"Europa ist eine Frage von Krieg und Frieden"
Und es gibt sie doch: Menschen, die für Europa auf die Straße gehen. Der Frankfurter Anwalt Daniel Röder hat die Bewegung "Pulse of Europe" gegründet - und verlangt von der Politik, eine Zukunftsvision für den Kontinent zu entwickeln. Sehr viele Menschen hätten Angst vor dem Zerfall.
Liane von Billerbeck: Am Sonntag sind wieder viele Menschen auf die Straße gegangen, um für Europa und die Europäische Union zu demonstrieren. Ja, Sie haben richtig gehört. Die Bewegung "Pulse of Europe", gegründet von einem Frankfurter Rechtsanwalt und seiner Frau, scheint immer mehr Anhänger zu gewinnen. Ableger gibt es inzwischen in Köln, in Amsterdam, Freiburg, Karlsruhe, und gestern kamen Berlin, Hamburg und Heidelberg dazu. Und es sollen auch Paris und München folgen. Gründer Daniel Röder ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Daniel Röder: Schönen guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Wie kam Ihnen denn diese Idee, für Europa, genauer auch für die Europäische Union auf die Straße zu gehen?
Der Impuls kam aus einer großen Frustration
Röder: Idee ist wahrscheinlich schon zu viel gesagt. Letzten Endes war es mehr ein Impuls, der entstanden ist aus der großen Frustration, die ich verspürt habe nach dem Brexit-Referendum und dann schließlich am Ende auch nach der Trump-Wahl. Das waren so die Momente, wo ich und meine Frau und auch andere das Gefühl bekamen, das Unmögliche wird möglich.
Wenn jemand wie Donald Trump zum Präsidenten wird, was droht uns dann in Europa angesichts der Wahlen in den Niederlanden und Frankreich? Und deswegen war das ein sehr impulshaftes Vorgehen. Ich habe, Mitte November war es, Freunde und Bekannte mit einer E-Mail zu einem ersten Zusammentreffen aufgerufen, und wir haben das damals einen Resonanztest genannt, weil wir keine Ahnung hatten, wie viele Leute würden denn da kommen. Dann kamen 200, und wir haben uns gesagt, na ja, wenn das mit so kleinen Mitteln passiert und Leute anspricht, dann müssen wir das institutionalisieren.
von Billerbeck: Das heißt, Sie haben die 200 nicht in Ihre Wohnung eingeladen, sondern quasi zu einer Testdemo?
Röder: So kann man es nennen. Wir sind symbolträchtig hier in Frankfurt in das Europa-Viertel, das neue Europa-Viertel gegangen.
von Billerbeck: Wo die EZB auch ist?
Röder: Nein, die EZB ist im Ostend, entgegengesetzte Richtung, hinterm Bahnhof sozusagen. Pariser Straße, vor dem Café "Liebe, Laube, Hoffnung" – wir haben das sehr symbolträchtig gewählt und haben am ersten Adventsfeiertag bei Nieselregen und Dunkelheit diese Menschen zusammengebracht, und das war für uns tatsächlich das Zeichen, die Leute wollen mehr und brauchen das auch.
von Billerbeck: Das heißt, aus so einer Art Unbehagen, so einem Gefühl, du musst was tun, entsteht da jetzt so eine Bewegung, die sonntags auf die Straße geht. Was wollen Sie denn erreichen?
Röder: Das ist in der Tat so, aus einer Art Unbehagen, richtig. Und das verspüren viele, und dieses Unbehagen kann man sogar noch spezifizieren. Letzten Endes sind es wirklich Ängste. Es sind Ängste, die die Menschen haben. Wir haben mit vielen Leuten gesprochen, die sagen, ich habe zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, dass es in Europa wieder Krieg geben kann, in dem Europa der Europäischen Union.
Die Leute haben wieder Kriegsängste
Viele Leute haben das Gefühl der Entwurzelung, spüren auch Wut, aber so eine unbestimmte Wut auf den Zerfall eigentlich und die Untätigkeit der Politik. Und wir versuchen das zu bündeln.
Was ist unser Ziel? Ich würde sagen, es gibt mehrere. Das eine Ziel ist sicherlich, sonntäglich auch eine Botschaft auszusenden. Uns geht es wirklich darum, die Botschaft auszusenden: Es gibt ganz viele, und wir sind wahrscheinlich die Mehrheit, die für ein vereintes Europa sind. Warum? Weil es letzten Endes eine Frage von Krieg und Frieden ist. Und in diesem Sinne sind wir auch indirekt eine Friedensbewegung, wenn man so will.
Und wir setzen uns nicht, das muss man dazusagen, nicht für die Europäische Union ein in dem Sinne, dass wir alles gutheißen, was da passiert. Ganz und gar nicht. Unsere Bewegung mahnt Reformen an, und wir verlangen von den Politikern die Vorlage einer Zukunftsvision für Europa. Das ist uns genauso wichtig. Also, wer uns verwechselt mit EU-Romantikern, der täuscht sich.
von Billerbeck: Das klingt so danach, als wollten Sie deutlich ein Zeichen setzen. Aber gerade die, die ja auf demokratischem Wege die Demokratie abschaffen wollen, die von Ihnen erwähnten Orbáns, Le Pens und Wilders, die sind ja da sehr deutlich. Die wollen das Ganze in Politik umsetzen. Dann müssen Sie doch das auch wollen.
"Eine deutliche Botschaft Richtung Niederlande senden"
Röder: In einem weit verstandenen Sinne der Politikdefinition ja. Wir haben gestern versucht, eine aus unserer Sicht Lücke zu füllen, eine emotionale Lücke, in dem Sinne, dass wir gesagt haben, wir wollen jetzt als Bewegung, als Bürger, eine deutliche Botschaft Richtung Niederlande senden, im Sinne: Wir sind mit euch befreundet, wir wollen die zivile Grundlage der Europäischen Union, was letzten Endes ein Freundschaftszusammenschluss ist, Staaten, die gesagt haben, wir wollen nie wieder Krieg gegeneinander führen, wir wollen freien Handel betreiben, und wir wollen uns freundschaftlich umarmen. Das wollen wir wieder begründen, und das wollen wir deutlich leben.
In diesem Sinne sind wir politisch. Wir versuchen, ganz viele proeuropäische Ideen zu bündeln, und wollen nicht spalten. Deswegen enthalten wir uns einer Diskussion, oder wir beziehen selbst nicht Stellung, wie will "Pulse of Europe" die EU sehen. Das kann vielleicht in einem zweiten Schritt kommen. Wir sehen uns im Moment erst mal als eine Art Reanimationsmaschine des europäischen Geistes, bis die Wahlen in den Niederlanden und Frankreich gelaufen sind. Und dann ziehen wir Bilanz, resümieren, und werden uns dann überlegen, wie stellen wir uns danach auf.
von Billerbeck: Daniel Röder war das. Er hat mit mehreren zusammen die Initiative "Pulse of Europe" gegründet. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Röder: Vielen Dank!
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