Wie sich Kinderkriegen verändert hat
Elternschaft lässt sich heute von Partnerschaft trennen: Frauen können Eizellen einfrieren, im Ausland eine Leihmutter engagieren, die ersten Frauen haben inzwischen sogar nach einer Gebärmuttertransplantation ein Kind bekommen. Fortpflanzung braucht nicht mal mehr Sex.
"Als ich jugendlich war, habe ich mal so im Spaß zu meinem Papa gesagt: Wenn ich 30 bin und noch keine Kinder habe, gehe ich zur Samenbank. Und der hat sone Augen gekriegt und war völlig schockiert. Und für mich war das damals n Spaß, ne? Und das war eigentlich für mich gar keine Option, ne? Für mich war immer: Ich studiere, beim Studium lerne ich meinen Mann kennen, wir verlieben uns – alles ganz toll – und nach’m Studium gleich: Kinder. So, ich wollte vor 25 immer das erste Kind haben. Also das ist für mich so normal. Ja und denn hat’s irgendwie nie wirklich geklappt."
Anni ist Anfang 30 als ihr klar wird, dass sie in den nächsten Jahren einen festen Partner finden muss, wenn sie eine Familie gründen will. Ihren vollständigen Namen möchte sie nicht öffentlich machen, deshalb nennen wir sie in dieser Geschichte nur bei ihrem Spitznamen. Sie ist eine kleine, zierliche Frau. Ihre nussbraunen Haare hat sie zu einem schulterlangen Zopf geflochten. Sie trägt keine Schminke und keinen Schmuck.
Anni hat studiert, einen festen Job und einen großen Freundeskreis. Drei eigene Kinder, das ist ihr schon als Jugendliche klar, sollen es mindestens einmal werden. Doch obwohl sie mehrere Beziehungen mit Männern eingeht, kommt es nie so weit, dass sie ernsthaft über eine gemeinsame Zukunft mit einem ihrer Partner nachdenkt.
"Und über die Jahre war das halt so, wenn man nen Mann kennengelernt hat, das wurde immer schlimmer so, dass man dann abgecheckt hat irgendwann: Könnte der der potenzielle Vater meiner Kinder sein, was ja eigentlich zehn, zwanzig, dreißig Schritte viel weiter ist als man eigentlich anfangen würde mit jemandem, wenn man jemanden kennenlernt und das ist wirklich wie ne Belastung irgendwann geworden, ne?"
Lange hält Anni an der Vorstellung fest, dass sie den Richtigen schon noch kennenlernen wird. Sie will heiraten, vielleicht gemeinsam mit dem Mann ein Haus bauen. Sie wünscht sich eine klassische Familie aus Vater, Mutter und Kindern.
Kein Partner in Sicht
Als auch nach jahrelangem Suchen und Warten kein Partner für eine gemeinsame Zukunft in Sicht ist, keimt in Anni ganz langsam ein Gedanke: Was wäre, wenn sie auch ohne Partner ein Kind bekommt? Technisch ist das längst kein Problem mehr. Samenbanken machen es möglich. Der Gedanke, mithilfe der Samenspende eines fremden Mannes ein Kind zu bekommen, lässt sie nicht mehr los.
"Man hat ja immer mal so Geschichten gehört oder in Filmen gesehen oder irgendwas in der Richtung und dann musste ja irgendwann noch die Erkenntnis kommen, dass ich es wirklich tun will. So, so – genau so. Und das hat auch nochmal ziemlich lange gedauert, weil ich mir eigentlich nicht vorstellen konnte, dass ich nem Kind nen Vater vorenthalte. Dass da niemand sein kann, der da diese väterliche Rolle spielt, der jeden Tag da ist, der, ne…dieses Ideal."
Trotz ihrer anfänglichen Bedenken entscheidet sie sich für die Samenspende. Ihr Kinderwunsch ist zu stark.
