"Dann verbrennt man auch die Würde des Menschen"

Hamid Reza Yousefi im Gespräch mit Gabi Wuttke |
"Pietätlos" nennt Hamid Reza Yousefi die Koranverbrennung durch US-Soldaten in Afghanistan. Der Privatdozent für interkulturelle Philosophie glaubt nicht an ein Versehen, sondern vermutet einen politischen Hintergrund.
Gabi Wuttke: Es ist eine Todsünde, den Koran zu verbrennen. Genau das aber taten amerikanische Soldaten in Afghanistan. Trotz der Erklärung, es hätte sich um ein Versehen gehandelt, und den Entschuldigungen auch des US-Verteidigungsministers, der antiamerikanische Protest in Afghanistan soll bislang mindestens neun Tote bei Auseinandersetzungen mit der Polizei gefordert haben. Am Telefon ist um 8:40 Uhr Hamid Reza Yousefi, im Iran geboren lebt er seit 15 Jahren in Deutschland und lehrt interkulturelle Philosophie an der Universität Koblenz-Landau. Guten Morgen!

Hamid Reza Yousefi: Guten Morgen!

Wuttke: Kann es Ihrer Ansicht nach sein, dass auf einer US-Basis in Afghanistan niemandem auffällt, dass sich Ausgaben des Koran auf dem Weg in den Müll befinden?

Yousefi: Ja, das ist auch eine Frage, die mich stark beschäftigt, seitdem ich mit diesen Informationen vertraut worden bin. Ich denke, grundsätzlich, ob man gläubig oder nicht, ist es pietätlos praktisch, wenn man Bücher verbrennt, die von einer Weltreligion als Offenbarungsschrift, das heißt als Buch Gottes angesehen werden. Es ist kaum vorstellbar, dass es sich hier um ein Versehen gehandelt hat, oder dass die Soldaten, die diese Bücher verbrannt haben, aus Unwissenheit gehandelt haben, wie dies in den Kommentaren teilweise dargestellt wird. Diese Soldaten sind meiner Meinung nach doch seit Jahren in Afghanistan und müssen dies praktisch wissen. Also dass das Buch in einer Müllverbrennungsanlage landet, ist das eine. Die Frage ist, wie kommt eine solche Information an die Öffentlichkeit und wer daran ein Interesse hat, dass eine solche Sache publik gemacht wird, sodass es eskaliert.

Wuttke: Welche Vermutung haben Sie denn?

Yousefi: Meine Vermutung ist, dass das Ganze auch einen politischen Hintergrund haben kann, dass diejenigen, die das gemacht haben, auch andere Ziele erreichen wollen. Zum Beispiel heute habe ich bei BBC in einer Kurznachricht gelesen, dass Iran diese Proteste organisiert haben soll. Ich meine, das ist wie ein Dominoeffekt, dass so etwas gemacht wird, und dann sucht man Leute die diese Proteste in Afghanistan zum Beispiel organisiert haben sollen. Ich glaube, dass es keinen Menschen fast in der westlichen Welt gibt, der nicht wissen sollte oder weiß, dass die Moslems sehr, sehr allergisch reagieren, wenn man ihre heilige Schrift verbrennt.

Wuttke: Das ist ja auch in der christlichen Kultur ein Tabu, die Bibel zu verbrennen. Von daher hätte man sich da schon mal einfach instinktiv Gedanken machen können, was man da tut, oder?

Yousefi: Ja, selbstverständlich. Ich meine, hier erinnere ich an diese berühmte Aussage von Kurt Tucholsky, der sagte, wo Bücher verbrannt werden, dort werden auch bald Menschen verbrannt. Ich meine, man könnte dem hinzufügen, wenn man die heilige Schrift der Muslime, oder die Bibel, oder das Tora oder Bhagavad Gita oder. Wer auch immer heilige Schriften verbrennt, dann verbrennt man auch die Würde des Menschen zugleich. Ich denke, dass man hier drei Pfeiler der interkulturellen Kommunikation berücksichtigen sollte, die in unserer Demokratie eine feste Verankerung haben, nämlich Menschenwürde, Menschenrechte und Menschenpflichten. Wenn wir uns für die Menschenwürde und Menschenrechte einsetzen, dann müssen wir auch uns im Klaren sein, dass wir auch Pflichten haben, uns gegenüber und auch unseren Mitmenschen gegenüber, und das haben diese amerikanischen Soldaten offenbar missachtet.

Wuttke: Wie können denn diese drei grundsätzlichen Werte, die Sie gerade genannt haben, vor dem Hintergrund, dass jetzt noch mal allen Soldaten in Afghanistan Nachhilfeunterricht in kulturellem Miteinander gegeben werden soll, wie kann man aus diesem Vorfall jetzt versuchen, die Situation zu befrieden? Gibt es irgendetwas, was aus Ihrer Sicht praktisch getan werden kann, oder müssen wir einfach eben damit rechnen, dass es Zeit braucht, bis es sich irgendwann wirklich in den Köpfen festsetzt oder möglicherweise eben auch nie?

Yousefi: Ich meine, das eigentliche Problem besteht darin, dass die Afghanis genauso wie im Fall im Irak die NATO-Soldaten, spezifisch die amerikanischen Soldaten als Besatzer wahrnehmen. Das ist das eine. Warum? Weil immer wieder die religiösen Gefühle dieser Völker nicht nur in Abrede gestellt werden, sondern auf massive Art werden sie vergewaltigt. In Abu Graib im Irak haben wir das gleiche Problem gehabt und an sämtlichen anderen geheimen Orten, an denen Menschen islamischer Herkunft praktisch wahllos festgenommen und gefoltert werden, Guantanamo und so weiter. All diese Erinnerungen werden wach, wenn so eine Tat vollzogen wird, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Soldat, der sich auf dem afghanischen Boden befindet, nicht von den amerikanischen Verantwortlichen einen Unterricht bekommen haben sollte, und ich denke, dass das Ganze auch irgendwie politisch interessant ist.

Wuttke: Sagt Hamid Reza Yousefi im Deutschlandradio Kultur. Er lehrt interkulturelle Philosophie an der Universität Koblenz-Landau. Ich danke Ihnen sehr, wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Yousefi: Ebenfalls.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Links auf dradio.de:

Politologe wirft westlichen Akteuren in Afghanistan Ignoranz vor - Thomas Ruttig vom Afghanistan Analyst Network zu den Koranverbrennungen
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