Das allererste Bauhaus-Haus

"Tempel des Alltags" auf einem Hügel

Haus am Horn in Weimar: Von Georg Muche zur Bauhausausstellung 1923 errichtetes Musterhaus. Das Haus am Horn ist UNESCO-Weltkulturerbe und das älteste Haus der Bauhaus-Architektur überhaupt.
Ältestes Werk der Bauhaus-Architektur: Versuch, nach dem Untergang der alten Ordnung auch das Wohnen neu zu denken. © imago
Von Henry Bernhard |
Eine begehbare Vitrine, in der man sehen kann, wie man nach Meinung der frühen Bauhaus-Meister wohnen sollte, könnte, müsste. Das von Georg Muche entworfene "Haus am Horn" in Weimar ist der erste Bauhaus-Bau überhaupt – jetzt gehört er zur Klassik-Stiftung.
"Dieser Schlüssel, Frau Dr. Kolb, sieht verdammt authentisch aus! Also nicht historisch, sondern authentisch. der scheint richtig zu schließen! Jedenfalls vielen Dank für dieses Symbolische! Nein, es ist eben nicht symbolisch, es ist wirklich echt! Ich bin nachhaltig beunruhigt!"
Stolz hält der Präsident der Klassik Stiftung Weimar, Hellmut Seemann, den recht gewöhnlich aussehenden Schlüssel zum Haus am Horn in der Hand. Die Stiftung hat im ersten Bau des Bauhauses schon einige Jahre geforscht, restauriert und saniert. Nun hat sie die ganze Verfügungsgewalt über die Inkunabel des Bauhauses, die zuletzt der Stadt Weimar gehört hat.

Innovativ, modern, sozial

"Weimar war dafür der richtige Ort!", schwärmt Hellmut Seemann: "Hier sind wir an einem Ort, wo das Bauhaus all das ist, was es zu sein, fast mythisch überwölbt, immer vorgegeben hat: Innovativ, modern, sozial, ausgerichtet an den ökonomischen Verhältnissen eines untergegangenen Kaiserreiches. All das ist hier verwirklicht."
Das Musterhaus am Horn ist 1923 zur ersten Bauhaus-Ausstellung in Weimar entstanden, vier Jahre nach dessen Gründung: nach einem Entwurf vom Bauhaus-Meister Georg Muche, ausgeführt vom Architekturbüro des ersten Bauhaus-Direktors Walter Gropius.
Gruppenaufnahme der Bauhausmeister in Dessau (1926): v. l. n. r: Josef Albers, Hinnerk Scheper, Georg Muche, László Moholy-Nagy, Herbert Bayer, Joost Schmidt, Walter Gropius, Marcel Breuer, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Lyonel Feininger, Gunta Stölzl und Oskar Schlemmer. 
Gruppenbild der Bauhausmeister 1926: Georg Muche, 3. von links, Walter Gropius (7.von links)© dpa / picture-alliance / akg
Der Grundriss, die Einbauschränke, die moderne Küche, die Variabilität, die moderne Heizungsanlage – sie standen für den Versuch, nach dem Untergang der alten Ordnung, im Aufbruch in eine neue Welt, auch das Wohnen neu zu denken.
Hellmut Seemann nennt das Haus "Objekt einer Ausstellung" – "Eine begehbare Vitrine, in der man sehen kann, wie man heutzutage – das heißt: vor 100 Jahren – wohnen sollte, könnte, müsste. Das ist der Sinn dieses Hauses."

"Musterhaus" und "Versuchshaus"

Die bei der Klassik-Stiftung für das Haus am Horn zuständige Anke Blümm meint denn auch, dass das Haus nicht unbedingt zum sofortigen Bezug gedacht war.
"Also, es gibt eigentlich zwei Bezeichnungen für dieses Haus: Einmal 'Musterhaus' und einmal 'Versuchshaus'. Und 'Versuchshaus' passt definitiv besser, weil sich die Bauhäusler hier zum ersten Mal ganz experimentell überlegt haben: Wie sieht eigentlich das zeitgemäße neue Wohnen und Bauen aus?"
Das zentral platzierte Wohnzimmer ist quadratisch, die anderen Räume gliedern sich ringsum. Das Quadrat ist die zentrale Idee des Hauses am Horn. Wohl nicht nur aus praktischen Gründen, glaubt Anke Blümm.

"Was ist das Quadrat für eine Form?"

"Wenn man darüber nachdenkt: Was ist das Quadrat für eine Form? Das ist eine symbolische, sehr archaische Form. Und da könnte man zum Beispiel an indische Tempel denken. Und da das Bauhaus am Anfang ja durchaus religiös oder esoterisch interessiert war, muss man so eine Form in so einer Verbindung denken. Und wenn sich das Familienleben nun auf diesem kleinen Quadrat in diesem Zentralraum abspielen soll, dann ist das eine Idee, die eigentlich noch ins 19. Jahrhundert gehört."
"Die Bauhäusler wollten das ausstellen", sagt Hellmut Seemann. "Und deswegen hat man es wie einen Tempel, den man von unten anguckt – einen Tempel des Alltags –, oben auf den kleinen Hügel gesetzt. Und das werden wir jetzt wieder erleben können."
Bis auf ein paar erläuternde Schautafeln ist das Haus am Horn in Weimar noch leer. Aber nach Umnutzung, nach Um- und Anbauten in den vergangenen 96 Jahren ist es vollständig wiederhergestellt beziehungsweise nahe an den Urzustand zurückgebaut.
Zunächst wird das Haus am Horn nun für eine Woche für Besucher geöffnet sein. Noch einmal öffnet es am 5. April für drei Tage, wenn sich Besucher aus aller Welt zur Eröffnung des Bauhausmuseums in Weimar einfinden werden. Endgültig an die Öffentlichkeit geht das Haus dann am 18. Mai, dem Geburtstag von Walter Gropius.

"Die ganze Baukonstruktion, ist im Prinzip noch Original"

Im Inneren werde man allerdings auch dann kaum originale Möbel sehen, erklärt Anke Blümm.
"Also, die Wände und Böden, die ganze Baukonstruktion, ist im Prinzip noch Original. Leider hat sich von der beweglichen Innenausstattung nichts erhalten, weil die 1923 dann zurück an den Finanzier des Hauses ging. Und da weiß man nicht genau, was eigentlich damit passiert ist."
Einige wenige Originale der Ausstattung werden dann in den Bauhaus-Museen in Weimar und Dessau zu sehen sein. Nachbauten beziehungsweise Platzhalter für die Kubaturen der Möbel werden jedoch auch im Haus selbst eine Idee des Urzustandes von 1923 vermitteln.
Bis zum 100. Jubiläum der ersten Bauhaus-Ausstellung in vier Jahren hofft man in Weimar, sich dem Ausstattungs-Original noch weiter anzunähern, erklärt Blümm. "Und so wird man jetzt Schritt für Schritt darangehen, dieses Haus wieder in seinen ursprünglichen Zustand von 1923 zu versetzen."

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