Schwangerschaft - heute ein technisches Problem
Frauen wie Anni sind nur ein Anzeichen dafür, dass sich die Art und Weise, wie wir Kinder bekommen, längst verändert hat. Nie zuvor gab es so viele medizinische und soziale Möglichkeiten, sich den Wunsch vom eigenen Kind zu erfüllen, wie heute. Wir können Eizellen einfrieren, solange wir jung sind, um Kinder zu bekommen, sobald die Karriere gesichert oder der richtige Partner vorhanden ist. Wir können im Ausland eine Leihmutter engagieren, wenn wir selbst nicht in der Lage sind, ein Kind auszutragen. Die ersten Frauen haben inzwischen sogar nach einer Gebärmuttertransplantation ein Kind bekommen. Wir können Kinder adoptieren oder in Pflege nehmen, uns als lesbisches Paar mit einem schwulen Paar zusammentun, uns Eizellen und Samen spenden lassen oder mithilfe von künstlicher Befruchtung nachhelfen.
Die Hamburger Psychologin Sabine Kirsch berät in ihrer Praxis regelmäßig Paare und Alleinstehende zum Thema Kinderwunsch und hat noch weitere Veränderungen festgestellt:
Sabine Kirsch: "Insgesamt kann man ja sagen, dass Partnerschaft und Kinderwunsch sich zunehmend entkoppelt. Also früher war das ja, dass ne stabile Partnerschaft vorhanden war stand einfach im Vordergrund. Und das hat sich verändert im Laufe der Zeit, dass Kinderwunsch und Partnerschaft sich eher, ja, ein Stück entkoppelt hat und Frauen sich das eben auch mehr zutrauen, alleine ein Kind zu bekommen.
Also manchmal kann man auch sagen, dass Schwangerschaft heute wie ein technisch zu lösendes Problem ist. Also das ist die Denke dann häufig. Früher war es eher Schicksal. Ja dann wurde man eben nicht schwanger. Und dann trauerte man darum und heute ist es eher ja, ein technisch zu lösendes Problem."
Um ihren Kinderwunsch alleine zu realisieren, recherchiert Anni im Internet. Sie sucht nach Frauen, die bereits mit einer Samenspende ein Kind bekommen haben und stößt auf das Internetforum "Single-Frauen mit Kind", das die Berliner Buchautorin und Übersetzerin Anya Steiner vor fünf Jahren gegründet hat. Steiner hat selbst durch eine Samenspende eine Tochter bekommen, die heute sieben Jahre alt ist. In ihrem Forum haben sich in den vergangenen Jahren hunderte Frauen aus ganz Deutschland über Samenspenden und das Single-Mutter-Dasein ausgetauscht. Auch wenn es keine Zahlen darüber gibt, wie viele Single-Mütter in Deutschland leben, kann man allein aus dem immer größer werdenden Interesse an Anya Steiners Forum sagen: Ihre Zahl steigt stetig. Leicht machen es sich die Frauen aber nicht.
Anya Steiner: "Ich würde sagen bei der Mehrheit der Frauen ist es ein sehr langer Prozess. Die gehen da wirklich ganz lange in sich, überlegen die Idee erstmal, überlegen: Wäre das tatsächlich was? Besprechen das dann so schrittweise mit Freunden, Familienangehörigen oder Vertrauenspersonen, wer auch immer ihnen nahe steht und tasten sich dann so langsam ran. Schauen, welche Möglichkeiten das gibt. Welche Möglichkeiten für sie in Frage kommen würden und so weiter. Ich kenne Frauen, die haben bestimmt zwei Jahre darüber nachgedacht und das wirklich mit sich überlegt […]"
Wie reagiert das Umfeld?
Dass die mangelnde Bindungsfähigkeit, die häufig in den Medien zitiert wird, der Grund dafür ist, dass es immer mehr Single-Mütter gibt, glaubt die Psychologin Sabine Kirsch nicht.
Sabine Kirsch: "Geschichtlich muss man sagen, dass sich die Bindungsfähigkeit eigentlich grundsätzlich eher so erhöht hat, weil es immer mehr psychologisches Wissen auch gibt über entwicklungspsychologische Themen, was für Kinder wichtig ist. Und die Aufmerksamkeit geht wesentlich mehr aufs Kind als früher. Insofern kann man eigentlich sagen, dass sich die Bindungsfähigkeit grundsätzlich würde ich sagen, sogar erhöht hat, aber insgesamt hat der Druck abgenommen, sich zu binden. Früher war es ganz selbstverständlich: Mann, Kind…so. Und dieser Druck hat eher abgenommen, weil Trennungen ja viel häufiger vorkommen."
