Musik-Nomaden aus Leidenschaft
2010 hatten Danielle de Picciotto und Alexander Hacke eigentlich nur eine einjährige Reise geplant. Inzwischen haben sie ihren Wohnsitz aufgegeben und sind ständig unterwegs. Das schlägt sich auch in ihrem neuen Album nieder: "Perseverantia" klingt minimalistisch und frei.
Es surrt, schnurrt, fliegt, jault, ächzt, heult. Diese Musik ist der Soundtrack einer ewigen Reise.
Danielle de Picciotto: "Wir sind ja seit 2010 unterwegs und wir haben dieses Album auch während unserer Reise aufgenommen, an unterschiedlichen Orten. Angefangen in der Wüste in Kalifornien."
Danielle de Picciotto: Eine Amerikanerin, die sich in den 80er Jahren in die kreative Utopie Berlin verliebte, in den 90ern die Love Parade mit organisierte und in den 2000er Jahren Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten geheiratet hat. 2010 hat sie gemeinsam mit ihm alles hingeworfen.
Hacke: "In Berlin haben wir auch ein paar Sachen aufgenommen. Joshua Tree, Mohabi Desert. New York City."
de Picciotto: "Wir haben eigentlich immer aufgenommen. Wir haben diese Reise ja begonnen, weil wir das Gefühl hatten, dass wir stecken geblieben sind, uns im Kreis drehen. Berlin ist ja dafür bekannt, dass alles schlechter bezahlt wird auf allen Ebenen. Und da dachten wir: Mal gucken, ob es was anderes gibt, was uns mehr entspricht."
Reisen, um ihre Utopie zu finden
Die beiden wollten raus aus der Stadt und einen Ort suchen, an dem sie von und mit der Kunst leben können. Ganz schön ambitioniert. Eigentlich hatten sie nur vor, ein, vielleicht zwei Jahre zu reisen, um ihre Utopie zu finden. Das gemeinsame Haus haben sie dafür aufgegeben, fast all ihren Besitz verkauft - nur ein paar Bücher, Geschenke von den Eltern und die eigene Kunst haben sie eingelagert.
de Picciotto: "Ein großes Thema war natürlich die Gentrifizierung. Wir dachten, dass die Gentrifizierung in Berlin unerträglich ist. Inzwischen haben wir gemerkt, dass es ein weltweites Phänomen ist, und dass es in Berlin sogar besser ist, als in anderen Städten. L.A., London, New York sind so unbezahlbar geworden, dass sich die Menschen prostituieren müssen, um überleben zu können. Was man in Berlin nicht machen muss."
Die Platte, sagt de Picciotto, spiegele wieder, wie die Reise das Leben der beiden verändert habe. Sie haben die festen Strukturen ihres Alltags aufgegeben.
Hacke: "In der Musik haben wir dieses Mal darauf geachtet, dass wir die Stücke im freien Zusammenspiel entwickeln eher als bei der Platte davor, bei 'Hitman's Hell', wo wir ziemlich strenge Songstrukturen angewendet haben."
"Perseverantia" klingt tatsächlich anders als ihre anderen musikalischen Projekte, bei denen entweder Hacke oder de Picciotto gesungen haben. Das Album klingt frei, minimalistisch. Abgespeckt wie ihr Leben, in dem sie ihren Besitz verkauft haben, und fast nur noch aus dem Koffer leben. Auch der Schreibprozess: im Fluss wie ihr Leben:
"Wir waren erstmal in der kalifornischen Mojave-Wüste im Studio, da haben wir das Grundgerüst aufgebaut, dann auf Tour weiterentwickelt, dann verändert, dann live in Berlin eingespielt. Dann haben wir weiter daran geschliffen, das war so ein ewiges Schleifen bis es im Endeffekt das geworden ist."
Der Hörer braucht Ausdauer für "Perseverantia"
Manchmal unterbricht de Picciotto den Bass, die schleppende Gitarre, den motorischen Krautrock-Beat ihres Mannes mit der Drehleier, der Geige oder der Harfe. Dann entstehen Melodien, ganz zaghaft, die sich schleppend über Minuten aufbauen und den Hörer von Hackes röhrendem, naja, Gesang befreien. Die Songs: genau so mutig wie sie selbst, abstrakt, flächig, langatmig, herausfordernd, dann wieder antreibend und Mut machend.
de Picciotto: "Im Prinzip ist so eine Reise ja auch wie das Leben: Egal was man macht, braucht man ja immer Ausdauer und das merkt man an so einer Reise, man braucht die Ausdauer von einem Ort zum nächsten zu kommen. Deshalb hat es viel mit Standhaftigkeit, Durchhaltevermögen zu tun. Und zur gleichen Zeit geht es natürlich weiter, deshalb ist es immer in Bewegung. Darum geht es auch in unseren Stücken."
Ein wenig Ausdauer braucht man auch, um diese Songs zu hören und wirken zu lassen. Sieben Songs, die so gar nicht zum rasanten Zeitgeist passen wollen - aber gerade deshalb so reizvoll sind. Weil sie dem Miet- und Gentrifizierungswahn, dem Ausverkauf der Kunst, dem Leistungsdruck, etwas entgegensetzen wollen. Tatsächlich sehen sie ihre Musik als Gegenentwurf, auch wenn dieser sehr abstrakt bleibt.
"Ich glaube auch, dass die ganze Welt sich so verändert, dass alle Leute neue Lebensarten finden müssen. Auch wie die Mieten steigen, dass andere Wohnarten möglich werden müssen, weil sich die Leute in den Städten einfach nicht mehr leisten können, große Wohnungen zu haben. Da ist irre viel sich am verändern. Künstler sind immer die Vorboten, die sagen: so kann ich nicht überleben, so muss ich überleben. Und eine ist: eine sehr minimale Lebensart. Wenn man sich große Wohnungen nicht mehr leisten kann, wenn man sich diesen ganzen Besitztum nicht mehr leisten kann, dann geht es sehr viel darum, sich zu reduzieren. Und das ist etwas sehr befreiendes."