politische Selbstverständnis der USA bis heute. Deswegen verbinden die meisten US-Bürger mit den USA immer nur das geographische Hauptland 50 Bundesstaaten. Die amerikanischen sogenannten "Greater Territories" außerhalb gehören scheinbar nicht recht dazu.
Mit diesem Missverständnis räumt der US-Historiker Daniel Immerwahr auf. Sein Buch ist eine faszinierende Darstellung des territorialen Weltimperiums der USA: die vom Mutterland weit entfernten Karibikinseln, die oft unbewohnten Atolle im Pazifik, die Tausende von Flecken auf der Weltkarte. Sie alle machen nach Immerwahr das "pointillistische Imperium" der USA aus, auf dem ihre überlegene Weltmacht heute wesentlich beruht; alleine etwa 800 US-Militärstützpunkte unterhalten sie dort.
Dabei geht Immerwahr in seinen zweiundzwanzig Kapiteln selbst pointillistisch vor: Er wählt einzelne Detailthemen und Persönlichkeiten aus, anhand derer er entscheidende Momente der US-Kolonialisierung verdeutlicht.

Wirtschaftskampf um abgelegene Inseln

Ein Kapitel widmet sich beispielsweise der Bedeutung des im Kot von Seevögeln enthaltenen Guano als besonderem Düngemittel für die US-Landwirtschaft in der Mitte des 19. Jahrhundert. Das trieb findige US-Geschäftsleute dazu, eine Vielzahl von unbewohnten Inseln in der Karibik zu erschließen, um dort verkarsteten Guano abzubauen. Der Kongress verabschiedete 1856 ein Gesetz, das diese Inseln den USA als "zugehörig" zusprach.
In einem anderen Kapitel skizziert Immerwahr kurz und anschaulich den Kampf um die Gewinnung von Kautschuk und seine Bedeutung für fast jedes Industrieprodukt: wie umfassende Forschungsprogramme es Chemikern in den USA während des Zweiten Weltkriegs ermöglichten, synthetischem Kautschuk künstlich zu gewinnen. Bis dahin gehörte Naturkautschuk noch für alle Kolonialmächte zu einem der begehrtesten Rohstoffe in den Kolonien. Jetzt entfiel dieses wirtschaftliche Interesse, was nach Immerwahr die Dekolonialisierung amerikanischer Territorien erleichterte.
Die grundsätzliche Bedeutung von Inseln für die heutige Machtprojizierung der USA veranschaulicht Immerwahr anhand der Vorliebe des Schriftstellers Ian Fleming, den (britischen) Agenten James Bond gegen Inselreiche des Bösen kämpfen zu lassen.

Dominanz durch Sprache

Mitunter verliert der Autor den Hauptfaden zu weit aus dem Blick, so, wenn er ausführlich die schillernde Vita von Wenner-Gren als Flemings Vorbild für den Bond-Film "Dr. No" nachzeichnet, die aber für das Hauptthema gar nicht relevant ist. Ein ganzes Kapitel widmet er der Entwicklung der englischen Sprache zu einem Instrument des US-Kolonialismus, die aber schon auf das britische Kolonialreich zurückgeht.
Sehr verdienstvoll ist es dagegen, wie Immerwahr die unterschiedlichsten Rechtsbeziehungen all jener "Greater Territories" zum US-Mutterland darstellt: Alaska, 1867 hinzugekauft, wurde, wie Hawai, erst 1959 ein Bundesstaat. Die Philippinische Republik wurde 1946 von den USA in die Unabhängigkeit entlassen, allerdings nicht ohne sich gleich die Hoheitsrechte über 23 Militärstützpunkte für 99 Jahre zu sichern. Puerto Rico wurde 1950 zu einem Commonwealth aufgewertet, dessen rechtliche Einordnung umstritten ist. Und Guantanamo gehört weiterhin formal zur Souveränität Kubas – auch wenn die USA das Territorium gepachtet und die alleinige Rechtsgewalt innehaben. Das Schicksal der Häftlinge ist das prominenteste Beispiel dafür, dass in all diesen rechtlichen Zwischenlösungen den Einwohnern und Internierten keine vollen US-Bürger- und Menschenrechte zugesprochen wurden.
Am Ende kommt Immerwahr zwar zu dem Schluss: "Der Ausdruck 'Imperium' muss nicht in jedem Fall abwertend sein." Gleichwohl schimmert in der Auswahl der Themenfacetten die Verve durch, mit der Immerwahr die Anklage dem vollständigen Bild vorzieht. Zu einem vollständigen Bild hätte auch gehört, aufzuzeigen, wie das Erbe des Kolonialismus auch auf die Imperialmacht selbst zurückwirkt, wofür das Vietnam-Trauma der USA ein prominentes Beispiel abgibt. Trotzdem ist das Buch mit seinem Augenmerk auf das territoriale Imperium und auf die dunklen Seiten der US-Kolonialpolitik ein unverzichtbarer Schlüssel, um die US-Außen- und Sicherheitspolitik von heute zu verstehen.
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