Darf's ein Buch mehr sein?

Mit Verlagsvertretern unterwegs

Verlagsstand auf der Frankfurter Buchmesse
Verlagsstand auf der Frankfurter Buchmesse © dpa / picture alliance / Boris Roessler
Von Siegfried Ressel |
Während das Ansehen von Versicherungs- oder Staubsaugervertretern eher zweifelhaft ist, genießen die sogenannten Verlagsvertreter einen unbeschadeten Ruf. Obwohl sich im Buchhandel durch die Digitalisierung über die Jahrzehnte vieles verändert hat, sind sie weiterhin die Vermittler der Ware Buch zwischen Verlag und Buchhandlung.
Zweimal im Jahr bereisen sie die Buchhandlungen ihres Vertretergebietes und versuchen, die Buchhändler vor Ort von den Titeln der Verlage, die sie vertreten, mit Anteilnahme, Geschäftssinn und inhaltlicher Versiertheit zu überzeugen.
Nicht immer gelingt das, werden Erwartungen enttäuscht, weil die bestellten Stückzahlen zu klein oder zu groß sind oder sich der sogenannte Spitzentitel als ein Flop entpuppt. Ein schwieriger Beruf also und zwar auf einem Feld, das großes Theater und Kampfzone zugleich sein kann.

Manuskript zur Sendung:
Wir treffen uns am Abend vor unserer zweitägigen Reise im Juli dieses Jahres, und zwar im Hotel La Strada. "Ein typischer Vertreterkasten", sagt Jochen Thomas-Schumann, während wir ein Bier an der Hotelbar trinken. Thomas-Schumann ist Verlagsvertreter, und als solcher wird er in den nächsten beiden Tagen Buchhandlungen in Kassel, Eschwege und Bad Hersfeld besuchen - mit mir als Begleitung.
Was ist ein Verlagsvertreter? Diese Frage soll beantwortet werden, und eines ist jetzt schon klar: Er verbringt einen Teil seiner Arbeitszeit in "Kästen" wie diesen, halb pseudo-italienischer Schnick-Schnack, halb schlechtes Bauhaus in der Randlage eines Gewerbeparks.
Gleich in der Frühe sitzen wir zusammen im Vertreter-Kombi, aber bevor die Fahrt losgeht, gibt es schon das erste Kundengespräch - am Handy.
Damit sind wir bereits mitten im Verlagsvertreteralltag.
"Die brauchen 'ne Betreuung, die brauchen sozusagen 'nen festen Termin, an dem sie einmal ihr Lager durchgehen und sich überlegen: Was brauch ich? Brauch ich was? Und das ist für die 'ne Hilfe. In dem ganzen Wust an Büchern und Verlagen, die sie sozusagen im Auge behalten müssen, gibt es tatsächlich in meinem Fall nur zwei Buchhandlungen, die diese Betreuung mögen und schätzen. Und es ist zwar einigermaßen – ja – nervig, immer dran zu denken, aber andererseits ist man so mit denen immer im Kontakt und quatscht ein bisschen. Und man verkauft ihnen nochmal was und fragt nochmal nach, brauchen Sie nicht das oder vielleicht noch das? Und ja, so kommt dann im Lauf des Jahres doch immer anständig was zusammen. Man bietet Service wo man kann! Man holt den Kunden da ab, wo er sich befindet."
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Unsere kurze Fahrt führt zur ABC-Buchhandlung [Anmerkung: Die korrekte Bezeichnung ist "ABC-Buchladen"] in Kassel. Die liegt in einem gutbürgerlichen Wohnviertel mit Mietshäusern aus der Gründerzeit ohne viele Läden. Laufkundschaft? Fehlanzeige.
"Willkommen im illiterarischen Kassel" begrüßt uns die Geschäftsführerin Barbara Menk. Sie und ihr Kollege Frank Lorberg, ebenfalls Geschäftsführer, haben keine Probleme damit, dass diesmal ein Reporter mit einem Mikrofon dabei ist:
- "Wir begreifen uns immer noch als linken Buchladen mit 'ner Öffnung nach außen. Und da gehört es auch dazu, dass die Kunden wissen, unter welchen erbärmlichen Bedingungen wir arbeiten.""Deswegen wird hier auch immer in kleinen Mengen eingekauft beim Vertreterbesuch. Aber es gibt immer 'ne kontinuierliche Nachbestellung."
