Musik als Klassenkampf
Auf Daniel Kahns neuem Album herrscht apokalypotische Endzeitstimmung: Mit Punk-Klezmer und Arbeiterliedern kritisiert er gesellschaftliche Missstände. In seinem Song "Freedom Is A Verb" ruft er zum Kampf für die Freiheit auf.
"Das sind komische Zeiten, und, ja, die Themen, die wir mit diesem Album behandeln, sind sehr dunkel. Die Welt scheint ein bisschen apokalyptisch. Aber ich versuche ein bisschen Hoffnung da drin zu finden."
Von der Hoffnung spürt man auf dem Cover und im Booklet des neuen Albums allerdings nichts. Es sind expressionistische Zeichnungen von Eric Drooker, der es vom polizeilich verfolgten Straßenkünstler auf die Titelseiten des New Yorker geschafft hat.
Apokalyptische Bilder
Es wimmelt von Skeletten, Waffen, Umweltzerstörung, Soldaten, Ausbeutung.
"Er hat das Cover gezeichnet für das Album, und dann haben wir gemeinsam das Design kuratiert aus seinen alten Bildern und passende Bilder zu jedem Lied gefunden."
Passende apokalyptische Bilder zu finden gehört zum Selbstverständnis von Daniel Kahn. Auch seine Texte sind voll davon, etwa in dem Lied "The Ballad of how the Jews got to Europe".
"Dieses Lied ist die gesamte Geschichte der Juden in Europa, und es passt zum Fast-Ende von den großartigen Radikalen Jüdischen Kulturtagen, die wir hier hatten. Hier ist der Ursprung unserer Radikalität."
So fing es an, das Konzert von Daniel Kahn & The Painted Bird im restlos ausverkauften Maxim-Gorki-Theater vor zwei Wochen in Berlin Mitte. "Freedom is a verb" war die Überschrift für den Auftritt mit Liedern aus seinem neuen Album "The Butchers Share".
"Shtetl Neukölln"
Szenenwechsel. Karl-Marx-Straße, das multikulturelle Zentrum von Berlin-Neukölln. "Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen?", steht groß an einer Altbaufassade. Überraschung. Das Schiller-Zitat hätte man eher an der Front des Gorki-Theaters vermutet.
"Nee, das ist so ein Burger-Laden. Die nutzen Schiller als Werbungsmethode."
Darüber wohnt Daniel Kahn. 2005 hat es ihn von Detroit nach Berlin-Neukölln verschlagen.
"Ja, Neukölln gefällt mir sehr. Viele von der Community da in Berlin, die mit jiddischer Kultur beschäftigt sind, wohnen hier in der Gegend, und wir sehen das als Shtetl."
Gerade erst sind sie vorüber, die Radikalen Jüdischen Kulturtage, da geht es auch schon weiter. Denn "Shtetl Neukölln" ist ein mehrtägiges Festival jiddischer Kultur im Dezember, veranstaltet von der erwähnten Community. Ganz schön was los hier. Zur Endzeitstimmung von "The Butcher´s Share" will das nicht passen.
"Gemeinsamer Kampf für Befreiung"
"Freedom is a Verb", also: "Freiheit ist ein Verb", ist das zentrale Thema des neuen Albums: Freiheit sei nicht als Zustand zu verstehen, sondern als permanente, aktive Handlung. Allerdings mache es einen Unterschied, ob es um Erreichtes oder zu Erreichendes gehe.
"Ohne das Befreien gibt es keine Freiheit. In Amerika gab es eine Umfrage: Was bedeutet die Freiheit? Die meisten Weißen haben gesagt: Freiheit ist etwas, das man verteidigen muss. Die meisten Afroamerikaner haben gesagt: Freiheit ist etwas, wofür man kämpfen muss."
Überhaupt – im Kampf ist sich Daniel Kahn treu geblieben. Ob auf Deutsch, Jiddisch, Englisch, oder auch mal alles zusammen in einem Lied: Die Benachteiligten und Vernachlässigten stehen im Zentrum seiner gesellschaftskritischen Lyrik.
"Wir sind 99 Prozent. Gegen die, die wirklich an die Macht sind. Das hat nichts mit Kultur zu tun, das hat nichts mit Nation zu tun, das hat nichts mit Religion zu tun. Diese Grenzen zwischen sogenannten Völkern und Kulturen und Nationen, die sind künstlich, und die sind giftig. Kultur ist viel lebendiger als diese blöde, faschistische Vorstellung, die jetzt wieder in Mode gekommen ist. Wir bringen sie alle zum Tisch, damit wir einen gemeinsamen Kampf für Befreiung schaffen können. Aber das ist alles, was wir haben."