Anya Steiner weiß, dass Single-Mütter sich trotzdem vor und oft auch während ihrer Schwangerschaft viele Gedanken machen. Denn in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist dieses Familienmodell noch lange nicht.
Anya Steiner: "Ich denke ein wichtiger Punkt ist wirklich das Abschiednehmen von dem Lebensentwurf 'ich heirate und krieg dann Kinder'. Dieses klassische Bild im Kopf zu haben, was vorgelebt wurde oder auch erzogen wurde und im Umfeld präsent war und natürlich: was sagen die anderen und was sagen die anderen auch zu meinem Kind? Also die Frauen machen sich auch sehr viele Gedanken: Wie wird das Kind damit umgehen und was passiert dann, wie rede ich mit Nachbarn, wie rede ich mit der Schule? Sag ich das? Wird mein Kind deswegen gehänselt?"
Auch Anni hat zunächst Angst vor den Reaktionen aus ihrem Umfeld. Werden Freunde und Familie ihren Entschluss, ganz alleine ein Kind zu bekommen, verstehen? Am Anfang ist sie vorsichtig und weiht nur eine gute Freundin ein.
Anni: "Die fand das eigentlich in Ordnung. Und die hat dann relativ schnell zu mir gesagt, ahja, du bist da auch der Typ dafür und ich find das gut. Guck mal, was passiert und wenn Du Hilfe brauchst, kommste zu mir. Und die Freundin hatte ich eingeweiht und dann noch ne zweite Freundin. Die hat mich dann auch zur ersten Insemination begleitet."
Doch vor der ersten sogenannten "Insemination", also der Einführung der Samenspende in die Gebärmutter durch einen Arzt, liegt ein langer Weg vor Anni. Denn Kinderwunschbehandlungen wie diese sind in Deutschland eigentlich nur für Ehepaare vorgesehen. Für Single-Frauen, lesbische und unfruchtbare unverheiratete Paare sind sie zwar nicht verboten, aber es ist deutlich schwieriger, einen Arzt zu finden, der diese Menschen behandelt. Der Grund hierfür ist die Haltung der Bundesärztekammer.
Zitat Bundesärztekammer: "[…] eine heterologe Insemination [ist] zurzeit bei Frauen ausgeschlossen, die in keiner Partnerschaft oder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben."
Samenspende nur für verheiratete Frauen?
Anders gesagt: Nur verheiratete Frauen sollen nach dem Wunsch der Bundesärztekammer die Behandlung mit einer Samenspende in Anspruch nehmen können.
Anya Steiner: "Damit haben schon sehr viele Frauen zu kämpfen, dass es eben gesellschaftlich wenig präsent und auch wenig anerkannt ist, dass einem da auch sehr viel Kritik, sehr viel unschöne Kritik manchmal entgegenschlägt, dass ihnen vorgeworfen wird, dass sie aus purem Egoismus handeln, dass alleinstehenden Frauen das Recht abgesprochen wird, nen ganz sehnlichen Kinderwunsch zu haben und den auch umsetzen zu wollen."
…sagt Anya Steiner, die Gründerin des Internetforums Single-Frauen mit Kind. Viele Ärzte lehnen die Behandlung von Unverheirateten aber auch noch aus einem anderen Grund ab. Sie fürchten, eines Tages von den Frauen oder ihren Kindern auf Unterhalt verklagt zu werden. Unterhaltspflichtig ist normalerweise der Ehemann der Kindsmutter. Wenn es den aber nicht gibt und eine Frau ihren Arzt auf Unterhalt verklagen würde, weil er ihr zur Schwangerschaft verholfen hat, dann ist unklar, wie ein Gericht in so einem Fall entscheiden würde. Auch Frank Nawroth, Gynäkologe und Reproduktionsmediziner in einer großen Hamburger Gemeinschaftspraxis, behandelt keine unverheirateten Frauen.
