Das Alpha-Mädchen kommt aus der Deckung
Mit Furor diskutiert das Land über den Fall Brüderle. Die eigentliche Sensation wird dabei fast verkannt: Erstmals wagt sich eine junge Frau noch unter 30 aus der Deckung. Endlich! Das öffnet neue Perspektiven – für den Feminismus und für ein Update der Umgangsformen.
Seit einer Woche diskutiert das Land über die Causa Brüderle. Und während die Beschuldigungen hin- und herklatschen, muss man die direkt Beteiligten unbedingt mal kurz in Schutz nehmen.
Brüderle, weil er, nach allem, was man im "Stern" lesen kann, kein Gewalttäter ist, sondern ein biederer, vielleicht einsamer älterer Mann. Einer, der, wenn er eine junge Frau vor seinen glasigen Augen hat, den Frühling noch mal in seinen Gliedern spürt. Einer, der "Dirndl"-Erotik und "Herrenwitze" mag, so, wie es vor 20 bis 60 Jahren mal in Mode war. Schal wirkt das, gegenwartsfremd, fast wie eine Karikatur, auch ein bisschen traurig. Er scheint irgendwo im vergangenen Jahrtausend stecken geblieben zu sein. Beinahe spürt man doch Mitleid.
Auch die Journalistin Laura Himmelreich muss man in Schutz nehmen, aus vielen Gründen – vor allem aber, weil sie eines nicht getan hat: Sie hat nicht "gejammert". Ausgerechnet ältere Kolleginnen, etwa Wibke Bruhns oder Cora Stephan, raunzen die junge Frau nun an, sie solle sich mal "nicht so anstellen".
Aber das tut Himmelreich gar nicht: "sich anstellen". Sie hat keinen Heulsusen-Report verfasst, sondern äußert sich in genau dem lakonisch-abgeklärten Tonfall, der für Magazine wie "Stern" oder "Spiegel" üblich ist. Nicht wehleidig, sondern ziemlich kühl stellt sie in ihrem Text die legitime und zeitgemäße Frage: "Wein, Weib, Gesang. Kann das im Jahr 2013 noch funktionieren?"
Zwei Sozialtypen, zwei Psychologien treffen hier aufeinander. Da ist der Platzhirsch, der sich seiner Position bislang recht sicher sein konnte – und da ist die ambitionierte Nachfahrin, die angetreten ist, voll in den Betrieb einzusteigen. Hier die alte Elite – dort eine neue, sich im Aufbruch befindende Elite.
Die Sensation sind nicht die Herrenwitze. Und auch nicht der Verdacht, dass ein Magazin hier eine "Kampagne" lostreten will, zum Wohle der Auflage. Mag sein. Kennen wir doch längst. Geschenkt.
Nein, das Sensationelle ist die junge Frau. Eine so genannte Leistungsträgerin berichtet mit vollem Namen und Porträtfoto über die Interna der Macht-Mechanik. Eine Gewinnerin wagt sich aus der Deckung – wo Tausende andere junge Frauen lieber schweigen. Auch aus Angst, zur "hysterischen Ziege" pathologisiert und wieder nach unten gedrückt zu werden.
Frauen, die in der Liga einer "Stern"-Redakteurin spielen, hat man einst "Karrierefrauen" genannt. Dann "Alpha-Mädchen". Mittlerweile werden sie von manchen auch als "Privilegien-Muschis" beschimpft. Es gibt nicht sehr viele Sympathiepunkte für eine Frau, die sich für Macht interessiert und versucht, selbige auch einmal anzuwenden.
Genau das hat die "Stern"-Autorin getan. Nicht sie ist von Brüderle abhängig, sondern umgekehrt: Der Politiker ist auf das Wohlwollen der Journalistin angewiesen. Und diese hat die Macht, die ihr Beruf mit sich bringt, jetzt einmal ausprobiert. Sie hat dazu einen Tonfall gewählt, in dem üblicherweise Männer andere Männer demontieren, hart an der Gürtellinie entlang. Sie hat also schon viel gelernt.
Und wirft damit noch ein zweites, subtileres Licht auf die Mechanik des "Betriebs". Unleugbar haben Frauen in weniger angesehenen Branchen mit ganz anderen Ausfällen und Anwürfen zu kämpfen. Genau hier kann die nun gezündete Medien-Bombe wirken: Die Solidarität unter Frauen hat jetzt eine neue Chance. Das zeigt auch die Twitter-Kampagne, bei der binnen zwei Tagen über 60.000 Frauen unter dem Schlagwort "Aufschrei" von ähnlichen – oder schlimmeren – Übergriffen berichteten.
Das Gute ist auch: Zahlreiche Männer schließen sich der Abneigung gegen die Methode Brüderle an. Genau darum geht es: Dass der sich selbst überhöhende Macht-Mann abtreten muss und wird. Dass man sich heute nicht mehr wie die Axt im Walde benehmen kann. Die bürgerliche Gesellschaft verhandelt gerade über die Zukunft, über ein Update ihrer Umgangsformen, über eine Neufassung von Respekt. Etwas Besseres kann ihr gar nicht passieren.
Katja Kullmann, Jahrgang 1970, studierte Politologin, schreibt Bücher, Essays und Erzählungen, bevorzugt über die wundersame Welt der Arbeit. Zuletzt erschien ihr Sachbuch "Echtleben. Warum es heute so kompliziert ist, eine Haltung zu haben" (Eichborn, 2011), in dem sie sich mit den Erwerbsverhältnissen in der so genannten Kreativwirtschaft auseinandersetzt, außerdem die US-Reportage "Rasende Ruinen. Wie Detroit sich neu erfindet" (Suhrkamp, 2012). Kullmann schreibt für verschiedene Magazine und Zeitungen und lebt in Hamburg.
