"Das Amt ist vom Bundespräsidenten selbst schon zurückgetreten"
Der ehemalige Verfassungsrichter Ernst Mahrenholz glaubt, dass Wulffs Ansehen endgültig ramponiert ist: "Das Amt ist nicht beschädigt, sondern er ist beschädigt." Er schlug zugleich vor, den Bundespräsidenten, ähnlich wie in Österreich, vom Volk wählen zu lassen.
André Hatting: Bundespräsident Christian Wulff war gerade dabei, wieder so ins Protokoll zurückzufinden, aber nur zwei Tage nach seinem Staatsbesuch in Italien hat ihn die Vergangenheit eingeholt. Dafür hat die Staatsanwaltschaft Hannover gesorgt. Sie beantragt die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten, damit sie strafrechtlich gegen ihn ermitteln kann. Das ist bislang einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Und darüber möchte ich jetzt mit Ernst Mahrenholz sprechen, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht und von 1987 bis 94 dessen Vizepräsident. Guten Morgen, Herr Mahrenholz!
Ernst Mahrenholz: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Wie stark muss der Anfangsverdacht sein – er lautet in diesem Fall Vorteilsannahme im Amt –, damit eine Staatsanwaltschaft diesen Schritt geht?
Mahrenholz: Der Anfangsverdacht muss gar nicht stark sein. Wenn die Staatsanwaltschaft den Eindruck hat, ich muss dem nachgehen, ist das ein Anfangsverdacht. Der kann möglicherweise ganz unschuldige Leute treffen, weil sie verleumdet worden sind durch anonyme Einsendungen an die Staatsanwaltschaft. Also der Anfangsverdacht besagt nichts. Hier ist es ein bisschen anders, weil man hier schon eine ganze Menge weiß. Hier weiß man das Thema des Sylter Urlaubs und man weiß die umgekehrte Frage, wie ist das bezahlt worden, und man kennt natürlich die Vorteile, die der Herr Groenewold auch gehabt hat durch Herrn Wulff: eine Filmbürgschaft, mit der Herr Groenewold ja geworben hatte, wie er mal sagte, dieses, mein Unternehmen, ist durch eine Filmbürgschaft abgesichert. Das ist natürlich schon dann ein Vorteil, wenn man die Bürgschaft selber gar nicht in Anspruch zu nehmen braucht.
Hatting: Aber Herr Mahrenholz, dieses Verhältnis zum Filmunternehmer David Groenewold, das war der Staatsanwaltschaft Hannover doch schon lange bekannt, warum hat sie so lange gezögert?
Mahrenholz: Also meine Mutmaßung ist, die haben sich das dreimal überlegt – mehr als bei Ihnen und bei mir –, aus dem einfachen Grunde, weil zu viel dranhängt. Es kann ja schon sein, wenn sie ihre Nachforschungen weiter ausdehnen, dass dann der Bundespräsident das Handtuch werfen muss. Das wurde gestern Abend schon vermutet in den "Tagesthemen", dass das demnächst geschieht. Ich kann mir darüber kein Urteil erlauben, aber ich bin jedenfalls ziemlich sicher, dass die Staatsanwaltschaft in Hannover nur aus dem Grunde so lange überlegt hat, weil sie weiß, hier kommt ein Stein ins Rollen, der ziemlich groß ist.
Hatting: Die Staatsanwaltschaft Hannover hat ja bereits im Vorfeld recherchiert – was ändert sich denn jetzt, wenn tatsächlich strafrechtlich ermittelt wird?
Mahrenholz: Es ändert sich gar nichts. Es bleibt die Unschuldsvermutung, wie die Staatsanwaltschaft selbst betont hat. Es muss natürlich jetzt erst einmal die Immunität aufgehoben werden, damit weiter recherchiert werden kann, aber dass das eine Formsache ist, das habe ich den gestrigen Nachrichten entnommen. Also mit anderen Worten: Die Staatsanwaltschaft wird demnächst in vollem Umfange recherchieren und wird dann sehen, ob das, was sie herauskriegt, sich zu einer Anklage verdichtet, die Aussicht auf Verurteilung hat. Wenn das nicht der Fall ist, dann würde das Gericht die Anklage gar nicht annehmen. Aber hier sieht es doch ein bisschen bedenklich aus.