Frank Nawroth: "Das ist uns zu heiß, weil einfach die ganze Frage wer übernimmt Kosten und so weiter, unklar sind und deswegen das Unternehmen sagt: Ok, das ist uns viel zu heiß, wenn da doch mal einer klagt, ist ja auch die Frage, ob das einer macht. Aber dann wollen wir nicht als Mittler irgendwie mit Kosten beteiligt werden und das ist eben das Problem
Man darf’s, aber wir machen’s hier nicht, weil wir das im Unternehmen so eindeutig beschlossen haben."
Ein Vorgehen, das der Jurist Wolfgang Schwackenberg und Vorsitzender des Familienrechtsausschusses im Deutschen Anwaltsverein für veraltet hält. Er fordert, dass künftig auch Alleinstehende und Unverheiratete ganz selbstverständlich in Kinderwunschpraxen behandelt werden können.
Wolfgang Schwackenberg: "Wir haben heute eine Reihe von soziologischen Lebensgemeinschaften. Warum sollte ich sie zur Ehe zwingen? Nur um die statusrechtlichen Fragen zu klären? Das halte ich nicht für zeitgemäß.
Das sind alles so Dinge, die man einfach nicht bedacht hat in einer Zeit, in der sowas nicht denkbar war. Das ist aber heute doch ganz anders.
Es hinkt hinter der Realität der medizinischen Möglichkeiten hinterher."
Auch die Kinderwunschpraxis, in der Anni anfangs Rat sucht, will sie nicht unterstützen. Für sie eine herbe Enttäuschung:
Anni: "Also wenn die Bundesärztekammer wortwörtlich empfiehlt, dass es zu unterlassen ist […] denen Unterstützung im Hinblick auf eine Mutterschaft zu gewähren, finde ich das schon ganz schlimm. Was grenzt denn zum Beispiel n lesbisch lebendes Pärchen aus, gute Eltern zu sein? Oder vielleicht sogar n schwules Pärchen? Finde ich ganz schrecklich. Ich denke die können genauso gute Eltern sein wie alle anderen auch. Auch ne alleinstehende Frau, oder n unverheiratetes Paar können genauso gute Eltern sein, wie alle anderen auch. Dazu brauch ich keinen Trauschein."
Samenspende in Dänemark - ganz selbstverständlich
Gleich hinter der deutschen Grenze, in Dänemark, ist die Situation eine vollkommen andere. Single-Frauen wie Anni bekommen hier ganz selbstverständlich eine Samenspende. Sie unterschreiben meist vorab einen Vertrag, in dem sie versichern, niemals Unterhalt von ihrem behandelnden Arzt, der Samenbank oder dem Samenspender zu fordern. Im Unterschied zu Deutschland sind Single-Mütter in Dänemark auch gesellschaftlich längst akzeptiert. Dutzende Frauen aus Deutschland lassen sich jedes Jahr in Dänemark behandeln.
Auch Anni hat bereits verschiedene dänische Kliniken recherchiert, als sie von einer der anderen Single-Mütter im Internetforum "Single-Frauen mit Kind" doch noch von einer Praxis in ihrer Nähe erfährt, die das rechtliche Risiko in Kauf nimmt und auch Alleinstehende behandelt. Die Praxen hängen ihr besonderes Angebot oft nicht an die große Glocke, weiß die Autorin Anya Steiner.
Anya Steiner: "Vor einigen Jahren, also vor fünf Jahren in etwa oder vor zehn Jahren war das noch so gut wie unmöglich in Deutschland. Da gab’s also nur oder fast nur Möglichkeiten, ins Ausland zu gehen. Inzwischen sind es einige Ärzte, aber die findet man – da muss man schon recherchieren. Das läuft über Weiterempfehlungen, das ist jetzt nicht so, dass man da mal schnell das sofort herausfindet, da muss man sich dann austauschen mit anderen, die da Bescheid wissen oder diesen Weg gegangen sind, um also Empfehlungen zu kriegen, wo man da hingehen kann."
