Das Absurde ist real, das Reale absurd
Beim International Festival in Edinburgh standen früher europäische Produktionen im Fokus, nun kommen die Gastspiele aus der ganzen Welt. Festivalleiter Jonathan Mills, ein Komponist aus Australien, richtet seinen Blick häufig auch auf Ostasien.
Zum Auftakt des Edinburgh International Festivals treten Gäste aus Dublin im Schauspielteil mit einer Dramatisierung von Samuel Becketts Roman "Watt" auf. Der Ire schrieb seine Satire im französischen Exil, in den Vierzigerjahren.
"Watt" war so brisant, dass der Roman in Irland erst 1953 erscheinen durfte - dabei geht es, oberflächlich betrachtet, um eine völlig alltägliche und harmlose Geschichte. "Watt", der Romanheld, bricht eines Tages auf und landet im Haus von Mr. Knott. Er dient ihm, zunächst im Erdgeschoss des Herrenhauses, dann im ersten Stock, und verlässt das Haus von Mr. Knott nach einer gewissen Zeit wieder - er fährt ab.
Der Roman hat im Deutschen über 250 Seiten, in der Fassung des Gate Theatres aus Dublin dauert die Dramatisierung nicht einmal eine Stunde. Barry McGovern schreibt in einer kurzen Einführung im Programmheft, er habe sich bei seiner Fassung darum bemüht, die Essenz des Romans herauszudestillieren. McGovern spielt auch - ja, wen eigentlich? Im Programmheft heißt es, den Performer, den Darsteller also. Also nicht Watt, nicht Beckett, eigentlich den Erzähler des Romans.
McGovern ist ein rüstiger 60er, schlank, er sieht blendend aus. Seine Physiognomie ähnelt ein wenig Samuel Beckett, die Haare sind angegraut, nach hinten gekämmt, und die drahtigen Augenbrauen nach oben gezwirbelt. Das gibt ihm jenen Raubvogelblick, der Beckett kennzeichnete und seinen Scharfsinn treffend andeutete.
Barry McGovern entbindet zunächst einmal den immensen Humor des Textes - es wurde in Edinburgh im Royal Lyceum viel gelacht. Das liegt an der Absurdität der Geschichte. Es fängt schon mit der Namensgebung an, Watt lautet in der Aussprache wie das englische Fragewort "Was" und der Name von Watts Herrn, Mr. Knott, klingt wie das englische Wort für nicht. Das weist auf eine Tiefenbedeutung, den Zusammenhang von der Frage "Was?" und der Antwort oder Nichtantwort "Nicht(s)!". Ein zentraler Satz in dem kluge und geistreich komponierten Text lautet: "… die einzige Möglichkeit, über nichts zu sprechen, ist, darüber zu sprechen, als ob es etwas wäre …"
Tatsächlich erlebt Watt bei Knott nichts. Er lernt seinen Herrn nicht kennen, aber er verliert Lebenszeit und Kraft - insofern ist dieses Nichts schon etwas, wenn auch als Verlust etwas Negatives. "Seinsverlust" …
Barry McGovern glänzt auch beim Sprechen, indem er die Musikalität des Textes herausarbeitet - es ist geradezu ein Konzert über das Nichts, viele lyrische Wendungen prägen den Text. Aber etwas behandelt McGovern doch stiefmütterlich: Den genauen Inhalt des Nichts. Er besteht im Herr- Knecht Verhältnis, das auch im späteren Werk Becketts immer wieder auftaucht, sei es im "Endspiel", sei es in "Warten auf Godot".
Im Roman gibt es z. B. eine lange Auseinandersetzung über den Unrat. Der Unrat aus dem ersten Stock, also vom Herren, wird in den unteren Stock gebracht, aber er soll nicht vermischt werden mit dem Unrat der Bewohner des unteren Geschosses. Haarscharf wird das auseinandergesetzt – eine Satire auf den Standesdünkel. Jeder würde meinen, bei den Ausscheidungen seien alle Menschen gleich – keineswegs, sagt Mr. Knott. Und so wird der Unterschied auch beim Unrat gemacht.
Während Watt an Kraft verliert, scheint Mr. Knott die Jahrhunderte zu überdauern. Beide brauchen einander, aber warum der eine dient und der andere herrscht, das wird nicht klar.
Das ist die Grundfrage Becketts, der Kern seiner Absurdität. Diese Absurdität ist nicht abstrakt, sie ist ganz konkret. Es gibt neue, interessante Forschungen, die die Deutung von Becketts Werk in Zusammenhang bringen mit seinem französischen Exil und seinem Engagement für die Résistance - das ist erhellend und zeigt, wie konkret, wie realistisch Becketts Werk ist, wie klar er das Herr-Knecht-Verhältnis an den Pranger stellt und warum DieDaOben das in Irland so lange - mit einigem Recht - für subversiv ansahen.
Aber der Mangel an Stellen, die das Herr-Knecht-Verhältnis behandeln, sollte nicht überbewertet werden – die Aufführung ist glänzend, hat Format und ist ein erstklassiger, vielversprechender Auftakt für das Schauspielprogramm des International Festival in Edinburgh. Barry McGovern hat seine Rolle ganz durchdrungen. Er schreibt in seinem knappen Aufsatz, die Aufführung sei nicht das Buch. Und fährt fort, er hoffe, alle, denen die Inszenierung gefallen habe, sollten das als Ermunterung sehen, Becketts Roman zu lesen. Und alle, denen die Aufführung nicht gefallen habe, erst recht.
