Das Atelier als Rückzugsgebiet
Österreich feiert den 150. Geburtstag seines berühmtesten Malers und Begründers des Wiener Jugendstils, Gustav Klimt. Ganze zehn Museen in der Bundeshauptstadt Wien widmen dem Künstler in diesem Jahr umfangreiche Ausstellungen, darunter das Leopold-Museum.
Die Ausstellung dominiert ein weißes Vitrinenband, das über 84 Meter durch die Schauräume mäandert: Unter dem Glas sind 400 Postkarten chronologisch geordnet, die Gustav Klimt innerhalb von 20 Jahren an seine Lebensgefährtin Emilie Flöge geschrieben hat. Mitunter enthalten sie nur lapidare Mitteilungen wie "Mein Schnupfen in Heilung begriffen". Zusätzlich können auf der Europakarte eines Touchscreens Klimts Kartengrüße von jenen zahlreichen Orten abgerufen werden, von denen er mit der Modeschöpferin Emilie in Kontakt trat.
Man denkt unwillkürlich an eine Vorläuferform der SMS, wenn Klimt ihr in wenigen Worten seine Begeisterung über die Mosaike in Ravenna ausdrückt oder nur schreibt, dass er in Berlin im Hotel Bellevue wohne und eine Autofahrt durch den Grunewald gemacht habe. Die Karten korrespondieren von der zeitlichen Einordnung mit den Zeichnungen und Gemälden an der Wand dahinter. Haarlocke, Malerkittel oder andere Devotionalien finden sich in der Ausstellung nicht. Sie will den Künstler selbst zu Wort kommen lassen, sagt der Direktor und Kurator Tobias Natter:
"Was wir feststellen, dass er ein sehr viel komplizierterer Mensch war als er gemeinhin wahrgenommen wird. Erstmalig haben wir jetzt diesen schriftlichen Nachlass, den es so ja nicht gibt, er ist weltweit verstreut. Aber wir haben ihn ausgewertet, und erstaunlicherweise, das Wort, das am meisten, am häufigsten vorkommt, ist "unglücklich". Klimt ist immer unglücklich."
Das aber passe nicht zum Bild, das man von ihm habe, dem Mann der Frauen, der mit dreien, die auch seine Modelle waren, sechs Kinder hat und der in farbenreichen Ornamenten und Dekors schwelgt, sagt Direktor Natter. 1913 etwa schreibt Klimt auf einer Karte an Emilie Flöge: "Sonst etwas müde, wie immer, und nicht ganz froh, aber auch nicht betrübt." Natter:
"Das fasziniert mich dann immer und begeistert mich und rührt mich auch immer persönlich sehr an: Wir gehen vor die Bilder hin und sehen eine Leichtigkeit und ein Glücksversprechen in diesen Bildern des Jugendstils mit Farbe und Linie und in dieser Schönlinigkeit. Und wir sehen nicht, wie dieser Meister darum gerungen hatte, dem es jahrelang schwer fiel, die Bilder fertig zu stellen, der nicht wusste, soll er aufhören, ob er nicht doch noch übermalen sollte, von dem wir wissen, dass die Sammler ihm die Werke entreißen mussten, oft sogar fast mit Gewalt, weil er derart zögerlich und kämpfend an den Werken gearbeitet hat."
Die Ausstellung verdeutlicht in ihrem chronologischen Aufbau Klimts beachtlichen künstlerischen Umschwung: Sehr früh hatte er Karriere gemacht, wurde ausgezeichnet, bekam Aufträge für die neuen Prunkbauten an der Wiener Ringstraße: Das Burgtheater und das Kunsthistorische Museum. Dort übrigens können die Besucher derzeit seine Bilder unterhalb der Decke aus nächster Nähe betrachten: Ein mit schwarzen Bahnen verkleidetes Stahlgerüst wurde wie ein Filmset quer über den breiten Stiegenaufgang gebaut, um die sonst kaum auszunehmenden Klimtbilder auf Augenhöhe wahrnehmen zu können.
Auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn, den diese Bilder markieren, stürzt Klimt plötzlich in eine Schaffenskrise. Selbstzweifel treiben ihn an: Durch die Mitgründung der Sezession wird Klimt zum Anführer der Moderne, zur Gallionsfigur einer neuen Bewegung, die Konflikte und Skandale nicht scheut. Es ist jenes Wien um 1900, das für Elisabeth Leopold, die Witwe des Kunstsammlers und Namensgebers des Museums, Rudolf Leopold, den Reiz der Spannung hat:
"Dann haben wir auf einer Seite die Ästhetik, den Jugendstil, die Erotik, die Schönheit. Und auf der anderen Seite die ausufernde Provokation, noch ärger, noch mehr im Gegensatz. Also diese zwei Gegensätze machen ja eigentlich erst den Zauber dieses Wien 1900 aus."
Insgesamt 700 Objekte finden sich in der Ausstellung, die aus eigenen Beständen stammen oder aus Japan, den USA und der Schweiz entliehen wurden. Die Schau will mit zwei Klischees brechen: Dass Klimt nichts schriftlich Essentielles hinterlassen habe und dass er nicht zu künstlerischer Selbstreflexion fähig gewesen sei. Für die Kunstsammlerin Elisabeth Leopold ist Gustav Klimt ein Maler der glanzvollen Dekadenz:
"Eine Klimtausstellung ist für mich ein Höhepunkt des Leopoldmuseums. Wir stehen für diese Zeit natürlich mit dem großen Schiele-Konvolut. Und Klimt war, ich würde sagen, ein Übervater dieser Zeit. Und Schiele hat ja auch, ich würde sagen, aus Dankbarkeit, dieses großartige Bild "Die Eremiten" gemacht, wo er auf dem linken Eremiten sich selbst und rechts, kenntlich durch den Backenbart, den Klimt sieht."
Doch Gustav Klimt selbst ließ nicht einmal seine engsten Freunde hinter jene Mauer sehen, die er um sich errichtet hatte. Er war scheu, sein Atelier galt ihm als wichtiges Rückzugsgebiet, das Reich der weiblichen Aktmodelle. Die umfassende Kenntnis seiner Werke und Schriften ermöglicht heute ein differenzierteres Bild des Menschen Gustav Klimt, als es seine Zeitgenossen hatten.
Man denkt unwillkürlich an eine Vorläuferform der SMS, wenn Klimt ihr in wenigen Worten seine Begeisterung über die Mosaike in Ravenna ausdrückt oder nur schreibt, dass er in Berlin im Hotel Bellevue wohne und eine Autofahrt durch den Grunewald gemacht habe. Die Karten korrespondieren von der zeitlichen Einordnung mit den Zeichnungen und Gemälden an der Wand dahinter. Haarlocke, Malerkittel oder andere Devotionalien finden sich in der Ausstellung nicht. Sie will den Künstler selbst zu Wort kommen lassen, sagt der Direktor und Kurator Tobias Natter:
"Was wir feststellen, dass er ein sehr viel komplizierterer Mensch war als er gemeinhin wahrgenommen wird. Erstmalig haben wir jetzt diesen schriftlichen Nachlass, den es so ja nicht gibt, er ist weltweit verstreut. Aber wir haben ihn ausgewertet, und erstaunlicherweise, das Wort, das am meisten, am häufigsten vorkommt, ist "unglücklich". Klimt ist immer unglücklich."