Als Anni schließlich die ersehnte Nummer einer passenden deutschen Kinderwunschpraxis in den Händen hält, wird sie plötzlich unsicher.
Anni: "Und da habe ich dann die Adresse von der Klinik gehabt und dann dachte ich so: Oh Gott, ich glaube ich hab so zwei Tage oder so gebraucht, um diesen Mut aufzubringen, da anzurufen. Weil das war dann irgendwie zu konkret zu plötzlich für mich. Und dann hab ich wirklich nochmal ganz intensiv für mich überlegt: Willste das jetzt wirklich? Wirste das durchziehen? Kannste das durchziehen? Und letzten Endes stand ich da so’n paar Minuten mit dem Telefon in der Hand und mir war so schlecht und ich hab wirklich gedacht: Oh nee, das schaffste nicht, du fällst eher hier um und liegst erstmal zehn Minuten lang und musst Dich erholen, ehe du da schaffst anzurufen."
Sie traut sich dann doch. Nach den ersten Gesprächen in der Klinik fehlen Anni nur noch die richtige Samenbank und der passende Spender. Sie entscheidet sich für eine dänische Samenbank und sucht sich über deren Website den Mann aus, der der Vater ihrer Kinder werden soll.
Anni: "Das ist wie im Katalog bestellen. Und da hat man halt ne Liste von Spendern mit allen möglichen Eigenschaften, […]und dann guckt man halt was man gerne haben möchte und dann bestellt man tatsächlich. Übers Internet und zahlt mit Kreditkarte."
Krankenkassen unterstützen nur verheiratete Paare
Über den Mann, den Anni am Computer aussucht, wird sie später sagen, er habe ihr das größte Geschenk ihres Lebens gemacht.
Anni: "Ich hab im Prinzip überlegt: was möchte ich? Und hab dann letzten Endes erstmal gedacht. Ich bin ja hier nicht im Kuhstall, ich möchte ja keine Hochleistungsrinder züchten. Ich möchte n Kind. N völlig normales Kind und eigentlich…ich möchte Mama sein von nem ganz stinknormalen Kind. Und ja, wie kriegt man ein stinknormales Kind. Ich habe dann wirklich überlegt: Naja, auf was für Männer stehst du? Wo würdest Du halt hingucken? Bei was für Männern guckste halt hin? Und dann hab ich mir das danach sortiert."
Nachdem sich Anni für einen Mann entschieden hat, wird dessen Samenspende in ihre Kinderwunschpraxis in Deutschland geliefert. Die Kosten für die Behandlung muss sie komplett selbst tragen. Denn die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen nur bei verheirateten Paaren einen Teil der Behandlungskosten. Unverheiratete, Alleinstehende und Singles zahlen alles aus eigener Tasche. Rund 380 Euro kostet eine Portion Sperma aus der dänischen Samenbank. Inklusive der Fahrtkosten zur Kinderwunschpraxis, den Behandlungskosten und den Transportkosten der Spermien von der Samenbank in Dänemark bis nach Deutschland, gibt sie rund 7000 Euro aus, bis sie schwanger ist. Denn obwohl sie erst Mitte 30 ist, braucht sie fünf Befruchtungsversuche.
Für den Hamburger Reproduktionsmediziner Frank Nawroth ist das nichts Ungewöhnliches. In seine Praxis kommen seit einigen Jahren vermehrt Frauen, die deutlich älter sind als Anni. Sie wünschen sich ein Kind, obwohl die Natur das in ihrem Alter gar nicht mehr vorgesehen hat.
Frank Nawroth: "Das Hauptproblem ist glaube ich, dass durch Presse und Funk und so weiter suggeriert wird, dass Medizin mehr kann, als die meisten glauben. Und deswegen kommen auch Leute – das ist das, was immer mehr wird – mit völlig abgefahrenen Vorstellungen. Also wenn in der Gala steht, dass jemand mit 47, 48 ein Kind kriegt, aber nicht steht, dass es ne Eizellspende war, dann nimmt die Bevölkerung halt mit: Mensch, man kann super schwanger werden, weil Soundso aus dem Fernsehen ist es ja auch geworden und kommen halt mit völlig irrigen Vorstellungen. Also vor Weihnachten kam ne 45, 46-jährige Frau, die einfach nen neuen Partner hat, wo man jetzt sagen muss: Also da ist eigentlich der Zug jetzt abgefahren, ne?"
