Das blanke Grauen

Von Alexandra Gerlach |
Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden zeigt in seiner neuen Ausstellung die Geschichte der Eugenik-Forschung in Deutschland ab dem Ende des Ersten Weltkrieges. In beklemmenden Fotos, Filmausschnitten und Dokumenten wird gezeigt, wie der Holocaust möglich wurde. Die Schau wurde vom United States Memorial Museum konzipiert.
Man kann sich dem Grauen nicht entziehen. Es entwickelt sich langsam, aber es kommt. Wer die Ausstellung besucht, der stößt auf Dokumente wie dieses, ein Interview in Bild und Ton aus dem Jahr 1932. Befragt werden zwei weiß bekittelte Mediziner oder Forscher in einem deutschen Dorf in Tschechien, wie der Untertitel verrät.

Zuspielung: Der Interviewer fragt: " Hier hätte ich gerne mal gewusst, was werden Sie für Untersuchungen hier jetzt vornehmen?
Wir führen hier anthropologische und rassische Untersuchungen durch, um die rassischen Gegebenheiten dieses Kreises zu erfassen,… "

Die deutschen Wissenschaftler liegen mit ihrer Arbeit zu diesem Zeitpunkt – Anfang der dreißiger Jahre – im Trend. Denn die Diskussion um die Eugenik, um die Rassenlehre und die Frage, ob man durch gezielte Auslese – Erbkrankheiten und die immer noch recht hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit in den Griff bekommen könne, hat in diesen Jahren Konjunktur – international.

Für die Kuratorin der Dresdner Ausstellung, Susann Bachrach, vom US Holocaust Memorial Museum, Washington, ist die Vorgeschichte der Entwicklung der deutschen Rassenhygiene-Theorie daher auch ein wichtiger Schlüssel für die Antwort auf die Frage, wie es überhaupt zum organisierten Massenmord im Holocaust kommen konnte.

Susan Bachrach: " It`s an very, very important part of understanding, how the Holocaust happened. "

So argumentierte die internationale Eugenik-Bewegung ab dem Ende des Ersten Weltkrieges damit, dass die moderne Medizin und staatliche Wohlfahrtsprogramme natürliche Ausleseprozesse unter den Menschen verhindern würden. Umfangreiche Reihenuntersuchungen wurden durchgeführt, um rassenspezifische Merkmale empirisch zu belegen:

Zuspielung: " Wie heißt du?
Angelika.
Und wie alt bist du?
13 Jahre.
Stell Dich mal bitte so rum, und die Hacken zusammen….. 150 ohne Schuhe…. 19.5 Kopfhöhe,… die Nasenhöhe?
4,9."

Das deutsche Hygiene-Museum zu Dresden spielte in dieser Forschungsdiskussion bereits in der Weimarer Republik eine bedeutende Rolle. Erst wesentlich später stellte es sich ganz in den Dienst einer ideologisch motivierten Argumentation.

Museumsleiter Klaus Vogel: " Also Wissenschaftler haben da schon vorher eine ganz große Rolle gespielt, und sahen in dem neuen System eigentlich für sich selber Karrierechancen und für sich selber eine Möglichkeit, ihre Politik, ihre Überzeugung, ihre Ideologie unter den neuen Machtverhältnissen durchzusetzen. "

Der heutige Direktor, Klaus Vogel, sieht es daher als nahe liegende Verpflichtung an, dieses hochkarätige Ausstellungsprojekt in sein Haus zu holen, um damit auch die dunkle Geschichte seines Hauses zu beleuchten. Und er fügt hinzu:

Klaus Vogel: " Es ist dies alles nicht vom Himmel gefallen, wenn man sagt, '33 bis '45, es hört sich immer so an, als sei das vorher nichts gewesen, aber es ist genau das Gegenteil der Fall. Und es ist auch das Verdienst von dieser Ausstellung, dass eben so etwas wie das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, dass das nicht auf einmal so da war, das lag sozusagen in der Schublade. "

Mit der Machtübernahme der Nazis ändern sich die politischen Rahmenbedingungen. Ärzte und Wissenschaftler liefern bereitwillig wissenschaftliche Begründungen für die NS-Rassenhygieneprogramme. Die aktive Ausgrenzung einzelner Gruppierungen beginnt und wird propagandistisch begleitet, so wie in diesem Film, der offensichtlich geistig behinderte Menschen zeigt:

Filmbeitrag/Propaganda: " … auch für sie müssen gesunde, deutsche Volksgenossen arbeiten, sie füttern und trockenlegen… "

Mit dem Erlass des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, im Juli 1933, treten drakonische Maßnahmen in Kraft, die vor allem geistig behinderte Menschen betreffen.

Filmbeitrag/Propaganda: " Die Unfruchtbarmachung ist ein leichter, chirurgischer Eingriff, ist ein humanes Mittel, durch das die Nation vor grenzenlosem Elend bewahrt wird. "

Rund 400.000 Menschen werden in den folgenden Jahren zwangssterilisiert. Nur zwei Jahre später folgt das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, das nunmehr auch Juden ausgrenzt, indem es körperliche Beziehungen und Mischehen mit arischen Deutschen unter Strafe stellt.