Das aber passe nicht zum Bild, das man von ihm habe, dem Mann der Frauen, der mit dreien, die auch seine Modelle waren, sechs Kinder hat und der in farbenreichen Ornamenten und Dekors schwelgt, sagt Direktor Natter. 1913 etwa schreibt Klimt auf einer Karte an Emilie Flöge: "Sonst etwas müde, wie immer, und nicht ganz froh, aber auch nicht betrübt." Natter:
"Das fasziniert mich dann immer und begeistert mich und rührt mich auch immer persönlich sehr an: Wir gehen vor die Bilder hin und sehen eine Leichtigkeit und ein Glücksversprechen in diesen Bildern des Jugendstils mit Farbe und Linie und in dieser Schönlinigkeit. Und wir sehen nicht, wie dieser Meister darum gerungen hatte, dem es jahrelang schwer fiel, die Bilder fertig zu stellen, der nicht wusste, soll er aufhören, ob er nicht doch noch übermalen sollte, von dem wir wissen, dass die Sammler ihm die Werke entreißen mussten, oft sogar fast mit Gewalt, weil er derart zögerlich und kämpfend an den Werken gearbeitet hat."
Die Ausstellung verdeutlicht in ihrem chronologischen Aufbau Klimts beachtlichen künstlerischen Umschwung: Sehr früh hatte er Karriere gemacht, wurde ausgezeichnet, bekam Aufträge für die neuen Prunkbauten an der Wiener Ringstraße: Das Burgtheater und das Kunsthistorische Museum. Dort übrigens können die Besucher derzeit seine Bilder unterhalb der Decke aus nächster Nähe betrachten: Ein mit schwarzen Bahnen verkleidetes Stahlgerüst wurde wie ein Filmset quer über den breiten Stiegenaufgang gebaut, um die sonst kaum auszunehmenden Klimtbilder auf Augenhöhe wahrnehmen zu können.
Auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn, den diese Bilder markieren, stürzt Klimt plötzlich in eine Schaffenskrise. Selbstzweifel treiben ihn an: Durch die Mitgründung der Sezession wird Klimt zum Anführer der Moderne, zur Gallionsfigur einer neuen Bewegung, die Konflikte und Skandale nicht scheut. Es ist jenes Wien um 1900, das für Elisabeth Leopold, die Witwe des Kunstsammlers und Namensgebers des Museums, Rudolf Leopold, den Reiz der Spannung hat:
"Dann haben wir auf einer Seite die Ästhetik, den Jugendstil, die Erotik, die Schönheit. Und auf der anderen Seite die ausufernde Provokation, noch ärger, noch mehr im Gegensatz. Also diese zwei Gegensätze machen ja eigentlich erst den Zauber dieses Wien 1900 aus."
Insgesamt 700 Objekte finden sich in der Ausstellung, die aus eigenen Beständen stammen oder aus Japan, den USA und der Schweiz entliehen wurden. Die Schau will mit zwei Klischees brechen: Dass Klimt nichts schriftlich Essentielles hinterlassen habe und dass er nicht zu künstlerischer Selbstreflexion fähig gewesen sei. Für die Kunstsammlerin Elisabeth Leopold ist Gustav Klimt ein Maler der glanzvollen Dekadenz:
"Eine Klimtausstellung ist für mich ein Höhepunkt des Leopoldmuseums. Wir stehen für diese Zeit natürlich mit dem großen Schiele-Konvolut. Und Klimt war, ich würde sagen, ein Übervater dieser Zeit. Und Schiele hat ja auch, ich würde sagen, aus Dankbarkeit, dieses großartige Bild "Die Eremiten" gemacht, wo er auf dem linken Eremiten sich selbst und rechts, kenntlich durch den Backenbart, den Klimt sieht."
Doch Gustav Klimt selbst ließ nicht einmal seine engsten Freunde hinter jene Mauer sehen, die er um sich errichtet hatte. Er war scheu, sein Atelier galt ihm als wichtiges Rückzugsgebiet, das Reich der weiblichen Aktmodelle. Die umfassende Kenntnis seiner Werke und Schriften ermöglicht heute ein differenzierteres Bild des Menschen Gustav Klimt, als es seine Zeitgenossen hatten.