"Das Bloggen ist für uns ein Lichtstrahl"
Ai Weiwei ist der wohl zurzeit berühmteste chinesische Künstler - und längst auch ein politischer Aktivist, der sich im weltweiten Datennetz äußert. Mit dem Bloggen hätten die Menschen in China die Möglichkeit, "diese Zensur zu umgehen", sagte Ai Weiwei.
Liane von Billerbeck: Man kennt ihn durch seine Kunst und aus seinen Blogs im Internet - Ai Weiwei, einer der bedeutendsten chinesischen Künstler der Gegenwart. 1957 geboren, wuchs er mit seinem unter Mao als sogenannter Rechtsabweichler gebrandmarkten Vater in einem Straflager auf und nach dem Ende der Kulturrevolution studierte er an der Filmakademie zuerst in Peking und dann in New York.
Inzwischen, seit Anfang der 90er-Jahre, lebt er wieder in der chinesischen Hauptstadt, und im vorigen Jahr hatte er große Einzelausstellungen in Tokyo und München. 2010 werden seine Arbeiten in New York und London gezeigt.
Der Künstler nutzt seinen Erfolg und auch sein Geld, um einen Kampf mit der Kommunistischen Partei Chinas auszutragen. Es geht ihm um die Folgen städtebaulicher Misswirtschaft. In maroden Schulhäusern beispielsweise kamen bei dem Erdbeben in Sichuan 5000 Kinder ums Leben.
Dass die Städte im 21. Jahrhundert nicht gegen die Natur, sondern aus der Landschaft heraus entwickelt werden sollen, darum dreht sich auch eine Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste. Ai Weiwei war dort und auf der lit.COLOGNE zu Gast und zwischendrin hier bei uns in Deutschlandradio Kultur.
Herr Ai, herzlich willkommen!
Ai Weiwei: Thank you.
von Billerbeck: Ihren Landsmann, den Schriftsteller Liao Yiwu, hat man kurz vor seinem Abflug aus dem Flugzeug geholt und ihm die Ausreise verweigert. Sie hingegen ließ man fahren. Was hat diese Willkür zum Ziel? Die Kritiker der chinesischen Machthaber verunsichern und die kritische Künstlerszene zu spalten?
Ai: Wir kommen aus unterschiedlichen Gegenden. Ich komme aus Peking, Liao kommt aus der Provinz Ta, das sind ganz unterschiedliche Regierungsformen dort. Es ist schwer zu wissen, was nun die Gründe sind. In einer totalitären Gesellschaft herrscht eben diese Unvorhersagbarkeit. Das Handeln der Regierenden ist irrational, oft sind auch mir Dinge geschehen, zum Beispiel wurde ich einmal verprügelt, Liao wurde nicht verprügelt. Es ist schwer zu sagen, warum das so ist.
von Billerbeck: Das heißt, Ihre Popularität schützt Sie auch nicht vor Verfolgung.
Ai: Ich meine, es gibt überhaupt nichts, was mich oder irgendjemanden verlässlich schützen könnte in einem solchen System. Mein Vater war ja sogar noch berühmter als ich selbst, dennoch wurde er verfolgt. Es kann auch so sein, dass die Unterdrücker selbst einmal mit falschen Anklagen behelligt werden. Es gibt also keinen Schutz.
von Billerbeck: Herr Ai, man kennt Sie ja nicht nur als Künstler, der Skulpturen und Installationen geschaffen hat, sondern fast möchte man sagen inzwischen vor allem durch Ihre Blogs, Ihre Eintragungen im Internet. Sogar an den chinesischen Kunstakademien, hat mal ein Chinakorrespondent geschrieben, da kennt man Sie eher als mutigen, kritischen Blogger. Sind Ihnen die Blogs inzwischen wichtiger als Ihre "richtige Kunst", in Anführungsstrichen?
Ai: Ich glaube, es gibt nicht echte und unechte Kunst. Ich glaube, es gibt keinen Unterschied zwischen dem, was wir Kunst nennen, und anderen Ausdrucksformen. Alles fließt letztlich zusammen.
