Westliche Welt aus den Fugen
Das Böse wütet in diesem Film ungehemmt: Während der Vorstellungen gab es Herzattacken, Ohnmachten und in New York sogar Fehlgeburten. William Friedkins "Der Exorzist" erreichte die Zuschauer im Innersten.
Es hat eine gewisse Ironie, dass das Böse in einem der erfolgreichsten amerikanischen Horrorfilme aller Zeiten aus dem Nordirak kommt: Ein kleines Figürchen, das bei Ausgrabungen in der irakischen Wüste gefunden wird, bringt zu Beginn von William Friedkins „Der Exorzist“ den Teufel in die westliche Welt, genauer: nach Washington D.C.
Hier nimmt der Herr der Finsternis – erst schleichend und dann mit fürchterlicher Gewalt – Besitz von einem zwölfjährigen Mädchen: Regan, gespielt von Linda Blair, die bei ihrer Mutter, einer erfolgreichen Schauspielerin, lebt. Aus dem Kind wird ein grausames, gelbäugiges, obszön fluchendes Wesen. Der Rest ist Horrorfilmgeschichte.
Nach der Premiere von „Der Exorzist“, am 26. Dezember 1973, stand Amerika Kopf. Zuschauer kampierten tagelang in Warteschlangen, prügelten sich um Eintrittskarten, wurden im Chaos von knüppelnden Polizisten aus dem Kino gedrängt. Während der Vorstellungen gab es Herzattacken, Ohnmachten und in New York sogar Fehlgeburten. In Los Angeles durften vor den Kinos keine Autos mehr parken, damit der Weg für Krankenwagen frei blieb. Zu Hunderten ließen sich Kinogänger, die sich nach der Vorführung besessen glaubten, den „Teufel“ von Priestern „austreiben“. Mit einer Mischung aus Schrecken und Bewunderung schrieb das Magazin „Newsweek“:
„Wie es vielleicht nur ein Film kann, schlug 'Der Exorzist' das kollektive Bewusstsein in seinen Bann. Auf wahnwitzige Weise brachte er die verborgenen Beunruhigungen, Fantasien und Ängste an die Oberfläche der gegenwärtigen amerikanischen Gesellschaft.“
Regan rammt sich ein Kruzifix in die Vagina
Einige Szenen von „Der Exorzist“ haben bis heute nichts von ihrer Schockwirkung verloren: In einer blutigen Onanierszene rammt sich Regan ein Kruzifix in die Vagina, sie erbricht in hohem Schwall eine ekelerregende grünliche Flüssigkeit, bringt während einer langen Exorzismussitzung zwei Priester auf brutale Weise um. Aber es war vor allem der indirekte, der subtile Horror, es waren die versteckten Teufeleien, mit denen „Der Exorzist“ seine nachhaltige Wirkung entfaltete – und eine untergründige Zivilisationskritik.
In William Friedkins Film ist die westliche Welt von Anfang an aus den Fugen. Nervenzerreißend klingeln Telefone, überlaut rattert die U-Bahn in die Station.
Inmitten der amerikanischen Hauptstadt fährt die Kamera plötzlich durch verslumte Viertel, eine Nebengeschichte führt in eine überfüllte verwahrloste Psychiatrie. Und wenn Ellen Burstyn in der Rolle von Regans Mutter ins Auto steigt, dann künden bedrohliche Musik und Polizeisirenen schon vom kommenden Unheil.
Wie bei keinem anderen Film zuvor, beruht der verstörende Effekt von „Der Exorzist“ auf seiner Tonspur. Neidlos bescheinigte der französische Regisseur François Truffaut seinem Kollegen William Friedkin:
„Dieser Film hat den besten Soundtrack, den es je in der Geschichte des Kinos gab.“
Für seine Toncollagen verwendete Friedkin zeitgenössische Kompositionen von Penderecki, Henze und Webern zusammen mit Maschinengeräuschen. Er ließ Hundegebell, das Kratzen von Hamsterkrallen und die Todesschreie von Schweinen bei der Schlachtung unter Alltagsszenen mischen. Und die deformierte Sprache des teufelsbesessenen Kindes scheint tatsächlich aus einer anderen, höllenhaften Dimension zu stammen.
„Dieser Film hat den besten Soundtrack, den es je in der Geschichte des Kinos gab.“
Für seine Toncollagen verwendete Friedkin zeitgenössische Kompositionen von Penderecki, Henze und Webern zusammen mit Maschinengeräuschen. Er ließ Hundegebell, das Kratzen von Hamsterkrallen und die Todesschreie von Schweinen bei der Schlachtung unter Alltagsszenen mischen. Und die deformierte Sprache des teufelsbesessenen Kindes scheint tatsächlich aus einer anderen, höllenhaften Dimension zu stammen.
Der Schrecken dringt bis ins Unterbewusstsein
Durch seine handwerkliche Perfektion, durch die okkulte akustische Bastelstube, entstand der bis ins Unterbewusstsein dringenden Schrecken von „Der Exorzist“ – auch zur Überraschung von William Friedkin selbst:
„Ich hatte immer das Gefühl, dass die Geschichte von ‚Der Exorzist‘ eine intensive Auseinandersetzung mit dem Mysterium des Glaubens war, auch mit Gottes Liebe und Vergebung – obwohl ich nie einer Religion angehörte. Ich wollte ihn nicht als einen Horrorfilm drehen – und jetzt ist mir klar, dass es einer ist.“
Bis heute ist „Der Exorzist“ eines der besten Beispiele für die Klugheit des populären Kinos. Übersteigerte Religiosität und Obszönität, amerikanische Werte und ihre Perversion in vulgären Flüchen - all das kommt bei William Friedkin in einer befreienden Horrorfilmsitzung und durch eine tiefenpsychologische Tonspur ans Tageslicht. Womöglich wäre es an der Zeit für einen neuen amerikanischen Exorzismus.