Bei Anni klappt es dann aber doch noch. Sie wird Zwillinge bekommen. Jetzt erzählt sie auch ihrer Familie von ihrem ungewöhnlichen Weg, Kinder zu bekommen.
Anni: "Also meine Mutter hat angefangen zu weinen, weil…ich glaube das war so ein bisschen so, sie wusste das halt, dass ich mir unglaublich dolle ne Familie wünsche und dass das für mich eigentlich ein Schritt war, den ich nicht so einfach gegangen bin. Und das war so’n bisschen Erleichterung vielleicht auch und auch n bisschen Trauer, dass es nicht so kommt, wie ich es mir vielleicht gewünscht hatte und sie sich sicherlich auch nicht. Und meine Schwester und mein Bruder, die waren da ganz locker, die fanden das überhaupt nicht schlimm."
Ähnlich positive Reaktionen kennt die Autorin und Single-Mutter Anya Steiner auch aus den Erzählungen anderer Frauen.
Anya Steiner: "Im persönlichen Umfeld haben die Frauen da eher die Erfahrung gemacht, dass sie ne positivere Resonanz kriegen, als sie selbst gedacht haben. Wenn sie sich dann trauen, das jemandem zu erzählen, auch aus der älteren Generation, berichten dann viele ganz erstaunt: Oh ja, meine Oma oder meine Tante, die haben gesagt: Mensch, Mädchen, mach doch. Und wenn’s das bei uns schon gegeben hätte, na selbstverständlich. Nutze die Möglichkeiten gut und toll. Oder auch ältere, kinderlose Frauen, die gesagt haben: Wenn ich diese Möglichkeit gehabt hätte, hätte ich die genutzt und in der Familie oder im Freundeskreis wird es normalerweise wohlwollend oder positiv aufgenommen, weil die Leute ja dann auch die Frau kennen, die Lebensgeschichte der Frau kennen, warum die an den Punkt gekommen ist, dass sie also sich dafür entscheiden könnte oder entscheiden wird und natürlich gibt es auch Skeptiker, oder gibt es auch Menschen, die sagen: Finde ich nicht in Ordnung, aber es ist ne Minderheit."
Per Kaiserschnitt unter Vollnarkose
Mit der Schwangerschaft beginnt für Anni auch eine anstrengende Zeit. Fast permanent ist ihr übel. Immer wieder muss sie sich krankschreiben lassen. Zwei Mal muss sie sogar ins Krankenhaus, damit die Ärzte ihr über Infusionen Nährstoffe und Flüssigkeit zuführen können. Viele Freunde besuchen sie. Hätte sie sich in dieser schwierigen Zeit auch einen festen Partner an ihrer Seite gewünscht?
Anni: "Definitiv. Doch. Auf jeden Fall. Also wenn da der Partner, der würde dann hoffentlich unterstützen oder, ja, man hat vielleicht auch Idealvorstellungen und es ist dann nicht so, aber ich hab ja auch Freundschaften und wenn denen was war in der Schwangerschaft, war der Partner halt auch immer da, also ich denke, das wär dann, das hab ich mir manchmal schon gewünscht."
Auch die Geburt der Zwillinge ist nicht leicht. Wegen Annis gesundheitlicher Probleme kommt eine natürliche Geburt nicht in Frage. Sie bekommt die Kinder per Kaiserschnitt und unter Vollnarkose. Von der Narkose ist sie so benommen, dass sie ihre Zwillinge erst Stunden nach der Geburt sehen darf.
Anni: "Ich hätte gerne ihren ersten Schrei gehört und ich hätte sie gerne direkt nach der Geburt bei mir gehabt. Also zumindest mal gesehen. Aber das ging nicht, hab ich auch ganz lange dran zu knabbern gehabt. Allerdings muss ich sagen: Die Ärzte waren unglaublich nett, die Schwestern waren total lieb, also in dem Moment, wo ich wirklich so klar bei Verstand war, auch von meiner Koordination her, dass es ging, kam die Schwester rein mit den Kindern und dann war’s um mich geschehen, auf der Stelle."