Parallel dazu laufen staatliche Euthanasie-Programme auf Hochtouren. Menschen, die als "unproduktiv" eingestuft werden, werden ausgesondert. Ärzte, Krankenschwestern und Gesundheitsbeamte machen mit. Systematisch getötet wird in sechs Anstalten in ganz Deutschland. Zeitzeugen berichten in der Ausstellung auf einer großen Leinwand:

Zeitzeuge: " Mit 5 ½ Jahren kam ich in ein anderes Kinderheim, und dieses Heim hat mit diesen Nazis zusammengearbeitet und über dieses Heim wurden diese Kinder für geisteskrank erklärt. Also hinter unserem Schlafsaal waren ja die Babys, und da habe ich mich gewundert, ich höre die Babys gar nicht mehr schreien, das war dann 1940, und dann guckte ich hin, die Betten sind alle leer."

Zeitzeuge: " Da ist mir mitunter aufgefallen, dat der Wäschewagen, das waren so Metallwagen, die sie in den Krankenhäusern haben, dass die schwerer waren als gewöhnlich, da habe ich in einem unbeobachteten Augenblick unter der Wäsche geschaut - da lagen sie denn,… die toten Kinder, die den anderen Morgen tot gespritzt wurden. Und die musste ich an der Wäscherei abgeben, rechts,.. hier war die Wäscherei, ein paar Meter weiter war das Krematorium. "

In der Ausstellung lässt ein dunkel gekachelter Raum mit einem Dutzend Kinderfotos an den Wänden ahnen, was den Babys und Kleinkindern passiert ist. Antje Uhlig vom Hygiene-Museum spricht von Schockmomenten, die sie hier beim Aufbau der Ausstellung erlebt hat:

" Die Idee dieses Raums, das ist so schon ein Wendepunkt in der Geschichte, die überhaupt erzählt wird, denn hier kippt die Geschichte, denn hier werden Leute ermordet, tot gespritzt, und es ist völlig normal, dass man das macht, also aus der Logik der Zeit heraus. "
Akribisch halten die Buchhalter fest, welche Einsparungen sie in Folge der Abgänge etwa beim Einkauf von Lebensmitteln für die Anstalten erzielen.

Antje Uhlig: " Also hier wird eigentlich noch einmal deutlich diese pervertierte Logik, dass man tatsächlich Statistiken erstellt hat, Diagramme gemalt hat, um sich selber noch mal vor Augen zu führen und aufzurechnen, wie viel wurden getötet, wie viel an Lebensmittelersparnis konnte aus diesem Programm gewonnen werden, also das ist schon,… ja. "

Doch das Töten blieb nicht unentdeckt, im August 1941 führen öffentliche Proteste und eine Predigt des Bischofs von Galen dazu, dass das Euthanasie-Programm eingestellt wird. Dennoch gehen die Verbrechen weiter.

Antje Uhlig: " Die Leute sind verhungert, sie wurden einfach vernachlässigt und die Leute sind einfach massenhaft an Entkräftung gestorben. Und das sieht man hier sehr deutlich an diesem Ausgangsbuch von Weilmünster, das ist eine Seite, die geht sozusagen vom 17.4. bis 26.4., das ist 10 Tage, 9 Tage. Und innerhalb dieser 9 Tage sind diese 15, … 15 Menschen gestorben. "

Vom Euthanasie-Programm zum Massenmord an Juden war es nur ein kleiner Schritt – auch das zeigt die Ausstellung. Auch hier leisten Wissenschaftler, Mediziner und Schwestern gute Dienste. Vergasungs-Experimente an psychisch Kranken im von Deutschland besetzten Weißrussland werden kaltblütig gefilmt. Dokumente der Skrupellosigkeit wie diese lassen das Blut in Adern gefrieren.

Für Susan Bachrach gibt es angesichts der aktuellen Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen der Genforschung zwei wichtige Motive für die Verlagerung dieser Ausstellung von Washington nach Dresden:

" One has to do with the history, one has to do with the relevance for today. "

Zum einen gehe es natürlich um die Geschichte, zum anderen jedoch um die daraus zu ziehenden Lehren für die Gegenwart. Die Eugeniker des vergangenen Jahrhunderts hätten für ihre Vorhaben mit dem Versprechen geworben, Großes für die Zukunft der Menschheit zu vollbringen. Es habe sich aber gezeigt, dass Wissenschaft nicht funktioniere in einem moralischen Vakuum. Vielmehr bedürfe sie der kritischen Begleitung durch frei denkende Menschen.

Susann Bachrach: " And we can not leave it just to the experts to decide how sciences are to be used, because this has taken us down some very bad path."

Man könne es nicht allein den Experten überlassen, festzulegen, wie die Wissenschaft zu nutzen sei, das habe uns bereits einmal auf einen sehr schlechten Weg gebracht.

Service:

Die Ausstellung "Tödliche Medizin - Rassenwahn im Nationalsozialismus" ist im Deutschen Hygiene-Museum Dresden vom 12. Oktober 2006 bis 24. Juni 2007 zu sehen. Der Deutschlandfunk ist Medienpartner.