Doppelbödige Songs über die Seele Amerikas
Neun Jahre mussten die Fans auf ein neues Studioalbum warten: Mit "Dark Matter" knüpft Randy Newman an seine frühen, vielleicht besten Songs an – und erzählt seine Version von Amerika. "Keine Musik, zu der man Chips futtert", urteilt er selbst.
Ein neues Randy Newman Album ist nichts, was man einfach zur Kenntnis nimmt und abnickt. Für langjährige Newman-Fans und Musikfreunde ist es eine kleine Sensation. Eine seltene Praline, die man am liebsten noch zwei Tage auf der Anlage liegen lässt und betrachtet, bevor man sie sich, in höchster Erwartung, in Ohr und Herz zergehen lässt.
Wo andere sogenannte Altstars nur noch Aufgüsse ihrer größten Erfolge abliefern, läuft Randy Newman im Alter von 73 Jahren noch einmal zu Höchstform auf. Mit "Dark Matter", seinem ersten Studioalbum seit neun Jahren, knüpft er musikalisch, wie auch qualitativ, an seine ersten, vielleicht besten Songs an:
"Im Musikgeschäft deutet vieles darauf hin, dass Leute ihre besten Sachen abliefern bevor sie 30 sind. Das hat nichts mit Physis oder Hirn zu tun. Es ist einfach so. Allerdings gilt das nicht für mich. Und darüber bin ich froh."
Das absolut Beste aus sich selbst herausholen
Newman schreibt nicht, "um der Sache willen". Er schreibt, weil er das absolut Beste aus sich selbst herausholen will. Mit seiner Art des "Character Writings" ist Randy Newman, zu seiner eigenen Überraschung, ziemlich allein und unnachahmlich geblieben. Ob aus eigener Schüchternheit oder poetischem Geschick: Er schlüpft in andere Existenzen, um seine Version von Amerika zu erzählen. Individuelle Schicksale, Abgründe, Hoffnungen und Verfehlungen, aus denen sich letztlich die Seele des Menschen an sich offenbart.
Diese "Seele" ähnelt nicht selten dem "Dark Matter", der sogenannten "dunklen Materie" im Kosmos. Was ist das Unbekannte, das Dunkle, das "dazwischen liegt" fragt Newman nicht nur im großen, naturwissenschaftlichen Sinn, sondern auch im kleinen, zwischenmenschlichen Sektor. Er fragt es mit einer Verbindung aus Witz und Ernst, die charakteristisch für ihn ist. Ein Zynismus, der bei aller Doppelbödigkeit, den Menschenfreund dahinter nicht verhehlen kann.
Newman wahrt Distanz zu seinen Figuren, wenngleich er zugibt, hier und da selbst hindurch zu schimmern. Auf "Dark Matter" kommen so unterschiedliche Charaktere zu Wort wie die Kennedy-Brüder, die beiden Sonny Boy Williamsons und Vladimir Putin, der im Song "Putin" einen "nuklearen Reaktor mit seiner linken Gehirnhälfte steuert".
Eine Debatte über die richtige Weltsicht
Auf "The Great Debate", den Eröffnungssong des neuen Albums, ist Randy Newman am stolzesten. Eine Riege renommierter Wissenschaftler, ein Haufen tief gläubiger Prediger verschiedener Konfessionen und schließlich er selbst, der überzeugte Atheist, treffen in einem Baseball-Stadion aufeinander, um vor Publikum eine Debatte über die richtige Weltsicht zu führen. Dass Newman sich hierin erstmals namentlich zu erkennen gibt, als Marionettenspieler seiner Figuren, ist ungewöhnlich für ihn und kommt einem literarischen Outing gleich:
"Als ich den Song geschrieben habe, brauchte ich unbedingt eine weitere Person am Schluss und ich entschied mich für den Randy-Newman-Part. Auch, wenn ich damals schon dachte: Das ist dein sicheres Karriere-Aus. Es ist wie, wenn ein Zauberer seinen Trick verrät."
"Das hier ist nicht direkt Musik, zu der man Chips futtert. Entweder man hört richtig zu, oder es lohnt sich nicht."
Dasselbe gilt für die scheinbar schlichtesten Songs des Albums, die, wie so oft bei Newman, die aller intensivsten sind. Jene Sätze und Töne, die beinahe nichts vorgeben und damit alles sagen, wie etwa der Refrain von "Wandering Boy", in dem ein älterer Familienvater verlassen auf einer Gartenparty steht und sich an glückliche Zeiten mit seinem inzwischen obdachlosen Sohn erinnert: "Wo ist mein kleiner unsteter Junge nur hin?...Wo ist er bloß, mein unsteter, kleiner Junge?"
Feines Gespür für das Wesentliche
Es sind solche Töne, die einen bereitwillig auch Jahre auf ein Randy Newman Album warten lassen. Newmans feines Gespür für das Wesentliche ist schlichtweg einzigartig im Popgeschäft. Ebenso sein kluges, zweifelndes Wesen: "Ich glaube nicht, dass Musik die Welt verändern kann", sagt Newman am Schluss:
"Ich wünschte sehr, es wäre so, aber ich glaube es nicht."