Bloggen beruht auf einer neuen Technik, die für die Chinesen zum ersten Mal die Möglichkeit bietet, eine Art Durchbruch zu schaffen diese Zensur zu umgehen. Das Bloggen ist deshalb etwas ganz Wesentliches, etwas, was ich sehr hoch schätze und was für die Chinesen eine ganze Fülle an neuen Ausdrucksmöglichkeiten bietet.
von Billerbeck: Ihre Gesprächspartnerin auf der lit.COLOGNE, die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, habe ich gerade gelesen, die war skeptisch, was den politischen Effekt des Internets angeht. Wie sehen Sie das? Wie sind die Wirkungen des Internets auf die Machthaber in Peking?
Ai: Sie können im Westen durchaus skeptisch gegenüber den Möglichkeiten des Bloggens, des Internets sein, aber im Osten sieht die Lage ganz anders aus. Die Diktatur, das Bloggen, hat im Osten eine ganz andere Bedeutung als im Westen. Wenn Sie in einem dunklen Zimmer sitzen, bedeutet der Lichtschein einer Kerze bereits einen gewaltigen Unterschied – so ist es auch mit dem Bloggen.
Das Bloggen ist für uns ein Lichtstrahl in einem vollständig dunklen Zimmer und deshalb schätzen wir es auch so stark. Wir hängen sogar davon ab. Wenn Sie fragen, wie das das Leben verändert, dann sage ich, es hat das Leben bereits verändert, es hat die Politik der Regierung bereits verändert und zwar in ganz erheblichem Ausmaß.
Die Regierung, die eben versucht uns vollständig abzuschließen, die auch immer wieder versucht, das Internet zu unterbrechen. Aber es ist für uns eine Möglichkeit, über diese Unterdrückung hinauszureichen, deshalb haben auch die totalitären Gesellschaften vor nichts mehr Angst als vor Offenheit, vor Transparenz. Das Internet ermöglicht es, diese freie Betätigung auszuüben, und es kann somit das Ende dieses Verbrechens an der Menschlichkeit mit sich bringen.
von Billerbeck: Also jedes totalitäre System weiß, dass es am Ende ist, sobald Öffentlichkeit hergestellt wird. Wie reagieren denn die chinesischen Machthaber ganz aktuell auf Ihre Blogs dieser Tage?
Ai: Nun, erst letztes Jahr hat die Behörde drei meiner Blogs in derselben Sekunde an einem einzigen Tag abgeschaltet. Ich konnte nicht mehr von chinesischen Servern aus operieren sondern nur von ausländischen aus. Daraufhin bin ich zu Twitter übergegangen, auch da wird man immer wieder abgeschnitten, zensiert, und dann wechsle ich eben zu einem anderen Konto – an einem einzigen Tag habe ich einmal nicht weniger als zehn unterschiedliche IDs aufgebaut. Und so tauche ich also immer wieder auf, ich habe mittlerweile mehr als 100 unterschiedliche Kennungen im Internet, alles irgendwie mit Ai Weiwei.
Zum Schluss weiß man gar nicht mehr, welches nun der echte Ai Weiwei ist und es verschwimmt sozusagen. Man kann ganz unterschiedliche Themen aufgreifen über dieses Medium. Für uns ist es wichtig, für uns ist es unerlässlich.
von Billerbeck: Sie sind eine multiple Persönlichkeit im Internet.
Ai: In gewisser Weise ist es wie in einem Film, wo verschiedene Persönlichkeiten die gleiche Maske tragen und wo man sozusagen durch Imitation ganz ähnliche Botschaften überbringt.
von Billerbeck: Durch seine Installationen ebenso bekannt wie durch seine Blogs – der chinesische Künstler Ai Weiwei ist im Deutschlandradio Kultur zu Gast.