- "Unsere Finanzdecke ist mehr als dünn, also wir verkaufen die Sachen auch nicht im Stapel."
- "Aber erstaunlich, was dann im Laufe des Jahres immer wieder zusammenkommt an Büchern, die dann doch wieder einen Stapel ergeben würden."
- "Ja, aber wir können den Stapel so nicht finanzieren."
- "Nein, klar."
Damit sind die gegenseitigen Erwartungen geklärt, und das Verkaufsgespräch kann in der kleinen, etwas schummerigen Buchhandlung mit den dunkel gebeizten Holzregalen beginnen.
Jochen Thomas-Schumann vertritt seit elf Jahren als "freier Handelsvertreter" die Verlage Hanser mit seinen Imprints – wie zum Beispiel Hanser Berlin und Zsolnay -, sowie den C.H. Beck-Verlag und einige Kinderbuchverlage. Diese Verlage mit ihren ambitionierten Belletristik- wie Sachbuchprogrammen sind für die meisten Buchhandlungen unverzichtbar, und deshalb sind deren Vertreter als Geschäftspartner per se gern gesehen.
Das Setting eines Vertreterbesuchs im Buchladen ist immer gleich: Man sitzt sich gegenüber: der Vertreter mit dem Laptop vor sich, um die Bestellzahlen einzugeben und der Buchhändler mit einem Stoß Programmvorschauen im DIN-A4-Format mit Fotos und Beschreibungen der einzelnen Novitäten auf dem Tisch.
Der Vergleich mit einer Pokerrunde ist naheliegend.
- "Gut, sollen wir mit Hanser beginnen?"
- "Ja."
- "Genau, es beginnt also mit dem neuen Roman von Navid Kermani, den wir, glaube ich, für den am besten zu verkaufenden und seinen am leichtesten und lesbarsten Roman bisher halten. Es ist eine Geschichte um einen Mann und eine Frau, die sich nach dreißig Jahren wiedertreffen. Die mal als Jugendliche ein Paar waren und eine Nacht miteinander verbringen – wie ein Kammerspiel ist es aufgezogen – und sich fragen: Was ist aus uns geworden, was ist aus der großen Liebe von einst und uns geworden?"
- "Gut, Stücker drei."
- "Hm."
- "Und dann den Capus einmal?"
- "Ja."
- "Und Sibylle Berg wollen wir nicht?"
- "Manche wollen wir einfach nicht, genau."
- "Botho Strauss?"
- "Den müssen wir."
- "Den wollen Sie auch nicht, aber den müssen Sie!?"
- "Den müssen wir, ja."
"Wollen" oder "müssen" – bei Botho Strauss geraten die Maßstäbe des "linken" ABC-Buchladens ins Wanken. Und ich frage mich, was das soll. Denn Botho Strauss ist unbestritten ein großer Autor, auf dessen Bücher man immer wieder neugierig ist, auch auf dieses hier: "Oniritti Höhlenbilder".
Zitator: "Also nochmals die Bühne, wieder zurück auf die Bühne, in die versiegelte, notbeleuchtete Finsternis und ihre verabredete Stille, Reich der Erwartungsstille (außer dem Flüstern des Inspizienten). Einzig du auf nacktem Stuhl, Sitzgeburt, wenn das Licht heranrauscht aus einem winzigen Punktscheinwerfer, ein heller Kreis über dir, herausgeschnitten aus der bestgehüteten Finsternis, ein Kreis, der jederzeit abnehmen könnte, schrumpfen und sich verengen und verdichten, bis er nur noch handtellergroß über deinem Scheitel schwebt, dann nur noch vom Umfang einer Puckscheibe vom Eishockey, wahrscheinlich aber niemals nur ein Punkt in Nadelkopfgröße, der den mittleren Fingerknöchel beleuchtet. Das Licht könnte beliebig wenig von dir übriglassen. Da sitzt du vorerst wie für immer."
Man einigt sich auf ein Exemplar von Botho Strauss' neuem Buch "Oniritti Höhlenbilder".
Dass in der ABC-Buchhandlung [Anmerkung: Die korrekte Bezeichnung ist "ABC-Buchladen"] in Kassel so kleine Zahlen geschrieben werden, ist für Thomas-Schumann kein Problem, denn es ist die vorletzte von insgesamt zwölf Vertreterwochen am Stück, in denen er unterwegs ist. Sein Vertretergebiet umfasst neben Hessen Rheinland-Pfalz, Niedersachsen das Saarland und obendrauf noch Luxemburg.
