Daniel Schulz: "Wir waren wie Brüder“
Hanser Verlag, 2022
288 Seiten, 23 Euro
Daniel Schulz über seinen Roman "Wir waren wie Brüder"
Rostock 1992: Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen rechtsextremen Jugendlichen und der Polizei gehörten zur Nachwendezeit. © picture alliance / Associated Press / Thomas Haentzschel
"Eine Zeit, die erzählt werden will"
13:00 Minuten
Die Nachwendezeit steht nicht nur für Mauerfall und Freudentaumel, sondern auch für Neonazis und Gewalt gegen Asylbewerber und Andersdenkende. Daniel Schulz hat die 1990er-Jahre in Brandenburg erlebt und erzählt in "Wir waren wie Brüder" davon.
Der Junge ist zehn, als in der DDR die friedliche Revolution ausbricht, an deren Ende der Mauerfall und die Wiedervereinigung stehen. Viele Menschen sehnen sich jetzt nach einer neuen Freiheit, die sie zuvor nicht hatten. Er jedoch hat Angst: vor den Imperialisten und Faschisten, vor denen seine Lehrer und Lehrerinnen ihn immer gewarnt haben.
Später, die 1990er-Jahre sind in vollem Gange, wird er wegen seiner langen Haare von Neonazis verfolgt. Gleichzeitig trifft er sich mit Rechten, weil er sich bei ihnen sicher fühlt. Ebenso sicher fühlt er sich bei Mariam, deren Familie aus Georgien kommt und die vor gar nichts Angst hat. Doch er muss sich entscheiden, auf welcher Seite er steht.
Fokus auf die 1990er-Jahre
„Wir waren wie Brüder“ heißt der neue Roman von Daniel Schulz, der darin auch seine eigene Jugend in der brandenburgischen Provinz Revue passieren lässt. Der Titel ist eine Anspielung auf eine Textzeile aus einem der bekanntesten Songs der Böhsen Onkelz. Die wegen ihrer Nähe zum Rechtsrock umstrittene Combo war im Ostdeutschland der 1990er-Jahre eine der am häufigsten gespielten Bands.
Schulz, der das Reportage-Ressort der „taz“ leitet, sieht sich mit seinem Nachwenderoman im Trend: Derzeit beschäftigten sich etliche Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt mit den 90ern, hat er beobachtet. Das beschränke sich nicht nur auf Ostdeutschland, auch andere Regionen und Milieus in Deutschland gerieten so in den Blick.
Erlebte Realität und rechte Gewalt
„Es gibt eine Gewalt, die in dieser Zeit präsent war, durchaus auch in Westdeutschland“, sagt Schulz. „Es ist einfach eine Zeit, die erzählt werden will. Und es war eine Zeit, in der sich Fragen auftun wie: Wie viel bin ich bereit von mir aufzugeben, um irgendwo mitzumachen? Wann mache ich den Mund auf?“
Parallel dazu gehe es auch um die Frage nach erlebter Realität – gerade rechte Gewalt sei damals von vielen Älteren einfach als „gibt es nicht“ abgetan worden, erläutert der Journalist. Er selbst habe sich ehemals gefragt: „Spinne ich? Gibt es das dann überhaupt – wenn die es nicht sehen, aber ich?“
"Eine Zeit, die bis ins Heute reicht"
Das sei eine Form von psychischer Gewalt gewesen, die er im Nachhinein als anstrengender empfinde „als die Schläge, die ich da teilweise bezogen habe". Es habe sehr lange gedauert, um überhaupt über diese Zeit reden zu können.
Die 1990er seien keine verlorene Zeit, betont der Autor. "Es ist aber eine Zeit, über die wir uns verständigen sollten, weil sie ins Heute hineinreicht, auf verschiedene Art und Weise.“
(mkn)
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