Brüderle, weil er, nach allem, was man im "Stern" lesen kann, kein Gewalttäter ist, sondern ein biederer, vielleicht einsamer älterer Mann. Einer, der, wenn er eine junge Frau vor seinen glasigen Augen hat, den Frühling noch mal in seinen Gliedern spürt. Einer, der "Dirndl"-Erotik und "Herrenwitze" mag, so, wie es vor 20 bis 60 Jahren mal in Mode war. Schal wirkt das, gegenwartsfremd, fast wie eine Karikatur, auch ein bisschen traurig. Er scheint irgendwo im vergangenen Jahrtausend stecken geblieben zu sein. Beinahe spürt man doch Mitleid.
Auch die Journalistin Laura Himmelreich muss man in Schutz nehmen, aus vielen Gründen – vor allem aber, weil sie eines nicht getan hat: Sie hat nicht "gejammert". Ausgerechnet ältere Kolleginnen, etwa Wibke Bruhns oder Cora Stephan, raunzen die junge Frau nun an, sie solle sich mal "nicht so anstellen".
Aber das tut Himmelreich gar nicht: "sich anstellen". Sie hat keinen Heulsusen-Report verfasst, sondern äußert sich in genau dem lakonisch-abgeklärten Tonfall, der für Magazine wie "Stern" oder "Spiegel" üblich ist. Nicht wehleidig, sondern ziemlich kühl stellt sie in ihrem Text die legitime und zeitgemäße Frage: "Wein, Weib, Gesang. Kann das im Jahr 2013 noch funktionieren?"
Zwei Sozialtypen, zwei Psychologien treffen hier aufeinander. Da ist der Platzhirsch, der sich seiner Position bislang recht sicher sein konnte – und da ist die ambitionierte Nachfahrin, die angetreten ist, voll in den Betrieb einzusteigen. Hier die alte Elite – dort eine neue, sich im Aufbruch befindende Elite.
Die Sensation sind nicht die Herrenwitze. Und auch nicht der Verdacht, dass ein Magazin hier eine "Kampagne" lostreten will, zum Wohle der Auflage. Mag sein. Kennen wir doch längst. Geschenkt.
Nein, das Sensationelle ist die junge Frau. Eine so genannte Leistungsträgerin berichtet mit vollem Namen und Porträtfoto über die Interna der Macht-Mechanik. Eine Gewinnerin wagt sich aus der Deckung – wo Tausende andere junge Frauen lieber schweigen. Auch aus Angst, zur "hysterischen Ziege" pathologisiert und wieder nach unten gedrückt zu werden.
Frauen, die in der Liga einer "Stern"-Redakteurin spielen, hat man einst "Karrierefrauen" genannt. Dann "Alpha-Mädchen". Mittlerweile werden sie von manchen auch als "Privilegien-Muschis" beschimpft. Es gibt nicht sehr viele Sympathiepunkte für eine Frau, die sich für Macht interessiert und versucht, selbige auch einmal anzuwenden.
Genau das hat die "Stern"-Autorin getan. Nicht sie ist von Brüderle abhängig, sondern umgekehrt: Der Politiker ist auf das Wohlwollen der Journalistin angewiesen. Und diese hat die Macht, die ihr Beruf mit sich bringt, jetzt einmal ausprobiert. Sie hat dazu einen Tonfall gewählt, in dem üblicherweise Männer andere Männer demontieren, hart an der Gürtellinie entlang. Sie hat also schon viel gelernt.
Und wirft damit noch ein zweites, subtileres Licht auf die Mechanik des "Betriebs". Unleugbar haben Frauen in weniger angesehenen Branchen mit ganz anderen Ausfällen und Anwürfen zu kämpfen. Genau hier kann die nun gezündete Medien-Bombe wirken: Die Solidarität unter Frauen hat jetzt eine neue Chance. Das zeigt auch die Twitter-Kampagne, bei der binnen zwei Tagen über 60.000 Frauen unter dem Schlagwort "Aufschrei" von ähnlichen – oder schlimmeren – Übergriffen berichteten.
Das Gute ist auch: Zahlreiche Männer schließen sich der Abneigung gegen die Methode Brüderle an. Genau darum geht es: Dass der sich selbst überhöhende Macht-Mann abtreten muss und wird. Dass man sich heute nicht mehr wie die Axt im Walde benehmen kann. Die bürgerliche Gesellschaft verhandelt gerade über die Zukunft, über ein Update ihrer Umgangsformen, über eine Neufassung von Respekt. Etwas Besseres kann ihr gar nicht passieren.
Katja Kullmann, Jahrgang 1970, studierte Politologin, schreibt Bücher, Essays und Erzählungen, bevorzugt über die wundersame Welt der Arbeit. Zuletzt erschien ihr Sachbuch "Echtleben. Warum es heute so kompliziert ist, eine Haltung zu haben" (Eichborn, 2011), in dem sie sich mit den Erwerbsverhältnissen in der so genannten Kreativwirtschaft auseinandersetzt, außerdem die US-Reportage "Rasende Ruinen. Wie Detroit sich neu erfindet" (Suhrkamp, 2012). Kullmann schreibt für verschiedene Magazine und Zeitungen und lebt in Hamburg.