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Die nötigen Umsätze sind für Thomas-Schumann längst in den Buchhandlungen der großen Städte gemacht. Hier, in der Provinz, ist die Repräsentanz für die Verlage wichtiger als es die Bestellzahlen sind. Und mit dem Verkauf von einigen sogenannten "Spitzentiteln" rechnet sich der Aufwand wiederum auch. Jane Gardams "Letzte Freunde" ist so einer. Das Buch ist der dritte Band, den Hanser Berlin von der britischen Autorin im Oktober herausbringt. Die ersten beiden Bände der Trilogie waren Bestseller. Insofern ist man sich im Verlag sicher, auch mit dem neuen Titel zu punkten.
Im März gab es dazu in München, im Stammhaus von Hanser, die sogenannte Vertreterkonferenz, bei der die Verleger, die Mitarbeiterinnen von Presse und Marketing, die Lektoren und eben die Vertreter genau wie in einer klassischen Konferenzrunde bei Mineralwasser, O-Saft und Kaffee die einzelnen Titel des Herbstprogramms diskutierten. Diese halbjährlichen Konferenzen, wie sie übrigens jeder Verlag bestreitet, sind sowohl Resümee als auch Ausblick in die nahe Zukunft: Die Manuskripte der aktuellen Titel sind bereits von allen gelesen worden, die Inhalte werden auf ihre Vermittlung hin eingeschätzt. Diskutiert wird über Marketingstrategien, Leseexemplare, Umschlaggestaltung, Auflagenerwartung und letztlich auch über den Ladenpreis: Wie viel ist uns das jeweilige Buch wert?
Die Lektorin Julia Graf über "Letzte Freunde" von Jane Gardam:
"Also, es ist wirklich ein Buch, was so viel Weisheit und Klugheit versammelt und … ja, ganz wunderbar. Und es lässt viele Leerstellen offen, das hat mir besonders gut gefallen, dass jetzt nicht wirklich alles auserzählt wird und jede Lücke, die in den anderen Bänden noch nie gefüllt wurde, jetzt gefüllt ist. Es bleiben doch gewisse Rätsel, und so nahe man den Figuren auch kommt, dürfen die ihr Geheimnis bewahren."
Jochen Thomas-Schumann: "Ich hab' noch eine Frage, weil man das ja auch immer gefragt wird: Wie geht es dann weiter mit Jane Gardam? Was habt ihr in der Pipeline?"
Antwort: "Weitere Planung: im Herbst 17 ein Erzählungsband und im Herbst 18 ein neuer Roman, also ein weiterer Roman."
Die Vertreterkonferenz des Hanser Verlags, an der auch Vertreter Jochen Thomas-Schumann teilnimmt, gibt außerdem einen interessanten Einblick in die Sorgfalt, mit der Text wie Autor behandelt werden, und zeigt die Freude an den Entdeckungen, die schließlich auf den Markt gebracht werden. Der Verlagsleiter von Hanser-Berlin Karsten Kredel über Dimitrij Kapitelman und dessen Buch "Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters":
"Dimitrij Kapitelman ist ein junger Mann von weniger als 30 Jahren. Nachdenklich, eigensinnig. UJnd was mich sofort hingerissen hat, waren die Originalität und der Charakter seiner Stimme. Ein klassischer Woody Allen. Das mag so ein bisschen fast abgegriffen klingen. Aber ich finde, es gibt nach wie vor keine bessere Referenz für dieses Grüblerische und für diese komische Verzweiflung und diese verzweifelte Ernsthaftigkeit."
Zitator: "Ausschließlich väterlicherseits Jude zu sein ist wie eine exklusive und lebenslange Mitgliedschaft in einem Schwimmbad, dessen Becken nie mit Wasser gefüllt ist. Jeden Sommer muss man sich das unsichtbare Wasser denken, was ebenso zermürbend wie unbefriedigend ist. Deshalb beschließe ich in regelmäßigen Abständen, keine Überlegungen mehr über mein jüdisches Erbe anzustellen."