Es ist geschafft. Annis Kinderwunsch hat sich erfüllt. Ganz alleine und ohne einen Partner an ihrer Seite hat sie einen Jungen und ein Mädchen zur Welt gebracht. Für ein Jahr zieht sie mit den beiden Kindern zu ihren Eltern, die sie sehr unterstützen. Obwohl sie das Gefühl hat, dass ihr Leben mit den Kindern sich schnell einspielt, gibt es immer wieder Momente, in denen sie sich einen Partner an ihrer Seite wünscht.
Anni: "Was einem so auffällt, ist, dass man bestimmte Sachen, die man ganz allein genießt, man auch gerne zu zweit genießen würde, wo man gerne sich so mal anlehnen würde, wo man so sagt: Und, denkste nicht auch, dass das ganz tolle Kinder sind, ne? Also das merke ich manchmal, dass mache ich zwar manchmal mit meiner Mutter oder mit meinem Papa, wo ich denke, och, das würdste auch gern mal nem Partner sagen können."
Auf der anderen Seite bekommt sie mit, wie Paare im Freundeskreis sich trennen oder über die Kindererziehung streiten und obwohl sie Vieles mit sich selbst ausmachen muss, ist sie froh, sich nicht mit solchen Problemen auseinandersetzen zu müssen. Um ihren Kindern männliche Bezugspersonen nicht vorzuenthalten verbringt sie viel Zeit mit ihrem Vater und der Familie ihrer besten Freundin.
Werden die vaterlosen Kinder akzeptiert?
Heute sind Annis Zwillinge drei Jahre alt und gehen in den Kindergarten. Dort hat Anni von Beginn an offen gesagt, dass ihre Kinder keinen Vater haben. Kein Problem, sagen die Erzieherinnen. Doch ganz so problemlos scheinen sie die vaterlosen Kinder dann doch nicht zu akzeptieren.
Anni: "Und ich hatte dann n Entwicklungsgespräch nach dem ersten Jahr in der Kita mit meinen Kindern, mit einer Erzieherin und da hab ich das erste Mal wirklich geschluckt, weil da kam das allererste Mal, dass man schon ein bisschen genauer auf meine Kinder geguckt hat und deren Entwicklung, weil ja bei uns diese besondere Situation ist. Und da dachte ich mir so: Boah, ist das jetzt dein Ernst, was Du mir hier erzählst? […] und dann kam aber die Bemerkung von der Kita-Erzieherin und: Sie werden sich wundern, wir haben absolut null Unterschied, es gibt keinen Unterschied. Ihre Kinder sind wie alle anderen Kinder. Und da war ich dann schon stolz, als das gesagt wurde."
Was Annis Kinder einmal dazu sagen werden, dass sie nicht wie andere Kinder einen Vater haben, wird sich noch zeigen. Noch sind sie mit ihren drei Jahren zu klein, um sich diese Frage zu stellen. Die Hamburger Therapeutin Sabine Kirsch rät Eltern von Samenspenderkindern dazu, schon früh mit Kindern über den fehlenden biologischen Vater zu sprechen.
Sabine Kirsch: "Also grundsätzlich entsteht da ja ne Lücke in einem. Weil man darüber dann nichts weiß. Wenn die auch über den emotionalen und auch verbalen Kontakt mit den Eltern nicht gelöst werden kann, dann wird die Suche im Außen nach dem Samenspender viel größer. Wenn das Kind aber über diese Lücke im Kontakt sein kann mit den Eltern und es Antworten darauf kriegt, dann kann diese Lücke sozusagen auch im Kontakt mit den Eltern gefüllt werden. […] Und dann kann ein Kind gut damit umgehen […] und dann ist es nicht mehr so wichtig auch im Außen, diese Person kennenzulernen."