Hatting: Der Verdacht heißt – wir haben darüber schon gesprochen – Vorteilsannahme im Amt, also Korruption. Welches Strafmaß ist dafür eigentlich vorgesehen?
Mahrenholz: Das übliche Strafmaß: Gefängnis. Aber ich weiß jetzt nicht im Einzelnen, welches das Höchstmaß, das Mindestmaß. Jedenfalls ist Korruption ein gewichtiges Delikt, das ist keine Kleinigkeit. Und das würde natürlich immer so laufen, dass man versucht, die Sache mit einer Geldstrafe abzuwenden, wenn es dahin käme, aber davon sind wir noch weit entfernt. Ich glaube, darüber sollten wir jetzt noch nicht philosophieren.
Hatting: Philosophieren könnten wir aber, was das Ganze für das Amt des Bundespräsidenten bedeutet. Natürlich, darauf haben Sie hingewiesen, gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung, und in 70 bis 80 Prozent der Fälle bestätigen diese Verdachte der Staatsanwaltschaft sich nicht. Kann man trotzdem oder muss man trotzdem davon sprechen, dass jetzt das Ansehen des Bundespräsidenten endgültig ramponiert ist?
Mahrenholz: Ja, ich glaub schon. Ich habe bisher gedacht – wie er das übrigens auch gedacht hat –, wenn jetzt erst mal die Presse und die elektronischen Medien sich nicht mehr um mich kümmern, weil es nichts zu entdecken gibt, dann komme ich in ein normales Gleis zurück – das hatten wir ja alle vermutet, gerade mit dem Staatsbesuch in Italien, den Sie erwähnt haben –, aber das ist nicht der Fall. Und deswegen glaube ich auch, dass das Amt des Bundespräsidenten nicht beschädigt ist, sondern er ist beschädigt.
Es hat jemand … Ein sehr witziger und gescheiter Kopf hat einmal gesagt: Der Bundespräsident muss nicht vom Amt zurücktreten, denn das Amt ist vom Bundespräsidenten selbst schon zurückgetreten. Das heißt, es gibt bereits jetzt eine Kluft zwischen ihm und den Anforderungen des Amtes, die nicht mehr zu überbrücken ist. Das ist die These, die die meisten kundigen Thebaner in Berlin vertreten, und ich glaube, das ist richtig. Aber man muss noch … Darf ich noch einen anderen Gesichtspunkt hinzufügen?
Hatting: Bitte!
Mahrenholz: Man muss bei der Sache immer fragen, nach Köhler und nun nach Wulff: Haben wir eigentlich den richtigen Auswahlmodus? Das ist ein viel ernsteres Problem, und das sollte man meines Erachtens auch in dem Zusammenhang ventilieren. In Österreich wählt das Volk den Bundespräsidenten. Natürlich sind es Parteileute, was sonst, aber da sucht sich eine Partei den Mann aus, der zugkräftig, ehrlich, vertrauenswürdig ist, und das tut die andere Seite auch, und dann kommt es zu einer sehr angesehenen Person in der Regel, wo man solche Bedenken nicht zu fürchten hat.
Hier wird der Bundespräsident herausgekungelt, und das ist eine für das Amt schon selbst unwürdige Startchance. Man hat letztes Mal bei der Wahl die Frau Merkel strafen wollen, und darum hat man zweimal Herrn Wulff durchfallen lassen. Das sind so Sachen, Kungeleien, die gehören sich nicht, wenn das Staatsoberhaupt gewählt wird.
Hatting: Also in Deutschland auch vom Volk wählen lassen?
Mahrenholz: Ja!
Hatting: Ernst Mahrenholz war das, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Mahrenholz!