Die Begeisterung von Karsten Kredel über den Text wird nicht von allen Vertretern in der Runde geteilt. Ihre Urteile sind für den Verlag gewichtig, denn sie müssen die Bücher schließlich später in den Buchhandlungen anbieten. Vera Grambow, die für den Verlag in Berlin unterwegs ist, kommentiert den Kapitelman-Text ziemlich skeptisch:
"Also, ich hab' 20, 30 Seiten gelesen und wusste nicht so richtig, wo geht das jetzt hin. Ist das ein Roman, eine Flüchtlingsgeschichte, ist es eine jüdische Identität? Ist es eine Vater-Sohn-Beziehung? Ist es irgendwie alles? Es ist für mich noch immer nicht so ganz klar, was wir aus diesem Buch machen. Es ist eine große Behauptung. Wir haben mit dem Autor was vor, das kann man nachvollziehen. Aber trotzdem weiß ich noch nicht genau, wie ich damit umgehen soll."
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Zurück in der ABC-Buchhandlung [Anmerkung: Die korrekte Bezeichnung ist "ABC-Buchladen"] in Kassel. Jochen Thomas-Schumann bringt seinen nächsten Top-Verlag ins Gespräch, es ist einer der großen Verlage Deutschlands, die sich mit dem politischen Sachbuch profiliert haben – der C. H. Beck Verlag:
- "Okay, dann Beck gerne."
- "Hhhmmm."
- "Da sind Sie wieder verzweifelt bei Beck."
- "Ja, ziemlich."
- "Warum?"
- "Weil‘s stinklangweilig ist für uns."
- "Es wird schlechter das Programm."
- "Das Programm wird schlechter? Der Verlag wird aber immer erfolgreicher, ist irgendwie komisch."
- "Tja, genau deswegen."
- "Bei Beck also, da trifft es mich wirklich sehr hart. Weil, wenn es einen Verlag gibt, der in den letzten, weiß ich nicht, 20, 30 Jahren weiter sozusagen seine Qualität gehalten hat, dann ist es doch, glaube ich, Beck."
- "Ja, aber das ist diesmal für uns sehr, sehr staatstragend und konservativ. Das können wir hier nicht verkaufen."
Der eigentlich so charmante Jochen Thomas-Schumann ist merklich aufgebracht über dieses krasse Pauschalurteil – zumal er von der Brisanz und der Verkäuflichkeit des Top-Titels vom Beck Verlag wirklich überzeugt ist, es sind die Tagebücher des Iwan Maiski:
"So, das hier wird eines der wichtigsten historischen Bücher in diesem Herbst werden. Da muss ich jetzt doch noch zwei Sätze zu sagen. Den Iwan Maiski, den werden Sie nicht kennen, ich kannte ihn vorher auch nicht. Der Mann war elf Jahre lang sowjetischer Botschafter in London. Der Mann ist ein fast unbeschriebenes Blatt in der Geschichtsschreibung."
Doch der Verlagsvertreter kann die ABC-Buchhandlung [Anmerkung: Die korrekte Bezeichnung ist "ABC-Buchladen"] auch von diesem Buch nicht überzeugen. Eine Enttäuschung, ganz klar. Mit diesem Eindruck fahren wir zur nächsten Station. Für Jochen Thomas-Schumann Gelegenheit für ein paar Gedanken über das Komplizierte seines Jobs:
"Meine Frau sagt immer: Du kannst doch den Leuten nicht sagen, dass du Vertreter bist! Du musst immer sagen Verlags-Vertreter! Verlags-Repräsentant! Wenn man sagt, man ist Verlagsvertreter für Buchverlage, dann kann man förmlich den Leuten beim Rattern im Gehirn zuhören und zusehen. Und wie? Was machst du da? Ja, ich sorge dafür, dass Bücher in Buchhandlungen unterkommen und dort präsentiert sind undsoweiter. Darüber hab ich mir noch nie Gedanken gemacht. Es gibt auch durchaus enge Bekannte von mir, die bis heute nicht kapieren, was ich eigentlich mache."
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Wir sind einmal quer durch Kassel gefahren, das immerhin 13 Buchhandlungen hat, und befinden uns jetzt in einer anonymen Einkaufszeile im Stil der 80er Jahre im Stadtteil Harleshausen. Die Buchhändlerin Gabriele Kubesch-Päch sagt, hier wohne das Bildungsbürgertum, ohne dass sie nicht überleben könnte.
Nur 30 Quadratmeter groß ist das Geschäft, gerade mal etwas größer als ein Zeitungsladen, aber hier brummt‘s! Laufkundschaft, Leute, die Bücher bestellen, vor den Regalen stehen oder schon an der Kasse.
Zu dritt quetschen wir uns auf Klappstühle in eine telefonzellengroße Teeküche.