In Ihrem Werk kommentieren Sie ja Verstöße gegen die Menschenrechte, prangern wirtschaftliche Ausbeutung und Umweltverschmutzung in Ihrer Heimat an und die hiesige Akademie der Künste hat Sie aus Anlass der Ausstellung "Wiederkehr der Landschaft" eingeladen nach Berlin. Die Städte des 20. Jahrhunderts, die wurden ja gegen die Landschaft gebaut, die Folgen waren Klimawandel, Wasserknappheit und Artenschwund, und Sie setzen sich auch für neue Lösungen ein, damit eben, wie es in dieser Akademieausstellung heißt, die Städte des 21. Jahrhunderts aus der Landschaft heraus entwickelt werden. Von welchen Städten träumen Sie?
Ai: Für mich sind Städte das natürliche Produkt von Menschen. Und so, wie sich die Aufgaben für die Menschen ändern, werden sich im Laufe der Zeit auch Städte ändern. Es gibt also nicht die vollkommene Stadt. Die Stadt, die mir vorschwebt, ist gekennzeichnet durch eine Mischung von verschiedenen Aufgaben, von verschiedenen Bedeutungen.
Dadurch wird sie leistungsfähig, und sie wird freundlich. Vor allem aber beruht sie darauf, dass die Regierung die Grundwerte für die Menschen anerkennt. Das ist in der jetzigen Regierungsform nicht möglich. Die kommunistische Führung hat keinerlei Interesse, auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen. Unter diesem System ist es nicht vorgesehen, dass die Interessen und Bedürfnisse der Menschen berücksichtigt werden.
von Billerbeck: Da sind wir von dem Traum wieder zurück in der Gegenwart: Sie haben in der vergangenen Woche eine Klage eingereicht gegen das chinesische Ministerium für zivile Angelegenheiten, weil Ihnen Auskünfte verweigert wurden darüber, warum 2008 bei dem Erdbeben in Sichuan 5000 Kinder in maroden Schulhäusern ums Leben kommen mussten. Welche Antworten erhoffen Sie sich, und wie wollen Sie die Regierung zu den Antworten zwingen?
Ai: Nun, bei diesem Erdbeben sind 100.000 Menschen verschwunden, unter ihnen 5000 Schülerinnen und Schüler. Wir erwarten von der Regierung Auskünfte darüber, wie es geschehen konnte, warum es geschehen ist, was überhaupt geschehen ist. Wir wollen einfach Antworten, wir wollen verlässliche Auskünfte über die Namen, über den Verbleib, über die Familien all dieser Schüler.
Durch eigene Erkundungen haben wir eben herausgefunden, dass etwa 5000 Schüler ihr Leben verloren haben. Uns interessiert diese sogenannte Doufu-Architektur, also diese missbräuchlich errichteten Schwarzbauten, wo Korruption im Spiel ist, wo Vorschriften nicht eingehalten werden, wo politisch gemauschelt wird. Darüber haben wir mehr als 100 Auskunftsersuchen an die Behörden gerichtet, wir wollten, dass alle Informationen freigegeben werden. Wir haben aber bisher keinerlei Antworten bekommen.
Wir müssen deshalb das Ganze jetzt vor Gericht bringen. Dort haben wir verschiedene Behörden anzuklagen: das Kulturministerium, das Bauministerium. Wir haben keinerlei Auskunft bisher bekommen, und das ist eine klare Verletzung der gesetzlichen Regelungen.
von Billerbeck: Werden diese Themen, die der politische Mensch und Künstler Weiwei in die Öffentlichkeit bringt, auch Thema sein, wenn Sie in diesem Jahr in London und New York ausstellen, oder was wird das Publikum dort zu sehen bekommen?
Ai: Nun, ich glaube nicht, dass ich das jetzt hier offenlegen kann. Aber so viel kann ich sagen: Alles, was ich mache, hängt miteinander zusammen.
Es hilft mir dabei zu verstehen, wer ich bin, in welcher Welt wir überhaupt leben, was jetzt gerade ansteht. Es dient dazu, um ehrlich und redlich gegenüber der eigenen Zeit zu sein. Letztlich glaube ich eben, dass es etwas Besseres gibt. Man glaubt, dass man besser ist als die Gesellschaft, gegen die man kämpft, man hofft, dieses System, gegen das man kämpft, zu beenden. Und das Entscheidende ist: Man glaubt an etwas.
von Billerbeck: Der chinesische Künstler Ai Weiwei über Umweltzerstörung, die Bedeutung des Internets und die Stadt der Zukunft. Ganz herzlichen Dank für Ihren Besuch!