Mahrenholz: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links bei dradio.de:
Staatsanwaltschaft beantragt Aufhebung von Wulffs Immunität - Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme und -gewährung
Andrea Nahles (SPD): Weiteres Verbleiben Wulffs im Amt undenkbar - SPD-Generalsekretärin fordert schnelle Suche nach möglichem Kandidaten
Oppermann: Wulff ist nicht mehr tragbar als Bundespräsident - SPD-Politiker spricht sich für einen überparteilichen Kandidaten aus
Lötzsch: Richard von Weizsäcker ist "der Maßstab für einen Bundespräsidenten" - Die Vorsitzende der Partei Die Linke über eine mögliche Wulff-Nachfolge
Goppel: Die jetzige Situation beschädigt das Amt des Bundespräsidenten - CSU-Politiker warnt aber vor einseitiger Schuldzuweisung im Fall Wulff
Ernst Mahrenholz: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Wie stark muss der Anfangsverdacht sein – er lautet in diesem Fall Vorteilsannahme im Amt –, damit eine Staatsanwaltschaft diesen Schritt geht?
Mahrenholz: Der Anfangsverdacht muss gar nicht stark sein. Wenn die Staatsanwaltschaft den Eindruck hat, ich muss dem nachgehen, ist das ein Anfangsverdacht. Der kann möglicherweise ganz unschuldige Leute treffen, weil sie verleumdet worden sind durch anonyme Einsendungen an die Staatsanwaltschaft. Also der Anfangsverdacht besagt nichts. Hier ist es ein bisschen anders, weil man hier schon eine ganze Menge weiß. Hier weiß man das Thema des Sylter Urlaubs und man weiß die umgekehrte Frage, wie ist das bezahlt worden, und man kennt natürlich die Vorteile, die der Herr Groenewold auch gehabt hat durch Herrn Wulff: eine Filmbürgschaft, mit der Herr Groenewold ja geworben hatte, wie er mal sagte, dieses, mein Unternehmen, ist durch eine Filmbürgschaft abgesichert. Das ist natürlich schon dann ein Vorteil, wenn man die Bürgschaft selber gar nicht in Anspruch zu nehmen braucht.
Hatting: Aber Herr Mahrenholz, dieses Verhältnis zum Filmunternehmer David Groenewold, das war der Staatsanwaltschaft Hannover doch schon lange bekannt, warum hat sie so lange gezögert?
Mahrenholz: Also meine Mutmaßung ist, die haben sich das dreimal überlegt – mehr als bei Ihnen und bei mir –, aus dem einfachen Grunde, weil zu viel dranhängt. Es kann ja schon sein, wenn sie ihre Nachforschungen weiter ausdehnen, dass dann der Bundespräsident das Handtuch werfen muss. Das wurde gestern Abend schon vermutet in den "Tagesthemen", dass das demnächst geschieht. Ich kann mir darüber kein Urteil erlauben, aber ich bin jedenfalls ziemlich sicher, dass die Staatsanwaltschaft in Hannover nur aus dem Grunde so lange überlegt hat, weil sie weiß, hier kommt ein Stein ins Rollen, der ziemlich groß ist.
Hatting: Die Staatsanwaltschaft Hannover hat ja bereits im Vorfeld recherchiert – was ändert sich denn jetzt, wenn tatsächlich strafrechtlich ermittelt wird?
Mahrenholz: Es ändert sich gar nichts. Es bleibt die Unschuldsvermutung, wie die Staatsanwaltschaft selbst betont hat. Es muss natürlich jetzt erst einmal die Immunität aufgehoben werden, damit weiter recherchiert werden kann, aber dass das eine Formsache ist, das habe ich den gestrigen Nachrichten entnommen. Also mit anderen Worten: Die Staatsanwaltschaft wird demnächst in vollem Umfange recherchieren und wird dann sehen, ob das, was sie herauskriegt, sich zu einer Anklage verdichtet, die Aussicht auf Verurteilung hat. Wenn das nicht der Fall ist, dann würde das Gericht die Anklage gar nicht annehmen. Aber hier sieht es doch ein bisschen bedenklich aus.
Hatting: Der Verdacht heißt – wir haben darüber schon gesprochen – Vorteilsannahme im Amt, also Korruption. Welches Strafmaß ist dafür eigentlich vorgesehen?