Punk-Klezmer, Arbeiterlieder und teuflische Musik
2012 erschien Daniel Kahns viertes Werk, "Bad Old Songs", ein sehr persönliches Album, wie er sagt. Jetzt, fünf Jahre später, markiert "The Butchers Share" einen Richtungswechsel. Die Band wurde vergrößert, Gastmusiker wurden eingeladen. Alles in Allem ein deutlicher Schritt vom Ich-Album zum Wir-Album. Der wichtigste Entwicklungsschritt aber war einer zurück:
"Das neue Album ist ein bisschen 'return to the roots' für uns. Da ist viel mehr Klezmer dabei, viel mehr Punk-Klezmer, viel mehr soziale Lieder, Arbeiterlieder, bösartige Lieder mit bösartigen Fragen. Ein bisschen skeptisch, ein bisschen teuflisch. Die Musik ist manchmal wütend, manchmal zornig, manchmal lustig, manchmal ironisch, manchmal traurig. Das sind auch Lieder über Vertreibung und Krieg und Not, aber die sind auch Lieder über Liebe und Essen und Hoffnung, ja."
"The Butchers Share" hat durchaus das Zeug, einmal zu einem Zeitdokument des Klassenkampfes zu werden.
"Es geht nicht nur um die Vergangenheit. Es geht um eine neue Zukunft vorzustellen. Wir haben einen Phantasiemangel. Gerade für die Linke, auf der Seite der Befreiung. Wir brauchen neue Phantasien, vielleicht können wir sie durch alte Phantasien finden. Und das ist überhaupt nicht utopisch. Ich weiß nicht, wer das gesagt hat, aber: Das einzig Utopische heutzutage ist die Idee, dass es einfach weitergehen kann, wie es ist. Das kann es nicht."
Ein Trump-Song aus dem Jahr 1952
Diese Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart ist vor einiger Zeit beispielhaft von Ryan Harvey und Ani DiFranco vertont worden.
Man mag es kaum glauben, aber der Text zu diesem Lied mit dem Titel "Old Man Trump" stammt von 1952, und zwar von Woody Guthrie.
"Ohne Woody Guthrie wäre ich als Lyriker sehr anders. Er hat mein Leben absolut geändert. Es gab eine Zeit, wo ich nur Woody-Guthrie-Lieder gespielt habe. Ich habe eine ganze Tournee durch die USA mit Freunden gemacht und haben nur Woody-Guthrie-Lieder gesungen. Woody Guthrie lebte das Lied, sein Leben besteht aus Liedern."
Eine Tochter von Woody Guthrie, Nora Guthrie, hat in New York das Woody-Guthrie-Archiv aufgebaut, das sie bis heute leitet. Sie erklärt, wie es zu dem Lied kam.
"Kürzlich entdeckten wir im Archiv ein paar Texte, die mein Vater über Donald Trumps Vater Fred geschrieben hatte. Wir wohnten nämlich in einem Apartment-Haus, das Fred Trump gehörte. Also schrieb er ein paar Lieder über den "Alten Mann Trump", der überall seinen Rassenhass verbreitete. Und jetzt stehen wir hier, im Jahr 2017, und Donald Trump verbreitet seinen Rassenhass bis auf den heutigen Tag. Das Lied sprang wie Kai aus der Kiste und rief: Sing mich! Sing mich!"
"Und Guthrie hat in dem Lied sich beschwert über die Rassentrennung in Amerika und dass keine Schwarzen in dem Haus wohnen durften. Und später hat sein Sohn das gleiche versucht mit einem Wohnhaus in Manhattan. Es ist kein Vergleich, die alten Feinde mit den neuen. Das sind die gleichen Feinde, das sind manchmal die gleichen Menschen, die gleichen Familien."
"Es braucht keinen jüdischen Kontext für diese Musik"
Daniel Kahn geht demnächst wieder auf Tournee. Nicht mit Liedern von Woody Guthrie, sondern mit seinen eigenen, die sich aber durchaus in der Tradition des großen Volksbarden verstehen lassen – des Sängers für die 99 Prozent.
"Wir spielen gerne in jedem Kontext. Wir gehen auf Tournee durch Deutschland, Schweiz und Österreich im Januar/Februar. Wir spielen überall und es braucht keinen jüdischen Kontext für diese Musik, auch nicht nur ein jüdisches Publikum. Das ist Musik, die überall relevant ist und hoffentlich unterhaltsam."