Ai: Thank you.
von Billerbeck: Das Gespräch mit Ai Weiwei hat Johannes Hampel für Deutschlandradio Kultur übersetzt.
Inzwischen, seit Anfang der 90er-Jahre, lebt er wieder in der chinesischen Hauptstadt, und im vorigen Jahr hatte er große Einzelausstellungen in Tokyo und München. 2010 werden seine Arbeiten in New York und London gezeigt.
Der Künstler nutzt seinen Erfolg und auch sein Geld, um einen Kampf mit der Kommunistischen Partei Chinas auszutragen. Es geht ihm um die Folgen städtebaulicher Misswirtschaft. In maroden Schulhäusern beispielsweise kamen bei dem Erdbeben in Sichuan 5000 Kinder ums Leben.
Dass die Städte im 21. Jahrhundert nicht gegen die Natur, sondern aus der Landschaft heraus entwickelt werden sollen, darum dreht sich auch eine Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste. Ai Weiwei war dort und auf der lit.COLOGNE zu Gast und zwischendrin hier bei uns in Deutschlandradio Kultur.
Herr Ai, herzlich willkommen!
Ai Weiwei: Thank you.
von Billerbeck: Ihren Landsmann, den Schriftsteller Liao Yiwu, hat man kurz vor seinem Abflug aus dem Flugzeug geholt und ihm die Ausreise verweigert. Sie hingegen ließ man fahren. Was hat diese Willkür zum Ziel? Die Kritiker der chinesischen Machthaber verunsichern und die kritische Künstlerszene zu spalten?
Ai: Wir kommen aus unterschiedlichen Gegenden. Ich komme aus Peking, Liao kommt aus der Provinz Ta, das sind ganz unterschiedliche Regierungsformen dort. Es ist schwer zu wissen, was nun die Gründe sind. In einer totalitären Gesellschaft herrscht eben diese Unvorhersagbarkeit. Das Handeln der Regierenden ist irrational, oft sind auch mir Dinge geschehen, zum Beispiel wurde ich einmal verprügelt, Liao wurde nicht verprügelt. Es ist schwer zu sagen, warum das so ist.
von Billerbeck: Das heißt, Ihre Popularität schützt Sie auch nicht vor Verfolgung.
Ai: Ich meine, es gibt überhaupt nichts, was mich oder irgendjemanden verlässlich schützen könnte in einem solchen System. Mein Vater war ja sogar noch berühmter als ich selbst, dennoch wurde er verfolgt. Es kann auch so sein, dass die Unterdrücker selbst einmal mit falschen Anklagen behelligt werden. Es gibt also keinen Schutz.
von Billerbeck: Herr Ai, man kennt Sie ja nicht nur als Künstler, der Skulpturen und Installationen geschaffen hat, sondern fast möchte man sagen inzwischen vor allem durch Ihre Blogs, Ihre Eintragungen im Internet. Sogar an den chinesischen Kunstakademien, hat mal ein Chinakorrespondent geschrieben, da kennt man Sie eher als mutigen, kritischen Blogger. Sind Ihnen die Blogs inzwischen wichtiger als Ihre "richtige Kunst", in Anführungsstrichen?
Ai: Ich glaube, es gibt nicht echte und unechte Kunst. Ich glaube, es gibt keinen Unterschied zwischen dem, was wir Kunst nennen, und anderen Ausdrucksformen. Alles fließt letztlich zusammen.
Bloggen beruht auf einer neuen Technik, die für die Chinesen zum ersten Mal die Möglichkeit bietet, eine Art Durchbruch zu schaffen diese Zensur zu umgehen. Das Bloggen ist deshalb etwas ganz Wesentliches, etwas, was ich sehr hoch schätze und was für die Chinesen eine ganze Fülle an neuen Ausdrucksmöglichkeiten bietet.
von Billerbeck: Ihre Gesprächspartnerin auf der lit.COLOGNE, die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, habe ich gerade gelesen, die war skeptisch, was den politischen Effekt des Internets angeht. Wie sehen Sie das? Wie sind die Wirkungen des Internets auf die Machthaber in Peking?