Mahrenholz: Das übliche Strafmaß: Gefängnis. Aber ich weiß jetzt nicht im Einzelnen, welches das Höchstmaß, das Mindestmaß. Jedenfalls ist Korruption ein gewichtiges Delikt, das ist keine Kleinigkeit. Und das würde natürlich immer so laufen, dass man versucht, die Sache mit einer Geldstrafe abzuwenden, wenn es dahin käme, aber davon sind wir noch weit entfernt. Ich glaube, darüber sollten wir jetzt noch nicht philosophieren.
Hatting: Philosophieren könnten wir aber, was das Ganze für das Amt des Bundespräsidenten bedeutet. Natürlich, darauf haben Sie hingewiesen, gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung, und in 70 bis 80 Prozent der Fälle bestätigen diese Verdachte der Staatsanwaltschaft sich nicht. Kann man trotzdem oder muss man trotzdem davon sprechen, dass jetzt das Ansehen des Bundespräsidenten endgültig ramponiert ist?
Mahrenholz: Ja, ich glaub schon. Ich habe bisher gedacht – wie er das übrigens auch gedacht hat –, wenn jetzt erst mal die Presse und die elektronischen Medien sich nicht mehr um mich kümmern, weil es nichts zu entdecken gibt, dann komme ich in ein normales Gleis zurück – das hatten wir ja alle vermutet, gerade mit dem Staatsbesuch in Italien, den Sie erwähnt haben –, aber das ist nicht der Fall. Und deswegen glaube ich auch, dass das Amt des Bundespräsidenten nicht beschädigt ist, sondern er ist beschädigt.
Es hat jemand … Ein sehr witziger und gescheiter Kopf hat einmal gesagt: Der Bundespräsident muss nicht vom Amt zurücktreten, denn das Amt ist vom Bundespräsidenten selbst schon zurückgetreten. Das heißt, es gibt bereits jetzt eine Kluft zwischen ihm und den Anforderungen des Amtes, die nicht mehr zu überbrücken ist. Das ist die These, die die meisten kundigen Thebaner in Berlin vertreten, und ich glaube, das ist richtig. Aber man muss noch … Darf ich noch einen anderen Gesichtspunkt hinzufügen?
Hatting: Bitte!
Mahrenholz: Man muss bei der Sache immer fragen, nach Köhler und nun nach Wulff: Haben wir eigentlich den richtigen Auswahlmodus? Das ist ein viel ernsteres Problem, und das sollte man meines Erachtens auch in dem Zusammenhang ventilieren. In Österreich wählt das Volk den Bundespräsidenten. Natürlich sind es Parteileute, was sonst, aber da sucht sich eine Partei den Mann aus, der zugkräftig, ehrlich, vertrauenswürdig ist, und das tut die andere Seite auch, und dann kommt es zu einer sehr angesehenen Person in der Regel, wo man solche Bedenken nicht zu fürchten hat.
Hier wird der Bundespräsident herausgekungelt, und das ist eine für das Amt schon selbst unwürdige Startchance. Man hat letztes Mal bei der Wahl die Frau Merkel strafen wollen, und darum hat man zweimal Herrn Wulff durchfallen lassen. Das sind so Sachen, Kungeleien, die gehören sich nicht, wenn das Staatsoberhaupt gewählt wird.
Hatting: Also in Deutschland auch vom Volk wählen lassen?
Mahrenholz: Ja!
Hatting: Ernst Mahrenholz war das, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Mahrenholz!
Mahrenholz: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Staatsanwaltschaft beantragt Aufhebung von Wulffs Immunität - Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme und -gewährung
Andrea Nahles (SPD): Weiteres Verbleiben Wulffs im Amt undenkbar - SPD-Generalsekretärin fordert schnelle Suche nach möglichem Kandidaten
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Goppel: Die jetzige Situation beschädigt das Amt des Bundespräsidenten - CSU-Politiker warnt aber vor einseitiger Schuldzuweisung im Fall Wulff