Das älteste Instrument der Welt

Von Claus Fischer |
Das "christliche Abendland" ist ohne den Klang von Glocken nicht denk- und hörbar. Vom frühen Mittelalter an spielte die Glocke eine Rolle, als Ruferin zum Gottesdienst oder Warnerin vor Naturkatastrophen. Aber nicht nur das, sie wurde auch als Musikinstrument eingesetzt.
Glocke "Gloriosa" im Erfurter Dom

"Glocken und Gongs, das sind verwandte Instrumente. Im Prinzip ist eine Glocke ein zusammengefalteter Gong, denke ich, wirken besonders auf uns, weil sie sogenannte "Selbsttöner" sind."

Christoph Schulz, Glockensachverständiger in der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands.

"Während alle Instrumente eine Obertonreihe besitzen, physikalischerweise, haben Glocken in sich verschiedene Einzeltöne, die einen Gesamtklang ausmachen. Und das ist, denke ich, das, was uns so tief berührt."

Glockenspiel im Roten Turm Halle/Saale "Süßer die Glocken nie klingen"

"Das ist wirklich so, dass Glocken tief in uns eindringen, uns also bis ins Innerste erschüttern können, das Herz beben lassen können, die Seele erfreuen."

Die Geschichte der Glockenmusik in Mitteleuropa beginnt mit den irischen Wandermönchen im frühen Mittelalter. Sie brachten den damals hier ansässigen Germanenstämmen das Christentum – und die Glocke.

"Also, es wird erzählt, dass Bonifatius, der aus Irland kam, eine kleine Handglocke mit sich trug, ähnlich den heute noch gebräuchlichen Glocken, die Kühe um den Hals tragen, noch nicht aus Bronze, vielleicht mit Bronze überzogen. Aber damit sind die Wandermönche durch die Gegend gelaufen, ja."

Im hohen Mittelalter wurden neben den großen Glocken für die Kirchtürme auch kleinere Exemplare in verschiedenen Tonhöhen gegossen. Verwendung fanden sie im Gottesdienst als Begleitinstrumente zu den gregorianischen Chorälen. Der Musiker Michael Metzler gießt solche Glocken nach alten Modellen heute wieder und verkauft sie in seinem Spezialladen in Berlin.

"Also, hier hängt ne sehr schöne Bienkorbglocke. Das ist eine aus 'nem Glockenspiel, also 'ne gestimmte Glocke, deshalb hat sie keinen Klöppel, sondern wird dann eben von außen angeschlagen. Bienenkorbglocke deshalb, weil sie eben diese Bienenkorbform hat, das ist eigentlich eine mittelalterliche Glockentype."

Acht derartige Bienenkorbglocken in einem Holzgestell ergeben dann ein Musikinstrument. Die meisten Kunden von Michael Metzler sind Musiker, die sich auf die Zeit des Mittelalters und der frühen Renaissance spezialisiert haben.

"Maria Jonas aus Köln, eine Sängerin, die sich viel mit Hildegard von Bingen beschäftigt hat, für die wir jetzt seit mehreren Jahren Sachen gießen. Dann haben wir gegossen ein sehr schönes Instrument für die Schola Cantorum in Basel, die "Schmiede" der Alten Musik in Europa quasi, über ein großes über zwei Oktaven und auch ein kleineres mit höherer Tonlage. Und jetzt kürzlich erst für ein Schweizer Museum, für die Musikinstrumentensammlung Willisau."

Die "handliche" Glockenmusik des Mittelalters findet sich bis heute in einigen Gegenden Europas auch bei großen Glocken auf Kirchtürmen, z.B. im Tessin oder in England. Dort, so erzählt der kirchliche Glockensachverständige Christoph Schulz, gibt es die Sitte des "Change Ringing", eine ganz spezielle Art des Glockenläutens.

"Die werden also mit einer Aufzugstechnik auf den Kopf gestellt, um 180 Grad nach oben gezogen. Und dann fällt die Glocke einmal runter und gibt einen Schlag ab. Und je mehr Glocken da sind in dem Geläut, desto öfter können dieses Tonfolgen wechseln, deswegen Wechselläuten, deswegen heißt das ja auch so, dass man also versucht – das ist ja eine Art Sport in England – nie die gleiche Tonfolge zu wiederholen, bis alle Möglichkeiten ausgeläutet sind."

Ab dem 17. Jahrhundert tritt die Glocke als Musikinstrument in den Hintergrund, auch wenn sie zum Beispiel in großen Sinfonieorchestern durchaus bis heute eingesetzt wird. Dafür wird ihr Klang in zahlreichen Kompositionen imitiert, beispielhaft dafür steht Maurice Ravels "La vallée des cloches", das ‚Tal der Glocken’ für Klavier.

Seit 1.500 Jahren gibt es also die Glockenmusik in Europa. Aber ist die Glocke tatsächlich das älteste Musikinstrument?

"Also, man kann davon ausgehen, dass es eines der ältesten Instrumente der Welt ist, aber ich nehme an, dass bestimmte Schlaginstrumente, also Knochenspiele oder auch Steinspiele etwas älter sind."