Erst wenn sie 18 Jahre alt sind, dürfen Annis Kinder den Spender über die Samenbank kontaktieren. In den nächsten Jahren will sie versuchen ihnen möglichst altersgerecht zu erklären, von wem sie abstammen.
Anni: "Letzten Endes gab’s nen netten Mann, der der Mama geholfen hat, dass ihr da seid. So, das ist so diese, der Grundtenor, der das sein wird und dass er halt nicht bei uns wohnt, sondern dass der in Dänemark wohnt."
Auch wenn sie darauf hofft, dass ihre Kinder ihr den fehlenden Vater niemals zum Vorwurf machen werden – richtig daran glauben kann Anni nicht.
Anni: "Ich hoffe, dass ich dem dann so begegne, dass es mich nicht bis ins Mark trifft, sondern dass ich einfach sagen kann: Ok, sie haben auch irgendwo jedes Recht dazu, mir gewisse Dinge vorzuwerfen. Und ich versuche das Beste draus zu machen, ich versuche von Geburt an immer so das Beste draus zu machen, dass den Kindern möglichst wenig fehlt."
Familiengründung wird sich weiter verändern
Single-Mütter wie Anni wird es in Deutschland künftig noch häufiger geben. Und die Hamburger Therapeutin Sabine Kirsch glaubt, dass sich die Art und Weise, wie wir Kinder bekommen und Familien gründen, künftig noch weiter verändern wird.
Sabine Kirsch: "Also grundsätzlich ist das Familienbild einem ständigen Wandel unterzogen. Auch dadurch, dass es Partnerschaften gibt, die sich trennen und dass dann Patchwork-Familien entstanden sind – dadurch hat sich das ja auch schon verändert. Und es wird sich perspektivisch immer mehr verändern, dass Kinder mit Reproduktionsmedizin entstehen. Also jedes 100. Kind entsteht schon mithilfe assistierter Reproduktion. Und dadurch, dass es mehr in die Öffentlichkeit kommt und Samenspende auch und lesbische Paare auch im Straßenbild ja präsenter werden und natürlich eben auch Alleinerziehende und alleinstehende Frauen, die eben auch den Kinderwunsch sich erfüllen ohne Partner. Und dadurch ändert sich natürlich das Familienbild. […] Insgesamt kann man sagen, dass das Modell Familie einfach viel viel breiter geworden ist. Und viel vielfältiger und individueller auch."
Und die Männer? Was wird aus ihnen, wenn künftig immer mehr Frauen alleine Kinder bekommen? Die Autorin Anya Steiner glaubt, dass sie trotzdem nicht zu kurz kommen werden.
Anya Steiner: "Die Männer werden gebraucht und es wird nach wie vor auch Beziehungen geben, Liebe und Partnerschaft geben, aber es ist eben einfach diese Möglichkeit, dass man sich als Frau nicht unter Druck setzen lassen muss, nicht von einem Partner abhängig machen muss, um eine Familie zu gründen. Das heißt ja nicht, dass man deswegen keine Beziehung mit einem Mann eingehen möchte oder wird. Aber man hat die freie Entscheidung und man ist nicht in dieser unbefriedigenden und zum Teil auch erniedrigenden Situation, dass man eben seine eigenen Urwünsche, seine eigenen Urinstinkte zurückstellen muss, nur weil also kein Partner da ist, der sagt: Ich mach das."
Anni hat die Hoffnung, dass sie den richtigen Mann eines Tages noch kennenlernen wird, noch nicht ganz aufgegeben. Im Unterschied zu früher fühlt sie sich aber heute nicht mehr so unter Druck gesetzt. Denn ihre eigene Familie hat sie schon gegründet – auch ohne Mann.
Anni: "Weil letzten Endes sind die Kinder da und ich fühl mich unglaublich wohl mit denen und ich hoffe einfach irgendwie für die Zukunft, dass wenn mich jemand findet, er auch bereit ist, die Kinder so anzunehmen wie se sind und so zu akzeptieren, wie wir so sind und wir es schaffen ihn in unser Leben zu lassen mit allem Wenn und Aber. Was sicherlich schwer genug wird, auf jeden Fall, da geb ich mich auch keinen Illusionen hin."