Darstellende Kunst

Eine elisabethanische Theaterlegende

Szene einer Inszenierung von "Edward II"
"Edward II" wurde auf etlichen Bühnen inszeniert, zum Beispiel 1996 in Avignon. © picture-alliance / dpa
Von Eva Pfister |
Der englische Dramatiker Christopher Marlowe schuf mit "Edward II" einen Meilenstein der Theatergeschichte. Vor 450 Jahren wurde der Zeitgenosse Shakespeares getauft, das exakte Geburtsdatum ist nicht bekannt. Obwohl er für den englischen Geheimdienst die abtrünnigen Katholiken in Frankreich ausspionierte, war er ein Freigeist.
Christopher Marlowe gilt heute als Vorläufer von William Shakespeare. Aber zu ihren Lebzeiten war sein Ansehen größer als das des heute so berühmten Kollegen, was der ihm auch neidlos zugestand – zumindest in dem Film "Shakespeare in Love".
"Eine Nachricht aus einer Schenke in Deptford. Marlowe ist tot. Ermordet. Er war der Beste von uns allen. Ein großes Licht ist erloschen."
Der Dramatiker Christopher Marlowe war der Sohn eines Schuhmachers in Canterbury und kam im selben Jahr wie Shakespeare zur Welt. Auch bei ihm ist nur das Taufdatum belegt: Der 26. Februar 1564. Über sein weiteres Leben weiß man jedoch erheblich mehr, so sein Übersetzer Wolfgang Schlüter:
"Sehr im Unterschied zu Shakespeare war Marlowe einer der Intellektuellen seiner Zeit, der schon sehr früh ein Begabtenstipendium erhielt für das Corpus-Christi-College in Cambridge. Dort studierte er Theologie, brachte es auch bis zum Master of Arts, allerdings erst auf Intervention des Privy Counsels, also des Geheimen Kronrats."
Diese Protektion von höchster Stelle spricht für Marlowes Tätigkeit als Spion der englischen Krone. Schon als Student übersetzte er nicht nur Ovid und schrieb Liebesgedichte, er unternahm auch geheimnisvolle Reisen nach Frankreich, wo die katholische Opposition eine Koalition gegen das anglikanische England schmiedete. Marlowe war außerdem ein enger Freund von Thomas Walsingham, dessen Vetter den Geheimdienst leitete. Wahrscheinlich verband die beiden eine homoerotische Beziehung, wie sie der Dramatiker in "Edward II" thematisiert:
"Dein Wert , mein Freund, zählt mehr als meine Gaben, drum nimm, zum Ausgleich, auch mein Herz. Wenn man um diese Würden dich beneidet, kriegst du noch mehr. Denn nur um dich zu ehren, freut Edward sich am königlichen Regiment. Fürchtst du um dich? Dann sollst du eine Garde bekommen. Möchtest du Gold? Bedien dich nur. Möchtst du geliebt, gefürchtet sein? Nimm hier mein Siegel."
Etliche Romanautoren und Filmemacher ließen sich inspirieren
Marlowe, der Homosexuelle und der Spion, inspirierte viele Romanautoren und Filmemacher, von Anthony Burgess über Dieter Kühn bis Jim Jarmusch. In seinen Theaterstücken verwendet Christopher Marlowe erstmals den reimlosen Blankvers. Seine poetisch kraftvolle Sprache und die lebendigen Dialoge beeinflussten eine ganze Generation von Dramatikern, auch William Shakespeare. Doch Marlowes Charaktere sind weniger differenziert, eher holzschnittartig, oft auch dämonisch gezeichnet. Wolfgang Schlüter:
"Was mich an diesem Werk fasziniert hat, ist die Unterschiedlichkeit zu Shakespeare. Bei Shakespeare steht im Mittelpunkt fast immer die Liebe, bei Marlowe gibt es Liebe eigentlich höchstens in ihrer triebhaften Form, und wirkt dort ausgesprochen zerstörerisch. Ansonsten gibt es bei Marlowe so gut wie nie eine Art von Happy end oder eine Versöhnung, sondern eine Art der Desillusionierung, der offen zynischen, atheistischen, amoralischen, nihilistischen Attitüde, die diese Stücke ausgesprochen modern machen."
So will Marlowe keineswegs Verständnis für den Barabas in seiner Tragödie "Der reiche Jude von Malta" wecken - ganz anders als es Shakespeare mit seinem Shylock im "Kaufmann von Venedig" versucht -, sondern zeigt ihn als ungebrochen bösen Menschen in einer geldgierigen und machtversessenen Umgebung. Nicht zufällig spricht Macchiavelli den Prolog.
Auch Marlowes Doktor Faustus, in der ersten Dramatisierung des Fauststoffes überhaupt, verbündet sich nicht mit dem Teufel, weil er so wissensdurstig ist wie Goethes Faust, sondern weil er nach Macht strebt.
"Oh welche Welt des Nutzens und der Lust, der Macht und Ehre und Allwissenheit erschließt sich da dem lernbegierigen Kopf! Was sich von einem Pol zum andern regt, soll alles mir gehorchen! Ein Halbgott ist der Jünger der Magie, drum will zur Gottheit ich empor durch sie!"
Wie sein Faustus war Marlowe ein Freigeist und machte aus seinem atheistischen Weltbild keinen Hehl. Das wurde ihm zum Verhängnis. Er war erst 29 Jahre alt und auf der Höhe seines Ruhms, als er am 30. Mai 1593 in jener Kneipe in Deptford erstochen wurde. Vermutlich wollte man einen potenziellen Verräter ausschalten. Eher abwegig ist jedoch die These, dass dies nur ein Scheintod war, und Christopher Marlowe unter dem Namen Shakespeare dessen unsterbliche Dramen schrieb.

Der Filmausschnitt wurde der DVD "Shakespeare in Love" (Universal) entnommen.

Mehr zum Thema