Ai: Sie können im Westen durchaus skeptisch gegenüber den Möglichkeiten des Bloggens, des Internets sein, aber im Osten sieht die Lage ganz anders aus. Die Diktatur, das Bloggen, hat im Osten eine ganz andere Bedeutung als im Westen. Wenn Sie in einem dunklen Zimmer sitzen, bedeutet der Lichtschein einer Kerze bereits einen gewaltigen Unterschied – so ist es auch mit dem Bloggen.
Das Bloggen ist für uns ein Lichtstrahl in einem vollständig dunklen Zimmer und deshalb schätzen wir es auch so stark. Wir hängen sogar davon ab. Wenn Sie fragen, wie das das Leben verändert, dann sage ich, es hat das Leben bereits verändert, es hat die Politik der Regierung bereits verändert und zwar in ganz erheblichem Ausmaß.
Die Regierung, die eben versucht uns vollständig abzuschließen, die auch immer wieder versucht, das Internet zu unterbrechen. Aber es ist für uns eine Möglichkeit, über diese Unterdrückung hinauszureichen, deshalb haben auch die totalitären Gesellschaften vor nichts mehr Angst als vor Offenheit, vor Transparenz. Das Internet ermöglicht es, diese freie Betätigung auszuüben, und es kann somit das Ende dieses Verbrechens an der Menschlichkeit mit sich bringen.
von Billerbeck: Also jedes totalitäre System weiß, dass es am Ende ist, sobald Öffentlichkeit hergestellt wird. Wie reagieren denn die chinesischen Machthaber ganz aktuell auf Ihre Blogs dieser Tage?
Ai: Nun, erst letztes Jahr hat die Behörde drei meiner Blogs in derselben Sekunde an einem einzigen Tag abgeschaltet. Ich konnte nicht mehr von chinesischen Servern aus operieren sondern nur von ausländischen aus. Daraufhin bin ich zu Twitter übergegangen, auch da wird man immer wieder abgeschnitten, zensiert, und dann wechsle ich eben zu einem anderen Konto – an einem einzigen Tag habe ich einmal nicht weniger als zehn unterschiedliche IDs aufgebaut. Und so tauche ich also immer wieder auf, ich habe mittlerweile mehr als 100 unterschiedliche Kennungen im Internet, alles irgendwie mit Ai Weiwei.
Zum Schluss weiß man gar nicht mehr, welches nun der echte Ai Weiwei ist und es verschwimmt sozusagen. Man kann ganz unterschiedliche Themen aufgreifen über dieses Medium. Für uns ist es wichtig, für uns ist es unerlässlich.
von Billerbeck: Sie sind eine multiple Persönlichkeit im Internet.
Ai: In gewisser Weise ist es wie in einem Film, wo verschiedene Persönlichkeiten die gleiche Maske tragen und wo man sozusagen durch Imitation ganz ähnliche Botschaften überbringt.
von Billerbeck: Durch seine Installationen ebenso bekannt wie durch seine Blogs – der chinesische Künstler Ai Weiwei ist im Deutschlandradio Kultur zu Gast.
In Ihrem Werk kommentieren Sie ja Verstöße gegen die Menschenrechte, prangern wirtschaftliche Ausbeutung und Umweltverschmutzung in Ihrer Heimat an und die hiesige Akademie der Künste hat Sie aus Anlass der Ausstellung "Wiederkehr der Landschaft" eingeladen nach Berlin. Die Städte des 20. Jahrhunderts, die wurden ja gegen die Landschaft gebaut, die Folgen waren Klimawandel, Wasserknappheit und Artenschwund, und Sie setzen sich auch für neue Lösungen ein, damit eben, wie es in dieser Akademieausstellung heißt, die Städte des 21. Jahrhunderts aus der Landschaft heraus entwickelt werden. Von welchen Städten träumen Sie?