Die Lektüre ist nicht einfach, aber die Mühe lohnt allemal.
"Watt" war so brisant, dass der Roman in Irland erst 1953 erscheinen durfte - dabei geht es, oberflächlich betrachtet, um eine völlig alltägliche und harmlose Geschichte. "Watt", der Romanheld, bricht eines Tages auf und landet im Haus von Mr. Knott. Er dient ihm, zunächst im Erdgeschoss des Herrenhauses, dann im ersten Stock, und verlässt das Haus von Mr. Knott nach einer gewissen Zeit wieder - er fährt ab.
Der Roman hat im Deutschen über 250 Seiten, in der Fassung des Gate Theatres aus Dublin dauert die Dramatisierung nicht einmal eine Stunde. Barry McGovern schreibt in einer kurzen Einführung im Programmheft, er habe sich bei seiner Fassung darum bemüht, die Essenz des Romans herauszudestillieren. McGovern spielt auch - ja, wen eigentlich? Im Programmheft heißt es, den Performer, den Darsteller also. Also nicht Watt, nicht Beckett, eigentlich den Erzähler des Romans.
McGovern ist ein rüstiger 60er, schlank, er sieht blendend aus. Seine Physiognomie ähnelt ein wenig Samuel Beckett, die Haare sind angegraut, nach hinten gekämmt, und die drahtigen Augenbrauen nach oben gezwirbelt. Das gibt ihm jenen Raubvogelblick, der Beckett kennzeichnete und seinen Scharfsinn treffend andeutete.
Barry McGovern entbindet zunächst einmal den immensen Humor des Textes - es wurde in Edinburgh im Royal Lyceum viel gelacht. Das liegt an der Absurdität der Geschichte. Es fängt schon mit der Namensgebung an, Watt lautet in der Aussprache wie das englische Fragewort "Was" und der Name von Watts Herrn, Mr. Knott, klingt wie das englische Wort für nicht. Das weist auf eine Tiefenbedeutung, den Zusammenhang von der Frage "Was?" und der Antwort oder Nichtantwort "Nicht(s)!". Ein zentraler Satz in dem kluge und geistreich komponierten Text lautet: "… die einzige Möglichkeit, über nichts zu sprechen, ist, darüber zu sprechen, als ob es etwas wäre …"
Tatsächlich erlebt Watt bei Knott nichts. Er lernt seinen Herrn nicht kennen, aber er verliert Lebenszeit und Kraft - insofern ist dieses Nichts schon etwas, wenn auch als Verlust etwas Negatives. "Seinsverlust" …
Barry McGovern glänzt auch beim Sprechen, indem er die Musikalität des Textes herausarbeitet - es ist geradezu ein Konzert über das Nichts, viele lyrische Wendungen prägen den Text. Aber etwas behandelt McGovern doch stiefmütterlich: Den genauen Inhalt des Nichts. Er besteht im Herr- Knecht Verhältnis, das auch im späteren Werk Becketts immer wieder auftaucht, sei es im "Endspiel", sei es in "Warten auf Godot".
Im Roman gibt es z. B. eine lange Auseinandersetzung über den Unrat. Der Unrat aus dem ersten Stock, also vom Herren, wird in den unteren Stock gebracht, aber er soll nicht vermischt werden mit dem Unrat der Bewohner des unteren Geschosses. Haarscharf wird das auseinandergesetzt – eine Satire auf den Standesdünkel. Jeder würde meinen, bei den Ausscheidungen seien alle Menschen gleich – keineswegs, sagt Mr. Knott. Und so wird der Unterschied auch beim Unrat gemacht.
Während Watt an Kraft verliert, scheint Mr. Knott die Jahrhunderte zu überdauern. Beide brauchen einander, aber warum der eine dient und der andere herrscht, das wird nicht klar.
Das ist die Grundfrage Becketts, der Kern seiner Absurdität. Diese Absurdität ist nicht abstrakt, sie ist ganz konkret. Es gibt neue, interessante Forschungen, die die Deutung von Becketts Werk in Zusammenhang bringen mit seinem französischen Exil und seinem Engagement für die Résistance - das ist erhellend und zeigt, wie konkret, wie realistisch Becketts Werk ist, wie klar er das Herr-Knecht-Verhältnis an den Pranger stellt und warum DieDaOben das in Irland so lange - mit einigem Recht - für subversiv ansahen.
Aber der Mangel an Stellen, die das Herr-Knecht-Verhältnis behandeln, sollte nicht überbewertet werden – die Aufführung ist glänzend, hat Format und ist ein erstklassiger, vielversprechender Auftakt für das Schauspielprogramm des International Festival in Edinburgh. Barry McGovern hat seine Rolle ganz durchdrungen. Er schreibt in seinem knappen Aufsatz, die Aufführung sei nicht das Buch. Und fährt fort, er hoffe, alle, denen die Inszenierung gefallen habe, sollten das als Ermunterung sehen, Becketts Roman zu lesen. Und alle, denen die Aufführung nicht gefallen habe, erst recht.
Die Lektüre ist nicht einfach, aber die Mühe lohnt allemal.