Jochen Thomas-Schumann beginnt wieder mit dem Hanser-Verlag. Von Navid Kermani`s Roman "Sozusagen Paris" werden umstandslos fünf Exemplare bestellt. Weiter geht‘s: zweites Buch: Es ist der etwas euphemistische klingende Titel "Das Leben ist gut" von dem mittlerweile recht bekannten Schweizer Autor Alex Capus.
- "Capus habe ich gerade zu Ende gelesen."
- "Wie mochten Sie den?"
- "Ich hab' den Schluss nicht verstanden."
- "Sie haben den Schluss nicht verstanden? Was war denn der Schluß, ich weiß das nicht mehr so genau?"
- "Naja, der Schluss spielt nicht mehr da, wo alles angefangen hat."
- "Als er da in den USA ist?"
- "Ja. Bei dem Freund. Also, das hab ich nicht verstanden."
- "Ehrlich gesagt, das ist ja schon lange her, dass ich das gelesen habe. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich's NICHT verstanden habe. (Lacht) Ich weiß es ehrlich nicht mehr, wie er endet. Also, es kommt doch dann die Frau auch wieder, und er freut sich doch, dass sie wiederkommt.?"
- "Ja, aber das spielt keine Rolle mehr. Er ist dann in den USA und zieht da eine Nummer ab, die ich ehrlich gesagt, nicht verstanden habe. Also ich muss den Schluss nochmal lesen."
- "Ich auch, werde es heute Abend sofort tun, ich ruf Sie morgen an ja?"
- "Ja, danke!"
- "Es hat mich jetzt aber noch keiner gefragt witzigerweise."
- "Vielleicht haben die es gar nicht gelesen."
- "Na doch … - aber fünf nehmen wir, ja?"
- "Wir nehmen fünf."
Gabriele Kubesch-Pächs kleiner Laden funktioniert vor allem auf der Basis totaler Selbstausbeutung: Tagsüber steht sie im Laden, dann kommen die Buchhaltung, das Prüfen der Kundenbestellungen, die Schaufenster Deko und und und. Nachts liest sie die Bücher, am nächsten Morgen dann bereitet sie sich zum Beispiel auf den Vertreterbesuch vor: Welche Titel kaufe ich in welchen Stückzahlen ein? Dazu hat sie Bemerkungen an den Rand der Vorschauen geschrieben oder Post-it-Zettel mit Zahlen auf die Seiten geklebt.
Der Dialog mit dem Vertreter ist oft ein kalkulatorischer Eiertanz: Man möchte eigentlich – schon aus Leidenschaft für die Literatur – viel mehr bestellen, aber das wäre betriebswirtschaftlicher Selbstmord. So ringen die Buchhändler in der Provinz buchstäblich mit jedem einzelnen Buchexemplar, auch mit Blick auf die Stammkunden.
Sami El-Schechli: "Wir kennen ja unsere Kunden überwiegend persönlich, und dann haben wir auch tatsächlich mitunter bestimmte Kunden im Hinterkopf, wo wir denken: Ach, das könnte für XY interessant sein oder so. Und wenn‘s dann halt eben auch nur der eine Kunde ist oder ein Titel für den einen Kunden. Und äh, dann geht‘s aber auch ans Rechnen - also da gibt‘s auch tatsächlich Summenbildungen, und man guckt auch, was bedeutet das an Wareneinsatz. Denn wir sind ja auch Kaufleute, sollten es zumindest sein und müssen halt schauen, dass wir halt da das vernünftige Gleichgewicht halten, ja."
Die kleine Buchhandlung Hühn im Kasseler Jugendstil-Viertel "Vorderer Westen" ist zum Niederknien schön. In Berlin-Prenzlauer Berg würde sie als "retro" gefeiert werden: helle Holzregale, über die gelbe und orangene Schriftbänder zur Orientierung montiert sind: Sonderausgaben, Belletristik, Humor, Kinderbücher.
Ein schönes Samuel Beckett-Plakat von Suhrkamp, einige bunte Papierlampions, die von der Decke hängen. Sami El-Schechli ist der Inhaber der 1868 gegründeten Buchhandlung, und im Vertretergespräch ist er vor allem sehr interessiert an der Hanser Neuerscheinung "The Girls", dem literarischen Sensationsdebüt der erst 27-jährigen Amerikanerin Emma Cline:
- "Ach so, da kommt der nächste Titel, der permanent durchs Feuilleton geistert."
