Das Beste der Off-Szene

Gießener Studenten haben sich zur Performergruppe "She She Pop" zusammengeschlossen.
Gießener Studenten haben sich zur Performergruppe "She She Pop" zusammengeschlossen. © Stefanie Hermann
Von Ulrike Gondorf |
Auf dem Theatertreffen "Impulse" werden in Bochum, Düsseldorf, Köln und Mülheim Produktionen der Freien Szene gezeigt. Mit der neuen Leitung sind die "Impulse" internationaler geworden. Neben Deutschland kommen die Inszenierungen aus Österreich und der Schweiz. Special guests sind Jerome Bel aus Frankreich und Cuqui Jerez aus Spanien.
Diese Inspizientin ist wirklich nicht zu beneiden: Fünf Minuten nach Beginn der Vorstellung bietet der Komponist der Show ihr an, alles noch mal total umzustellen, und die Autorin kommt auf die Idee, das eigentliche Thema des Abends müsse man erst noch durch eine Umfrage im Publikum ermitteln. Also ruft die gestresste Inspizientin erst mal die Chorusline der Girls auf die Bühne, die aber trotz Federbusch im Haar die Stimmung nicht spontan auf den Siedepunkt bringen können. Auch die Pantomime der erotischen Depression hat es nicht leicht beim Publikum, obwohl sie doch gleich in drei verschiedenen Variationen auftritt; während dann im Saal die Themenvorschläge eingesammelt werden, die dem Abend die Relevanz geben sollen, die sein Titel verspricht. Der Tanz der allerletzten Schneeflocke ist so jämmerlich und ausdauernd, dass die Inspizientin die Windmaschine anwerfen lassen muss, um die Bühne wieder frei zu bekommen.

Die Performergruppe "She She Pop", zu der sich ehemalige Studenten des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft zusammengetan haben, eröffnete mit der "Relevanz-Show" in Köln die "Impulse", das Theatertreffen der Freien Szene. Neun Inszenierungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind eingeladen. Gemeinsam mit den neuen Festivalleitern Tom Stromberg und Matthias von Hartz hat eine Jury mehr als 400 Produktionen gesichtet.

Mit der neuen Leitung sind die "Impulse" auch internationaler geworden: außer Konkurrenz wurden zwei "special guests" eingeladen: Jerome Bel aus Frankreich und Cuqui Jerez aus Spanien. Beide zeigen Tanztheaterabende und akzentuieren damit eine Kunstsparte, die bisher eher am Rand dieses Theaterfestivals gelegen hat.

Mit knapp 800.000 Euro konnte der Etat des vom NRW-Kultursekretariat getragenen Theatertreffens beinah verdoppelt werden. Die Bundeskulturstiftung trat als neuer Förderer hinzu, die bisherigen Sponsoren erhöhten ihr Engagement. Mit diesen Mitteln zeigen Stromberg und von Hartz bis zum 2. Dezember in Köln, Düsseldorf, Bochum und Mühlheim ein Programm, das nach ihren Vorstellungen Einblicke in die "Zukunft des Theaters" geben soll. Denn die Rolle der freien Szene als Innovationsfaktor und Ideengeber für das etablierte Theater hat sich schon oft bewährt. Viele Theaterleute, die heute im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, haben ihre Karrieren in der freien Szene begonnen. Karin Beier, neue Hausherrin am Eröffnungsspielort Schauspiel Köln, ist nur ein Beispiel dafür.

Als Eröffnungsprogramm setzte die "Relevanz-Show" eine ironische Pointe, werden doch hier die Unzulänglichkeiten, Peinlichkeiten, Exzesse der Selbstdarstellung und die Anfälligkeit des aktuellen Theaters für oberflächlich Zeitgeistiges von esoterisch angehauchtem Betroffenheitsgequatsche bis zum pseudopolitischen Aktivismus karikiert. Daneben steht die "Relevanz-Show" für zwei Trends, die eine Art Mainstream dieser Auswahl zu markieren scheinen. Die meisten eingeladenen Produktionen sind Gemeinschaftsarbeiten eines Kollektivs.

Tom Stromberg sah darin den "Abschied vom Regie-Gott". (Mit "She She Pop", "Monstertruck" und "Showcase Beat le Mot" sind übrigens gleich drei Gruppen auf dem Festival vertreten, die aus dem Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft hervorgegangen sind.) Ein weiteres gemeinsames Interesse vieler Truppen liegt in der Hinterfragung der traditionellen Rollenverteilung im Theater, des Verhältnisses von Akteur und Zuschauer. Die Wiener Performergruppe "God’s Entertainment" wird sogar den etablierten Rahmen verlassen und in den Fußgängerzonen vor zufälligem Publikum spielen.

Am Ende des Festivals winken Preise: die von einer Jury gekürte "beste Inszenierung" wird beim Berliner Theatertreffen und bei Festivals in Zürich und Wien zu sehen sein, und das Goethe-Institut wird einen Abend auf Gastspielreise schicken.
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