Ai: Für mich sind Städte das natürliche Produkt von Menschen. Und so, wie sich die Aufgaben für die Menschen ändern, werden sich im Laufe der Zeit auch Städte ändern. Es gibt also nicht die vollkommene Stadt. Die Stadt, die mir vorschwebt, ist gekennzeichnet durch eine Mischung von verschiedenen Aufgaben, von verschiedenen Bedeutungen.
Dadurch wird sie leistungsfähig, und sie wird freundlich. Vor allem aber beruht sie darauf, dass die Regierung die Grundwerte für die Menschen anerkennt. Das ist in der jetzigen Regierungsform nicht möglich. Die kommunistische Führung hat keinerlei Interesse, auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen. Unter diesem System ist es nicht vorgesehen, dass die Interessen und Bedürfnisse der Menschen berücksichtigt werden.
von Billerbeck: Da sind wir von dem Traum wieder zurück in der Gegenwart: Sie haben in der vergangenen Woche eine Klage eingereicht gegen das chinesische Ministerium für zivile Angelegenheiten, weil Ihnen Auskünfte verweigert wurden darüber, warum 2008 bei dem Erdbeben in Sichuan 5000 Kinder in maroden Schulhäusern ums Leben kommen mussten. Welche Antworten erhoffen Sie sich, und wie wollen Sie die Regierung zu den Antworten zwingen?
Ai: Nun, bei diesem Erdbeben sind 100.000 Menschen verschwunden, unter ihnen 5000 Schülerinnen und Schüler. Wir erwarten von der Regierung Auskünfte darüber, wie es geschehen konnte, warum es geschehen ist, was überhaupt geschehen ist. Wir wollen einfach Antworten, wir wollen verlässliche Auskünfte über die Namen, über den Verbleib, über die Familien all dieser Schüler.
Durch eigene Erkundungen haben wir eben herausgefunden, dass etwa 5000 Schüler ihr Leben verloren haben. Uns interessiert diese sogenannte Doufu-Architektur, also diese missbräuchlich errichteten Schwarzbauten, wo Korruption im Spiel ist, wo Vorschriften nicht eingehalten werden, wo politisch gemauschelt wird. Darüber haben wir mehr als 100 Auskunftsersuchen an die Behörden gerichtet, wir wollten, dass alle Informationen freigegeben werden. Wir haben aber bisher keinerlei Antworten bekommen.
Wir müssen deshalb das Ganze jetzt vor Gericht bringen. Dort haben wir verschiedene Behörden anzuklagen: das Kulturministerium, das Bauministerium. Wir haben keinerlei Auskunft bisher bekommen, und das ist eine klare Verletzung der gesetzlichen Regelungen.
von Billerbeck: Werden diese Themen, die der politische Mensch und Künstler Weiwei in die Öffentlichkeit bringt, auch Thema sein, wenn Sie in diesem Jahr in London und New York ausstellen, oder was wird das Publikum dort zu sehen bekommen?
Ai: Nun, ich glaube nicht, dass ich das jetzt hier offenlegen kann. Aber so viel kann ich sagen: Alles, was ich mache, hängt miteinander zusammen.
Es hilft mir dabei zu verstehen, wer ich bin, in welcher Welt wir überhaupt leben, was jetzt gerade ansteht. Es dient dazu, um ehrlich und redlich gegenüber der eigenen Zeit zu sein. Letztlich glaube ich eben, dass es etwas Besseres gibt. Man glaubt, dass man besser ist als die Gesellschaft, gegen die man kämpft, man hofft, dieses System, gegen das man kämpft, zu beenden. Und das Entscheidende ist: Man glaubt an etwas.
von Billerbeck: Der chinesische Künstler Ai Weiwei über Umweltzerstörung, die Bedeutung des Internets und die Stadt der Zukunft. Ganz herzlichen Dank für Ihren Besuch!
Ai: Thank you.
von Billerbeck: Das Gespräch mit Ai Weiwei hat Johannes Hampel für Deutschlandradio Kultur übersetzt.