Das Abgründige im Normalen

Von Wiebke Lehnhoff |
Verrückte Geschichten mit waghalsigen Wendungen und seltsamen Charakteren, das sind die Zutaten der Romane von Matt Ruff. Der amerikanische Autor schert sich nicht um Genre-Grenzen und mischt Science Fiction mit Campus Novel oder Fantasy. Zurzeit stellt er sein neues Buch "Bad Monkeys" in Deutschland vor.
Geradezu enttäuschend normal wirkt Matt Ruff, gemessen an den aberwitzigen Handlungen seiner Bücher, die unter anderem von griechischen Göttern, weißen Haien, multiplen Persönlichkeiten und drogenabhängigen Killern bevölkert werden. Jeans, verwaschenes T-Shirt und Lederjacke, dazu trägt der 42-Jährige eine unauffällige Brille auf der etwas auffälligeren, knubbeligen Nase.

Die Hauptfigur in "Bad Monkeys" ist Jane Charlotte. Sie sitzt wegen Mordes im Gefängnis und erzählt einem Psychiater ihre Geschichte. Darin behauptet sie, sie arbeite für "Bad Monkeys" - eine Abteilung einer geheimen Organisation, die das Böse bekämpft und so genannte "nicht zu rettende Personen" tötet. Dazu benutzt sie eine Pistole, die Herzinfarkte auslöst. Janes Geschichte nimmt immer seltsamere Wendungen und weist unlogische Stellen auf, die der Psychiater hinterfragt. Für Ruff ergab sich so die Aufteilung der Kapitel:

"Es erschien mir natürlich, zwischen den Kapiteln in der Psychiatrie und den narrativen Kapiteln, in denen Jane über ihre Vergangenheit erzählt, hin und her zu wechseln. So konnte ich die einzelnen Episoden kontrollieren, in denen der Psychiater sie befragt und damit einen erzählender Abschnitt beginnen, den er anschließend kommentiert und infrage stellt. Das war praktisch, um die Story voranzutreiben und nur die Teile einzufügen, über die ich sprechen wollte."

Eine wichtige Rolle spielt die Beziehung zwischen Geschwistern. Doch vor allem fallen die Terroristen auf, die bei Anschlägen immer wieder unschuldige Menschen mit ihren Pavianbomben töten. Oder die Geheimorganisation, die ein ausgeklügeltes Überwachungssystem entwickelt hat, bei dem sogar Müslipackungen mit unsichtbaren Augen ausgestattet sind und jede falsche Emotion registrieren. Für Ruff hat das weniger mit der Gegenwart zu tun als mit Anspielungen auf Spionageromane:

"Eigentlich ist das Ganze eine Charakterstudie dieser sehr charismatischen bösen Frau. Natürlich gibt's da starke Verbindungen zu aktuellen Ereignissen, ich wollte aber nicht von vornherein einen Kommentar zum elften September verfassen. Aber wenn ich heutzutage über eine Organisation schreibe, die Menschen überwacht und bekämpft, dann wirft das unvermeidlich Fragen zum Kampf gegen den Terrorismus auf."

Matt Ruff wurde 1965 in New York als Sohn eines lutherischen Pfarrers geboren. Seine Mutter kam ebenfalls aus einer Predigerfamilie und war im brasilianischen Dschungel aufgewachsen. Im Hause Ruff gingen südamerikanische Verwandte und die mormonische Großmutter ein und aus, so dass er scherzhaft sagt, er sei in einem theologischen Debattier-Club groß geworden. Vielleicht ist es diese bunte Familiengeschichte, die Ruff dazu bringt, in seinen Romanen immer wieder mit den absurdesten Konstellationen zu spielen und das Abgründige im Normalen zu suchen.

"Für mich ist das Leben einfach so. Das mag natürlich auch damit zusammenhängen, wie ich aufgewachsen bin, mit den vielen Kulturen, die bei uns im Haus aufeinandergeprallt sind: die nordamerikanische, die südamerikanische, die lutherische, die mormonische. Für mich gehören überraschende Dinge und absurde Wendungen einfach zum normalen Leben, und vielleicht sehen andere Leute das einfach nicht so deutlich wie ich. Man muss nur die Risse entdecken, über die andere hinwegsehen."

So aufmerksam Ruff nach dem Absurden im Alltag sucht, so unbekümmert setzt er sich über Genre-Grenzen hinweg. Ein Campus-Roman als Fantasy-Liebesgeschichte mit griechischem Gott und postmodernen Selbstreferenzen wie sein 1991er Erstling "Fool on the Hill" ist bei Matt Ruff eher die Regel als die Ausnahme.

Auch in "Bad Monkeys" spielt er mit den Genres und verwebt geschickt Science-Fiction mit dokumentarischen Elementen, Agenten-Thriller und dem Spiel um Schein und Sein, wie bei seinem Lieblinsautor Philip K. Dick:

"Genre-Unterscheidungen sehe ich eher als Marketing-Frage, die es Buchhändlern erleichtert, Bücher in bestimmte Regale zu sortieren und die die Werbekampagnen von Verlagen bestimmt. Ich kenne die Konventionen der verschiedenen Genres durchaus, aber die Regeln waren mir eigentlich schon immer relativ egal. Ich mache mir nicht allzu viele Gedanken darüber, was ich nach Meinung anderer Leute tun oder lassen sollte."

Beim Schreiben hat der eher zurückhaltende Autor gern seine Ruhe und lässt sich Zeit - im Schnitt braucht er fünf bis sechs Jahre für einen Roman. Ruff sagt, er brauche einen festen Tagesablauf, um erfolgreich schreiben zu können. Also steht er jeden Morgen um vier oder fünf Uhr auf und setzt sich in sein Büro in Seattle, wo er seit einiger Zeit mit seiner Frau lebt.

Ganz so ruhig geht es im Büro dann allerdings doch nicht zu, denn Ruff liebt es, bei der Arbeit an jedem Buch ganz bestimmte Musik zu hören. Die Titel hat er auf seiner Homepage zusammengestellt.