- "Da höre ich so einen gewissen negativen Unterton?"
- "Nein!"
-"Da hatten Sie nur eins bestellt, das ist bestimmt zu wenig."
- "Richtig, wir bestellen jetzt noch zweimal dazu. Und das wird garantiert noch was werden, also das wird auch nicht bei den zweien bleiben. Das ist auch schon klar. Aber es ist, die, äh, diese Manson-Geschichte, die wird, also es ist klar, es ist offensichtlich was, was der historische Hintergrund ist aber, es wird nie so formuliert."
Zitatorin: "Wir seien dabei, sagte uns Russell, eine neue Art von Gesellschaft ins Leben zu rufen. Frei von Rassismus, frei von Ausschluss, frei von Hierarchie. Wir stünden im Dienst einer tieferen Liebe, und seine Stimme dröhnte aus der Bruchbude im Weideland von Kalifornien, und wir spielten miteinander wie Hunde, balgten und bissen, von der Gluthitze atemlos. Wir waren größtenteils kaum erwachsen, hatten noch Milchzähne. Wir aßen, was immer man uns vorsetzte. Haferbrei, der im Hals verklebte. Ketchup auf Brot, Corned Beef aus einer Dose. Von Kochspray durchweichte Kartoffeln."
Ein Mann sitzt bei untergehender Sonne am Steuer seines Autos.
"Das Schlimmste an diesem Beruf ist das Autofahren", sagt der Verlagsvertreter Jochen Thomas-Schumann.© imago/mika
Wieder im Auto: "Das Schlimmste an diesem Beruf ist das Autofahren, wenn ich das mal so sagen darf. Wieso? Wieso! In mancher Buchhandlung beschleicht mich ja manchmal 'ne Depression aber, regelmäßig beschleicht mich die Depression auf der Autobahn, weil ich denke, was machen wir hier nur alle? Ein Kilometer vor dem Ziel Straßensperre und kein Umleitungsschild. Das sind die wahren Probleme des Vertreterdaseins! Ja! Autofahren ist die Hölle geworden.
Man verbringt einfach sehr viel Zeit auf der Straße, und man weiß, es warten noch 23 E-Mails auf Beantwortung, ja, dann wird man oftmals schwermütig und fragt sich: Was mache ich hier eigentlich?"
Wir fahren von Kassel nach Eschwege. 25.000 Auto-Kilometer ist Jochen Thomas-Schumann als freier Handelsvertreter jährlich unterwegs. Frei heißt, er ist nicht fest angestellt, und sein Verdienst ergibt sich aus der Provision, die er durch die an die Buchhändler vermittelten Bücher von den Verlagen erhält. Diese Provision sollte jährlich mindestens 120.000 Euro brutto jährlich sollte betragen, um die Kosten zu decken und ein gutes Einkommen zu haben. Liegt da nicht die Versuchung nahe, die Buchhändler zu größeren Bestellzahlen zu überreden?
"Also, es gibt ja immer so legendäre Geschichten von irgendwelchen Vertreter-Haudegen von früher, keine Ahnung, die den Leuten die Lager voll geknallt haben und was man sich so im Lauf der Jahre auch für Geschichten und Legenden angehört hat. Die Zeiten sind vorbei und schillernde Leben auf der Straße mit Anzug und Fahrer und dickem Scheckbuch, die sind vorbei. Und dass man den Buchhändlern alles Mögliche reindrücken kann, was man gerade Lust hatte, weil die Angst vor einem hatten, das ist auch vorbei."
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Kein "Drücker", sondern tatsächlich eine legendäre Vertreterfigur ist der Berliner Hans Schultz. Von 1959 bis 2010, also 51 Jahre ist er unter anderem für den Suhrkamp Verlag sowie Kiepenheuer und Witsch unterwegs gewesen. Er hat unzählige Größen des Literaturbetriebes in seiner Vertretertasche gehabt: Thomas Bernhard, Max Frisch, Heinrich Böll, Bert Brecht, Gabriel Garcia Marquez, Peter Handke oder Isabel Allende, um nur einige wenige zu nennen.
Schultz: "Es gab eine große Leidenschaft, und je länger ich arbeitete und gelernt habe und nun auch ein wirklicher Verlagsvertreter wurde, und das ist man ja nicht von heute auf morgen, sondern da muss man sehr viel lernen von den Buchhändlerinnen, umso mehr merkte ich natürlich auch Resonanz. Nicht nur weil ich kam, sondern weil ich einen neuen Frisch, einen neuen Thomas Bernhard und so weiter; es gab hochinteressante literarische Gespräche mit vielen Buchhändlerinnen, und was ich immer als angenehm empfunden habe, und das ist bestimmt heute in manchen Verlagen anders, es gab nie einen Druck aus dem Verlag. Nie."
In seinen letzten Berufsjahren hat Hans Schultz einige gravierende Veränderungen, die das Geschäft mit den Büchern betreffen, erlebt. Zum einen die zunehmende Dominanz der Buchhandelsketten gegenüber den kleineren Inhaber-geführten Buchhandlungen, zum anderen die Monopolisierung der Verlagslandschaft durch die großen Medienkonzerne wie zum Beispiel Random House.
Schulz:"Die verändern jährlich die Vertretermannschaft und schütteln sie in den Gebieten durcheinander, so dass alle Jahre oder alle paar Jahre immer wieder ein neuer kommt, mit dem bewussten Vorsatz: Bloß keine Bindung, bloß keine Freundschaften. Also die Reduzierung eines Verlagsvertreters zu einer Drückerkolonne, um das mal so hart auszudrücken. Ich habe das nie verstanden aber offensichtlich sind Verlage so glücklich. Das hat aber dazu beigetragen, dass die Buchhändler heute oft unglücklich sind über die Zusammenarbeit mit bestimmten Vertretergruppen."
Tatsächlich wird der Besuch von Verlagsrepräsentanten in den kleinen Buchhandlungen der Provinz mit ihren niedrigen Einkaufszahlen für viele Verlagsgruppen mittlerweile als verzichtbar empfunden, und der Geschäftskontakt wird über eine Art telefonische Beratung abgewickelt. So gesehen ist Jochen Thomas-Schumanns Arbeitstag in den Buchhandlungen der Fußgängerzonen von Eschwege und Bad Hersfeld eine Art Luxus- und Vergnügungsreise.
Wahrscheinlich ist es ganz einfach: Der Spaß an dem Beruf eines Verlagsvertreters ist das Zusammentreffen mit zum Teil extremen Individualisten und das Reden mit ihnen über Bücher, dass das Geschäftliche in den Hintergrund treten lässt. Und dann ist das Ganze ja durchaus auch eine Art Show, ein Stück, das hunderte Male auf den unterschiedlichsten Bühnen gespielt wird, bis man sich als Vertreter selber nicht mehr hören kann:
"Der Punkt kommt, der kommt immer in Reisewoche sechs, am dritten Tag ziemlich exakt um 14 Uhr. Da merkt man: Ich kann nicht mehr. Ich will auch nicht mehr, und die Bücher sind eigentlich alle blöd. Und was du redest, ist totaler Bullshit. Und man wundert sich, was einem überhaupt noch jemand ein Buch abkauft. Weil man nur noch vor sich hin stammelt und weil man das Gefühl hat, das kommt alles so routiniert rüber äh, ja und dann ist der Augenblick, wo man stark sein muss und sich ermannen muss und sagen, ej, das geht jetzt noch n paar Wochen so weiter, du kannst dich jetzt nicht hängen lassen und, ja - es geht dann auch wieder, aber dieser Punkt kommt."
Mit den Büchern ist es eben so: Es geht immer weiter und weiter. Denn die neue Buchsaison kommt bestimmt und damit wieder eine Reise, das Stück beginnt von neuem, so dass selbst Routiniers immer wieder Lampenfieber haben und hatten:
Schultz: "Das ist eine nackte Katastrophe. Vier Wochen vor Reisebeginn war ich für meine Umwelt unerträglich vor Nervosität, Aufregung, es war immer eine klassische Sache. Der Mai war für mich immer die Urlaubszeit, und dann habe ich stapel- und kiloweise die Manuskripte irgendwo nach Asien durch den Dschungel geschleppt und gelesen, gelesen, gelesen. Und dann saß ich vor Reisebeginn da und habe gesagt: Ich kriege das nicht in den Kopf. Und es gab mal einen berühmten Verlagsvertreter, den rief ich an und sagte 'Leo, ich bin verzweifelt, ich schaffe das nicht.' Und dann sagte der 'Du, mir geht es genauso. Aber glaube mir eines, solange es uns so grauenvoll geht, so lange sind wir noch echt'.".
(huc)